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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.

Es bleibet im übrigen dem Alterthume bis zum Falle der Kunst derI.
Von dem gu-
ten Geschma-
cke, welcher sich
auch in dem
Verfalle der
Kunst erhal-
ten hat.

Ruhm eigen, daß es sich seiner Größe bewußt geblieben: der Geist ihrer
Väter war nicht gänzlich von ihnen gewichen, und auch mittelmäßige
Werke der letzten Zeit sind noch nach den Grundsätzen der großen Meister
gearbeitet. Die Köpfe haben den allgemeinen Begriff von der alten
Schönheit behalten, und im Stande, Handlung und Anzuge der Figu-
ren offenbaret sich immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt.
Die gezierte Zierlichkeit, eine erzwungene und übel verstandene Gratie,
die übertriebene und verdrehete Gelenksamkeit, wovon auch die besten
Werke neuerer Bildhauer ihr Theil haben, hat die Sinne der Alten nie-
mals geblendet. Ja wir finden, wenn man aus dem Haarputze schlies-
sen kann, einige treffliche Statuen aus dem dritten Jahrhunderte, welche
als Copien anzusehen sind, die nach ältern Werken gearbeitet worden.
Von dieser Art sind zwo Venus in Lebensgröße in dem Garten hinter
dem Pallaste Farnese, mit ihren eigenen Köpfen; die eine mit einem
schönen Kopfe der Venus, die andere mit einem Kopfe einer Frau vom
Stande, aus gedachtem Jahrhunderte, und beyde Köpfe haben einerley
Haaraufsatz. Eine schlechtere Venus, von eben der Größe, ist im Bel-
vedere, deren Haarputz jenen ähnlich ist, und dem Weiblichen Geschlechte
aus dieser Zeit eigen war. Ein Apollo, in der Villa Negroni, in dem
Alter und in der Größe eines jungen Menschen von funfzehen Jahren,
kann unter die schönen jugendlichen Figuren in Rom gezählet werden; aber
der eigene Kopf desselben stellet keinen Apollo vor, sondern etwa einen
Kaiserlichen Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden sich also noch einige
Künstler, welche ältere und schöne Figuren sehr gut nach zu arbeiten
verstanden.

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Von der Kunſt unter den Griechen.

Es bleibet im uͤbrigen dem Alterthume bis zum Falle der Kunſt derI.
Von dem gu-
ten Geſchma-
cke, welcher ſich
auch in dem
Verfalle der
Kunſt erhal-
ten hat.

Ruhm eigen, daß es ſich ſeiner Groͤße bewußt geblieben: der Geiſt ihrer
Vaͤter war nicht gaͤnzlich von ihnen gewichen, und auch mittelmaͤßige
Werke der letzten Zeit ſind noch nach den Grundſaͤtzen der großen Meiſter
gearbeitet. Die Koͤpfe haben den allgemeinen Begriff von der alten
Schoͤnheit behalten, und im Stande, Handlung und Anzuge der Figu-
ren offenbaret ſich immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt.
Die gezierte Zierlichkeit, eine erzwungene und uͤbel verſtandene Gratie,
die uͤbertriebene und verdrehete Gelenkſamkeit, wovon auch die beſten
Werke neuerer Bildhauer ihr Theil haben, hat die Sinne der Alten nie-
mals geblendet. Ja wir finden, wenn man aus dem Haarputze ſchlieſ-
ſen kann, einige treffliche Statuen aus dem dritten Jahrhunderte, welche
als Copien anzuſehen ſind, die nach aͤltern Werken gearbeitet worden.
Von dieſer Art ſind zwo Venus in Lebensgroͤße in dem Garten hinter
dem Pallaſte Farneſe, mit ihren eigenen Koͤpfen; die eine mit einem
ſchoͤnen Kopfe der Venus, die andere mit einem Kopfe einer Frau vom
Stande, aus gedachtem Jahrhunderte, und beyde Koͤpfe haben einerley
Haaraufſatz. Eine ſchlechtere Venus, von eben der Groͤße, iſt im Bel-
vedere, deren Haarputz jenen aͤhnlich iſt, und dem Weiblichen Geſchlechte
aus dieſer Zeit eigen war. Ein Apollo, in der Villa Negroni, in dem
Alter und in der Groͤße eines jungen Menſchen von funfzehen Jahren,
kann unter die ſchoͤnen jugendlichen Figuren in Rom gezaͤhlet werden; aber
der eigene Kopf deſſelben ſtellet keinen Apollo vor, ſondern etwa einen
Kaiſerlichen Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden ſich alſo noch einige
Kuͤnſtler, welche aͤltere und ſchoͤne Figuren ſehr gut nach zu arbeiten
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[245/0295] Von der Kunſt unter den Griechen. Es bleibet im uͤbrigen dem Alterthume bis zum Falle der Kunſt der Ruhm eigen, daß es ſich ſeiner Groͤße bewußt geblieben: der Geiſt ihrer Vaͤter war nicht gaͤnzlich von ihnen gewichen, und auch mittelmaͤßige Werke der letzten Zeit ſind noch nach den Grundſaͤtzen der großen Meiſter gearbeitet. Die Koͤpfe haben den allgemeinen Begriff von der alten Schoͤnheit behalten, und im Stande, Handlung und Anzuge der Figu- ren offenbaret ſich immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt. Die gezierte Zierlichkeit, eine erzwungene und uͤbel verſtandene Gratie, die uͤbertriebene und verdrehete Gelenkſamkeit, wovon auch die beſten Werke neuerer Bildhauer ihr Theil haben, hat die Sinne der Alten nie- mals geblendet. Ja wir finden, wenn man aus dem Haarputze ſchlieſ- ſen kann, einige treffliche Statuen aus dem dritten Jahrhunderte, welche als Copien anzuſehen ſind, die nach aͤltern Werken gearbeitet worden. Von dieſer Art ſind zwo Venus in Lebensgroͤße in dem Garten hinter dem Pallaſte Farneſe, mit ihren eigenen Koͤpfen; die eine mit einem ſchoͤnen Kopfe der Venus, die andere mit einem Kopfe einer Frau vom Stande, aus gedachtem Jahrhunderte, und beyde Koͤpfe haben einerley Haaraufſatz. Eine ſchlechtere Venus, von eben der Groͤße, iſt im Bel- vedere, deren Haarputz jenen aͤhnlich iſt, und dem Weiblichen Geſchlechte aus dieſer Zeit eigen war. Ein Apollo, in der Villa Negroni, in dem Alter und in der Groͤße eines jungen Menſchen von funfzehen Jahren, kann unter die ſchoͤnen jugendlichen Figuren in Rom gezaͤhlet werden; aber der eigene Kopf deſſelben ſtellet keinen Apollo vor, ſondern etwa einen Kaiſerlichen Prinzen aus eben der Zeit. Es fanden ſich alſo noch einige Kuͤnſtler, welche aͤltere und ſchoͤne Figuren ſehr gut nach zu arbeiten verſtanden. I. Von dem gu- ten Geſchma- cke, welcher ſich auch in dem Verfalle der Kunſt erhal- ten hat. Ich H h 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/295>, abgerufen am 26.04.2024.