Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Auswanderung der Geschlechterordnung hat nun da, wo be-
reits der Gegensatz der Geschlechterordnung zu einem bestimmt aus-
gesprochenen, und in äußeren Verfassungskämpfen erscheinenden geworden
ist, auch eine förmliche Thätigkeit der Gesetzgebung und Verwaltung
zur Voraussetzung, oder die Colonisation wird hier zur Verwaltungs-
maßregel
, und bildet einen wichtigen Theil der socialen Geschichte
der inneren Verwaltung. Das ist naturgemäß da der Fall, wo die
Grundform des Besitzes der beschränkte Grundbesitz ist, wie in Rom;
und daher die Bedeutung und die wohl überlegte Organisation der
römischen Colonisation. Wo dagegen dieß nicht der Fall ist, wie in den
alten skandinavischen Ländern, da erscheint die Auswanderung nur als
Einzeleroberung. Die Ausgewanderten bilden kein Ganzes, sondern
zerstreuen sich, und während die Geschlechtercolonien, sei es, daß sie
griechische Handels- oder römische Militärcolonien sind, das Gesammt-
schicksal des Stammreiches theilen, haben die Eroberungsniederlassungen,
wir möchten sagen, ein individuelles Schicksal. Es wäre wohl nicht
schwer, das weiter zu verfolgen. Allein es muß uns genügen, den
Charakter dieser Epoche der Auswanderung hier bezeichnet zu haben, da
dann doch manche Ausdrücke und selbst Grundsätze von ihr in die fol-
genden übergehen.

III. Das Auswanderungswesen in der ständischen Gesellschaft.

(Dasselbe muß in die berufsmäßige und vorzüglich in die kirchliche und
in die grundherrliche Auswanderung geschieden werden.)

Einen ganz andern Charakter hat die Auswanderung mit dem
Auftreten der ständischen Epoche. Wir wollen hier, um jede Weit-
läufigkeit zu vermeiden, das Auswanderungswesen sogleich auf die
beiden großen Faktoren der ständischen Epoche, das geistige Element
des Berufes, und das materielle des Besitzes zurückführen, indem
wir die erste das berufsmäßige, die zweite das grundherrliche
Auswanderungsrecht nennen. Beide Rechtsordnungen sind tief verschie-
den, wie ihre Ursachen, und doch bilden sie erst beide zusammen das
Auswanderungsrecht dieser Epoche.

1) Die berufsmäßige und kirchliche Auswanderung.

Es ist wohl ziemlich leicht zu erklären, weßhalb diese Art der Aus-
wanderung keine selbständige Behandlung erfahren hat. Daß sie jedoch
historisch wichtig genug ist, werden wenige bezweifeln. Nur hat man
sie eben um ihres ethischen Elementes willen selten vom populationistischen
Standpunkt betrachtet. Dennoch hat der letztere seine große Bedeutung.

für die Auswanderung der Geſchlechterordnung hat nun da, wo be-
reits der Gegenſatz der Geſchlechterordnung zu einem beſtimmt aus-
geſprochenen, und in äußeren Verfaſſungskämpfen erſcheinenden geworden
iſt, auch eine förmliche Thätigkeit der Geſetzgebung und Verwaltung
zur Vorausſetzung, oder die Coloniſation wird hier zur Verwaltungs-
maßregel
, und bildet einen wichtigen Theil der ſocialen Geſchichte
der inneren Verwaltung. Das iſt naturgemäß da der Fall, wo die
Grundform des Beſitzes der beſchränkte Grundbeſitz iſt, wie in Rom;
und daher die Bedeutung und die wohl überlegte Organiſation der
römiſchen Coloniſation. Wo dagegen dieß nicht der Fall iſt, wie in den
alten ſkandinaviſchen Ländern, da erſcheint die Auswanderung nur als
Einzeleroberung. Die Ausgewanderten bilden kein Ganzes, ſondern
zerſtreuen ſich, und während die Geſchlechtercolonien, ſei es, daß ſie
griechiſche Handels- oder römiſche Militärcolonien ſind, das Geſammt-
ſchickſal des Stammreiches theilen, haben die Eroberungsniederlaſſungen,
wir möchten ſagen, ein individuelles Schickſal. Es wäre wohl nicht
ſchwer, das weiter zu verfolgen. Allein es muß uns genügen, den
Charakter dieſer Epoche der Auswanderung hier bezeichnet zu haben, da
dann doch manche Ausdrücke und ſelbſt Grundſätze von ihr in die fol-
genden übergehen.

III. Das Auswanderungsweſen in der ſtändiſchen Geſellſchaft.

(Daſſelbe muß in die berufsmäßige und vorzüglich in die kirchliche und
in die grundherrliche Auswanderung geſchieden werden.)

Einen ganz andern Charakter hat die Auswanderung mit dem
Auftreten der ſtändiſchen Epoche. Wir wollen hier, um jede Weit-
läufigkeit zu vermeiden, das Auswanderungsweſen ſogleich auf die
beiden großen Faktoren der ſtändiſchen Epoche, das geiſtige Element
des Berufes, und das materielle des Beſitzes zurückführen, indem
wir die erſte das berufsmäßige, die zweite das grundherrliche
Auswanderungsrecht nennen. Beide Rechtsordnungen ſind tief verſchie-
den, wie ihre Urſachen, und doch bilden ſie erſt beide zuſammen das
Auswanderungsrecht dieſer Epoche.

1) Die berufsmäßige und kirchliche Auswanderung.

Es iſt wohl ziemlich leicht zu erklären, weßhalb dieſe Art der Aus-
wanderung keine ſelbſtändige Behandlung erfahren hat. Daß ſie jedoch
hiſtoriſch wichtig genug iſt, werden wenige bezweifeln. Nur hat man
ſie eben um ihres ethiſchen Elementes willen ſelten vom populationiſtiſchen
Standpunkt betrachtet. Dennoch hat der letztere ſeine große Bedeutung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0210" n="188"/>
für die Auswanderung der Ge&#x017F;chlechterordnung hat nun da, wo be-<lb/>
reits der Gegen&#x017F;atz der Ge&#x017F;chlechterordnung zu einem be&#x017F;timmt aus-<lb/>
ge&#x017F;prochenen, und in äußeren Verfa&#x017F;&#x017F;ungskämpfen er&#x017F;cheinenden geworden<lb/>
i&#x017F;t, auch eine förmliche Thätigkeit der Ge&#x017F;etzgebung und Verwaltung<lb/>
zur Voraus&#x017F;etzung, oder die Coloni&#x017F;ation wird hier zur <hi rendition="#g">Verwaltungs-<lb/>
maßregel</hi>, und bildet einen wichtigen Theil der &#x017F;ocialen Ge&#x017F;chichte<lb/>
der inneren Verwaltung. Das i&#x017F;t naturgemäß da der Fall, wo die<lb/>
Grundform des Be&#x017F;itzes der be&#x017F;chränkte Grundbe&#x017F;itz i&#x017F;t, wie in Rom;<lb/>
und daher die Bedeutung und die wohl überlegte Organi&#x017F;ation der<lb/>
römi&#x017F;chen Coloni&#x017F;ation. Wo dagegen dieß nicht der Fall i&#x017F;t, wie in den<lb/>
alten &#x017F;kandinavi&#x017F;chen Ländern, da er&#x017F;cheint die Auswanderung nur als<lb/>
Einzeleroberung. Die Ausgewanderten bilden kein Ganzes, &#x017F;ondern<lb/>
zer&#x017F;treuen &#x017F;ich, und während die Ge&#x017F;chlechtercolonien, &#x017F;ei es, daß &#x017F;ie<lb/>
griechi&#x017F;che Handels- oder römi&#x017F;che Militärcolonien &#x017F;ind, das Ge&#x017F;ammt-<lb/>
&#x017F;chick&#x017F;al des Stammreiches theilen, haben die Eroberungsniederla&#x017F;&#x017F;ungen,<lb/>
wir möchten &#x017F;agen, ein individuelles Schick&#x017F;al. Es wäre wohl nicht<lb/>
&#x017F;chwer, das weiter zu verfolgen. Allein es muß uns genügen, den<lb/>
Charakter die&#x017F;er Epoche der Auswanderung hier bezeichnet zu haben, da<lb/>
dann doch manche Ausdrücke und &#x017F;elb&#x017F;t Grund&#x017F;ätze von ihr in die fol-<lb/>
genden übergehen.</p>
                    </div><lb/>
                    <div n="8">
                      <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Das Auswanderungswe&#x017F;en in der &#x017F;tändi&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.</hi> </head><lb/>
                      <argument>
                        <p>(Da&#x017F;&#x017F;elbe muß in die berufsmäßige und vorzüglich in die kirchliche und<lb/>
in die grundherrliche Auswanderung ge&#x017F;chieden werden.)</p>
                      </argument><lb/>
                      <p>Einen ganz andern Charakter hat die Auswanderung mit dem<lb/>
Auftreten der &#x017F;tändi&#x017F;chen Epoche. Wir wollen hier, um jede Weit-<lb/>
läufigkeit zu vermeiden, das Auswanderungswe&#x017F;en &#x017F;ogleich auf die<lb/>
beiden großen Faktoren der &#x017F;tändi&#x017F;chen Epoche, das gei&#x017F;tige Element<lb/>
des <hi rendition="#g">Berufes</hi>, und das materielle des <hi rendition="#g">Be&#x017F;itzes</hi> zurückführen, indem<lb/>
wir die er&#x017F;te das <hi rendition="#g">berufsmäßige</hi>, die zweite das <hi rendition="#g">grundherrliche</hi><lb/>
Auswanderungsrecht nennen. Beide Rechtsordnungen &#x017F;ind tief ver&#x017F;chie-<lb/>
den, wie ihre Ur&#x017F;achen, und doch bilden &#x017F;ie er&#x017F;t beide <hi rendition="#g">zu&#x017F;ammen</hi> das<lb/>
Auswanderungsrecht die&#x017F;er Epoche.</p><lb/>
                      <div n="9">
                        <head>1) <hi rendition="#g">Die berufsmäßige und kirchliche Auswanderung</hi>.</head><lb/>
                        <p>Es i&#x017F;t wohl ziemlich leicht zu erklären, weßhalb die&#x017F;e Art der Aus-<lb/>
wanderung keine &#x017F;elb&#x017F;tändige Behandlung erfahren hat. Daß &#x017F;ie jedoch<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;ch wichtig genug i&#x017F;t, werden wenige bezweifeln. Nur hat man<lb/>
&#x017F;ie eben um ihres ethi&#x017F;chen Elementes willen &#x017F;elten vom populationi&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Standpunkt betrachtet. Dennoch hat der letztere &#x017F;eine große Bedeutung.</p><lb/>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0210] für die Auswanderung der Geſchlechterordnung hat nun da, wo be- reits der Gegenſatz der Geſchlechterordnung zu einem beſtimmt aus- geſprochenen, und in äußeren Verfaſſungskämpfen erſcheinenden geworden iſt, auch eine förmliche Thätigkeit der Geſetzgebung und Verwaltung zur Vorausſetzung, oder die Coloniſation wird hier zur Verwaltungs- maßregel, und bildet einen wichtigen Theil der ſocialen Geſchichte der inneren Verwaltung. Das iſt naturgemäß da der Fall, wo die Grundform des Beſitzes der beſchränkte Grundbeſitz iſt, wie in Rom; und daher die Bedeutung und die wohl überlegte Organiſation der römiſchen Coloniſation. Wo dagegen dieß nicht der Fall iſt, wie in den alten ſkandinaviſchen Ländern, da erſcheint die Auswanderung nur als Einzeleroberung. Die Ausgewanderten bilden kein Ganzes, ſondern zerſtreuen ſich, und während die Geſchlechtercolonien, ſei es, daß ſie griechiſche Handels- oder römiſche Militärcolonien ſind, das Geſammt- ſchickſal des Stammreiches theilen, haben die Eroberungsniederlaſſungen, wir möchten ſagen, ein individuelles Schickſal. Es wäre wohl nicht ſchwer, das weiter zu verfolgen. Allein es muß uns genügen, den Charakter dieſer Epoche der Auswanderung hier bezeichnet zu haben, da dann doch manche Ausdrücke und ſelbſt Grundſätze von ihr in die fol- genden übergehen. III. Das Auswanderungsweſen in der ſtändiſchen Geſellſchaft. (Daſſelbe muß in die berufsmäßige und vorzüglich in die kirchliche und in die grundherrliche Auswanderung geſchieden werden.) Einen ganz andern Charakter hat die Auswanderung mit dem Auftreten der ſtändiſchen Epoche. Wir wollen hier, um jede Weit- läufigkeit zu vermeiden, das Auswanderungsweſen ſogleich auf die beiden großen Faktoren der ſtändiſchen Epoche, das geiſtige Element des Berufes, und das materielle des Beſitzes zurückführen, indem wir die erſte das berufsmäßige, die zweite das grundherrliche Auswanderungsrecht nennen. Beide Rechtsordnungen ſind tief verſchie- den, wie ihre Urſachen, und doch bilden ſie erſt beide zuſammen das Auswanderungsrecht dieſer Epoche. 1) Die berufsmäßige und kirchliche Auswanderung. Es iſt wohl ziemlich leicht zu erklären, weßhalb dieſe Art der Aus- wanderung keine ſelbſtändige Behandlung erfahren hat. Daß ſie jedoch hiſtoriſch wichtig genug iſt, werden wenige bezweifeln. Nur hat man ſie eben um ihres ethiſchen Elementes willen ſelten vom populationiſtiſchen Standpunkt betrachtet. Dennoch hat der letztere ſeine große Bedeutung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/210
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/210>, abgerufen am 19.03.2024.