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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Geistige Richtung.
sen, zwischen den Seelen der Menschen und der Thiere
gebe es keinen Unterschied 1).

Während das gemeine Volk in einen fast heidnischen
Aberglauben verfiel, der in einem schlecht begründeten Werk-
dienste sein Heil sah, wandten sich die höheren Stände zu
einer antireligiösen Richtung ab.

Wie erstaunte der junge Luther, als er nach Italien
kam! In dem Moment, daß das Meßop[f]er vollzogen
wurde, stießen die Priester blasphemische Worte aus, mit
denen sie es läugneten.

In Rom gehörte es zum guten Ton der Gesellschaft,
den Grundsätzen des Christenthums zu widersprechen. Man
galt, sagt P. Ant. Bandino 2), nicht mehr für einen ge-
bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom
Christenthum hegte. Am Hofe sprach man von den Saz-
zungen der katholischen Kirche, von den Stellen der heili-
gen Schrift nur noch scherzhaft, die Geheimnisse des Glau-
bens wurden verachtet.


1) Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch
folgende Stelle des Paul Canensius in der vita Pauli II. anfüh-
ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam
nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit,
qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam
potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo-
niis subsistere.
-- Einen sehr ausgebildeten Materialismus athmet
der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man
aus den Citaten Darüs in dem 40ten Buche der histoire de Ve-
nise
sieht.
2) Im Caracciolo's Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo
non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de'
dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he-
retica.

Geiſtige Richtung.
ſen, zwiſchen den Seelen der Menſchen und der Thiere
gebe es keinen Unterſchied 1).

Waͤhrend das gemeine Volk in einen faſt heidniſchen
Aberglauben verfiel, der in einem ſchlecht begruͤndeten Werk-
dienſte ſein Heil ſah, wandten ſich die hoͤheren Staͤnde zu
einer antireligioͤſen Richtung ab.

Wie erſtaunte der junge Luther, als er nach Italien
kam! In dem Moment, daß das Meßop[f]er vollzogen
wurde, ſtießen die Prieſter blasphemiſche Worte aus, mit
denen ſie es laͤugneten.

In Rom gehoͤrte es zum guten Ton der Geſellſchaft,
den Grundſaͤtzen des Chriſtenthums zu widerſprechen. Man
galt, ſagt P. Ant. Bandino 2), nicht mehr fuͤr einen ge-
bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom
Chriſtenthum hegte. Am Hofe ſprach man von den Saz-
zungen der katholiſchen Kirche, von den Stellen der heili-
gen Schrift nur noch ſcherzhaft, die Geheimniſſe des Glau-
bens wurden verachtet.


1) Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch
folgende Stelle des Paul Canenſius in der vita Pauli II. anfuͤh-
ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam
nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit,
qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam
potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo-
niis subsistere.
— Einen ſehr ausgebildeten Materialismus athmet
der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man
aus den Citaten Daruͤs in dem 40ten Buche der histoire de Ve-
nise
ſieht.
2) Im Caracciolo’s Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo
non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de’
dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he-
retica.
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[73/0099] Geiſtige Richtung. ſen, zwiſchen den Seelen der Menſchen und der Thiere gebe es keinen Unterſchied 1). Waͤhrend das gemeine Volk in einen faſt heidniſchen Aberglauben verfiel, der in einem ſchlecht begruͤndeten Werk- dienſte ſein Heil ſah, wandten ſich die hoͤheren Staͤnde zu einer antireligioͤſen Richtung ab. Wie erſtaunte der junge Luther, als er nach Italien kam! In dem Moment, daß das Meßopfer vollzogen wurde, ſtießen die Prieſter blasphemiſche Worte aus, mit denen ſie es laͤugneten. In Rom gehoͤrte es zum guten Ton der Geſellſchaft, den Grundſaͤtzen des Chriſtenthums zu widerſprechen. Man galt, ſagt P. Ant. Bandino 2), nicht mehr fuͤr einen ge- bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom Chriſtenthum hegte. Am Hofe ſprach man von den Saz- zungen der katholiſchen Kirche, von den Stellen der heili- gen Schrift nur noch ſcherzhaft, die Geheimniſſe des Glau- bens wurden verachtet. 1) Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch folgende Stelle des Paul Canenſius in der vita Pauli II. anfuͤh- ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit, qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo- niis subsistere. — Einen ſehr ausgebildeten Materialismus athmet der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man aus den Citaten Daruͤs in dem 40ten Buche der histoire de Ve- nise ſieht. 2) Im Caracciolo’s Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de’ dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he- retica.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/99>, abgerufen am 26.04.2024.