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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Zweite Scene.
Das Wirthshaus auf einer Anhöhe, an einem Fluß, weite
Aussicht. Ein Garten vor demselben.
Valerio. Leonce.
Valerio. Nun Prinz, liefern Ihre Hosen nicht ein
köstliches Getränk? Laufen Ihnen Ihre Stiefel nicht mit
der größten Leichtigkeit die Kehle hinunter?
Leonce. Siehst du die alten Bäume, die Hecken, die
Blumen, das Alles hat seine Geschichten, seine lieblichen,
heimlichen Geschichten. Siehst du die großen freundlichen
Gesichter unter den Reben an der Hausthüre? Wie sie sitzen
und sich bei den Händen halten und Angst haben, daß sie
so alt sind und die Welt noch so jung ist. O Valerio,
und ich bin so jung, und die Welt ist so alt. Ich bekomme
manchmal eine Angst um mich und könnte mich in eine Ecke
setzen und heiße Thränen weinen aus Mitleid mit mir.
Valerio (gibt ihm ein Glas). Nimm diese Glocke, diese
Taucherglocke, und senke dich in das Meer des Weines, daß es
Perlen über dir schlägt. Sieh', wie die Elfen über den Kelch
der Weinblume schweben, goldbeschuht, die Cymbeln schlagend.
Leonce (aufspringend.) Komm Valerio, wir müssen was
treiben, was treiben. Wir wollen uns mit tiefen Gedanken
abgeben, wir wollen untersuchen, wie es kommt, daß der
Stuhl nur auf drei Beinen steht und nicht auf zweien.
Komm, wir wollen Ameisen zergliedern, Staubfäden zählen;
ich werde es doch noch zu einer Liebhaberei bringen. Ich
werde doch noch eine Kinderrassel finden, die mir erst aus
der Hand fällt, wenn ich Flocken lese und an der Decke
Zweite Scene.
Das Wirthshaus auf einer Anhöhe, an einem Fluß, weite
Ausſicht. Ein Garten vor demſelben.
Valerio. Leonce.
Valerio. Nun Prinz, liefern Ihre Hoſen nicht ein
köſtliches Getränk? Laufen Ihnen Ihre Stiefel nicht mit
der größten Leichtigkeit die Kehle hinunter?
Leonce. Siehſt du die alten Bäume, die Hecken, die
Blumen, das Alles hat ſeine Geſchichten, ſeine lieblichen,
heimlichen Geſchichten. Siehſt du die großen freundlichen
Geſichter unter den Reben an der Hausthüre? Wie ſie ſitzen
und ſich bei den Händen halten und Angſt haben, daß ſie
ſo alt ſind und die Welt noch ſo jung iſt. O Valerio,
und ich bin ſo jung, und die Welt iſt ſo alt. Ich bekomme
manchmal eine Angſt um mich und könnte mich in eine Ecke
ſetzen und heiße Thränen weinen aus Mitleid mit mir.
Valerio (gibt ihm ein Glas). Nimm dieſe Glocke, dieſe
Taucherglocke, und ſenke dich in das Meer des Weines, daß es
Perlen über dir ſchlägt. Sieh', wie die Elfen über den Kelch
der Weinblume ſchweben, goldbeſchuht, die Cymbeln ſchlagend.
Leonce (aufſpringend.) Komm Valerio, wir müſſen was
treiben, was treiben. Wir wollen uns mit tiefen Gedanken
abgeben, wir wollen unterſuchen, wie es kommt, daß der
Stuhl nur auf drei Beinen ſteht und nicht auf zweien.
Komm, wir wollen Ameiſen zergliedern, Staubfäden zählen;
ich werde es doch noch zu einer Liebhaberei bringen. Ich
werde doch noch eine Kinderraſſel finden, die mir erſt aus
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[139/0335] Zweite Scene. Das Wirthshaus auf einer Anhöhe, an einem Fluß, weite Ausſicht. Ein Garten vor demſelben. Valerio. Leonce. Valerio. Nun Prinz, liefern Ihre Hoſen nicht ein köſtliches Getränk? Laufen Ihnen Ihre Stiefel nicht mit der größten Leichtigkeit die Kehle hinunter? Leonce. Siehſt du die alten Bäume, die Hecken, die Blumen, das Alles hat ſeine Geſchichten, ſeine lieblichen, heimlichen Geſchichten. Siehſt du die großen freundlichen Geſichter unter den Reben an der Hausthüre? Wie ſie ſitzen und ſich bei den Händen halten und Angſt haben, daß ſie ſo alt ſind und die Welt noch ſo jung iſt. O Valerio, und ich bin ſo jung, und die Welt iſt ſo alt. Ich bekomme manchmal eine Angſt um mich und könnte mich in eine Ecke ſetzen und heiße Thränen weinen aus Mitleid mit mir. Valerio (gibt ihm ein Glas). Nimm dieſe Glocke, dieſe Taucherglocke, und ſenke dich in das Meer des Weines, daß es Perlen über dir ſchlägt. Sieh', wie die Elfen über den Kelch der Weinblume ſchweben, goldbeſchuht, die Cymbeln ſchlagend. Leonce (aufſpringend.) Komm Valerio, wir müſſen was treiben, was treiben. Wir wollen uns mit tiefen Gedanken abgeben, wir wollen unterſuchen, wie es kommt, daß der Stuhl nur auf drei Beinen ſteht und nicht auf zweien. Komm, wir wollen Ameiſen zergliedern, Staubfäden zählen; ich werde es doch noch zu einer Liebhaberei bringen. Ich werde doch noch eine Kinderraſſel finden, die mir erſt aus der Hand fällt, wenn ich Flocken leſe und an der Decke

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/335>, abgerufen am 19.03.2024.