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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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der Mitte desselben liegt jetzt auf einem kühnen Vorsprung
des Ossa eine Festung von römischer Konstruction, Ho-
räo-Castro genannt, sie deckt zugleich eine Seiten-
schlucht dieses Gebirges; auf demselben Flecke stand
wahrscheinlich einst das Bollwerk Gonnokondylon,
dem die Thalwende den Namen gegeben zu haben scheint 1.
Nicht weit davon ist die engste Stelle des Bergthors
kaum hundert Fuß breit, welche nach einer Inschrift L.
Cassius Longin, Proconsul unter Caesar, verschanzte;
aber schon vorher mochten hier wenige Bewaffnete einer
bedeutenden Schaar das Vordringen wehren. Diese
Gegend ist nichts weniger als anmuthig und lieblich zu
nennen, vielmehr von einer furchtbaren Wildheit, die
senkrecht gespaltenen Felsenmassen von gleicher Steinart
erscheinen wie auseinander gesprengt, meist nackt und
kahl; die Schwärze des Schattens in der Tiefe und der
dumpfe Wiederhall vermehren das Düstre des Ein-
drucks; unten sprudelt der weißlichgefärbte (argurodinos)
Peneios. Nicht weit von jener schmalen Stelle öffnet
sich die Enge gegen das Meer, welchem Peneios ver-
sumpfend zufließt, von hier überschaut man die lachende
Landschaft Pierien an der östlichen und äußeren Seite
des Olymp, namentlich die Ebnen von Phila, Herakleion
und Leibethron, welche weiter in die untern Gegenden
Makedoniens führen.

3.

Dies ist die einzige Verbindungsstraße Thessaliens
mit den Nordgegenden, welche überall im Thale fort-
führt; alle andern sind Bergwege. So die andre Straße
nach Makedonien, der Olympische Paß (esbole Olum-
pike) 2. Auch diese geht von der starkverschanzten Fe-
stung Gonnos aus, dem Schlüssel des Landes gegen
Norden, und zieht sich dann an der innern Seite des

1 Liv. 39, 25.
2 Herod. 7, 128. 173.

der Mitte deſſelben liegt jetzt auf einem kuͤhnen Vorſprung
des Oſſa eine Feſtung von roͤmiſcher Konſtruction, Ho-
raͤo-Caſtro genannt, ſie deckt zugleich eine Seiten-
ſchlucht dieſes Gebirges; auf demſelben Flecke ſtand
wahrſcheinlich einſt das Bollwerk Gonnokondylon,
dem die Thalwende den Namen gegeben zu haben ſcheint 1.
Nicht weit davon iſt die engſte Stelle des Bergthors
kaum hundert Fuß breit, welche nach einer Inſchrift L.
Caſſius Longin, Proconſul unter Caeſar, verſchanzte;
aber ſchon vorher mochten hier wenige Bewaffnete einer
bedeutenden Schaar das Vordringen wehren. Dieſe
Gegend iſt nichts weniger als anmuthig und lieblich zu
nennen, vielmehr von einer furchtbaren Wildheit, die
ſenkrecht geſpaltenen Felſenmaſſen von gleicher Steinart
erſcheinen wie auseinander geſprengt, meiſt nackt und
kahl; die Schwaͤrze des Schattens in der Tiefe und der
dumpfe Wiederhall vermehren das Duͤſtre des Ein-
drucks; unten ſprudelt der weißlichgefaͤrbte (αργυρόδινος)
Peneios. Nicht weit von jener ſchmalen Stelle oͤffnet
ſich die Enge gegen das Meer, welchem Peneios ver-
ſumpfend zufließt, von hier uͤberſchaut man die lachende
Landſchaft Pierien an der oͤſtlichen und aͤußeren Seite
des Olymp, namentlich die Ebnen von Phila, Herakleion
und Leibethron, welche weiter in die untern Gegenden
Makedoniens fuͤhren.

3.

Dies iſt die einzige Verbindungsſtraße Theſſaliens
mit den Nordgegenden, welche uͤberall im Thale fort-
fuͤhrt; alle andern ſind Bergwege. So die andre Straße
nach Makedonien, der Olympiſche Paß (ἐσβολὴ Ὀλυμ-
πική) 2. Auch dieſe geht von der ſtarkverſchanzten Fe-
ſtung Gonnos aus, dem Schluͤſſel des Landes gegen
Norden, und zieht ſich dann an der innern Seite des

1 Liv. 39, 25.
2 Herod. 7, 128. 173.
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[20/0050] der Mitte deſſelben liegt jetzt auf einem kuͤhnen Vorſprung des Oſſa eine Feſtung von roͤmiſcher Konſtruction, Ho- raͤo-Caſtro genannt, ſie deckt zugleich eine Seiten- ſchlucht dieſes Gebirges; auf demſelben Flecke ſtand wahrſcheinlich einſt das Bollwerk Gonnokondylon, dem die Thalwende den Namen gegeben zu haben ſcheint 1. Nicht weit davon iſt die engſte Stelle des Bergthors kaum hundert Fuß breit, welche nach einer Inſchrift L. Caſſius Longin, Proconſul unter Caeſar, verſchanzte; aber ſchon vorher mochten hier wenige Bewaffnete einer bedeutenden Schaar das Vordringen wehren. Dieſe Gegend iſt nichts weniger als anmuthig und lieblich zu nennen, vielmehr von einer furchtbaren Wildheit, die ſenkrecht geſpaltenen Felſenmaſſen von gleicher Steinart erſcheinen wie auseinander geſprengt, meiſt nackt und kahl; die Schwaͤrze des Schattens in der Tiefe und der dumpfe Wiederhall vermehren das Duͤſtre des Ein- drucks; unten ſprudelt der weißlichgefaͤrbte (αργυρόδινος) Peneios. Nicht weit von jener ſchmalen Stelle oͤffnet ſich die Enge gegen das Meer, welchem Peneios ver- ſumpfend zufließt, von hier uͤberſchaut man die lachende Landſchaft Pierien an der oͤſtlichen und aͤußeren Seite des Olymp, namentlich die Ebnen von Phila, Herakleion und Leibethron, welche weiter in die untern Gegenden Makedoniens fuͤhren. 3. Dies iſt die einzige Verbindungsſtraße Theſſaliens mit den Nordgegenden, welche uͤberall im Thale fort- fuͤhrt; alle andern ſind Bergwege. So die andre Straße nach Makedonien, der Olympiſche Paß (ἐσβολὴ Ὀλυμ- πική) 2. Auch dieſe geht von der ſtarkverſchanzten Fe- ſtung Gonnos aus, dem Schluͤſſel des Landes gegen Norden, und zieht ſich dann an der innern Seite des 1 Liv. 39, 25. 2 Herod. 7, 128. 173.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/50>, abgerufen am 26.04.2024.