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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
kungen merklich nach psychologischen Gesetzen entwickelt und
miteinander verknüpfet würden. Wenn hingegen ein
Mensch von einem Schmerze in Zorn geräth, den ihm ein
andrer verursachet, so sind zwischen der diese Leidenschaft
veranlassenden äußern Empfindung, z. E. zwischen dem
von einem Gegner ihm beygebrachten Schlage und der Lei-
denschaft selbst, die ihn zur Wehr reizet, eine Menge psy-
chologisch und willkührlich verknüpfte sinnliche Vorstellun-
gen: er erkennet klar, daß ihm durch diesen Schmerz ein
Unrecht geschehe, er beschließt, es dem Beleidiger zu er-
wiedern, ist unschlüssig, durch welche Handlung er es thun
soll, wählet schnell die, die sich am ersten darbeut, und er-
hitzet sich durch stets wiederholte und vergrößerte Vorstel-
lung der Beleidigung immer mehr und mehr wider seinen
Gegner. So wie sich nun in der Seele alle diese die Lei-
denschaft erregende sinnliche Vorstellungen entwickeln, wel-
che die äußere Empfindung in ihr veranlasset, §. 94. so
entwickeln sich auch die materiellen Jdeen derselben, welche
die materielle äußere Empfindung im Gehirne veranlasset,
§. 25. und es fällt also hier der scheinbare unmittelbare
Uebergang der äußern Empfindung in die Leidenschaft selbst,
und der materiellen Jdeen der erstern in die Seelenwirkun-
gen der letztern hinweg. Vielmehr muß man, um die
Seelenwirkungen der Leidenschaft in ihrer Verknüpfung mit
dem äußern sinnlichen Eindrucke der Empfindung zu sehen,
die sie zuerst veranlasset hat, der Spur aller der sinnlichen
Vorstellungen und ihrer Seelenwirkungen bis zum Aus-
bruche der Leidenschaft selbst und ihrer Seelenwirkungen
folgen, wie sie sich nach den psychologischen Gesetzen der
Vorstellungskraft aus einander entwickeln. §. 108.

§. 565.

Unter diesen sinnlichen Vorstellungen, die eine äußere
Empfindung veranlasset, und die sich, ehe sie die Leiden-
schaft formiren, insgesammt entwickeln müssen, §. 94.
sind nun in manchen Leidenschaften einige, die sich eben so

zufällig,

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
kungen merklich nach pſychologiſchen Geſetzen entwickelt und
miteinander verknuͤpfet wuͤrden. Wenn hingegen ein
Menſch von einem Schmerze in Zorn geraͤth, den ihm ein
andrer verurſachet, ſo ſind zwiſchen der dieſe Leidenſchaft
veranlaſſenden aͤußern Empfindung, z. E. zwiſchen dem
von einem Gegner ihm beygebrachten Schlage und der Lei-
denſchaft ſelbſt, die ihn zur Wehr reizet, eine Menge pſy-
chologiſch und willkuͤhrlich verknuͤpfte ſinnliche Vorſtellun-
gen: er erkennet klar, daß ihm durch dieſen Schmerz ein
Unrecht geſchehe, er beſchließt, es dem Beleidiger zu er-
wiedern, iſt unſchluͤſſig, durch welche Handlung er es thun
ſoll, waͤhlet ſchnell die, die ſich am erſten darbeut, und er-
hitzet ſich durch ſtets wiederholte und vergroͤßerte Vorſtel-
lung der Beleidigung immer mehr und mehr wider ſeinen
Gegner. So wie ſich nun in der Seele alle dieſe die Lei-
denſchaft erregende ſinnliche Vorſtellungen entwickeln, wel-
che die aͤußere Empfindung in ihr veranlaſſet, §. 94. ſo
entwickeln ſich auch die materiellen Jdeen derſelben, welche
die materielle aͤußere Empfindung im Gehirne veranlaſſet,
§. 25. und es faͤllt alſo hier der ſcheinbare unmittelbare
Uebergang der aͤußern Empfindung in die Leidenſchaft ſelbſt,
und der materiellen Jdeen der erſtern in die Seelenwirkun-
gen der letztern hinweg. Vielmehr muß man, um die
Seelenwirkungen der Leidenſchaft in ihrer Verknuͤpfung mit
dem aͤußern ſinnlichen Eindrucke der Empfindung zu ſehen,
die ſie zuerſt veranlaſſet hat, der Spur aller der ſinnlichen
Vorſtellungen und ihrer Seelenwirkungen bis zum Aus-
bruche der Leidenſchaft ſelbſt und ihrer Seelenwirkungen
folgen, wie ſie ſich nach den pſychologiſchen Geſetzen der
Vorſtellungskraft aus einander entwickeln. §. 108.

§. 565.

Unter dieſen ſinnlichen Vorſtellungen, die eine aͤußere
Empfindung veranlaſſet, und die ſich, ehe ſie die Leiden-
ſchaft formiren, insgeſammt entwickeln muͤſſen, §. 94.
ſind nun in manchen Leidenſchaften einige, die ſich eben ſo

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[566/0590] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. kungen merklich nach pſychologiſchen Geſetzen entwickelt und miteinander verknuͤpfet wuͤrden. Wenn hingegen ein Menſch von einem Schmerze in Zorn geraͤth, den ihm ein andrer verurſachet, ſo ſind zwiſchen der dieſe Leidenſchaft veranlaſſenden aͤußern Empfindung, z. E. zwiſchen dem von einem Gegner ihm beygebrachten Schlage und der Lei- denſchaft ſelbſt, die ihn zur Wehr reizet, eine Menge pſy- chologiſch und willkuͤhrlich verknuͤpfte ſinnliche Vorſtellun- gen: er erkennet klar, daß ihm durch dieſen Schmerz ein Unrecht geſchehe, er beſchließt, es dem Beleidiger zu er- wiedern, iſt unſchluͤſſig, durch welche Handlung er es thun ſoll, waͤhlet ſchnell die, die ſich am erſten darbeut, und er- hitzet ſich durch ſtets wiederholte und vergroͤßerte Vorſtel- lung der Beleidigung immer mehr und mehr wider ſeinen Gegner. So wie ſich nun in der Seele alle dieſe die Lei- denſchaft erregende ſinnliche Vorſtellungen entwickeln, wel- che die aͤußere Empfindung in ihr veranlaſſet, §. 94. ſo entwickeln ſich auch die materiellen Jdeen derſelben, welche die materielle aͤußere Empfindung im Gehirne veranlaſſet, §. 25. und es faͤllt alſo hier der ſcheinbare unmittelbare Uebergang der aͤußern Empfindung in die Leidenſchaft ſelbſt, und der materiellen Jdeen der erſtern in die Seelenwirkun- gen der letztern hinweg. Vielmehr muß man, um die Seelenwirkungen der Leidenſchaft in ihrer Verknuͤpfung mit dem aͤußern ſinnlichen Eindrucke der Empfindung zu ſehen, die ſie zuerſt veranlaſſet hat, der Spur aller der ſinnlichen Vorſtellungen und ihrer Seelenwirkungen bis zum Aus- bruche der Leidenſchaft ſelbſt und ihrer Seelenwirkungen folgen, wie ſie ſich nach den pſychologiſchen Geſetzen der Vorſtellungskraft aus einander entwickeln. §. 108. §. 565. Unter dieſen ſinnlichen Vorſtellungen, die eine aͤußere Empfindung veranlaſſet, und die ſich, ehe ſie die Leiden- ſchaft formiren, insgeſammt entwickeln muͤſſen, §. 94. ſind nun in manchen Leidenſchaften einige, die ſich eben ſo zufaͤllig,

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/590>, abgerufen am 27.04.2024.