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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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Bewegung ein Reflex und nicht etwa eine andere Erschei¬
nung ist.

Man könnte die Bewegung veranlasst halten durch die Ein¬
wirkung der Wärme auf die gleichseitige Rückenmarkshälfte.
Das wird Dadurch widerlegt, dass nach Wegnahme der Haut
und Fascia superficialis nur locale, auf den Ort der Flammen-
Einwirkung beschränkte Erscheinungen eintreten. --

Man könnte den Krampf sodann für einen durch directe
Einwirkung auf die motorische Faser erzeugten halten. Das
wird widerlegt durch den Umstand, dass Muskeln, die weit
von dem Flammenreize entfernt sind, auch contrahirt werden,
dass diese Contraction nach Wegnahme der Cutis und Fascia
superficialis nicht mehr statt hat und ebenso aufhört, nachdem
man das Rückenmark zerstört hat. --

Nicht allein an Fischen und Amphibien habe ich das er¬
zählte Experiment sich bestätigen sehen, sondern sogar an
Säugethieren.

Hier ist das Gesetz der gleichseitigen Reflexleitung nach¬
gewiesen. Ich nahm deshalb junge Kätzchen von 2-3 Wochen,
machte eine Incision zwischen den beiden Schulterblättern,
entfernte in der Länge zweier oder dreier Wirbel die Muskel¬
schicht, schnitt die noch wenig resistenten Wirbelbögen ab und
nahm einen Theil des Rückenmarkes von 4-6 Linien hinweg,
um auf das Allerbestimmteste die Continuität zu unterbrechen.
Die Blutung steht leicht von selbst, wenn man sich nur vor
den grösseren Arterien in Acht nimmt und während des Bäu¬
mens der Katze bei der Operation sich nicht in dem Verlaufe
der Rückensäule täuscht. Es ist Dies indessen bei nur einiger
Vorsicht kaum möglich, wenn man mit dem linken Zeigefinger
immer die processus spinosi fixirt. Nach vollendetem Experi¬
mente tödte man das Thier auf irgend welche Weise und un¬
tersuche nochmals den Markdurchschnitt, damit gar kein Zweifel
bleibe, dass das Rückenmark vollständig getrennt sei.

Ist das Kätzchen in dieser Weise präparirt, so lässt man
sein Vordertheil festhalten, weil dieses auf den Vorderbeinen

Bewegung ein Reflex und nicht etwa eine andere Erschei¬
nung ist.

Man könnte die Bewegung veranlasst halten durch die Ein¬
wirkung der Wärme auf die gleichseitige Rückenmarkshälfte.
Das wird Dadurch widerlegt, dass nach Wegnahme der Haut
und Fascia superficialis nur locale, auf den Ort der Flammen-
Einwirkung beschränkte Erscheinungen eintreten. —

Man könnte den Krampf sodann für einen durch directe
Einwirkung auf die motorische Faser erzeugten halten. Das
wird widerlegt durch den Umstand, dass Muskeln, die weit
von dem Flammenreize entfernt sind, auch contrahirt werden,
dass diese Contraction nach Wegnahme der Cutis und Fascia
superficialis nicht mehr statt hat und ebenso aufhört, nachdem
man das Rückenmark zerstört hat. —

Nicht allein an Fischen und Amphibien habe ich das er¬
zählte Experiment sich bestätigen sehen, sondern sogar an
Säugethieren.

Hier ist das Gesetz der gleichseitigen Reflexleitung nach¬
gewiesen. Ich nahm deshalb junge Kätzchen von 2–3 Wochen,
machte eine Incision zwischen den beiden Schulterblättern,
entfernte in der Länge zweier oder dreier Wirbel die Muskel¬
schicht, schnitt die noch wenig resistenten Wirbelbögen ab und
nahm einen Theil des Rückenmarkes von 4–6 Linien hinweg,
um auf das Allerbestimmteste die Continuität zu unterbrechen.
Die Blutung steht leicht von selbst, wenn man sich nur vor
den grösseren Arterien in Acht nimmt und während des Bäu¬
mens der Katze bei der Operation sich nicht in dem Verlaufe
der Rückensäule täuscht. Es ist Dies indessen bei nur einiger
Vorsicht kaum möglich, wenn man mit dem linken Zeigefinger
immer die processus spinosi fixirt. Nach vollendetem Experi¬
mente tödte man das Thier auf irgend welche Weise und un¬
tersuche nochmals den Markdurchschnitt, damit gar kein Zweifel
bleibe, dass das Rückenmark vollständig getrennt sei.

Ist das Kätzchen in dieser Weise präparirt, so lässt man
sein Vordertheil festhalten, weil dieses auf den Vorderbeinen

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[118/0140] Bewegung ein Reflex und nicht etwa eine andere Erschei¬ nung ist. Man könnte die Bewegung veranlasst halten durch die Ein¬ wirkung der Wärme auf die gleichseitige Rückenmarkshälfte. Das wird Dadurch widerlegt, dass nach Wegnahme der Haut und Fascia superficialis nur locale, auf den Ort der Flammen- Einwirkung beschränkte Erscheinungen eintreten. — Man könnte den Krampf sodann für einen durch directe Einwirkung auf die motorische Faser erzeugten halten. Das wird widerlegt durch den Umstand, dass Muskeln, die weit von dem Flammenreize entfernt sind, auch contrahirt werden, dass diese Contraction nach Wegnahme der Cutis und Fascia superficialis nicht mehr statt hat und ebenso aufhört, nachdem man das Rückenmark zerstört hat. — Nicht allein an Fischen und Amphibien habe ich das er¬ zählte Experiment sich bestätigen sehen, sondern sogar an Säugethieren. Hier ist das Gesetz der gleichseitigen Reflexleitung nach¬ gewiesen. Ich nahm deshalb junge Kätzchen von 2–3 Wochen, machte eine Incision zwischen den beiden Schulterblättern, entfernte in der Länge zweier oder dreier Wirbel die Muskel¬ schicht, schnitt die noch wenig resistenten Wirbelbögen ab und nahm einen Theil des Rückenmarkes von 4–6 Linien hinweg, um auf das Allerbestimmteste die Continuität zu unterbrechen. Die Blutung steht leicht von selbst, wenn man sich nur vor den grösseren Arterien in Acht nimmt und während des Bäu¬ mens der Katze bei der Operation sich nicht in dem Verlaufe der Rückensäule täuscht. Es ist Dies indessen bei nur einiger Vorsicht kaum möglich, wenn man mit dem linken Zeigefinger immer die processus spinosi fixirt. Nach vollendetem Experi¬ mente tödte man das Thier auf irgend welche Weise und un¬ tersuche nochmals den Markdurchschnitt, damit gar kein Zweifel bleibe, dass das Rückenmark vollständig getrennt sei. Ist das Kätzchen in dieser Weise präparirt, so lässt man sein Vordertheil festhalten, weil dieses auf den Vorderbeinen

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/140>, abgerufen am 26.04.2024.