Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Versäumte möglichst nachholen. Wir wollen recht viel
zusammen spazieren gehen; ich will Dir aus Deinen
Lieblingsbüchern vorlesen; es soll ein reizendes still¬
vergnügtes Leben werden," und das junge Mädchen
nahm die Hand ihres Vaters und führte sie an ihre
Lippen.

"Du bist ein liebes gutes Kind," sagte der Baron
und seine Stimme zitterte etwas: "gebe Gott, daß ich
mich Deiner noch recht lange zu erfreuen habe."

"Aber, bester Vater, schon wieder solche hypochon¬
drische Gedanken! Du bist ja jetzt, Gott sei Dank,
wieder so rüstig, wie immer. Weshalb sollten wir
nicht noch lange glücklich zusammen leben!"

"Aber wenn Du uns verließest."

"Ich sterbe fürs erste noch nicht, deshalb sei nur
ganz unbesorgt;" sagte Fräulein Helene lachend.

"Das wolle auch Gott verhüten! aber die Kinder
werden ja nicht blos durch den Tod von den Eltern
getrennt. Wenn Du nun heirathest, so müssen wir
uns doch darauf gefaßt machen, Dich abermals zu
verlieren, nachdem wir Dich kaum wieder gewonnen
haben."

"Aber, Papa, Du sprichst ja gerade, als ob ich
wo möglich morgen schon heiraten soll! Ich denke
ja gar nicht daran. Auch die Mutter fing gestern

2*

Verſäumte möglichſt nachholen. Wir wollen recht viel
zuſammen ſpazieren gehen; ich will Dir aus Deinen
Lieblingsbüchern vorleſen; es ſoll ein reizendes ſtill¬
vergnügtes Leben werden,“ und das junge Mädchen
nahm die Hand ihres Vaters und führte ſie an ihre
Lippen.

„Du biſt ein liebes gutes Kind,“ ſagte der Baron
und ſeine Stimme zitterte etwas: „gebe Gott, daß ich
mich Deiner noch recht lange zu erfreuen habe.“

„Aber, beſter Vater, ſchon wieder ſolche hypochon¬
driſche Gedanken! Du biſt ja jetzt, Gott ſei Dank,
wieder ſo rüſtig, wie immer. Weshalb ſollten wir
nicht noch lange glücklich zuſammen leben!“

„Aber wenn Du uns verließeſt.“

„Ich ſterbe fürs erſte noch nicht, deshalb ſei nur
ganz unbeſorgt;“ ſagte Fräulein Helene lachend.

„Das wolle auch Gott verhüten! aber die Kinder
werden ja nicht blos durch den Tod von den Eltern
getrennt. Wenn Du nun heiratheſt, ſo müſſen wir
uns doch darauf gefaßt machen, Dich abermals zu
verlieren, nachdem wir Dich kaum wieder gewonnen
haben.“

„Aber, Papa, Du ſprichſt ja gerade, als ob ich
wo möglich morgen ſchon heiraten ſoll! Ich denke
ja gar nicht daran. Auch die Mutter fing geſtern

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
Ver&#x017F;äumte möglich&#x017F;t nachholen. Wir wollen recht viel<lb/>
zu&#x017F;ammen &#x017F;pazieren gehen; ich will Dir aus Deinen<lb/>
Lieblingsbüchern vorle&#x017F;en; es &#x017F;oll ein reizendes &#x017F;till¬<lb/>
vergnügtes Leben werden,&#x201C; und das junge Mädchen<lb/>
nahm die Hand ihres Vaters und führte &#x017F;ie an ihre<lb/>
Lippen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t ein liebes gutes Kind,&#x201C; &#x017F;agte der Baron<lb/>
und &#x017F;eine Stimme zitterte etwas: &#x201E;gebe Gott, daß ich<lb/>
mich Deiner noch recht lange zu erfreuen habe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber, be&#x017F;ter Vater, &#x017F;chon wieder &#x017F;olche hypochon¬<lb/>
dri&#x017F;che Gedanken! Du bi&#x017F;t ja jetzt, Gott &#x017F;ei Dank,<lb/>
wieder &#x017F;o rü&#x017F;tig, wie immer. Weshalb &#x017F;ollten wir<lb/>
nicht noch lange glücklich zu&#x017F;ammen leben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber wenn Du uns verließe&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;terbe fürs er&#x017F;te noch nicht, deshalb &#x017F;ei nur<lb/>
ganz unbe&#x017F;orgt;&#x201C; &#x017F;agte Fräulein Helene lachend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das wolle auch Gott verhüten! aber die Kinder<lb/>
werden ja nicht blos durch den Tod von den Eltern<lb/>
getrennt. Wenn Du nun heirathe&#x017F;t, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
uns doch darauf gefaßt machen, Dich abermals zu<lb/>
verlieren, nachdem wir Dich kaum wieder gewonnen<lb/>
haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber, Papa, Du &#x017F;prich&#x017F;t ja gerade, als ob ich<lb/>
wo möglich morgen &#x017F;chon heiraten &#x017F;oll! Ich denke<lb/>
ja gar nicht daran. Auch die Mutter fing ge&#x017F;tern<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] Verſäumte möglichſt nachholen. Wir wollen recht viel zuſammen ſpazieren gehen; ich will Dir aus Deinen Lieblingsbüchern vorleſen; es ſoll ein reizendes ſtill¬ vergnügtes Leben werden,“ und das junge Mädchen nahm die Hand ihres Vaters und führte ſie an ihre Lippen. „Du biſt ein liebes gutes Kind,“ ſagte der Baron und ſeine Stimme zitterte etwas: „gebe Gott, daß ich mich Deiner noch recht lange zu erfreuen habe.“ „Aber, beſter Vater, ſchon wieder ſolche hypochon¬ driſche Gedanken! Du biſt ja jetzt, Gott ſei Dank, wieder ſo rüſtig, wie immer. Weshalb ſollten wir nicht noch lange glücklich zuſammen leben!“ „Aber wenn Du uns verließeſt.“ „Ich ſterbe fürs erſte noch nicht, deshalb ſei nur ganz unbeſorgt;“ ſagte Fräulein Helene lachend. „Das wolle auch Gott verhüten! aber die Kinder werden ja nicht blos durch den Tod von den Eltern getrennt. Wenn Du nun heiratheſt, ſo müſſen wir uns doch darauf gefaßt machen, Dich abermals zu verlieren, nachdem wir Dich kaum wieder gewonnen haben.“ „Aber, Papa, Du ſprichſt ja gerade, als ob ich wo möglich morgen ſchon heiraten ſoll! Ich denke ja gar nicht daran. Auch die Mutter fing geſtern 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/29
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/29>, abgerufen am 26.04.2024.