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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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weise, die er dann ergreifend und seltsam in einen Choral
übergehen ließ. -- Unter den letzten Bäumen hielt er
an, die Holzhauer und Köhler um ihn her; noch ein-
mal bließ er einen fröhlichen Jagdgruß, dann drückte er
mir schweigend die Hand und sagte dumpf: Lebe wohl
Franz Ralff! und schritt langsam in den Wald zurück,
und immer ferner hörte ich die Töne seines Hornes ver-
klingen. Der Ohm wurde auf dem Ulfeldener Kirchhof,
dicht neben seiner Schwester, meiner Mutter, begraben.
Den alten Burchhard habe ich nicht wieder gesehen; ich
hielt's nun gar nicht mehr aus in der engen Welt um
mich her, ich ging nach Italien. Burchhard aber zog
nach dem Harz, wo Verwandte von ihm lebten und wo
er auch bald gestorben ist." --

"Das, Johannes, ist der Theil meiner Geschichte,
den selbst Du, mein Freund nicht kanntest. Ich über-
lasse Dir nun, welche Anwendung Du davon einst für
mein Kind wirst machen können; von jenem Mann
habe ich nie eine Spur entdecken können. -- Versunken
und vergessen! -- Das Schloß Seeburg ist jetzt eine
Fabrik!" --

Da liegt das alte vergilbte Heft vor mir, aus wel-
chem ich diese Bogen der Chronik der Sperlingsgasse
abgeschrieben habe. Lange saß ich noch an jenem Tage

weiſe, die er dann ergreifend und ſeltſam in einen Choral
übergehen ließ. — Unter den letzten Bäumen hielt er
an, die Holzhauer und Köhler um ihn her; noch ein-
mal bließ er einen fröhlichen Jagdgruß, dann drückte er
mir ſchweigend die Hand und ſagte dumpf: Lebe wohl
Franz Ralff! und ſchritt langſam in den Wald zurück,
und immer ferner hörte ich die Töne ſeines Hornes ver-
klingen. Der Ohm wurde auf dem Ulfeldener Kirchhof,
dicht neben ſeiner Schweſter, meiner Mutter, begraben.
Den alten Burchhard habe ich nicht wieder geſehen; ich
hielt’s nun gar nicht mehr aus in der engen Welt um
mich her, ich ging nach Italien. Burchhard aber zog
nach dem Harz, wo Verwandte von ihm lebten und wo
er auch bald geſtorben iſt.“ —

„Das, Johannes, iſt der Theil meiner Geſchichte,
den ſelbſt Du, mein Freund nicht kannteſt. Ich über-
laſſe Dir nun, welche Anwendung Du davon einſt für
mein Kind wirſt machen können; von jenem Mann
habe ich nie eine Spur entdecken können. — Verſunken
und vergeſſen! — Das Schloß Seeburg iſt jetzt eine
Fabrik!“ —

Da liegt das alte vergilbte Heft vor mir, aus wel-
chem ich dieſe Bogen der Chronik der Sperlingsgaſſe
abgeſchrieben habe. Lange ſaß ich noch an jenem Tage

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[61/0071] weiſe, die er dann ergreifend und ſeltſam in einen Choral übergehen ließ. — Unter den letzten Bäumen hielt er an, die Holzhauer und Köhler um ihn her; noch ein- mal bließ er einen fröhlichen Jagdgruß, dann drückte er mir ſchweigend die Hand und ſagte dumpf: Lebe wohl Franz Ralff! und ſchritt langſam in den Wald zurück, und immer ferner hörte ich die Töne ſeines Hornes ver- klingen. Der Ohm wurde auf dem Ulfeldener Kirchhof, dicht neben ſeiner Schweſter, meiner Mutter, begraben. Den alten Burchhard habe ich nicht wieder geſehen; ich hielt’s nun gar nicht mehr aus in der engen Welt um mich her, ich ging nach Italien. Burchhard aber zog nach dem Harz, wo Verwandte von ihm lebten und wo er auch bald geſtorben iſt.“ — „Das, Johannes, iſt der Theil meiner Geſchichte, den ſelbſt Du, mein Freund nicht kannteſt. Ich über- laſſe Dir nun, welche Anwendung Du davon einſt für mein Kind wirſt machen können; von jenem Mann habe ich nie eine Spur entdecken können. — Verſunken und vergeſſen! — Das Schloß Seeburg iſt jetzt eine Fabrik!“ — Da liegt das alte vergilbte Heft vor mir, aus wel- chem ich dieſe Bogen der Chronik der Sperlingsgaſſe abgeſchrieben habe. Lange ſaß ich noch an jenem Tage

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/71>, abgerufen am 26.04.2024.