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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur
nug beobachtet, als man schon zur Vergleichung schritt,
wodurch denn bey der letztern manche Dunkelheit übrig
bleiben müssen. Mit den Vorstellungen habe ich den
Anfang gemacht.

II.
Was eine Vorstellung in dem Wolfischen Sy-
stem sey.

Nach dem Begrif, den Leibnitz und Wolf von einer
Vorstellung gegeben haben, kann jede Modifika-
tion unserer Seele, sie sey welche sie wolle, von einer ge-
wissen Seite betrachtet, eine Vorstellung genennet
werden. Eine jede hat ihre Ursachen, entweder außer
der Seele oder in ihr selbst, und eine jede hat ihre Wir-
kungen und Folgen. Diese Beziehung jedweder Seelen-
Veränderung auf andere Dinge, die ihre Ursachen und
Wirkungen sind, hat hier dieselbigen Folgen, welche sie
überall hat; diese nehmlich, daß solche Ursachen und
Wirkungen in einem gewissen Verstande aus ihr erkenn-
bar sind, und daß sie selbst, in so ferne sie Wirkung oder
Ursache ist, als ein entsprechendes Zeichen und als eine
Abbildung so wohl von solchen Dingen, von welchen sie
verursachet ist, als von solchen, welche sie wiederum ver-
ursachet hat, betrachtet werden kann. Sollen sie in die-
ser Hinsicht Vorstellungen heißen; so ist dieß eine all-
gemeine Benennung, die jeder Modification der Seele
zukommen kann. Es giebt eine allgemeine Analogie
zwischen der Wirkung und ihrer Ursache. Die letztere
drücket sich gleichsam in jener ab, und stellet sich durch
jene und in jener dar. Dahero kann die Wirkung die
Ursache, so wie die Ursache wiederum die Wirkung vor-
stellen, die aus ihr erkannt werden kann, und der sie ent-
spricht. Jn diesem unbestimten Verstande ist das Wort
Vorstellung in der Wolfischen Philosophie geblieben.

Jede

I. Verſuch. Ueber die Natur
nug beobachtet, als man ſchon zur Vergleichung ſchritt,
wodurch denn bey der letztern manche Dunkelheit uͤbrig
bleiben muͤſſen. Mit den Vorſtellungen habe ich den
Anfang gemacht.

II.
Was eine Vorſtellung in dem Wolfiſchen Sy-
ſtem ſey.

Nach dem Begrif, den Leibnitz und Wolf von einer
Vorſtellung gegeben haben, kann jede Modifika-
tion unſerer Seele, ſie ſey welche ſie wolle, von einer ge-
wiſſen Seite betrachtet, eine Vorſtellung genennet
werden. Eine jede hat ihre Urſachen, entweder außer
der Seele oder in ihr ſelbſt, und eine jede hat ihre Wir-
kungen und Folgen. Dieſe Beziehung jedweder Seelen-
Veraͤnderung auf andere Dinge, die ihre Urſachen und
Wirkungen ſind, hat hier dieſelbigen Folgen, welche ſie
uͤberall hat; dieſe nehmlich, daß ſolche Urſachen und
Wirkungen in einem gewiſſen Verſtande aus ihr erkenn-
bar ſind, und daß ſie ſelbſt, in ſo ferne ſie Wirkung oder
Urſache iſt, als ein entſprechendes Zeichen und als eine
Abbildung ſo wohl von ſolchen Dingen, von welchen ſie
verurſachet iſt, als von ſolchen, welche ſie wiederum ver-
urſachet hat, betrachtet werden kann. Sollen ſie in die-
ſer Hinſicht Vorſtellungen heißen; ſo iſt dieß eine all-
gemeine Benennung, die jeder Modification der Seele
zukommen kann. Es giebt eine allgemeine Analogie
zwiſchen der Wirkung und ihrer Urſache. Die letztere
druͤcket ſich gleichſam in jener ab, und ſtellet ſich durch
jene und in jener dar. Dahero kann die Wirkung die
Urſache, ſo wie die Urſache wiederum die Wirkung vor-
ſtellen, die aus ihr erkannt werden kann, und der ſie ent-
ſpricht. Jn dieſem unbeſtimten Verſtande iſt das Wort
Vorſtellung in der Wolfiſchen Philoſophie geblieben.

Jede
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[8/0068] I. Verſuch. Ueber die Natur nug beobachtet, als man ſchon zur Vergleichung ſchritt, wodurch denn bey der letztern manche Dunkelheit uͤbrig bleiben muͤſſen. Mit den Vorſtellungen habe ich den Anfang gemacht. II. Was eine Vorſtellung in dem Wolfiſchen Sy- ſtem ſey. Nach dem Begrif, den Leibnitz und Wolf von einer Vorſtellung gegeben haben, kann jede Modifika- tion unſerer Seele, ſie ſey welche ſie wolle, von einer ge- wiſſen Seite betrachtet, eine Vorſtellung genennet werden. Eine jede hat ihre Urſachen, entweder außer der Seele oder in ihr ſelbſt, und eine jede hat ihre Wir- kungen und Folgen. Dieſe Beziehung jedweder Seelen- Veraͤnderung auf andere Dinge, die ihre Urſachen und Wirkungen ſind, hat hier dieſelbigen Folgen, welche ſie uͤberall hat; dieſe nehmlich, daß ſolche Urſachen und Wirkungen in einem gewiſſen Verſtande aus ihr erkenn- bar ſind, und daß ſie ſelbſt, in ſo ferne ſie Wirkung oder Urſache iſt, als ein entſprechendes Zeichen und als eine Abbildung ſo wohl von ſolchen Dingen, von welchen ſie verurſachet iſt, als von ſolchen, welche ſie wiederum ver- urſachet hat, betrachtet werden kann. Sollen ſie in die- ſer Hinſicht Vorſtellungen heißen; ſo iſt dieß eine all- gemeine Benennung, die jeder Modification der Seele zukommen kann. Es giebt eine allgemeine Analogie zwiſchen der Wirkung und ihrer Urſache. Die letztere druͤcket ſich gleichſam in jener ab, und ſtellet ſich durch jene und in jener dar. Dahero kann die Wirkung die Urſache, ſo wie die Urſache wiederum die Wirkung vor- ſtellen, die aus ihr erkannt werden kann, und der ſie ent- ſpricht. Jn dieſem unbeſtimten Verſtande iſt das Wort Vorſtellung in der Wolfiſchen Philoſophie geblieben. Jede

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/68>, abgerufen am 26.04.2024.