Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_177.001 p2b_177.009 a. Der treue Gefährte, von Anastasius Grün. p2b_177.011 Jch hatt' einst einen Genossen treu, p2b_177.012 Wo ich war, war er auch dabei; p2b_177.013 Blieb ich daheim, ging er auch nicht aus, p2b_177.014 Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus. p2b_177.015 Er trank aus einem Glas mit mir, p2b_177.016 Er schlief in einem Bett mit mir, p2b_177.017 Wir trugen die Kleider nach einem Schnitt, p2b_177.018 Ja selbst zum Liebchen nahm ich ihn mit. p2b_177.019 Und als mich's jüngst zu den Bergen zog, p2b_177.020 Und Stab und Bündel im Arm ich wog, p2b_177.021 Da sprach der treue Geselle gleich: p2b_177.022 "Mit Gunsten, Freund, ich geh' mit euch!" p2b_177.023 Wir wallen still hinaus zum Thor, p2b_177.024 Die Bäume streben frisch empor, p2b_177.025 Die Lüfte bringen uns warmen Gruß, p2b_177.026 Da schüttelt der Freund den Kopf mit Verdruß. p2b_177.027 Jm Äther jauchzt ein Lerchenchor, p2b_177.028 Da hält er zugepreßt sein Ohr; p2b_177.029 Süß duftet dort das Rosengesträuch, p2b_177.030 Da wird er schwindlig und totenbleich. p2b_177.031 Und als wir stiegen den Berg hinan, p2b_177.032 Verlor den Atem der arme Mann; p2b_177.033 Jch wallt' empor mit leuchtendem Blick, p2b_177.034 Doch er blieb keuchend unten zurück. p2b_177.035 Jch aber stand jauchzend ganz allein p2b_177.036 Am Bergesgipfel im Sonnenschein! p2b_177.037 Rings grüne Triften und Blumenduft! p2b_177.038 Rings wirbelnde Lerchen und Bergesluft! p2b_177.039 Und als ich wieder zu Thal gewallt, p2b_177.040 Da stieß ich auf eine Leiche bald: p2b_177.041 O weh, er ist's! Tot liegt er hier, p2b_177.042 Der einst der treuste Gefährte mir! p2b_177.043
Da ließ ich graben ein tiefes Grab p2b_177.044 Und senkte die Leiche still hinab, p2b_177.045 Drauf setzt' ich einen Leichenstein p2b_177.046 Und grub die Wort' als Jnschrift drein: p2b_177.001 p2b_177.009 a. Der treue Gefährte, von Anastasius Grün. p2b_177.011 Jch hatt' einst einen Genossen treu, p2b_177.012 Wo ich war, war er auch dabei; p2b_177.013 Blieb ich daheim, ging er auch nicht aus, p2b_177.014 Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus. p2b_177.015 Er trank aus einem Glas mit mir, p2b_177.016 Er schlief in einem Bett mit mir, p2b_177.017 Wir trugen die Kleider nach einem Schnitt, p2b_177.018 Ja selbst zum Liebchen nahm ich ihn mit. p2b_177.019 Und als mich's jüngst zu den Bergen zog, p2b_177.020 Und Stab und Bündel im Arm ich wog, p2b_177.021 Da sprach der treue Geselle gleich: p2b_177.022 „Mit Gunsten, Freund, ich geh' mit euch!“ p2b_177.023 Wir wallen still hinaus zum Thor, p2b_177.024 Die Bäume streben frisch empor, p2b_177.025 Die Lüfte bringen uns warmen Gruß, p2b_177.026 Da schüttelt der Freund den Kopf mit Verdruß. p2b_177.027 Jm Äther jauchzt ein Lerchenchor, p2b_177.028 Da hält er zugepreßt sein Ohr; p2b_177.029 Süß duftet dort das Rosengesträuch, p2b_177.030 Da wird er schwindlig und totenbleich. p2b_177.031 Und als wir stiegen den Berg hinan, p2b_177.032 Verlor den Atem der arme Mann; p2b_177.033 Jch wallt' empor mit leuchtendem Blick, p2b_177.034 Doch er blieb keuchend unten zurück. p2b_177.035 Jch aber stand jauchzend ganz allein p2b_177.036 Am Bergesgipfel im Sonnenschein! p2b_177.037 Rings grüne Triften und Blumenduft! p2b_177.038 Rings wirbelnde Lerchen und Bergesluft! p2b_177.039 Und als ich wieder zu Thal gewallt, p2b_177.040 Da stieß ich auf eine Leiche bald: p2b_177.041 O weh, er ist's! Tot liegt er hier, p2b_177.042 Der einst der treuste Gefährte mir! p2b_177.043
Da ließ ich graben ein tiefes Grab p2b_177.044 Und senkte die Leiche still hinab, p2b_177.045 Drauf setzt' ich einen Leichenstein p2b_177.046 Und grub die Wort' als Jnschrift drein: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0199" n="177"/> <p><lb n="p2b_177.001"/> Wenn man endlich die Tanzkunst ihrem Ursprunge nach als bewegte <lb n="p2b_177.002"/> Plastik der menschlichen Gestalt, als Ausdruck der Bewegung seelischer Empfindungen <lb n="p2b_177.003"/> auffaßt, ist sie durchaus symbolisch, was sich deutlich genug in allen <lb n="p2b_177.004"/> Nationaltänzen zeigt; die Liebe besonders gelangt in ihren mannigfachen Äußerungsformen <lb n="p2b_177.005"/> zum lebendigen, symbolischen Ausdruck. Wenn freilich, wie in <lb n="p2b_177.006"/> unseren modernen Tänzen, das Bewußtsein vom symbolischen, der Tanzkunst zu <lb n="p2b_177.007"/> Grunde liegenden Charakter verschwunden ist, verflacht sie zu einer mechanischen, <lb n="p2b_177.008"/> nur sinnlich aufregenden Bewegung.</p> <p> <lb n="p2b_177.009"/> <hi rendition="#g">Proben der Allegorie.</hi> </p> <lb n="p2b_177.010"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">Der treue Gefährte, von Anastasius Grün.</hi></hi> </p> <lb n="p2b_177.011"/> <lg> <l> Jch hatt' einst einen Genossen treu,</l> <lb n="p2b_177.012"/> <l>Wo ich war, war er auch dabei;</l> <lb n="p2b_177.013"/> <l>Blieb ich daheim, ging er auch nicht aus,</l> <lb n="p2b_177.014"/> <l>Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.015"/> <l> Er trank aus einem Glas mit mir,</l> <lb n="p2b_177.016"/> <l>Er schlief in einem Bett mit mir,</l> <lb n="p2b_177.017"/> <l>Wir trugen die Kleider nach einem Schnitt,</l> <lb n="p2b_177.018"/> <l>Ja selbst zum Liebchen nahm ich ihn mit. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.019"/> <l> Und als mich's jüngst zu den Bergen zog,</l> <lb n="p2b_177.020"/> <l>Und Stab und Bündel im Arm ich wog,</l> <lb n="p2b_177.021"/> <l>Da sprach der treue Geselle gleich:</l> <lb n="p2b_177.022"/> <l>„Mit Gunsten, Freund, ich geh' mit euch!“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.023"/> <l> Wir wallen still hinaus zum Thor,</l> <lb n="p2b_177.024"/> <l>Die Bäume streben frisch empor,</l> <lb n="p2b_177.025"/> <l>Die Lüfte bringen uns warmen Gruß,</l> <lb n="p2b_177.026"/> <l>Da schüttelt der Freund den Kopf mit Verdruß. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.027"/> <l> Jm Äther jauchzt ein Lerchenchor,</l> <lb n="p2b_177.028"/> <l>Da hält er zugepreßt sein Ohr;</l> <lb n="p2b_177.029"/> <l>Süß duftet dort das Rosengesträuch,</l> <lb n="p2b_177.030"/> <l>Da wird er schwindlig und totenbleich. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.031"/> <l> Und als wir stiegen den Berg hinan,</l> <lb n="p2b_177.032"/> <l>Verlor den Atem der arme Mann;</l> <lb n="p2b_177.033"/> <l>Jch wallt' empor mit leuchtendem Blick,</l> <lb n="p2b_177.034"/> <l>Doch er blieb keuchend unten zurück. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.035"/> <l> Jch aber stand jauchzend ganz allein</l> <lb n="p2b_177.036"/> <l>Am Bergesgipfel im Sonnenschein!</l> <lb n="p2b_177.037"/> <l>Rings grüne Triften und Blumenduft!</l> <lb n="p2b_177.038"/> <l>Rings wirbelnde Lerchen und Bergesluft! </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.039"/> <l> Und als ich wieder zu Thal gewallt,</l> <lb n="p2b_177.040"/> <l>Da stieß ich auf eine Leiche bald:</l> <lb n="p2b_177.041"/> <l>O weh, er ist's! Tot liegt er hier,</l> <lb n="p2b_177.042"/> <l>Der einst der treuste Gefährte mir! </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_177.043"/> <l> Da ließ ich graben ein tiefes Grab</l> <lb n="p2b_177.044"/> <l>Und senkte die Leiche still hinab,</l> <lb n="p2b_177.045"/> <l>Drauf setzt' ich einen Leichenstein</l> <lb n="p2b_177.046"/> <l>Und grub <hi rendition="#g">die</hi> Wort' als Jnschrift drein:</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [177/0199]
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auffaßt, ist sie durchaus symbolisch, was sich deutlich genug in allen p2b_177.004
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unseren modernen Tänzen, das Bewußtsein vom symbolischen, der Tanzkunst zu p2b_177.007
Grunde liegenden Charakter verschwunden ist, verflacht sie zu einer mechanischen, p2b_177.008
nur sinnlich aufregenden Bewegung.
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Proben der Allegorie.
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a. Der treue Gefährte, von Anastasius Grün.
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Und ging ich fort, blieb er nicht zu Haus.
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Doch er blieb keuchend unten zurück.
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Rings wirbelnde Lerchen und Bergesluft!
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Der einst der treuste Gefährte mir!
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Und grub die Wort' als Jnschrift drein:
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/199>, abgerufen am 16.06.2024. |