Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Wesen, seine Stadt Gottes brannte ab,
fühlt' er.

Sie lag am Morgen noch in völliger Gluth,
als der Lektor zu ihm kam und ihm die unbe¬
greifliche Bitte von Lianen brachte, daß sie ihn
gegen die Mittagszeit allein in Lilar zu spre¬
chen wünsche. Er wurde diesesmal nicht gegen
den verdächtigen Boten erzürnt und sagte voll
Verwunderung "Ja." Mit welchen kühnen, aben¬
theuerlichen Formen steigt unser Lebens-Ge¬
wölke den Himmel hinan, eh' es verschwindet! --

80. Zykel.

Lasset uns zu Lianen gehen, wo die Räth¬
sel wohnen! -- Am Morgen nach der erleuch¬
teten Nacht fühlte sie erst die grausame An¬
spannung nach, womit sie ihren Eltern das
Versprechen des Schweigens gehalten; mit auf¬
gelöseten Kräften sank sie darnieder, aber auch
mit feuriger erneueter Treue. "Womit (sagte
"sie sich immerfort,) hatt' es denn dieser edle
"Mensch verdient, daß ich ihm seinen ganzen
"Abend voll Schmerzen machte? -- Wie oft

ſein Weſen, ſeine Stadt Gottes brannte ab,
fühlt' er.

Sie lag am Morgen noch in völliger Gluth,
als der Lektor zu ihm kam und ihm die unbe¬
greifliche Bitte von Lianen brachte, daß ſie ihn
gegen die Mittagszeit allein in Lilar zu ſpre¬
chen wünſche. Er wurde dieſesmal nicht gegen
den verdächtigen Boten erzürnt und ſagte voll
Verwunderung „Ja.“ Mit welchen kühnen, aben¬
theuerlichen Formen ſteigt unſer Lebens-Ge¬
wölke den Himmel hinan, eh' es verſchwindet! —

80. Zykel.

Laſſet uns zu Lianen gehen, wo die Räth¬
ſel wohnen! — Am Morgen nach der erleuch¬
teten Nacht fühlte ſie erſt die grauſame An¬
ſpannung nach, womit ſie ihren Eltern das
Verſprechen des Schweigens gehalten; mit auf¬
gelöſeten Kräften ſank ſie darnieder, aber auch
mit feuriger erneueter Treue. „Womit (ſagte
„ſie ſich immerfort,) hatt' es denn dieſer edle
„Menſch verdient, daß ich ihm ſeinen ganzen
„Abend voll Schmerzen machte? — Wie oft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="191"/>
&#x017F;ein We&#x017F;en, &#x017F;eine Stadt Gottes brannte ab,<lb/>
fühlt' er.</p><lb/>
          <p>Sie lag am Morgen noch in völliger Gluth,<lb/>
als der Lektor zu ihm kam und ihm die unbe¬<lb/>
greifliche Bitte von Lianen brachte, daß &#x017F;ie ihn<lb/>
gegen die Mittagszeit allein in Lilar zu &#x017F;pre¬<lb/>
chen wün&#x017F;che. Er wurde die&#x017F;esmal nicht gegen<lb/>
den verdächtigen Boten erzürnt und &#x017F;agte voll<lb/>
Verwunderung &#x201E;Ja.&#x201C; Mit welchen kühnen, aben¬<lb/>
theuerlichen Formen &#x017F;teigt un&#x017F;er Lebens-Ge¬<lb/>
wölke den Himmel hinan, eh' es ver&#x017F;chwindet! &#x2014;</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>80. <hi rendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head>
          <p>La&#x017F;&#x017F;et uns zu Lianen gehen, wo die Räth¬<lb/>
&#x017F;el wohnen! &#x2014; Am Morgen nach der erleuch¬<lb/>
teten Nacht fühlte &#x017F;ie er&#x017F;t die grau&#x017F;ame An¬<lb/>
&#x017F;pannung nach, womit &#x017F;ie ihren Eltern das<lb/>
Ver&#x017F;prechen des Schweigens gehalten; mit auf¬<lb/>
gelö&#x017F;eten Kräften &#x017F;ank &#x017F;ie darnieder, aber auch<lb/>
mit feuriger erneueter Treue. &#x201E;Womit (&#x017F;agte<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie &#x017F;ich immerfort,) hatt' es denn die&#x017F;er edle<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;ch verdient, daß ich ihm &#x017F;einen ganzen<lb/>
&#x201E;Abend voll Schmerzen machte? &#x2014; Wie oft<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0203] ſein Weſen, ſeine Stadt Gottes brannte ab, fühlt' er. Sie lag am Morgen noch in völliger Gluth, als der Lektor zu ihm kam und ihm die unbe¬ greifliche Bitte von Lianen brachte, daß ſie ihn gegen die Mittagszeit allein in Lilar zu ſpre¬ chen wünſche. Er wurde dieſesmal nicht gegen den verdächtigen Boten erzürnt und ſagte voll Verwunderung „Ja.“ Mit welchen kühnen, aben¬ theuerlichen Formen ſteigt unſer Lebens-Ge¬ wölke den Himmel hinan, eh' es verſchwindet! — 80. Zykel. Laſſet uns zu Lianen gehen, wo die Räth¬ ſel wohnen! — Am Morgen nach der erleuch¬ teten Nacht fühlte ſie erſt die grauſame An¬ ſpannung nach, womit ſie ihren Eltern das Verſprechen des Schweigens gehalten; mit auf¬ gelöſeten Kräften ſank ſie darnieder, aber auch mit feuriger erneueter Treue. „Womit (ſagte „ſie ſich immerfort,) hatt' es denn dieſer edle „Menſch verdient, daß ich ihm ſeinen ganzen „Abend voll Schmerzen machte? — Wie oft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/203
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/203>, abgerufen am 27.04.2024.