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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Des ersten Hauptstücks, zweyter Abschnitt.
§. 10.

Manchesmal verstehet zwar der Lehrling die Eintheilung; es ist aber mit
der Gleichheit des Tactes nicht richtig. Man sehe hierbey auf das Temperament
des Schülers; sonst wird er auf seine Lebstage verdorben. Ein fröhlicher, lusti-
ger, hitziger Mensch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler, und kaltsin-
niger hingegen wird immer zögern. Läßt man einen Menschen der viel Feuer und
Geist hat gleich geschwinde Stücke abspielen, bevor er die Langsamen genau nach
dem Tacte vorzutragen weis; so wird ihm das Eilen lebenlänglich anhangen. Legt
man hingegen einem frostigen und schwermüthigen Maulhänger nichts als lang-
same Stücke vor; so wird er allezeit ein Spieler ohne Geist, ein schläfriger und
betrübter Spieler bleiben. Man kann demnach solchen Fehlern, die von dem
Temperamente herrühren, durch eine vernünftige Unterweisung entgegen stehen.
Den Hitzigen kann man mit langsamen Stücken zurück halten und seinen Geist
nach und nach dadurch mäßigen: den langsamen und schläfrigen Spieler aber,
kann man mit frölichen Stücken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem
Halbtoden einen Lebendigen machen.

§. 11.

Ueberhaupts soll man einem Anfänger nichts Hartes vorlegen, bevor er
nicht das Leichte rein wegspielen kann. Man soll ihm ferner keine Menueten
oder andere melodiöse Stücke geben, die ihm leicht in dem Gedächtnisse bleiben:
sondern man lasse ihn anfangs Mittelstimmen von Concerten, wo Pausen darinn
sind, oder auch fugirte und mit einem Worte solche Stücke vor sich nehmen, die
er mit genauer Beobachtung alles dessen, was ihm zu wissen nothwendig ist, ab-
spielen und folglich zu Tage legen muß, ob er die ihm vorgetragene Regeln ver-
stehe oder nicht. Widrigenfalls wird er sichs angewöhnen, alles nach dem Ge-
hör auf Gerathe wohl abzuspielen.

§. 12.

Der Schüler muß sich sonderbar befleissen alles was er spielt in dem näm-
lichen Tempo zu enden, in welchem er es angefangen hat. Er beugt dadurch je-
nem gemeinen Fehler vor, den man bey vielen Musiken beobachtet, deren Ende
viel geschwinder als der Anfang ist. Er muß sich also gleich anfangs in eine
gewisse vernünftige Gelassenheit setzen; und besonders wenn er schwerere Stücke
zur Hand nimmt, muß er dieselben nicht geschwinder anfangen, als er sich getrauet
die darinn vorkommenden stärkern Passagen richtig wegzuspielen. Er muß die
schweren Passagen öfters und besonders üben; bis er endlich eine Fertigkeit erhält
das ganze Stück in einem rechten und gleichen Tempo hinauszubringen.

Des
Des erſten Hauptſtuͤcks, zweyter Abſchnitt.
§. 10.

Manchesmal verſtehet zwar der Lehrling die Eintheilung; es iſt aber mit
der Gleichheit des Tactes nicht richtig. Man ſehe hierbey auf das Temperament
des Schuͤlers; ſonſt wird er auf ſeine Lebstage verdorben. Ein froͤhlicher, luſti-
ger, hitziger Menſch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler, und kaltſin-
niger hingegen wird immer zoͤgern. Laͤßt man einen Menſchen der viel Feuer und
Geiſt hat gleich geſchwinde Stuͤcke abſpielen, bevor er die Langſamen genau nach
dem Tacte vorzutragen weis; ſo wird ihm das Eilen lebenlaͤnglich anhangen. Legt
man hingegen einem froſtigen und ſchwermuͤthigen Maulhaͤnger nichts als lang-
ſame Stuͤcke vor; ſo wird er allezeit ein Spieler ohne Geiſt, ein ſchlaͤfriger und
betruͤbter Spieler bleiben. Man kann demnach ſolchen Fehlern, die von dem
Temperamente herruͤhren, durch eine vernuͤnftige Unterweiſung entgegen ſtehen.
Den Hitzigen kann man mit langſamen Stuͤcken zuruͤck halten und ſeinen Geiſt
nach und nach dadurch maͤßigen: den langſamen und ſchlaͤfrigen Spieler aber,
kann man mit froͤlichen Stuͤcken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem
Halbtoden einen Lebendigen machen.

§. 11.

Ueberhaupts ſoll man einem Anfaͤnger nichts Hartes vorlegen, bevor er
nicht das Leichte rein wegſpielen kann. Man ſoll ihm ferner keine Menueten
oder andere melodioͤſe Stuͤcke geben, die ihm leicht in dem Gedaͤchtniſſe bleiben:
ſondern man laſſe ihn anfangs Mittelſtimmen von Concerten, wo Pauſen darinn
ſind, oder auch fugirte und mit einem Worte ſolche Stuͤcke vor ſich nehmen, die
er mit genauer Beobachtung alles deſſen, was ihm zu wiſſen nothwendig iſt, ab-
ſpielen und folglich zu Tage legen muß, ob er die ihm vorgetragene Regeln ver-
ſtehe oder nicht. Widrigenfalls wird er ſichs angewoͤhnen, alles nach dem Ge-
hoͤr auf Gerathe wohl abzuſpielen.

§. 12.

Der Schuͤler muß ſich ſonderbar befleiſſen alles was er ſpielt in dem naͤm-
lichen Tempo zu enden, in welchem er es angefangen hat. Er beugt dadurch je-
nem gemeinen Fehler vor, den man bey vielen Muſiken beobachtet, deren Ende
viel geſchwinder als der Anfang iſt. Er muß ſich alſo gleich anfangs in eine
gewiſſe vernuͤnftige Gelaſſenheit ſetzen; und beſonders wenn er ſchwerere Stuͤcke
zur Hand nimmt, muß er dieſelben nicht geſchwinder anfangen, als er ſich getrauet
die darinn vorkommenden ſtaͤrkern Paſſagen richtig wegzuſpielen. Er muß die
ſchweren Paſſagen oͤfters und beſonders uͤben; bis er endlich eine Fertigkeit erhaͤlt
das ganze Stuͤck in einem rechten und gleichen Tempo hinauszubringen.

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[32/0054] Des erſten Hauptſtuͤcks, zweyter Abſchnitt. §. 10. Manchesmal verſtehet zwar der Lehrling die Eintheilung; es iſt aber mit der Gleichheit des Tactes nicht richtig. Man ſehe hierbey auf das Temperament des Schuͤlers; ſonſt wird er auf ſeine Lebstage verdorben. Ein froͤhlicher, luſti- ger, hitziger Menſch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler, und kaltſin- niger hingegen wird immer zoͤgern. Laͤßt man einen Menſchen der viel Feuer und Geiſt hat gleich geſchwinde Stuͤcke abſpielen, bevor er die Langſamen genau nach dem Tacte vorzutragen weis; ſo wird ihm das Eilen lebenlaͤnglich anhangen. Legt man hingegen einem froſtigen und ſchwermuͤthigen Maulhaͤnger nichts als lang- ſame Stuͤcke vor; ſo wird er allezeit ein Spieler ohne Geiſt, ein ſchlaͤfriger und betruͤbter Spieler bleiben. Man kann demnach ſolchen Fehlern, die von dem Temperamente herruͤhren, durch eine vernuͤnftige Unterweiſung entgegen ſtehen. Den Hitzigen kann man mit langſamen Stuͤcken zuruͤck halten und ſeinen Geiſt nach und nach dadurch maͤßigen: den langſamen und ſchlaͤfrigen Spieler aber, kann man mit froͤlichen Stuͤcken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem Halbtoden einen Lebendigen machen. §. 11. Ueberhaupts ſoll man einem Anfaͤnger nichts Hartes vorlegen, bevor er nicht das Leichte rein wegſpielen kann. Man ſoll ihm ferner keine Menueten oder andere melodioͤſe Stuͤcke geben, die ihm leicht in dem Gedaͤchtniſſe bleiben: ſondern man laſſe ihn anfangs Mittelſtimmen von Concerten, wo Pauſen darinn ſind, oder auch fugirte und mit einem Worte ſolche Stuͤcke vor ſich nehmen, die er mit genauer Beobachtung alles deſſen, was ihm zu wiſſen nothwendig iſt, ab- ſpielen und folglich zu Tage legen muß, ob er die ihm vorgetragene Regeln ver- ſtehe oder nicht. Widrigenfalls wird er ſichs angewoͤhnen, alles nach dem Ge- hoͤr auf Gerathe wohl abzuſpielen. §. 12. Der Schuͤler muß ſich ſonderbar befleiſſen alles was er ſpielt in dem naͤm- lichen Tempo zu enden, in welchem er es angefangen hat. Er beugt dadurch je- nem gemeinen Fehler vor, den man bey vielen Muſiken beobachtet, deren Ende viel geſchwinder als der Anfang iſt. Er muß ſich alſo gleich anfangs in eine gewiſſe vernuͤnftige Gelaſſenheit ſetzen; und beſonders wenn er ſchwerere Stuͤcke zur Hand nimmt, muß er dieſelben nicht geſchwinder anfangen, als er ſich getrauet die darinn vorkommenden ſtaͤrkern Paſſagen richtig wegzuſpielen. Er muß die ſchweren Paſſagen oͤfters und beſonders uͤben; bis er endlich eine Fertigkeit erhaͤlt das ganze Stuͤck in einem rechten und gleichen Tempo hinauszubringen. Des

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/54>, abgerufen am 26.04.2024.