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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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nach des Gondoliers Aussage das vorigemal hatte
aussetzen lassen, wurden zwey Sänften gemiethet;
zum Ueberfluß hieß der Prinz noch den Cammer¬
junker von Z*** in einer besondern Gondel nach¬
folgen. Der Prinz selbst wollte ganz ihrem An¬
blick leben, und wenn es anginge, sein Glück in
der Kirche versuchen. Civitella blieb ganz weg,
weil er bey dem Frauenzimmer in Venedig in zu
üblen Rufe stand, um durch seine Einmischung die
Dame nicht mißtrauisch zu machen. Sie sehen,
liebster Graf, daß es an unser Anstalten nicht
lag, wenn die schöne Unbekannte uns entging.

Nie sind wohl in einer Kirche wärmere Wün¬
sche gethan worden, als in dieser, und nie wur¬
den sie grausamer getäuscht. Bis nach Sonnen¬
untergang harrte der Prinz aus, von jedem Ge¬
räusche, das seiner Kapelle nahe kam, von jedem
Knarren der Kirchthüre in Erwartung gesetzt --
sieben volle Stunden -- und keine Griechin. Ich
sage Ihnen nichts von seiner Gemüthslage. Sie
wissen, was eine fehlgeschlagene Hoffnung ist --
und eine Hoffnung, von der man sieben Tage und
sieben Nächte fast einzig gelebt hat.


Baron

nach des Gondoliers Ausſage das vorigemal hatte
ausſetzen laſſen, wurden zwey Sänften gemiethet;
zum Ueberfluß hieß der Prinz noch den Cammer¬
junker von Z*** in einer beſondern Gondel nach¬
folgen. Der Prinz ſelbſt wollte ganz ihrem An¬
blick leben, und wenn es anginge, ſein Glück in
der Kirche verſuchen. Civitella blieb ganz weg,
weil er bey dem Frauenzimmer in Venedig in zu
üblen Rufe ſtand, um durch ſeine Einmiſchung die
Dame nicht mißtrauiſch zu machen. Sie ſehen,
liebſter Graf, daß es an unſer Anſtalten nicht
lag, wenn die ſchöne Unbekannte uns entging.

Nie ſind wohl in einer Kirche wärmere Wün¬
ſche gethan worden, als in dieſer, und nie wur¬
den ſie grauſamer getäuſcht. Bis nach Sonnen¬
untergang harrte der Prinz aus, von jedem Ge¬
räuſche, das ſeiner Kapelle nahe kam, von jedem
Knarren der Kirchthüre in Erwartung geſetzt —
ſieben volle Stunden — und keine Griechin. Ich
ſage Ihnen nichts von ſeiner Gemüthslage. Sie
wiſſen, was eine fehlgeſchlagene Hoffnung iſt —
und eine Hoffnung, von der man ſieben Tage und
ſieben Nächte faſt einzig gelebt hat.


Baron
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[187/0195] nach des Gondoliers Ausſage das vorigemal hatte ausſetzen laſſen, wurden zwey Sänften gemiethet; zum Ueberfluß hieß der Prinz noch den Cammer¬ junker von Z*** in einer beſondern Gondel nach¬ folgen. Der Prinz ſelbſt wollte ganz ihrem An¬ blick leben, und wenn es anginge, ſein Glück in der Kirche verſuchen. Civitella blieb ganz weg, weil er bey dem Frauenzimmer in Venedig in zu üblen Rufe ſtand, um durch ſeine Einmiſchung die Dame nicht mißtrauiſch zu machen. Sie ſehen, liebſter Graf, daß es an unſer Anſtalten nicht lag, wenn die ſchöne Unbekannte uns entging. Nie ſind wohl in einer Kirche wärmere Wün¬ ſche gethan worden, als in dieſer, und nie wur¬ den ſie grauſamer getäuſcht. Bis nach Sonnen¬ untergang harrte der Prinz aus, von jedem Ge¬ räuſche, das ſeiner Kapelle nahe kam, von jedem Knarren der Kirchthüre in Erwartung geſetzt — ſieben volle Stunden — und keine Griechin. Ich ſage Ihnen nichts von ſeiner Gemüthslage. Sie wiſſen, was eine fehlgeſchlagene Hoffnung iſt — und eine Hoffnung, von der man ſieben Tage und ſieben Nächte faſt einzig gelebt hat. Baron

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/195>, abgerufen am 27.04.2024.