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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Glückseeligkeit des Menschen.
und die sich in Büchern vergraben/ daß sie ent-
weder bey denen lebenden sich ein Ansehen ma-
chen/ oder dieselben censiren wollen/ u. s. w.

87.

Zugeschweigen daß die allermeisten
Belustigungen des Gesichts/ Gehörs/ Ge-
ruchs/ Geschmacks/ und Gefühles
entweder
in und bey andern Menschen gesucht werden/
oder aber in einer Einbildung beruhen/ weil wir
sehen oder hören/ daß andere Menschen die
wir hoch halten/ in gewissen Dingen eine Belu-
stigung finden.

79.

Es möge dannenhero der Mensch sich
betrachten auff was für weise er wolle/ so wird
er befinden/ daß ihn GOtt zu einen geselligen
Thier
geschaffen habe/ und zwar daß er in ei-
ner friedfertigen Gesellschafft mit andern le-
ben solle. Ohne Friede ist keine Gesellschefft/
weil Zwiespalt und Wiederwillen alle Gesell-
schafft zerreisset und auffhebet. Und ohne Ge-
sellschafft kan kein Friede seyn/
weil der Frie-
de in der Vereinigung menschlicher Gemüther
bestehet. Ohne Friede ist dem Menschen weder
Vernunfft noch Rede nütze/ weil man zum Krieg
nichts als Gewalt vonnöthen hat/ auch die
tapfferen Helden ihr Schwerd nicht im Munde/
sondern in der Faust führen.

80.

So ist demnach der Mensch zur Liebe
anderer Menschen geschaffen/ weil er zum Frie-
de
geschaffen ist. Denn die Liebe und der
Friede gründen sich in der Vereinigung

mensch-

Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
und die ſich in Buͤchern vergraben/ daß ſie ent-
weder bey denen lebenden ſich ein Anſehen ma-
chen/ oder dieſelben cenſiren wollen/ u. ſ. w.

87.

Zugeſchweigen daß die allermeiſten
Beluſtigungen des Geſichts/ Gehoͤrs/ Ge-
ruchs/ Geſchmacks/ und Gefuͤhles
entweder
in und bey andern Menſchen geſucht werden/
oder aber in einer Einbildung beruhen/ weil wir
ſehen oder hoͤren/ daß andere Menſchen die
wir hoch halten/ in gewiſſen Dingen eine Belu-
ſtigung finden.

79.

Es moͤge dannenhero der Menſch ſich
betrachten auff was fuͤr weiſe er wolle/ ſo wird
er befinden/ daß ihn GOtt zu einen geſelligen
Thier
geſchaffen habe/ und zwar daß er in ei-
ner friedfertigen Geſellſchafft mit andern le-
ben ſolle. Ohne Friede iſt keine Geſellſchefft/
weil Zwieſpalt und Wiederwillen alle Geſell-
ſchafft zerreiſſet und auffhebet. Und ohne Ge-
ſellſchafft kan kein Friede ſeyn/
weil der Frie-
de in der Vereinigung menſchlicher Gemuͤther
beſtehet. Ohne Friede iſt dem Menſchen weder
Vernunfft noch Rede nuͤtze/ weil man zum Krieg
nichts als Gewalt vonnoͤthen hat/ auch die
tapfferen Helden ihr Schwerd nicht im Munde/
ſondern in der Fauſt fuͤhren.

80.

So iſt demnach der Menſch zur Liebe
anderer Menſchen geſchaffen/ weil er zum Frie-
de
geſchaffen iſt. Denn die Liebe und der
Friede gruͤnden ſich in der Vereinigung

menſch-
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[91/0123] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. und die ſich in Buͤchern vergraben/ daß ſie ent- weder bey denen lebenden ſich ein Anſehen ma- chen/ oder dieſelben cenſiren wollen/ u. ſ. w. 87. Zugeſchweigen daß die allermeiſten Beluſtigungen des Geſichts/ Gehoͤrs/ Ge- ruchs/ Geſchmacks/ und Gefuͤhles entweder in und bey andern Menſchen geſucht werden/ oder aber in einer Einbildung beruhen/ weil wir ſehen oder hoͤren/ daß andere Menſchen die wir hoch halten/ in gewiſſen Dingen eine Belu- ſtigung finden. 79. Es moͤge dannenhero der Menſch ſich betrachten auff was fuͤr weiſe er wolle/ ſo wird er befinden/ daß ihn GOtt zu einen geſelligen Thier geſchaffen habe/ und zwar daß er in ei- ner friedfertigen Geſellſchafft mit andern le- ben ſolle. Ohne Friede iſt keine Geſellſchefft/ weil Zwieſpalt und Wiederwillen alle Geſell- ſchafft zerreiſſet und auffhebet. Und ohne Ge- ſellſchafft kan kein Friede ſeyn/ weil der Frie- de in der Vereinigung menſchlicher Gemuͤther beſtehet. Ohne Friede iſt dem Menſchen weder Vernunfft noch Rede nuͤtze/ weil man zum Krieg nichts als Gewalt vonnoͤthen hat/ auch die tapfferen Helden ihr Schwerd nicht im Munde/ ſondern in der Fauſt fuͤhren. 80. So iſt demnach der Menſch zur Liebe anderer Menſchen geſchaffen/ weil er zum Frie- de geſchaffen iſt. Denn die Liebe und der Friede gruͤnden ſich in der Vereinigung menſch-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/123>, abgerufen am 26.04.2024.