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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Zweite Abtheilung.
1. Doktor.
Es nährt der Mensch zu Zeiten wie der Baum
Schmarotzerpflanzen, so erscheint die s Horn,
Es darf nicht bleiben, theils, als ungehörig,
Theils, weils gewiß die besten Kräfte zehrt:
Dabei muß nun Diät das meiste thun,
Nahrhafte Speisen werden streng vermieden,
Auch alle Schärfen, alles was erhitzt,
Nur Wasser, wenig Brod, ein Habersüppchen,
So lösen wir vielleicht die Härtung auf,
Wenn starke, wiederholte Medizin
Den Trieb erregt, nachher ihn unterstützt.
König.
Doch kann die Kranke daran nicht verscheiden?
1. Doktor.
Wenns lange währt, gewiß, drum ist es besser,
Es gehn zu lassen, und nur zu beachten
Wohin Natur strebt, ob zur Rindesart,
Für Lebenszeit das Horn, ob die Prinzeß
Es wie der Hirsch mit jedem Jahre wechselt;
Fällt künftgen Frühling das Geweih, so ists
Die beste Zeit, die Cur dann zu beginnen.
König.
Wir sind so klug noch immer, wie zuvor.
2. Doktor.
Höchlich verehrt ist mein gelehrter Freund,
Doch machen ihn die Jahre etwas ängstlich:
Soll man das Neue nimmermehr versuchen,
Verliert das alte auch den Sinn und Geist.
Wir schneiden, brennen, wo es nöthig thut,
Wie stechen Staar mit Glück, und amputiren
Den Menschen oft halb weg, ihn ganz zu retten,
Wir nehmen Zähne aus, sie einzusetzen,
Zweite Abtheilung.
1. Doktor.
Es naͤhrt der Menſch zu Zeiten wie der Baum
Schmarotzerpflanzen, ſo erſcheint die s Horn,
Es darf nicht bleiben, theils, als ungehoͤrig,
Theils, weils gewiß die beſten Kraͤfte zehrt:
Dabei muß nun Diaͤt das meiſte thun,
Nahrhafte Speiſen werden ſtreng vermieden,
Auch alle Schaͤrfen, alles was erhitzt,
Nur Waſſer, wenig Brod, ein Haberſuͤppchen,
So loͤſen wir vielleicht die Haͤrtung auf,
Wenn ſtarke, wiederholte Medizin
Den Trieb erregt, nachher ihn unterſtuͤtzt.
Koͤnig.
Doch kann die Kranke daran nicht verſcheiden?
1. Doktor.
Wenns lange waͤhrt, gewiß, drum iſt es beſſer,
Es gehn zu laſſen, und nur zu beachten
Wohin Natur ſtrebt, ob zur Rindesart,
Fuͤr Lebenszeit das Horn, ob die Prinzeß
Es wie der Hirſch mit jedem Jahre wechſelt;
Faͤllt kuͤnftgen Fruͤhling das Geweih, ſo iſts
Die beſte Zeit, die Cur dann zu beginnen.
Koͤnig.
Wir ſind ſo klug noch immer, wie zuvor.
2. Doktor.
Hoͤchlich verehrt iſt mein gelehrter Freund,
Doch machen ihn die Jahre etwas aͤngſtlich:
Soll man das Neue nimmermehr verſuchen,
Verliert das alte auch den Sinn und Geiſt.
Wir ſchneiden, brennen, wo es noͤthig thut,
Wie ſtechen Staar mit Gluͤck, und amputiren
Den Menſchen oft halb weg, ihn ganz zu retten,
Wir nehmen Zaͤhne aus, ſie einzuſetzen,
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[390/0400] Zweite Abtheilung. 1. Doktor. Es naͤhrt der Menſch zu Zeiten wie der Baum Schmarotzerpflanzen, ſo erſcheint die s Horn, Es darf nicht bleiben, theils, als ungehoͤrig, Theils, weils gewiß die beſten Kraͤfte zehrt: Dabei muß nun Diaͤt das meiſte thun, Nahrhafte Speiſen werden ſtreng vermieden, Auch alle Schaͤrfen, alles was erhitzt, Nur Waſſer, wenig Brod, ein Haberſuͤppchen, So loͤſen wir vielleicht die Haͤrtung auf, Wenn ſtarke, wiederholte Medizin Den Trieb erregt, nachher ihn unterſtuͤtzt. Koͤnig. Doch kann die Kranke daran nicht verſcheiden? 1. Doktor. Wenns lange waͤhrt, gewiß, drum iſt es beſſer, Es gehn zu laſſen, und nur zu beachten Wohin Natur ſtrebt, ob zur Rindesart, Fuͤr Lebenszeit das Horn, ob die Prinzeß Es wie der Hirſch mit jedem Jahre wechſelt; Faͤllt kuͤnftgen Fruͤhling das Geweih, ſo iſts Die beſte Zeit, die Cur dann zu beginnen. Koͤnig. Wir ſind ſo klug noch immer, wie zuvor. 2. Doktor. Hoͤchlich verehrt iſt mein gelehrter Freund, Doch machen ihn die Jahre etwas aͤngſtlich: Soll man das Neue nimmermehr verſuchen, Verliert das alte auch den Sinn und Geiſt. Wir ſchneiden, brennen, wo es noͤthig thut, Wie ſtechen Staar mit Gluͤck, und amputiren Den Menſchen oft halb weg, ihn ganz zu retten, Wir nehmen Zaͤhne aus, ſie einzuſetzen,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/400>, abgerufen am 26.04.2024.