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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Gesichtszüge, weder zart noch edel, nur thierische
oder sinnliche Begierden und sinnlichen Genuß
ausdrücken. -- Demohngeachtet findet man unter
den alten Denkmälern Faunen von bewunderns-
würdiger Schönheit, wo dennoch die Gesichts-
züge immer noch jene halbthierische, sinnliche
Natur bezeichnen.

Man siehet die Faunen auf den alten Denk-
mälern tanzend, sitzend, Kränze flechtend, mit
Ziegen spielend, junge Faunen auf dem Knie wie-
gend, und in viel mehrern reitzenden Stellungen
abgebildet, wo die Phantasie mit dieser Idee auf
die mannigfaltigste Weise spielt.

So läßt ein alter Faun ein junges Mädchen
auf seinem Fuße tanzen; -- ein andrer Faun
dreht das Rad an einem Brunnen, um einer
Nymphe Wasser zu schöpfen, die während der
Zeit seinen Thyrsus hält. -- Zwei Faunen sitzen
einander gegenüber, und der eine ist im Begriff
dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu zie-
hen. -- Ein andrer tränkt einen jungen Faun
aus einem großen Weingefäß. -- So wechseln
die reitzenden Darstellungen ab.

Man sieht, daß Die Sorglosigkeit bei die-
sen Wesen ein Hauptzug ist, wodurch sie den Göt-
tern ähnlich sind, und von den Menschen sich
unterscheiden, nach den Worten des alten Dich-
ters:

Geſichtszuͤge, weder zart noch edel, nur thieriſche
oder ſinnliche Begierden und ſinnlichen Genuß
ausdruͤcken. — Demohngeachtet findet man unter
den alten Denkmaͤlern Faunen von bewunderns-
wuͤrdiger Schoͤnheit, wo dennoch die Geſichts-
zuͤge immer noch jene halbthieriſche, ſinnliche
Natur bezeichnen.

Man ſiehet die Faunen auf den alten Denk-
maͤlern tanzend, ſitzend, Kraͤnze flechtend, mit
Ziegen ſpielend, junge Faunen auf dem Knie wie-
gend, und in viel mehrern reitzenden Stellungen
abgebildet, wo die Phantaſie mit dieſer Idee auf
die mannigfaltigſte Weiſe ſpielt.

So laͤßt ein alter Faun ein junges Maͤdchen
auf ſeinem Fuße tanzen; — ein andrer Faun
dreht das Rad an einem Brunnen, um einer
Nymphe Waſſer zu ſchoͤpfen, die waͤhrend der
Zeit ſeinen Thyrſus haͤlt. — Zwei Faunen ſitzen
einander gegenuͤber, und der eine iſt im Begriff
dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu zie-
hen. — Ein andrer traͤnkt einen jungen Faun
aus einem großen Weingefaͤß. — So wechſeln
die reitzenden Darſtellungen ab.

Man ſieht, daß Die Sorgloſigkeit bei die-
ſen Weſen ein Hauptzug iſt, wodurch ſie den Goͤt-
tern aͤhnlich ſind, und von den Menſchen ſich
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[318/0380] Geſichtszuͤge, weder zart noch edel, nur thieriſche oder ſinnliche Begierden und ſinnlichen Genuß ausdruͤcken. — Demohngeachtet findet man unter den alten Denkmaͤlern Faunen von bewunderns- wuͤrdiger Schoͤnheit, wo dennoch die Geſichts- zuͤge immer noch jene halbthieriſche, ſinnliche Natur bezeichnen. Man ſiehet die Faunen auf den alten Denk- maͤlern tanzend, ſitzend, Kraͤnze flechtend, mit Ziegen ſpielend, junge Faunen auf dem Knie wie- gend, und in viel mehrern reitzenden Stellungen abgebildet, wo die Phantaſie mit dieſer Idee auf die mannigfaltigſte Weiſe ſpielt. So laͤßt ein alter Faun ein junges Maͤdchen auf ſeinem Fuße tanzen; — ein andrer Faun dreht das Rad an einem Brunnen, um einer Nymphe Waſſer zu ſchoͤpfen, die waͤhrend der Zeit ſeinen Thyrſus haͤlt. — Zwei Faunen ſitzen einander gegenuͤber, und der eine iſt im Begriff dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu zie- hen. — Ein andrer traͤnkt einen jungen Faun aus einem großen Weingefaͤß. — So wechſeln die reitzenden Darſtellungen ab. Man ſieht, daß Die Sorgloſigkeit bei die- ſen Weſen ein Hauptzug iſt, wodurch ſie den Goͤt- tern aͤhnlich ſind, und von den Menſchen ſich unterſcheiden, nach den Worten des alten Dich- ters:

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/380>, abgerufen am 27.04.2024.