Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Gewißheit, daß andre intensiv reichere Geister existi-
ren müssen; aus dem unläugbaren Bewußtsein einer Zerstücke-
lung in uns, eines Abgeschnittenen -- nicht nur Begränzten --
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes
kommen zu können, hervorgeht, diese Gewißheit begnügt uns
durchaus nicht: und wir sind rein isolict, Mir aber zum Be-
weis und Trost ist die Betrachtung unseres Verhältnisses zu
den Thieren: auch sie sind absolut durch ihre Beschaffenheit
von unserm Geist geschieden -- nicht in Raum und Zeit.
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das
Vermögen dazu, sondern dem Vollführen stellt sich nichts ent-
gegen, wenn sie nur vernunft- und gutartig genug dazu sind.
Auch, finde ich, haben sie einen Vortheil vor uns voraus.
Wenn sie auch ihren Gott, den Menschen, nicht verstehn, so
sehn sie ihn doch; ihr gröberer Geist muß mehr unterstützt
werden; kann man sagen. Ein mich sehr aufklärender Ge-
danke ist der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir
sie nicht in uns vorfänden -- und die der eben so kunstvollen
Beschaffenheit der Thiere doch fehlt --, dies bürgt mir für
wieder nicht zu imaginirende höhere Zustände, und Beschaf-
fenheiten: und gelangte ich nie dazu.

Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgschaft, Bürge
auf! -- Einer bürgt für den Andern; die Bürgschaft dazu ist
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-
nunft; und das sinnlose, nur Einen Sinn besitzende, alles be-
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: "Es


Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti-
ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke-
lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten —
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes
kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns
durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be-
weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu
den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit
von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit.
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das
Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent-
gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind.
Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus.
Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo
ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt
werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge-
danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir
ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen
Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für
wieder nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf-
fenheiten: und gelangte ich nie dazu.

Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge
auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-
nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be-
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: „Es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0326" n="318"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 25. December 1827.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Die Gewißheit, daß andre inten&#x017F;iv reichere Gei&#x017F;ter exi&#x017F;ti-<lb/>
ren mü&#x017F;&#x017F;en; aus dem unläugbaren Bewußt&#x017F;ein einer Zer&#x017F;tücke-<lb/>
lung in uns, eines Abge&#x017F;chnittenen &#x2014; nicht nur Begränzten &#x2014;<lb/>
welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes<lb/>
kommen zu können, hervorgeht, die&#x017F;e Gewißheit begnügt uns<lb/>
durchaus nicht: und wir &#x017F;ind rein i&#x017F;olict, Mir aber zum Be-<lb/>
weis und Tro&#x017F;t i&#x017F;t die Betrachtung un&#x017F;eres Verhältni&#x017F;&#x017F;es zu<lb/>
den Thieren: auch &#x017F;ie &#x017F;ind ab&#x017F;olut durch ihre Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
von un&#x017F;erm Gei&#x017F;t ge&#x017F;chieden &#x2014; nicht in Raum und Zeit.<lb/>
Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das<lb/>
Vermögen dazu, &#x017F;ondern dem Vollführen &#x017F;tellt &#x017F;ich nichts ent-<lb/>
gegen, wenn &#x017F;ie nur vernunft- und gutartig genug dazu &#x017F;ind.<lb/>
Auch, finde ich, haben &#x017F;ie einen Vortheil vor uns voraus.<lb/>
Wenn &#x017F;ie auch ihren Gott, den Men&#x017F;chen, nicht ver&#x017F;tehn, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehn &#x017F;ie ihn doch; ihr gröberer Gei&#x017F;t muß mehr unter&#x017F;tützt<lb/>
werden; kann man &#x017F;agen. Ein mich &#x017F;ehr aufklärender Ge-<lb/>
danke i&#x017F;t der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die<lb/>
Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir<lb/>
&#x017F;ie nicht in uns vorfänden &#x2014; und die der eben &#x017F;o kun&#x017F;tvollen<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit der Thiere doch fehlt &#x2014;, dies bürgt mir für<lb/><hi rendition="#g">wieder</hi> nicht zu imaginirende höhere Zu&#x017F;tände, und Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheiten: und gelangte <hi rendition="#g">ich</hi> nie dazu.</p><lb/>
            <p>Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürg&#x017F;chaft, Bürge<lb/>
auf! &#x2014; Einer bürgt für den Andern; die Bürg&#x017F;chaft dazu i&#x017F;t<lb/>
ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver-<lb/>
nunft; und das &#x017F;innlo&#x017F;e, nur Einen Sinn be&#x017F;itzende, alles be-<lb/>
lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur <hi rendition="#g">Eins</hi>: &#x201E;Es<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0326] Den 25. December 1827. Die Gewißheit, daß andre intenſiv reichere Geiſter exiſti- ren müſſen; aus dem unläugbaren Bewußtſein einer Zerſtücke- lung in uns, eines Abgeſchnittenen — nicht nur Begränzten — welches aus dem Beziehen in uns ohne auf ein Bezogenes kommen zu können, hervorgeht, dieſe Gewißheit begnügt uns durchaus nicht: und wir ſind rein iſolict, Mir aber zum Be- weis und Troſt iſt die Betrachtung unſeres Verhältniſſes zu den Thieren: auch ſie ſind abſolut durch ihre Beſchaffenheit von unſerm Geiſt geſchieden — nicht in Raum und Zeit. Wohlthun aber können wir ihnen: nicht allein wir haben das Vermögen dazu, ſondern dem Vollführen ſtellt ſich nichts ent- gegen, wenn ſie nur vernunft- und gutartig genug dazu ſind. Auch, finde ich, haben ſie einen Vortheil vor uns voraus. Wenn ſie auch ihren Gott, den Menſchen, nicht verſtehn, ſo ſehn ſie ihn doch; ihr gröberer Geiſt muß mehr unterſtützt werden; kann man ſagen. Ein mich ſehr aufklärender Ge- danke iſt der für mich: daß es unmöglich für uns wäre, die Idee von Recht und Unrecht irgend zu imaginiren, wenn wir ſie nicht in uns vorfänden — und die der eben ſo kunſtvollen Beſchaffenheit der Thiere doch fehlt —, dies bürgt mir für wieder nicht zu imaginirende höhere Zuſtände, und Beſchaf- fenheiten: und gelangte ich nie dazu. Hiebei fällt mir das Wort Bürgen, Bürgſchaft, Bürge auf! — Einer bürgt für den Andern; die Bürgſchaft dazu iſt ganz gleich in jeden gelegt. Sinn für Gerechtigkeit; Ver- nunft; und das ſinnloſe, nur Einen Sinn beſitzende, alles be- lebende Organ, das Herz. Das Herz weiß nur Eins: „Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/326
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/326>, abgerufen am 26.04.2024.