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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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gehabt. Dieser Mann hat sich in seiner antiquite
devoilee
sowohl als in seinem despotisme oriental
wie der größeste Jdiot und Charlatan zugleich bewiesen.
Er giebt sich ein über alle Maaße großes Ansehen von
Gelehrsamkeit und Ehrlichkeit, und betrügt dadurch die-
jenigen, die ihm nicht auf die Spur kommen können.
Aber Leute von Einsichten sagen, daß er mit der größe-
sten Unverschämtheit die ausgemachtesten Falsa behaupte,
daß er in den Sprachen, in der Kritik, in der Geschichte
Fehler begehe, die selbst Anfängern in diesen Kenntnissen
nicht verziehen werden könnten, daß er sich auf Bücher
berufe, die er gar nicht kenne, und in denen kein Wort
von demjenigen stehe, was er daraus beweisen wolle.
Aber so machen es diese Halbgelehrte, wenn Sie das
Christenthum verschreyen wollen. Sie häufen Unwahr-
heit auf Unwahrheit, widersprechen sich selbst, so oft
es nöthig ist, dichten in die Geschichte Dinge hinein,
die niemals geschehen sind, wenn sie sie zu ihrer Absicht
brauchen. Mir fällt eben ein Exempel ein, das hieher
gehört. Jn dem Evangile du jour soll bewiesen wer-
den, daß kein Moses gelebt hat, und daß also die ganze
alte jüdische Geschichte eine Fabel ist. Wäre Moses in
der Welt gewesen und hätte so große Dinge gethan, so
würde Sanchuniathon, ein phönicischer Geschichtschrei-
ber, der in der Nachbarschaft des Landes wohnte, wo
die Geschichte Mosis sich zugetragen haben soll, seiner
doch Erwähnung gethan haben. Wir finden aber in
den wenigen Fragmenten, die wir noch von dem Phöni-
cier haben, kein Wort von Mose. Also ist die Erzählung
der Bibel von ihm nicht wahr, es ist alles Betrug und
Erdichtung. Jn eben diesem Evangile du jour soll
Mosi die Ehre genommen werden, daß er der älteste
Schriftsteller sey. Nun heißt es: Moses ist augen-
scheinlich neuer als Sanchuniathon, denn dieser hat
vor jenem gelebt. -- Vergleichen Sie nun beydes mit

einan-



gehabt. Dieſer Mann hat ſich in ſeiner antiquité
devoilée
ſowohl als in ſeinem despotisme oriental
wie der groͤßeſte Jdiot und Charlatan zugleich bewieſen.
Er giebt ſich ein uͤber alle Maaße großes Anſehen von
Gelehrſamkeit und Ehrlichkeit, und betruͤgt dadurch die-
jenigen, die ihm nicht auf die Spur kommen koͤnnen.
Aber Leute von Einſichten ſagen, daß er mit der groͤße-
ſten Unverſchaͤmtheit die ausgemachteſten Falſa behaupte,
daß er in den Sprachen, in der Kritik, in der Geſchichte
Fehler begehe, die ſelbſt Anfaͤngern in dieſen Kenntniſſen
nicht verziehen werden koͤnnten, daß er ſich auf Buͤcher
berufe, die er gar nicht kenne, und in denen kein Wort
von demjenigen ſtehe, was er daraus beweiſen wolle.
Aber ſo machen es dieſe Halbgelehrte, wenn Sie das
Chriſtenthum verſchreyen wollen. Sie haͤufen Unwahr-
heit auf Unwahrheit, widerſprechen ſich ſelbſt, ſo oft
es noͤthig iſt, dichten in die Geſchichte Dinge hinein,
die niemals geſchehen ſind, wenn ſie ſie zu ihrer Abſicht
brauchen. Mir faͤllt eben ein Exempel ein, das hieher
gehoͤrt. Jn dem Evangile du jour ſoll bewieſen wer-
den, daß kein Moſes gelebt hat, und daß alſo die ganze
alte juͤdiſche Geſchichte eine Fabel iſt. Waͤre Moſes in
der Welt geweſen und haͤtte ſo große Dinge gethan, ſo
wuͤrde Sanchuniathon, ein phoͤniciſcher Geſchichtſchrei-
ber, der in der Nachbarſchaft des Landes wohnte, wo
die Geſchichte Moſis ſich zugetragen haben ſoll, ſeiner
doch Erwaͤhnung gethan haben. Wir finden aber in
den wenigen Fragmenten, die wir noch von dem Phoͤni-
cier haben, kein Wort von Moſe. Alſo iſt die Erzaͤhlung
der Bibel von ihm nicht wahr, es iſt alles Betrug und
Erdichtung. Jn eben dieſem Evangile du jour ſoll
Moſi die Ehre genommen werden, daß er der aͤlteſte
Schriftſteller ſey. Nun heißt es: Moſes iſt augen-
ſcheinlich neuer als Sanchuniathon, denn dieſer hat
vor jenem gelebt. — Vergleichen Sie nun beydes mit

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[132/0144] gehabt. Dieſer Mann hat ſich in ſeiner antiquité devoilée ſowohl als in ſeinem despotisme oriental wie der groͤßeſte Jdiot und Charlatan zugleich bewieſen. Er giebt ſich ein uͤber alle Maaße großes Anſehen von Gelehrſamkeit und Ehrlichkeit, und betruͤgt dadurch die- jenigen, die ihm nicht auf die Spur kommen koͤnnen. Aber Leute von Einſichten ſagen, daß er mit der groͤße- ſten Unverſchaͤmtheit die ausgemachteſten Falſa behaupte, daß er in den Sprachen, in der Kritik, in der Geſchichte Fehler begehe, die ſelbſt Anfaͤngern in dieſen Kenntniſſen nicht verziehen werden koͤnnten, daß er ſich auf Buͤcher berufe, die er gar nicht kenne, und in denen kein Wort von demjenigen ſtehe, was er daraus beweiſen wolle. Aber ſo machen es dieſe Halbgelehrte, wenn Sie das Chriſtenthum verſchreyen wollen. Sie haͤufen Unwahr- heit auf Unwahrheit, widerſprechen ſich ſelbſt, ſo oft es noͤthig iſt, dichten in die Geſchichte Dinge hinein, die niemals geſchehen ſind, wenn ſie ſie zu ihrer Abſicht brauchen. Mir faͤllt eben ein Exempel ein, das hieher gehoͤrt. Jn dem Evangile du jour ſoll bewieſen wer- den, daß kein Moſes gelebt hat, und daß alſo die ganze alte juͤdiſche Geſchichte eine Fabel iſt. Waͤre Moſes in der Welt geweſen und haͤtte ſo große Dinge gethan, ſo wuͤrde Sanchuniathon, ein phoͤniciſcher Geſchichtſchrei- ber, der in der Nachbarſchaft des Landes wohnte, wo die Geſchichte Moſis ſich zugetragen haben ſoll, ſeiner doch Erwaͤhnung gethan haben. Wir finden aber in den wenigen Fragmenten, die wir noch von dem Phoͤni- cier haben, kein Wort von Moſe. Alſo iſt die Erzaͤhlung der Bibel von ihm nicht wahr, es iſt alles Betrug und Erdichtung. Jn eben dieſem Evangile du jour ſoll Moſi die Ehre genommen werden, daß er der aͤlteſte Schriftſteller ſey. Nun heißt es: Moſes iſt augen- ſcheinlich neuer als Sanchuniathon, denn dieſer hat vor jenem gelebt. — Vergleichen Sie nun beydes mit einan-

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/144>, abgerufen am 26.04.2024.