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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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genügt werden. Es war daher ganz natürlich, daß diese realistische
Methode zuletzt den Staat selbst verließ, und langsam, aber unaus-
bleiblich aus einem Theil der Staatswissenschaften zu einer ganz prak-
tischen Lehre, zu einer Encyclopädie der Gewerbslehre ward.
Wir heben hier nur den letzten, in seinem Gebiet hoch bedeutenden
Vertreter hervor, dessen Werk dieselbe mit ihrer bedeutendsten That
abschließt. Das ist Baumstark in seiner "Encyclopädie der Came-
ralwissenschaften." Baumstark wollte auf dem Gebiete der letztern
leisten, was Berg auf dem Gebiete der frühern Polizeiwissenschaft,
Fischer auf dem der Cameralpolizei leistete; und so weit eines einzelnen
Menschen Umsicht und Gelehrsamkeit gehen, ist ihm das gelungen. Es ist ein
im Ganzen unmögliches, im Einzelnen vortreffliches Buch. Es ist ein Ver-
such die Gewerbslehre von dem Standpunkte aus zusammen zu fassen
und in allen Theilen einzeln gründlich zu behandeln, von dem sie eben
gar nicht behandelt werden kann, vom Standpunkt des Staatsbegriffes.
Es wird ein solches Buch nicht mehr geschrieben werden; aber es be-
hält seine Stellung in der Geschichte der Wissenschaft. Ein schwacher
Reflex derselben Richtung, und den Uebergang zur Volkswirthschafts-
pflege bezeichnend ist F. G. Schulze's "Nationalökonomie oder Volks-
wirthschaftslehre" (war diese Uebersetzung so nothwendig?) "vornehm-
lich für Land-, Forst- und Staatswirthe 1856," die weder an Gründ-
lichkeit noch an, wir möchten sagen wissenschaftlichem Bewußtsein mit
Baumstark auch nur entfernt zu vergleichen ist. -- Die ganze Richtung
ist wohl definitiv in die Gewerbslehre aufgelöst.

b) Das Staatsrecht und die Verwaltungslehre.

Eine wesentlich verschiedene Erscheinung zeigt uns nun die zweite
große Richtung, in welche die Verwaltungslehre verläuft. Es ist die,
in mannigfacher Form und in sehr verschiedenen Graden auftretende
Verschmelzung der Verwaltung mit dem öffentlichen Recht überhaupt,
oder wie es namentlich seit Gönners deutschem Staatsrecht heißt, dem
Staatsrecht.

So wie nämlich aus dem zerfallenden deutschen Reiche sich die
einzelnen Staaten bilden, erscheint natürlich dem Juristen und selbst
dem Volke jeder Staat als ein Ganzes, das also auch das ganze Ge-
biet der Verwaltung enthalten muß. Da nun aber der Begriff und das
System der letztern als selbständige Theorie fehlte, so war es natürlich,
daß man diesen Theil des Staatsinhalts zunächst da suchte, wo er
wenigstens formell vorhanden war. Und das war eben in dem Gebiete
desjenigen öffentlichen Rechts, das man theils die Polizei, theils die
Regalien nannte. Unrecht hatte man darin nicht; denn wie wir

Stein, die Verwaltungslehre. II. 3

genügt werden. Es war daher ganz natürlich, daß dieſe realiſtiſche
Methode zuletzt den Staat ſelbſt verließ, und langſam, aber unaus-
bleiblich aus einem Theil der Staatswiſſenſchaften zu einer ganz prak-
tiſchen Lehre, zu einer Encyclopädie der Gewerbslehre ward.
Wir heben hier nur den letzten, in ſeinem Gebiet hoch bedeutenden
Vertreter hervor, deſſen Werk dieſelbe mit ihrer bedeutendſten That
abſchließt. Das iſt Baumſtark in ſeiner „Encyclopädie der Came-
ralwiſſenſchaften.“ Baumſtark wollte auf dem Gebiete der letztern
leiſten, was Berg auf dem Gebiete der frühern Polizeiwiſſenſchaft,
Fiſcher auf dem der Cameralpolizei leiſtete; und ſo weit eines einzelnen
Menſchen Umſicht und Gelehrſamkeit gehen, iſt ihm das gelungen. Es iſt ein
im Ganzen unmögliches, im Einzelnen vortreffliches Buch. Es iſt ein Ver-
ſuch die Gewerbslehre von dem Standpunkte aus zuſammen zu faſſen
und in allen Theilen einzeln gründlich zu behandeln, von dem ſie eben
gar nicht behandelt werden kann, vom Standpunkt des Staatsbegriffes.
Es wird ein ſolches Buch nicht mehr geſchrieben werden; aber es be-
hält ſeine Stellung in der Geſchichte der Wiſſenſchaft. Ein ſchwacher
Reflex derſelben Richtung, und den Uebergang zur Volkswirthſchafts-
pflege bezeichnend iſt F. G. Schulze’s „Nationalökonomie oder Volks-
wirthſchaftslehre“ (war dieſe Ueberſetzung ſo nothwendig?) „vornehm-
lich für Land-, Forſt- und Staatswirthe 1856,“ die weder an Gründ-
lichkeit noch an, wir möchten ſagen wiſſenſchaftlichem Bewußtſein mit
Baumſtark auch nur entfernt zu vergleichen iſt. — Die ganze Richtung
iſt wohl definitiv in die Gewerbslehre aufgelöst.

b) Das Staatsrecht und die Verwaltungslehre.

Eine weſentlich verſchiedene Erſcheinung zeigt uns nun die zweite
große Richtung, in welche die Verwaltungslehre verläuft. Es iſt die,
in mannigfacher Form und in ſehr verſchiedenen Graden auftretende
Verſchmelzung der Verwaltung mit dem öffentlichen Recht überhaupt,
oder wie es namentlich ſeit Gönners deutſchem Staatsrecht heißt, dem
Staatsrecht.

So wie nämlich aus dem zerfallenden deutſchen Reiche ſich die
einzelnen Staaten bilden, erſcheint natürlich dem Juriſten und ſelbſt
dem Volke jeder Staat als ein Ganzes, das alſo auch das ganze Ge-
biet der Verwaltung enthalten muß. Da nun aber der Begriff und das
Syſtem der letztern als ſelbſtändige Theorie fehlte, ſo war es natürlich,
daß man dieſen Theil des Staatsinhalts zunächſt da ſuchte, wo er
wenigſtens formell vorhanden war. Und das war eben in dem Gebiete
desjenigen öffentlichen Rechts, das man theils die Polizei, theils die
Regalien nannte. Unrecht hatte man darin nicht; denn wie wir

Stein, die Verwaltungslehre. II. 3
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[33/0055] genügt werden. Es war daher ganz natürlich, daß dieſe realiſtiſche Methode zuletzt den Staat ſelbſt verließ, und langſam, aber unaus- bleiblich aus einem Theil der Staatswiſſenſchaften zu einer ganz prak- tiſchen Lehre, zu einer Encyclopädie der Gewerbslehre ward. Wir heben hier nur den letzten, in ſeinem Gebiet hoch bedeutenden Vertreter hervor, deſſen Werk dieſelbe mit ihrer bedeutendſten That abſchließt. Das iſt Baumſtark in ſeiner „Encyclopädie der Came- ralwiſſenſchaften.“ Baumſtark wollte auf dem Gebiete der letztern leiſten, was Berg auf dem Gebiete der frühern Polizeiwiſſenſchaft, Fiſcher auf dem der Cameralpolizei leiſtete; und ſo weit eines einzelnen Menſchen Umſicht und Gelehrſamkeit gehen, iſt ihm das gelungen. Es iſt ein im Ganzen unmögliches, im Einzelnen vortreffliches Buch. Es iſt ein Ver- ſuch die Gewerbslehre von dem Standpunkte aus zuſammen zu faſſen und in allen Theilen einzeln gründlich zu behandeln, von dem ſie eben gar nicht behandelt werden kann, vom Standpunkt des Staatsbegriffes. Es wird ein ſolches Buch nicht mehr geſchrieben werden; aber es be- hält ſeine Stellung in der Geſchichte der Wiſſenſchaft. Ein ſchwacher Reflex derſelben Richtung, und den Uebergang zur Volkswirthſchafts- pflege bezeichnend iſt F. G. Schulze’s „Nationalökonomie oder Volks- wirthſchaftslehre“ (war dieſe Ueberſetzung ſo nothwendig?) „vornehm- lich für Land-, Forſt- und Staatswirthe 1856,“ die weder an Gründ- lichkeit noch an, wir möchten ſagen wiſſenſchaftlichem Bewußtſein mit Baumſtark auch nur entfernt zu vergleichen iſt. — Die ganze Richtung iſt wohl definitiv in die Gewerbslehre aufgelöst. b) Das Staatsrecht und die Verwaltungslehre. Eine weſentlich verſchiedene Erſcheinung zeigt uns nun die zweite große Richtung, in welche die Verwaltungslehre verläuft. Es iſt die, in mannigfacher Form und in ſehr verſchiedenen Graden auftretende Verſchmelzung der Verwaltung mit dem öffentlichen Recht überhaupt, oder wie es namentlich ſeit Gönners deutſchem Staatsrecht heißt, dem Staatsrecht. So wie nämlich aus dem zerfallenden deutſchen Reiche ſich die einzelnen Staaten bilden, erſcheint natürlich dem Juriſten und ſelbſt dem Volke jeder Staat als ein Ganzes, das alſo auch das ganze Ge- biet der Verwaltung enthalten muß. Da nun aber der Begriff und das Syſtem der letztern als ſelbſtändige Theorie fehlte, ſo war es natürlich, daß man dieſen Theil des Staatsinhalts zunächſt da ſuchte, wo er wenigſtens formell vorhanden war. Und das war eben in dem Gebiete desjenigen öffentlichen Rechts, das man theils die Polizei, theils die Regalien nannte. Unrecht hatte man darin nicht; denn wie wir Stein, die Verwaltungslehre. II. 3

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/55>, abgerufen am 19.03.2024.