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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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könnte nicht anders als widrig wirken, sie würde nur
wie roher Prunk aussehen, und von einer Kirche aus
Papier, gesezt man könnte den Wänden auf die Dauer
Widerstand gegen Wetter und den Verzierungen durch
Pressen oder dergleichen die schönsten Gestalten geben,
wendet sich das Herz mit Widerwillen und Verach¬
tung ab. Mit dem Stoffe hängt die Gestaltung zu¬
sammen. Der Stein ist ernst, er strebt auf und läßt
sich nicht in die weichsten feinsten und gewundensten
Erscheinungen biegen. Ich rede von dem Bausteine
nicht von dem Marmor. Daher hat man die Gestalten
der Kirche aus ihm emporstrebend einfach und stark
gemacht, und wo Biegungen vorkommen, sind sie mit
Maß und mit einem gewissen Adel ausgeführt, und
überladen nicht die Wände und die andern Bildun¬
gen. In der Zeit, als sie das Übergewicht zu bekom¬
men anfingen, hörte auch die strenge Schönheit der
Kirchen auf, und die Niedlichkeit begann. Zu den
Fassungen unseres Schmuckes nehmen wir Metall
und zwar meistens Gold. Das Metall aber hat we¬
sentlich andere Merkmale als der Stein. Es ist schwe¬
rer; darf also, ohne uns zu drücken, nicht in größeren
Stücken angewendet werden, sondern muß in zarte
Gestaltungen auseinander laufen. Dabei hat es

könnte nicht anders als widrig wirken, ſie würde nur
wie roher Prunk ausſehen, und von einer Kirche aus
Papier, geſezt man könnte den Wänden auf die Dauer
Widerſtand gegen Wetter und den Verzierungen durch
Preſſen oder dergleichen die ſchönſten Geſtalten geben,
wendet ſich das Herz mit Widerwillen und Verach¬
tung ab. Mit dem Stoffe hängt die Geſtaltung zu¬
ſammen. Der Stein iſt ernſt, er ſtrebt auf und läßt
ſich nicht in die weichſten feinſten und gewundenſten
Erſcheinungen biegen. Ich rede von dem Bauſteine
nicht von dem Marmor. Daher hat man die Geſtalten
der Kirche aus ihm emporſtrebend einfach und ſtark
gemacht, und wo Biegungen vorkommen, ſind ſie mit
Maß und mit einem gewiſſen Adel ausgeführt, und
überladen nicht die Wände und die andern Bildun¬
gen. In der Zeit, als ſie das Übergewicht zu bekom¬
men anfingen, hörte auch die ſtrenge Schönheit der
Kirchen auf, und die Niedlichkeit begann. Zu den
Faſſungen unſeres Schmuckes nehmen wir Metall
und zwar meiſtens Gold. Das Metall aber hat we¬
ſentlich andere Merkmale als der Stein. Es iſt ſchwe¬
rer; darf alſo, ohne uns zu drücken, nicht in größeren
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[95/0109] könnte nicht anders als widrig wirken, ſie würde nur wie roher Prunk ausſehen, und von einer Kirche aus Papier, geſezt man könnte den Wänden auf die Dauer Widerſtand gegen Wetter und den Verzierungen durch Preſſen oder dergleichen die ſchönſten Geſtalten geben, wendet ſich das Herz mit Widerwillen und Verach¬ tung ab. Mit dem Stoffe hängt die Geſtaltung zu¬ ſammen. Der Stein iſt ernſt, er ſtrebt auf und läßt ſich nicht in die weichſten feinſten und gewundenſten Erſcheinungen biegen. Ich rede von dem Bauſteine nicht von dem Marmor. Daher hat man die Geſtalten der Kirche aus ihm emporſtrebend einfach und ſtark gemacht, und wo Biegungen vorkommen, ſind ſie mit Maß und mit einem gewiſſen Adel ausgeführt, und überladen nicht die Wände und die andern Bildun¬ gen. In der Zeit, als ſie das Übergewicht zu bekom¬ men anfingen, hörte auch die ſtrenge Schönheit der Kirchen auf, und die Niedlichkeit begann. Zu den Faſſungen unſeres Schmuckes nehmen wir Metall und zwar meiſtens Gold. Das Metall aber hat we¬ ſentlich andere Merkmale als der Stein. Es iſt ſchwe¬ rer; darf alſo, ohne uns zu drücken, nicht in größeren Stücken angewendet werden, ſondern muß in zarte Geſtaltungen auseinander laufen. Dabei hat es

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/109>, abgerufen am 26.04.2024.