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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Oßi Ouv
Aber indessen entschließt sich die Tochter von Conloch
den Treusinn
Jhres Buhlen zu prüfen. Die niedlichen Glieder be-
deket
Mit dem Geschmeide des Kriegs verläßt sie die Grotte.
Nun glaubet
Comal den Gegner zu sehn. Jhm pochet das Herz; er
entfärbt sich;
Finster wirds um ihn her. Er belastet den Bogen; der
Pfeil zischt.
Ach Galvina! sie sinkt in ihr Blut! Nun stürzt er zur
Grotte
Wütend, und ruset die Tochter von Conloch -- Die
einsamen Felsen
Starren verstummt -- Mein süßes Vergnügen wo bist
du? -- Gieb Antwort --.
Endlich erblikt er ihr zitterndes Herz. Sein Pfeil ist
darinnen --
Meine Galvina! dich hab ich erlegt? und vergeht ihr
am Busen. (*)

Man hat hier zugleich eine Probe von der Kürze der
Erzählung deren wir oben erwähnt haben. Die
Schöne hat die Grotte kaum verlassen, da Comal sie
verkleidet sieht. Dann sagt uns der Dichter nicht,
was dieser, da er sie in der Grotte vergeblich gesucht,
gedacht habe. Wir sehen ihn gleich wieder an dem
Orte wo Galvina gefallen ist. Denn ist Comals
Klage, so kurz, wie der tödtende Schmerz es erfo-
dert. Wie viel Verse würde hier nicht ein poetischer
Schwäzer wie Ovidius, verschwendet haben?

Der Lieblingsstof unsers Barden scheinet das pa-
thetische zu seyn, worin er ganz fürtreflich ist. Man
wird in dieser Art nicht leicht etwas schöneres an-
treffen, als die Stelle von Fillans Tode im VI Bu-
che des Gedichts Temora.

Aber es ist Zeit abzubrechen. Man trift auf je-
der Seite dieser fürtreflichen Barden Gesänge auf
Stellen, deren Schönheit man anzupreisen Lust füh-
let. Was hier gesagt worden ist ohne Zweifel hin-
länglich denen, die ihn noch nicht kannten, schnell die
Hand danach auszustreken, und denen, die ihn schon
aus der Hand gelegt, Lust zu machen, ihn wieder
vorzunehmen.

Ouvertüre.
(Musik.)

Ein Tonstük, welches zum Eingang, zur Eröff-
nung eines großen Concerts, eines Schauspiehls;
oder einer feyerlichen Aufführung der Musik dienet.
[Spaltenumbruch]

Ouv
Dieses, und daß diese Art in Frankreich aufgekom-
men sey, zeiget der Name der Sach hinlänglich an,
der im Französischen eine Eröffnung, oder eine Ein-
leitung
bedeutet. Lülli verfertigte solche Stüke um
vor seinen Opern gespiehlt zu werden, und nachher
wurde dieses Schauspiehl meistentheils mit einer
Ouvertüre eröffnet, bis die Symphonien aufkamen,
die sie aus der Mode brachten. Doch nennet man
in Frankreich noch izt jedes Vorspiehl vor der Oper,
eine Ouvertüre, wenn es gleich gar nichts mehr von
der ehemaligen Art dieser Stüke hat.

Weil diese Stüke Einleitungen zur Oper waren,
so suchte man natürlicher Weise ihnen viel Pracht zu
geben, Mannigfaltigkeit der Stimmen, und beynahe
das Aeußerste, was die Kunst durch die Jnstrumen-
talmusik vermag, dabey anzubringen. Daher wird
noch izt die Verfertigung einer guten Ouvertüre nur
für das Werk eines geübten Meisters gehalten.

Da sie nichts anders als eine Einleitung ist, die
den Zuhörer für die Musik überhaupt einnehmen soll,
so hat sie keinen nothwendigen und beständigen Cha-
rakter. Nur könnte davon überhaupt verlangt
werden, daß er den Charakter der Hauptmusik, der die
Ouvertüre zur Einleitung dienet, angemessen, folg-
lich anders zu Kirchenstüken, als zu Opern, und
zur hohen tragischen Oper, anders, als zum ange-
nehmen Pastoral seyn sollte.

Zuerst erscheinet insgemein ein Stük von ernst-
haftem aber feurigem Charakter in Takt. Die
Bewegung hat etwas stolzes, die Schritte sind lang-
sam, aber mit viel kleinen Noten ausgeziehret, die
feurig vorgetragen, und mit gehöriger Ueberlegung
müssen gewählt werden, damit sie in andern Stim-
men in strengern, oder freyeren Nachahmungen
wiederholt werden können. Denn dergleichen Nach-
ahmungen haben alle gute Meister in Ouvertüren
immer angebracht; mit mehr oder weniger Kunst,
nachdem der Anlas zur Ouvertüre wichtig war.
Die Hauptnoten sind meistentheils punktirt, und
im Vortrag werden die Punkte über ihre Geltung
ausgehalten. Nach diesen Hauptnoten folgen mehr
oder weniger kleinere, die in der äußersten Geschwin-
digkeit und so viel möglich, abgestoßen müssen ge-
spiehlt werden, welches freylich, wenn 10, 12 oder
mehr Noten auf einen Vierteltakt kommen, nicht
immer angeht.

Zuweilen kommen mitten unter dem feuerigsten
Strohm der Ouvertüre etliche Takte vor, die schmei-

cheind
(*) Fingal
II B.
[Spaltenumbruch]
Oßi Ouv
Aber indeſſen entſchließt ſich die Tochter von Conloch
den Treuſinn
Jhres Buhlen zu pruͤfen. Die niedlichen Glieder be-
deket
Mit dem Geſchmeide des Kriegs verlaͤßt ſie die Grotte.
Nun glaubet
Comal den Gegner zu ſehn. Jhm pochet das Herz; er
entfaͤrbt ſich;
Finſter wirds um ihn her. Er belaſtet den Bogen; der
Pfeil ziſcht.
Ach Galvina! ſie ſinkt in ihr Blut! Nun ſtuͤrzt er zur
Grotte
Wuͤtend, und ruſet die Tochter von Conloch — Die
einſamen Felſen
Starren verſtummt — Mein ſuͤßes Vergnuͤgen wo biſt
du? — Gieb Antwort —.
Endlich erblikt er ihr zitterndes Herz. Sein Pfeil iſt
darinnen —
Meine Galvina! dich hab ich erlegt? und vergeht ihr
am Buſen. (*)

Man hat hier zugleich eine Probe von der Kuͤrze der
Erzaͤhlung deren wir oben erwaͤhnt haben. Die
Schoͤne hat die Grotte kaum verlaſſen, da Comal ſie
verkleidet ſieht. Dann ſagt uns der Dichter nicht,
was dieſer, da er ſie in der Grotte vergeblich geſucht,
gedacht habe. Wir ſehen ihn gleich wieder an dem
Orte wo Galvina gefallen iſt. Denn iſt Comals
Klage, ſo kurz, wie der toͤdtende Schmerz es erfo-
dert. Wie viel Verſe wuͤrde hier nicht ein poetiſcher
Schwaͤzer wie Ovidius, verſchwendet haben?

Der Lieblingsſtof unſers Barden ſcheinet das pa-
thetiſche zu ſeyn, worin er ganz fuͤrtreflich iſt. Man
wird in dieſer Art nicht leicht etwas ſchoͤneres an-
treffen, als die Stelle von Fillans Tode im VI Bu-
che des Gedichts Temora.

Aber es iſt Zeit abzubrechen. Man trift auf je-
der Seite dieſer fuͤrtreflichen Barden Geſaͤnge auf
Stellen, deren Schoͤnheit man anzupreiſen Luſt fuͤh-
let. Was hier geſagt worden iſt ohne Zweifel hin-
laͤnglich denen, die ihn noch nicht kannten, ſchnell die
Hand danach auszuſtreken, und denen, die ihn ſchon
aus der Hand gelegt, Luſt zu machen, ihn wieder
vorzunehmen.

Ouvertuͤre.
(Muſik.)

Ein Tonſtuͤk, welches zum Eingang, zur Eroͤff-
nung eines großen Concerts, eines Schauſpiehls;
oder einer feyerlichen Auffuͤhrung der Muſik dienet.
[Spaltenumbruch]

Ouv
Dieſes, und daß dieſe Art in Frankreich aufgekom-
men ſey, zeiget der Name der Sach hinlaͤnglich an,
der im Franzoͤſiſchen eine Eroͤffnung, oder eine Ein-
leitung
bedeutet. Luͤlli verfertigte ſolche Stuͤke um
vor ſeinen Opern geſpiehlt zu werden, und nachher
wurde dieſes Schauſpiehl meiſtentheils mit einer
Ouvertuͤre eroͤffnet, bis die Symphonien aufkamen,
die ſie aus der Mode brachten. Doch nennet man
in Frankreich noch izt jedes Vorſpiehl vor der Oper,
eine Ouvertuͤre, wenn es gleich gar nichts mehr von
der ehemaligen Art dieſer Stuͤke hat.

Weil dieſe Stuͤke Einleitungen zur Oper waren,
ſo ſuchte man natuͤrlicher Weiſe ihnen viel Pracht zu
geben, Mannigfaltigkeit der Stimmen, und beynahe
das Aeußerſte, was die Kunſt durch die Jnſtrumen-
talmuſik vermag, dabey anzubringen. Daher wird
noch izt die Verfertigung einer guten Ouvertuͤre nur
fuͤr das Werk eines geuͤbten Meiſters gehalten.

Da ſie nichts anders als eine Einleitung iſt, die
den Zuhoͤrer fuͤr die Muſik uͤberhaupt einnehmen ſoll,
ſo hat ſie keinen nothwendigen und beſtaͤndigen Cha-
rakter. Nur koͤnnte davon uͤberhaupt verlangt
werden, daß er den Charakter der Hauptmuſik, der die
Ouvertuͤre zur Einleitung dienet, angemeſſen, folg-
lich anders zu Kirchenſtuͤken, als zu Opern, und
zur hohen tragiſchen Oper, anders, als zum ange-
nehmen Paſtoral ſeyn ſollte.

Zuerſt erſcheinet insgemein ein Stuͤk von ernſt-
haftem aber feurigem Charakter in Takt. Die
Bewegung hat etwas ſtolzes, die Schritte ſind lang-
ſam, aber mit viel kleinen Noten ausgeziehret, die
feurig vorgetragen, und mit gehoͤriger Ueberlegung
muͤſſen gewaͤhlt werden, damit ſie in andern Stim-
men in ſtrengern, oder freyeren Nachahmungen
wiederholt werden koͤnnen. Denn dergleichen Nach-
ahmungen haben alle gute Meiſter in Ouvertuͤren
immer angebracht; mit mehr oder weniger Kunſt,
nachdem der Anlas zur Ouvertuͤre wichtig war.
Die Hauptnoten ſind meiſtentheils punktirt, und
im Vortrag werden die Punkte uͤber ihre Geltung
ausgehalten. Nach dieſen Hauptnoten folgen mehr
oder weniger kleinere, die in der aͤußerſten Geſchwin-
digkeit und ſo viel moͤglich, abgeſtoßen muͤſſen ge-
ſpiehlt werden, welches freylich, wenn 10, 12 oder
mehr Noten auf einen Vierteltakt kommen, nicht
immer angeht.

Zuweilen kommen mitten unter dem feuerigſten
Strohm der Ouvertuͤre etliche Takte vor, die ſchmei-

cheind
(*) Fingal
II B.
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[873[855]/0290] Oßi Ouv Ouv Aber indeſſen entſchließt ſich die Tochter von Conloch den Treuſinn Jhres Buhlen zu pruͤfen. Die niedlichen Glieder be- deket Mit dem Geſchmeide des Kriegs verlaͤßt ſie die Grotte. Nun glaubet Comal den Gegner zu ſehn. Jhm pochet das Herz; er entfaͤrbt ſich; Finſter wirds um ihn her. Er belaſtet den Bogen; der Pfeil ziſcht. Ach Galvina! ſie ſinkt in ihr Blut! Nun ſtuͤrzt er zur Grotte Wuͤtend, und ruſet die Tochter von Conloch — Die einſamen Felſen Starren verſtummt — Mein ſuͤßes Vergnuͤgen wo biſt du? — Gieb Antwort —. Endlich erblikt er ihr zitterndes Herz. Sein Pfeil iſt darinnen — Meine Galvina! dich hab ich erlegt? und vergeht ihr am Buſen. (*) Man hat hier zugleich eine Probe von der Kuͤrze der Erzaͤhlung deren wir oben erwaͤhnt haben. Die Schoͤne hat die Grotte kaum verlaſſen, da Comal ſie verkleidet ſieht. Dann ſagt uns der Dichter nicht, was dieſer, da er ſie in der Grotte vergeblich geſucht, gedacht habe. Wir ſehen ihn gleich wieder an dem Orte wo Galvina gefallen iſt. Denn iſt Comals Klage, ſo kurz, wie der toͤdtende Schmerz es erfo- dert. Wie viel Verſe wuͤrde hier nicht ein poetiſcher Schwaͤzer wie Ovidius, verſchwendet haben? Der Lieblingsſtof unſers Barden ſcheinet das pa- thetiſche zu ſeyn, worin er ganz fuͤrtreflich iſt. Man wird in dieſer Art nicht leicht etwas ſchoͤneres an- treffen, als die Stelle von Fillans Tode im VI Bu- che des Gedichts Temora. Aber es iſt Zeit abzubrechen. Man trift auf je- der Seite dieſer fuͤrtreflichen Barden Geſaͤnge auf Stellen, deren Schoͤnheit man anzupreiſen Luſt fuͤh- let. Was hier geſagt worden iſt ohne Zweifel hin- laͤnglich denen, die ihn noch nicht kannten, ſchnell die Hand danach auszuſtreken, und denen, die ihn ſchon aus der Hand gelegt, Luſt zu machen, ihn wieder vorzunehmen. Ouvertuͤre. (Muſik.) Ein Tonſtuͤk, welches zum Eingang, zur Eroͤff- nung eines großen Concerts, eines Schauſpiehls; oder einer feyerlichen Auffuͤhrung der Muſik dienet. Dieſes, und daß dieſe Art in Frankreich aufgekom- men ſey, zeiget der Name der Sach hinlaͤnglich an, der im Franzoͤſiſchen eine Eroͤffnung, oder eine Ein- leitung bedeutet. Luͤlli verfertigte ſolche Stuͤke um vor ſeinen Opern geſpiehlt zu werden, und nachher wurde dieſes Schauſpiehl meiſtentheils mit einer Ouvertuͤre eroͤffnet, bis die Symphonien aufkamen, die ſie aus der Mode brachten. Doch nennet man in Frankreich noch izt jedes Vorſpiehl vor der Oper, eine Ouvertuͤre, wenn es gleich gar nichts mehr von der ehemaligen Art dieſer Stuͤke hat. Weil dieſe Stuͤke Einleitungen zur Oper waren, ſo ſuchte man natuͤrlicher Weiſe ihnen viel Pracht zu geben, Mannigfaltigkeit der Stimmen, und beynahe das Aeußerſte, was die Kunſt durch die Jnſtrumen- talmuſik vermag, dabey anzubringen. Daher wird noch izt die Verfertigung einer guten Ouvertuͤre nur fuͤr das Werk eines geuͤbten Meiſters gehalten. Da ſie nichts anders als eine Einleitung iſt, die den Zuhoͤrer fuͤr die Muſik uͤberhaupt einnehmen ſoll, ſo hat ſie keinen nothwendigen und beſtaͤndigen Cha- rakter. Nur koͤnnte davon uͤberhaupt verlangt werden, daß er den Charakter der Hauptmuſik, der die Ouvertuͤre zur Einleitung dienet, angemeſſen, folg- lich anders zu Kirchenſtuͤken, als zu Opern, und zur hohen tragiſchen Oper, anders, als zum ange- nehmen Paſtoral ſeyn ſollte. Zuerſt erſcheinet insgemein ein Stuͤk von ernſt- haftem aber feurigem Charakter in [FORMEL] Takt. Die Bewegung hat etwas ſtolzes, die Schritte ſind lang- ſam, aber mit viel kleinen Noten ausgeziehret, die feurig vorgetragen, und mit gehoͤriger Ueberlegung muͤſſen gewaͤhlt werden, damit ſie in andern Stim- men in ſtrengern, oder freyeren Nachahmungen wiederholt werden koͤnnen. Denn dergleichen Nach- ahmungen haben alle gute Meiſter in Ouvertuͤren immer angebracht; mit mehr oder weniger Kunſt, nachdem der Anlas zur Ouvertuͤre wichtig war. Die Hauptnoten ſind meiſtentheils punktirt, und im Vortrag werden die Punkte uͤber ihre Geltung ausgehalten. Nach dieſen Hauptnoten folgen mehr oder weniger kleinere, die in der aͤußerſten Geſchwin- digkeit und ſo viel moͤglich, abgeſtoßen muͤſſen ge- ſpiehlt werden, welches freylich, wenn 10, 12 oder mehr Noten auf einen Vierteltakt kommen, nicht immer angeht. Zuweilen kommen mitten unter dem feuerigſten Strohm der Ouvertuͤre etliche Takte vor, die ſchmei- cheind (*) Fingal II B.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 873[855]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/290>, abgerufen am 29.04.2024.