Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Spiegel des Gesichts aus, und in einer dunkeln
Kutsche, nur erhellt vom ungewissen Laternenlicht,
wenn der Regen gegen die Fenster schlägt, läßt sich
auf diesem Spiegel noch weniger lesen. Dem Dichter
ist es indeß zuweilen vergönnt, eine andre Sonde in
die Brust zu senken, wie er ja auch Geister und
Träume citirt, wo er der Vermittler zwischen dem
Reich des Unsichtbaren und des Sichtbaren bedarf.

Sie sann dem Fremden nach. Seine äußern
Umrisse waren ihr verwischt, nur war es ein blasses
Gesicht mit scharfen, tiefliegenden Augen, dessen konnte
sie sich entsinnen. Sie hatte ihn noch nie gesehen.
Doch es waren damals viele Fremden in Berlin;
auch hatte der Ton seiner Stimme etwas Ausländisches.
Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich
einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheime¬
rath nicht eben persönliche Feinde hatte, waren doch
Viele, die auf sein einträgliches Amt lauerten. Wes¬
halb sollte ein Fremder sich gedrungen fühlen gerade
ihrem Schwager zu helfen! Aber sie vertiefte sich im
Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dienst lauern
könnte, bis ein leises Gelächter aus ihren feinen
Lippen brach.

Die Geheimeräthin fragte sich, woher denn ihr
eigner Antheil an dem Geschick des Geheimerathes
kam? -- Achtete sie ihn? liebte sie ihn? Oder weil
er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr
ihr Mann? -- Ein Mann, der sich in seiner Bücher¬
stube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte!

I. 3

Spiegel des Geſichts aus, und in einer dunkeln
Kutſche, nur erhellt vom ungewiſſen Laternenlicht,
wenn der Regen gegen die Fenſter ſchlägt, läßt ſich
auf dieſem Spiegel noch weniger leſen. Dem Dichter
iſt es indeß zuweilen vergönnt, eine andre Sonde in
die Bruſt zu ſenken, wie er ja auch Geiſter und
Träume citirt, wo er der Vermittler zwiſchen dem
Reich des Unſichtbaren und des Sichtbaren bedarf.

Sie ſann dem Fremden nach. Seine äußern
Umriſſe waren ihr verwiſcht, nur war es ein blaſſes
Geſicht mit ſcharfen, tiefliegenden Augen, deſſen konnte
ſie ſich entſinnen. Sie hatte ihn noch nie geſehen.
Doch es waren damals viele Fremden in Berlin;
auch hatte der Ton ſeiner Stimme etwas Ausländiſches.
Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich
einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheime¬
rath nicht eben perſönliche Feinde hatte, waren doch
Viele, die auf ſein einträgliches Amt lauerten. Wes¬
halb ſollte ein Fremder ſich gedrungen fühlen gerade
ihrem Schwager zu helfen! Aber ſie vertiefte ſich im
Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dienſt lauern
könnte, bis ein leiſes Gelächter aus ihren feinen
Lippen brach.

Die Geheimeräthin fragte ſich, woher denn ihr
eigner Antheil an dem Geſchick des Geheimerathes
kam? — Achtete ſie ihn? liebte ſie ihn? Oder weil
er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr
ihr Mann? — Ein Mann, der ſich in ſeiner Bücher¬
ſtube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte!

I. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="33"/>
Spiegel des Ge&#x017F;ichts aus, und in einer dunkeln<lb/>
Kut&#x017F;che, nur erhellt vom ungewi&#x017F;&#x017F;en Laternenlicht,<lb/>
wenn der Regen gegen die Fen&#x017F;ter &#x017F;chlägt, läßt &#x017F;ich<lb/>
auf die&#x017F;em Spiegel noch weniger le&#x017F;en. Dem Dichter<lb/>
i&#x017F;t es indeß zuweilen vergönnt, eine andre Sonde in<lb/>
die Bru&#x017F;t zu &#x017F;enken, wie er ja auch Gei&#x017F;ter und<lb/>
Träume citirt, wo er der Vermittler zwi&#x017F;chen dem<lb/>
Reich des Un&#x017F;ichtbaren und des Sichtbaren bedarf.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;ann dem Fremden nach. Seine äußern<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;e waren ihr verwi&#x017F;cht, nur war es ein bla&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;icht mit &#x017F;charfen, tiefliegenden Augen, de&#x017F;&#x017F;en konnte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ent&#x017F;innen. Sie hatte ihn noch nie ge&#x017F;ehen.<lb/>
Doch es waren damals viele Fremden in Berlin;<lb/>
auch hatte der Ton &#x017F;einer Stimme etwas Ausländi&#x017F;ches.<lb/>
Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich<lb/>
einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheime¬<lb/>
rath nicht eben per&#x017F;önliche Feinde hatte, waren doch<lb/>
Viele, die auf &#x017F;ein einträgliches Amt lauerten. Wes¬<lb/>
halb &#x017F;ollte ein Fremder &#x017F;ich gedrungen fühlen gerade<lb/>
ihrem Schwager zu helfen! Aber &#x017F;ie vertiefte &#x017F;ich im<lb/>
Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dien&#x017F;t lauern<lb/>
könnte, bis ein lei&#x017F;es Gelächter aus ihren feinen<lb/>
Lippen brach.</p><lb/>
        <p>Die Geheimeräthin fragte &#x017F;ich, woher denn ihr<lb/>
eigner Antheil an dem Ge&#x017F;chick des Geheimerathes<lb/>
kam? &#x2014; Achtete &#x017F;ie ihn? liebte &#x017F;ie ihn? Oder weil<lb/>
er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr<lb/>
ihr Mann? &#x2014; Ein Mann, der &#x017F;ich in &#x017F;einer Bücher¬<lb/>
&#x017F;tube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte!</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi>. 3<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0047] Spiegel des Geſichts aus, und in einer dunkeln Kutſche, nur erhellt vom ungewiſſen Laternenlicht, wenn der Regen gegen die Fenſter ſchlägt, läßt ſich auf dieſem Spiegel noch weniger leſen. Dem Dichter iſt es indeß zuweilen vergönnt, eine andre Sonde in die Bruſt zu ſenken, wie er ja auch Geiſter und Träume citirt, wo er der Vermittler zwiſchen dem Reich des Unſichtbaren und des Sichtbaren bedarf. Sie ſann dem Fremden nach. Seine äußern Umriſſe waren ihr verwiſcht, nur war es ein blaſſes Geſicht mit ſcharfen, tiefliegenden Augen, deſſen konnte ſie ſich entſinnen. Sie hatte ihn noch nie geſehen. Doch es waren damals viele Fremden in Berlin; auch hatte der Ton ſeiner Stimme etwas Ausländiſches. Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheime¬ rath nicht eben perſönliche Feinde hatte, waren doch Viele, die auf ſein einträgliches Amt lauerten. Wes¬ halb ſollte ein Fremder ſich gedrungen fühlen gerade ihrem Schwager zu helfen! Aber ſie vertiefte ſich im Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dienſt lauern könnte, bis ein leiſes Gelächter aus ihren feinen Lippen brach. Die Geheimeräthin fragte ſich, woher denn ihr eigner Antheil an dem Geſchick des Geheimerathes kam? — Achtete ſie ihn? liebte ſie ihn? Oder weil er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr ihr Mann? — Ein Mann, der ſich in ſeiner Bücher¬ ſtube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte! I. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/47
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/47>, abgerufen am 30.04.2024.