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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.

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Allgemeine Zeitung 7. November 1914.
[Spaltenumbruch] folg, der vielleicht doch die Direktion bestimmt, mit solch hüb-
schen literarischen Abenden künftig nicht allzu sparsam zu
sein.



Münchener Konzerte.

Am Allerheiligentag wurde Mozarts Requiem aufgeführt,
dem die Maurerische Trauermusik voranging. Der Lehrergesangverein,
das Hoforchester, die Herren Bender und Erb, die Damen Willer
und Bosetti als Solisten, Bruno Walter als Dirigent, damit waren
alle Bedingungen für eine technisch vollendete Aufführung gege-
ben; die Hauptprobe und Aufführung waren ausverkauft, eine
Wiederholung wäre es sicher wieder. Die Akademie kündigt ihren
Konzertzyklus an, der unter anderem alle neuen Symphonien
Beethovens bringen soll. Wir freuen uns schon jetzt darauf, und
erlauben uns, da die Programme im einzelnen noch nicht ganz
festzustehen scheinen, einen bescheidenen Wunschzettel: Mozarts
Kleine Nachtmusik oder das Divertimento für Streichorchester, von
Beethoven die Schlacht bei Viktoria, Haydns Militärsymphonie,
Berlioz' Harold in Italien, Götz Symphonie in F, die eine oder
andere symphonische Dichtung von Smetana, Raffs die Leonoren-
oder die Waldsymphonie, Bizets Roma-Suite, Volkmanns d-moll-,
Mendelssohns Schottische, Schuberts Tragische Symphonie c-moll.

Pembauers Klavierabend war ausschließlich Lißt gewidmet
und vertiefte die Eindrücke, die dieser hochbegabte Pianist anläßlich
früheren Auftretens hinterlassen hatte. Regisseur Kilian vom Hof-
theater trat als Deklamator mit großem Erfolg auf zusammen mit
Frl. Ivogün, deren feine Gesangskunst wir immer gerne bewun-
dern. Steinbach interpretierte in der Tonhalle mit bekannter
Meisterschaft die erste Symphonie von Brahms; am selben
Abend feierte Slezaks Stimme einen verdienten Triumph.
Kothe, der eine besonders treue Gemeinde hat, kam mit einem
kriegsmäßigen Programm von Liedern zur Laute und fand reichen
Beifall. Allen kommenden Solisten möchten wir raten, möglichst
das Beispiel Kilian-Ivogün nachzuahmen, und lieber zu Zweien oder
zu Dreien ein gutbesuchtes, als allein ein schwachbesuchtes Konzert
zu veranstalten: es liegt das ebensosehr im Interesse des Publikums
wie in demjenigen der Konzertgeber selbst.

Feuilleton
Der Deutschen Kampf ums Leben.
Was ich in Deutschland und an der Front sah.

Der berühmte Forschungsreisende, der sich im
Dienste der so notwendigen Aufklärung über die
Lügenmeldungen der englischen Kabel mit dan-
kenswertem Eifer betätigt, gibt in dem folgenden
Briefe, dessen Wortlaut die Tägliche Rundschau
veröffentlicht, seinem begeisterten Vertrauen in den
Sieg der gerechten deutschen Sache Ausdruck.


Schon längst wollte ich über meine Eindrücke von Deutschland
und der Front berichten. Ich mochte aber erst so viel wie möglich
sehen und hatte den Wunsch, daß meine Eindrücke reifen sollten,
damit mein Urteil und meine Aeußerungen vollkommen zuver-
lässig sein würden. Weder wollte noch durfte ich etwas sagen,
was ich nicht mit meinem Namen und meiner Ehre verbürgen
konnte.

Vom ersten Tage des Krieges zweifelte ich nicht an dem Aus-
gang. Wohl konnte man einsehen, daß es eine schwere Arbeit
werden würde, die kolossale Uebermacht zu brechen. Nunmehr,
seitdem ich mit eigenen Augen so viel gesehen habe, und da ich
mich im Brennpunkt der Ereignisse befinde, ist es mir klarer denn
je geworden, daß das deutsche Volk siegen muß, ein Volk, das
für seine eigensten Güter kämpft, sei es auch gegen eine ganze Welt.

In Berlin konnte ich keinen Unterschied vom gewöhnlichen
Dasein bemerken. Das Straßenleben hatte sein gewöhnliches Aus-
sehen wiedergewonnen. Es nahm wunder, so viele Leute in den
besten Jahren zu sehen; ich machte mir die Bemerkung: hier in
Berlin gibt es augenblicklich eine Reserve von etwa einer Million
Soldaten!

[Spaltenumbruch]

Auf der Fahrt nach Frankfurt a. M. und Koblenz, die ich im
Auto zurücklegte, konnte ich dasselbe beobachten: das alltägliche
Leben war dem gewöhnlichen Schraubengang nicht entlaufen. Ich
konnte nicht die geringste Störung wahrnehmen; alles arbeitete
wie im tiefsten Frieden. Das einzig Eigenartige waren die Land-
wehrwachen bei den Eisenbahn- und Wegebrücken. Von dem ge-
waltigen Verkehr von Männern, Pferden und Material, die nach
Westen gingen, hatte der keine Ahnung, der die Eisenbahnhöfe nicht
aufsuchte. Dort aber mußte man vor Verwunderung stehen bleiben.
In einer Stadt, wo ich zwei Tage verbrachte, kam jede halbe
Stunde ein Truppenzug vorbei. Auf den unzähligen Etappen-
wegen marschierten immer neue Truppenmassen auf die Front
hin. Wo man auch anhält, strotzt es von jungen, kräftigen, wohl-
ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten. Es kommt einem wie
eine Völkerwanderung vor, wie sie die Welt niemals geschaut. Es
ist der Zug der Germanen nach Westen, auf zum Kampf für ihr
eigenes Dasein, ihre Zukunft und Größe.

Nächte und Tage hindurch, überall im ganzen Etappenbereich,
siedet und pulsiert das Leben nur dem einzigen Ziel -- der Front
entgegen. Diese mächtige Flut von germanischen Blut nimmt kein
Ende. Keine Spur von Abmattung. Wo einer auf seinem Posten
fällt, nehmen zwei oder drei seinen Platz ein.

Die deutschen Reihen lichten sich nicht unter dem fürchterlichen
Geschützfeuer des modernen Krieges: sie werden nur immer dichter.
Ein Wall von Männern, Eisen und Feuer steht auf dem Boden
des unglücklichen Frankreich. Er zieht sich über eine Strecke von
300 Kilometer.

Ueberall die erstaunlichste und bewundernswerteste Ordnung.
Kein einziger von diesen unzähligen Truppenzügen, bei dem nicht
alles prompt verlaufen wäre. Alles ist wie der vollkommenste
Mechanismus. Niemand braucht zu fragen, ein jeder kennt seinen
Platz und seine Pflicht. Wie oft wurde nicht den Deutschen ihre
pedantische Gründlichkeit vorgeworfen! Hier bei der Front sieht
man erst die Vorteile davon.

In der Friedenszeit war schon bestimmt worden, wie viele
Sicherheitsnadeln und Verbände, wie viel Gramm von verschiedenen
Arzneien in die Tausende von Kästchen und Kisten in einem
Lazarettzuge verpackt werden sollten. Nun klappt aber auch alles
wie die Räder eines Uhrwerks, so sicher wie die Kirchenuhr ihre
Schläge erschallen läßt, je nach dem unveränderlichen Gange der
Zeit.

Eine Reise der Art, wie die meine, vom ruhigen Berlin bis
zu den Stellungen der Geschütze im Schrapnell- und Granatfeuer,
weist sicherlich ein unablässiges Crescendo auf. Aber die Ruhe,
die Pflichterfüllung, die Zuversicht sind überall dieselben. Von
einem Beobachtungspunkt vor den Geschützen habe ich im Fern-
sprecher mit einem Major gesprochen, der im Schützengraben, kaum
ein halbes Kilometer von den vorgeschobenen französischen Linien,
stand. Er sprach nicht allein nur mit Manöverruhe, sondern auch
mit Humor, und doch konnte ihn jeden Augenblick eine Kugel
treffen.

Der erste Etappenweg, den ich im Auto fuhr, nahm vier
Stunden in Anspruch. Er war von kilometerlangen Proviant-
und Munitionskolonnen angefüllt, von ganzen Strömen von
Männern, Pferden und schweren Wagen. Kaum war man an
der Tete der einen vorüber, als man schon das Ende der nächst
Voranmarschierenden überholte. Indem ich mein Erstaunen dem
mich begleitenden Offizier aussprach, erwiderte er: "Wir haben
fünfzig Etappenwege ebenso strotzend von Leben und Material
wie diesen. Jedoch merkt man in Deutschland keine Spur von
Ueberbürdung." So wird man auch überzeugt, daß Deutschland
siegen muß.

In entgegengesetzter Richtung von der Front nach Deutschland
geht auch ein gewaltiger Strom -- es sind die Verwundeten, die
gepflegt und ihrem Lande erhalten bleiben sollen, und es sind die
Gefangenen. Letztere sind schon mindestens 350,000 an Zahl.
Ich sah, wie sie behandelt werden, und ich sprach mit mehreren
Hunderten von französischen Gefangenen. Ausnahmslos reden sie
dankbar über die milde und humane Behandlung, die ihnen zuteil
wird. Sie bekommen genau dieselbe kräftige, warme Nahrung
wie die Deutschen. Gerade heute war ich in einem Lager, wo
die Franzosen selber ihre Kost bereiten dürfen. Sie hatten um
mehr Gemüse und weniger Fleisch in der Suppe ersucht, und ihre
Bitte wurde sofort erfüllt. Kein Wort der Klage habe ich unter
ihnen vernommen; alle sind zufrieden, sogar entzückt. Diese
humane Behandlungsweise hat das große Erstaunen der französi-

Allgemeine Zeitung 7. November 1914.
[Spaltenumbruch] folg, der vielleicht doch die Direktion beſtimmt, mit ſolch hüb-
ſchen literariſchen Abenden künftig nicht allzu ſparſam zu
ſein.



Münchener Konzerte.

◿ Am Allerheiligentag wurde Mozarts Requiem aufgeführt,
dem die Maureriſche Trauermuſik voranging. Der Lehrergeſangverein,
das Hoforcheſter, die Herren Bender und Erb, die Damen Willer
und Boſetti als Soliſten, Bruno Walter als Dirigent, damit waren
alle Bedingungen für eine techniſch vollendete Aufführung gege-
ben; die Hauptprobe und Aufführung waren ausverkauft, eine
Wiederholung wäre es ſicher wieder. Die Akademie kündigt ihren
Konzertzyklus an, der unter anderem alle neuen Symphonien
Beethovens bringen ſoll. Wir freuen uns ſchon jetzt darauf, und
erlauben uns, da die Programme im einzelnen noch nicht ganz
feſtzuſtehen ſcheinen, einen beſcheidenen Wunſchzettel: Mozarts
Kleine Nachtmuſik oder das Divertimento für Streichorcheſter, von
Beethoven die Schlacht bei Viktoria, Haydns Militärſymphonie,
Berlioz’ Harold in Italien, Götz Symphonie in F, die eine oder
andere ſymphoniſche Dichtung von Smetana, Raffs die Leonoren-
oder die Waldſymphonie, Bizets Roma-Suite, Volkmanns d-moll-,
Mendelsſohns Schottiſche, Schuberts Tragiſche Symphonie c-moll.

Pembauers Klavierabend war ausſchließlich Liſzt gewidmet
und vertiefte die Eindrücke, die dieſer hochbegabte Pianiſt anläßlich
früheren Auftretens hinterlaſſen hatte. Regiſſeur Kilian vom Hof-
theater trat als Deklamator mit großem Erfolg auf zuſammen mit
Frl. Ivogün, deren feine Geſangskunſt wir immer gerne bewun-
dern. Steinbach interpretierte in der Tonhalle mit bekannter
Meiſterſchaft die erſte Symphonie von Brahms; am ſelben
Abend feierte Slezaks Stimme einen verdienten Triumph.
Kothe, der eine beſonders treue Gemeinde hat, kam mit einem
kriegsmäßigen Programm von Liedern zur Laute und fand reichen
Beifall. Allen kommenden Soliſten möchten wir raten, möglichſt
das Beiſpiel Kilian-Ivogün nachzuahmen, und lieber zu Zweien oder
zu Dreien ein gutbeſuchtes, als allein ein ſchwachbeſuchtes Konzert
zu veranſtalten: es liegt das ebenſoſehr im Intereſſe des Publikums
wie in demjenigen der Konzertgeber ſelbſt.

Feuilleton
Der Deutſchen Kampf ums Leben.
Was ich in Deutſchland und an der Front ſah.

Der berühmte Forſchungsreiſende, der ſich im
Dienſte der ſo notwendigen Aufklärung über die
Lügenmeldungen der engliſchen Kabel mit dan-
kenswertem Eifer betätigt, gibt in dem folgenden
Briefe, deſſen Wortlaut die Tägliche Rundſchau
veröffentlicht, ſeinem begeiſterten Vertrauen in den
Sieg der gerechten deutſchen Sache Ausdruck.


Schon längſt wollte ich über meine Eindrücke von Deutſchland
und der Front berichten. Ich mochte aber erſt ſo viel wie möglich
ſehen und hatte den Wunſch, daß meine Eindrücke reifen ſollten,
damit mein Urteil und meine Aeußerungen vollkommen zuver-
läſſig ſein würden. Weder wollte noch durfte ich etwas ſagen,
was ich nicht mit meinem Namen und meiner Ehre verbürgen
konnte.

Vom erſten Tage des Krieges zweifelte ich nicht an dem Aus-
gang. Wohl konnte man einſehen, daß es eine ſchwere Arbeit
werden würde, die koloſſale Uebermacht zu brechen. Nunmehr,
ſeitdem ich mit eigenen Augen ſo viel geſehen habe, und da ich
mich im Brennpunkt der Ereigniſſe befinde, iſt es mir klarer denn
je geworden, daß das deutſche Volk ſiegen muß, ein Volk, das
für ſeine eigenſten Güter kämpft, ſei es auch gegen eine ganze Welt.

In Berlin konnte ich keinen Unterſchied vom gewöhnlichen
Daſein bemerken. Das Straßenleben hatte ſein gewöhnliches Aus-
ſehen wiedergewonnen. Es nahm wunder, ſo viele Leute in den
beſten Jahren zu ſehen; ich machte mir die Bemerkung: hier in
Berlin gibt es augenblicklich eine Reſerve von etwa einer Million
Soldaten!

[Spaltenumbruch]

Auf der Fahrt nach Frankfurt a. M. und Koblenz, die ich im
Auto zurücklegte, konnte ich dasſelbe beobachten: das alltägliche
Leben war dem gewöhnlichen Schraubengang nicht entlaufen. Ich
konnte nicht die geringſte Störung wahrnehmen; alles arbeitete
wie im tiefſten Frieden. Das einzig Eigenartige waren die Land-
wehrwachen bei den Eiſenbahn- und Wegebrücken. Von dem ge-
waltigen Verkehr von Männern, Pferden und Material, die nach
Weſten gingen, hatte der keine Ahnung, der die Eiſenbahnhöfe nicht
aufſuchte. Dort aber mußte man vor Verwunderung ſtehen bleiben.
In einer Stadt, wo ich zwei Tage verbrachte, kam jede halbe
Stunde ein Truppenzug vorbei. Auf den unzähligen Etappen-
wegen marſchierten immer neue Truppenmaſſen auf die Front
hin. Wo man auch anhält, ſtrotzt es von jungen, kräftigen, wohl-
ausgebildeten und ausgerüſteten Soldaten. Es kommt einem wie
eine Völkerwanderung vor, wie ſie die Welt niemals geſchaut. Es
iſt der Zug der Germanen nach Weſten, auf zum Kampf für ihr
eigenes Daſein, ihre Zukunft und Größe.

Nächte und Tage hindurch, überall im ganzen Etappenbereich,
ſiedet und pulſiert das Leben nur dem einzigen Ziel — der Front
entgegen. Dieſe mächtige Flut von germaniſchen Blut nimmt kein
Ende. Keine Spur von Abmattung. Wo einer auf ſeinem Poſten
fällt, nehmen zwei oder drei ſeinen Platz ein.

Die deutſchen Reihen lichten ſich nicht unter dem fürchterlichen
Geſchützfeuer des modernen Krieges: ſie werden nur immer dichter.
Ein Wall von Männern, Eiſen und Feuer ſteht auf dem Boden
des unglücklichen Frankreich. Er zieht ſich über eine Strecke von
300 Kilometer.

Ueberall die erſtaunlichſte und bewundernswerteſte Ordnung.
Kein einziger von dieſen unzähligen Truppenzügen, bei dem nicht
alles prompt verlaufen wäre. Alles iſt wie der vollkommenſte
Mechanismus. Niemand braucht zu fragen, ein jeder kennt ſeinen
Platz und ſeine Pflicht. Wie oft wurde nicht den Deutſchen ihre
pedantiſche Gründlichkeit vorgeworfen! Hier bei der Front ſieht
man erſt die Vorteile davon.

In der Friedenszeit war ſchon beſtimmt worden, wie viele
Sicherheitsnadeln und Verbände, wie viel Gramm von verſchiedenen
Arzneien in die Tauſende von Käſtchen und Kiſten in einem
Lazarettzuge verpackt werden ſollten. Nun klappt aber auch alles
wie die Räder eines Uhrwerks, ſo ſicher wie die Kirchenuhr ihre
Schläge erſchallen läßt, je nach dem unveränderlichen Gange der
Zeit.

Eine Reiſe der Art, wie die meine, vom ruhigen Berlin bis
zu den Stellungen der Geſchütze im Schrapnell- und Granatfeuer,
weiſt ſicherlich ein unabläſſiges Crescendo auf. Aber die Ruhe,
die Pflichterfüllung, die Zuverſicht ſind überall dieſelben. Von
einem Beobachtungspunkt vor den Geſchützen habe ich im Fern-
ſprecher mit einem Major geſprochen, der im Schützengraben, kaum
ein halbes Kilometer von den vorgeſchobenen franzöſiſchen Linien,
ſtand. Er ſprach nicht allein nur mit Manöverruhe, ſondern auch
mit Humor, und doch konnte ihn jeden Augenblick eine Kugel
treffen.

Der erſte Etappenweg, den ich im Auto fuhr, nahm vier
Stunden in Anſpruch. Er war von kilometerlangen Proviant-
und Munitionskolonnen angefüllt, von ganzen Strömen von
Männern, Pferden und ſchweren Wagen. Kaum war man an
der Tete der einen vorüber, als man ſchon das Ende der nächſt
Voranmarſchierenden überholte. Indem ich mein Erſtaunen dem
mich begleitenden Offizier ausſprach, erwiderte er: „Wir haben
fünfzig Etappenwege ebenſo ſtrotzend von Leben und Material
wie dieſen. Jedoch merkt man in Deutſchland keine Spur von
Ueberbürdung.“ So wird man auch überzeugt, daß Deutſchland
ſiegen muß.

In entgegengeſetzter Richtung von der Front nach Deutſchland
geht auch ein gewaltiger Strom — es ſind die Verwundeten, die
gepflegt und ihrem Lande erhalten bleiben ſollen, und es ſind die
Gefangenen. Letztere ſind ſchon mindeſtens 350,000 an Zahl.
Ich ſah, wie ſie behandelt werden, und ich ſprach mit mehreren
Hunderten von franzöſiſchen Gefangenen. Ausnahmslos reden ſie
dankbar über die milde und humane Behandlung, die ihnen zuteil
wird. Sie bekommen genau dieſelbe kräftige, warme Nahrung
wie die Deutſchen. Gerade heute war ich in einem Lager, wo
die Franzoſen ſelber ihre Koſt bereiten dürfen. Sie hatten um
mehr Gemüſe und weniger Fleiſch in der Suppe erſucht, und ihre
Bitte wurde ſofort erfüllt. Kein Wort der Klage habe ich unter
ihnen vernommen; alle ſind zufrieden, ſogar entzückt. Dieſe
humane Behandlungsweiſe hat das große Erſtaunen der franzöſi-

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[656/0012] Allgemeine Zeitung 7. November 1914. folg, der vielleicht doch die Direktion beſtimmt, mit ſolch hüb- ſchen literariſchen Abenden künftig nicht allzu ſparſam zu ſein. Alfred Frhr. v. Menſi. Münchener Konzerte. ◿ Am Allerheiligentag wurde Mozarts Requiem aufgeführt, dem die Maureriſche Trauermuſik voranging. Der Lehrergeſangverein, das Hoforcheſter, die Herren Bender und Erb, die Damen Willer und Boſetti als Soliſten, Bruno Walter als Dirigent, damit waren alle Bedingungen für eine techniſch vollendete Aufführung gege- ben; die Hauptprobe und Aufführung waren ausverkauft, eine Wiederholung wäre es ſicher wieder. Die Akademie kündigt ihren Konzertzyklus an, der unter anderem alle neuen Symphonien Beethovens bringen ſoll. Wir freuen uns ſchon jetzt darauf, und erlauben uns, da die Programme im einzelnen noch nicht ganz feſtzuſtehen ſcheinen, einen beſcheidenen Wunſchzettel: Mozarts Kleine Nachtmuſik oder das Divertimento für Streichorcheſter, von Beethoven die Schlacht bei Viktoria, Haydns Militärſymphonie, Berlioz’ Harold in Italien, Götz Symphonie in F, die eine oder andere ſymphoniſche Dichtung von Smetana, Raffs die Leonoren- oder die Waldſymphonie, Bizets Roma-Suite, Volkmanns d-moll-, Mendelsſohns Schottiſche, Schuberts Tragiſche Symphonie c-moll. Pembauers Klavierabend war ausſchließlich Liſzt gewidmet und vertiefte die Eindrücke, die dieſer hochbegabte Pianiſt anläßlich früheren Auftretens hinterlaſſen hatte. Regiſſeur Kilian vom Hof- theater trat als Deklamator mit großem Erfolg auf zuſammen mit Frl. Ivogün, deren feine Geſangskunſt wir immer gerne bewun- dern. Steinbach interpretierte in der Tonhalle mit bekannter Meiſterſchaft die erſte Symphonie von Brahms; am ſelben Abend feierte Slezaks Stimme einen verdienten Triumph. Kothe, der eine beſonders treue Gemeinde hat, kam mit einem kriegsmäßigen Programm von Liedern zur Laute und fand reichen Beifall. Allen kommenden Soliſten möchten wir raten, möglichſt das Beiſpiel Kilian-Ivogün nachzuahmen, und lieber zu Zweien oder zu Dreien ein gutbeſuchtes, als allein ein ſchwachbeſuchtes Konzert zu veranſtalten: es liegt das ebenſoſehr im Intereſſe des Publikums wie in demjenigen der Konzertgeber ſelbſt. Feuilleton Der Deutſchen Kampf ums Leben. Was ich in Deutſchland und an der Front ſah. Ein Brief von Dr. Sven v. Hedin. Der berühmte Forſchungsreiſende, der ſich im Dienſte der ſo notwendigen Aufklärung über die Lügenmeldungen der engliſchen Kabel mit dan- kenswertem Eifer betätigt, gibt in dem folgenden Briefe, deſſen Wortlaut die Tägliche Rundſchau veröffentlicht, ſeinem begeiſterten Vertrauen in den Sieg der gerechten deutſchen Sache Ausdruck. Stockholm, Anfang Oktober. Schon längſt wollte ich über meine Eindrücke von Deutſchland und der Front berichten. Ich mochte aber erſt ſo viel wie möglich ſehen und hatte den Wunſch, daß meine Eindrücke reifen ſollten, damit mein Urteil und meine Aeußerungen vollkommen zuver- läſſig ſein würden. Weder wollte noch durfte ich etwas ſagen, was ich nicht mit meinem Namen und meiner Ehre verbürgen konnte. Vom erſten Tage des Krieges zweifelte ich nicht an dem Aus- gang. Wohl konnte man einſehen, daß es eine ſchwere Arbeit werden würde, die koloſſale Uebermacht zu brechen. Nunmehr, ſeitdem ich mit eigenen Augen ſo viel geſehen habe, und da ich mich im Brennpunkt der Ereigniſſe befinde, iſt es mir klarer denn je geworden, daß das deutſche Volk ſiegen muß, ein Volk, das für ſeine eigenſten Güter kämpft, ſei es auch gegen eine ganze Welt. In Berlin konnte ich keinen Unterſchied vom gewöhnlichen Daſein bemerken. Das Straßenleben hatte ſein gewöhnliches Aus- ſehen wiedergewonnen. Es nahm wunder, ſo viele Leute in den beſten Jahren zu ſehen; ich machte mir die Bemerkung: hier in Berlin gibt es augenblicklich eine Reſerve von etwa einer Million Soldaten! Auf der Fahrt nach Frankfurt a. M. und Koblenz, die ich im Auto zurücklegte, konnte ich dasſelbe beobachten: das alltägliche Leben war dem gewöhnlichen Schraubengang nicht entlaufen. Ich konnte nicht die geringſte Störung wahrnehmen; alles arbeitete wie im tiefſten Frieden. Das einzig Eigenartige waren die Land- wehrwachen bei den Eiſenbahn- und Wegebrücken. Von dem ge- waltigen Verkehr von Männern, Pferden und Material, die nach Weſten gingen, hatte der keine Ahnung, der die Eiſenbahnhöfe nicht aufſuchte. Dort aber mußte man vor Verwunderung ſtehen bleiben. In einer Stadt, wo ich zwei Tage verbrachte, kam jede halbe Stunde ein Truppenzug vorbei. Auf den unzähligen Etappen- wegen marſchierten immer neue Truppenmaſſen auf die Front hin. Wo man auch anhält, ſtrotzt es von jungen, kräftigen, wohl- ausgebildeten und ausgerüſteten Soldaten. Es kommt einem wie eine Völkerwanderung vor, wie ſie die Welt niemals geſchaut. Es iſt der Zug der Germanen nach Weſten, auf zum Kampf für ihr eigenes Daſein, ihre Zukunft und Größe. Nächte und Tage hindurch, überall im ganzen Etappenbereich, ſiedet und pulſiert das Leben nur dem einzigen Ziel — der Front entgegen. Dieſe mächtige Flut von germaniſchen Blut nimmt kein Ende. Keine Spur von Abmattung. Wo einer auf ſeinem Poſten fällt, nehmen zwei oder drei ſeinen Platz ein. Die deutſchen Reihen lichten ſich nicht unter dem fürchterlichen Geſchützfeuer des modernen Krieges: ſie werden nur immer dichter. Ein Wall von Männern, Eiſen und Feuer ſteht auf dem Boden des unglücklichen Frankreich. Er zieht ſich über eine Strecke von 300 Kilometer. Ueberall die erſtaunlichſte und bewundernswerteſte Ordnung. Kein einziger von dieſen unzähligen Truppenzügen, bei dem nicht alles prompt verlaufen wäre. Alles iſt wie der vollkommenſte Mechanismus. Niemand braucht zu fragen, ein jeder kennt ſeinen Platz und ſeine Pflicht. Wie oft wurde nicht den Deutſchen ihre pedantiſche Gründlichkeit vorgeworfen! Hier bei der Front ſieht man erſt die Vorteile davon. In der Friedenszeit war ſchon beſtimmt worden, wie viele Sicherheitsnadeln und Verbände, wie viel Gramm von verſchiedenen Arzneien in die Tauſende von Käſtchen und Kiſten in einem Lazarettzuge verpackt werden ſollten. Nun klappt aber auch alles wie die Räder eines Uhrwerks, ſo ſicher wie die Kirchenuhr ihre Schläge erſchallen läßt, je nach dem unveränderlichen Gange der Zeit. Eine Reiſe der Art, wie die meine, vom ruhigen Berlin bis zu den Stellungen der Geſchütze im Schrapnell- und Granatfeuer, weiſt ſicherlich ein unabläſſiges Crescendo auf. Aber die Ruhe, die Pflichterfüllung, die Zuverſicht ſind überall dieſelben. Von einem Beobachtungspunkt vor den Geſchützen habe ich im Fern- ſprecher mit einem Major geſprochen, der im Schützengraben, kaum ein halbes Kilometer von den vorgeſchobenen franzöſiſchen Linien, ſtand. Er ſprach nicht allein nur mit Manöverruhe, ſondern auch mit Humor, und doch konnte ihn jeden Augenblick eine Kugel treffen. Der erſte Etappenweg, den ich im Auto fuhr, nahm vier Stunden in Anſpruch. Er war von kilometerlangen Proviant- und Munitionskolonnen angefüllt, von ganzen Strömen von Männern, Pferden und ſchweren Wagen. Kaum war man an der Tete der einen vorüber, als man ſchon das Ende der nächſt Voranmarſchierenden überholte. Indem ich mein Erſtaunen dem mich begleitenden Offizier ausſprach, erwiderte er: „Wir haben fünfzig Etappenwege ebenſo ſtrotzend von Leben und Material wie dieſen. Jedoch merkt man in Deutſchland keine Spur von Ueberbürdung.“ So wird man auch überzeugt, daß Deutſchland ſiegen muß. In entgegengeſetzter Richtung von der Front nach Deutſchland geht auch ein gewaltiger Strom — es ſind die Verwundeten, die gepflegt und ihrem Lande erhalten bleiben ſollen, und es ſind die Gefangenen. Letztere ſind ſchon mindeſtens 350,000 an Zahl. Ich ſah, wie ſie behandelt werden, und ich ſprach mit mehreren Hunderten von franzöſiſchen Gefangenen. Ausnahmslos reden ſie dankbar über die milde und humane Behandlung, die ihnen zuteil wird. Sie bekommen genau dieſelbe kräftige, warme Nahrung wie die Deutſchen. Gerade heute war ich in einem Lager, wo die Franzoſen ſelber ihre Koſt bereiten dürfen. Sie hatten um mehr Gemüſe und weniger Fleiſch in der Suppe erſucht, und ihre Bitte wurde ſofort erfüllt. Kein Wort der Klage habe ich unter ihnen vernommen; alle ſind zufrieden, ſogar entzückt. Dieſe humane Behandlungsweiſe hat das große Erſtaunen der franzöſi-

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1914/12>, abgerufen am 15.05.2024.