Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_083.001 Heut' bist du kalt und frostig im weiten Sturmesmeer, p3b_083.002 p3b_083.003Nur die Erinn'rung zaubert dich geistig zu mir her! Sie malet freundlich wieder, was ich mit Schmerz entbehrt, p3b_083.004 p3b_083.005So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert. Einst war es dieser Abend, der viel des Schönen bot, p3b_083.006 p3b_083.007Des Herzens Freude malte mir beide Backen rot. Heut' peitscht der Nord, der eis'ge, ins Angesicht die Flut, p3b_083.008 p3b_083.009Und färbet meine Wangen wie einst mit Purpurglut. Einst winkte mir die Tanne, mit Gaben reich geschmückt, p3b_083.010 p3b_083.011Nach deren dunklen Zweigen ich sehnsuchtsvoll geblickt; Heut' stehen nur drei Masten als Weihnachtsbäume da, p3b_083.012 p3b_083.013Und Silberstangen Eises verzieren jede Rah'. Einst strahlten viele Lichter durchs dunkle Grün am Baum, p3b_083.014 p3b_083.015Heut' schimmern tausend Sterne im weiten Himmelsraum. Mein Auge schaut zur Höhe so starr und unverrückt, p3b_083.016 p3b_083.017Wie es in meiner Jugend den Christbaum angeblickt. So hab' ich alles wieder, was ich mit Schmerz entbehrt, p3b_083.018 So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert. p3b_083.019 Graf Eberhard der Rauschebart. p3b_083.022 Lösung. Von L. Uhland. p3b_083.032Jst denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, - p3b_083.033 p3b_083.036Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang? p3b_083.034 Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz p3b_083.035 Der tapfern Väter Thaten, der alten Waffen Glanz? Man lispelt leichte Liedchen, man spitzt manch Sinngedicht, p3b_083.037
Man höhnt die holden Frauen, des alten Liedes Licht; p3b_083.001 Heut' bist du kalt und frostig im weiten Sturmesmeer, p3b_083.002 p3b_083.003Nur die Erinn'rung zaubert dich geistig zu mir her! Sie malet freundlich wieder, was ich mit Schmerz entbehrt, p3b_083.004 p3b_083.005So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert. Einst war es dieser Abend, der viel des Schönen bot, p3b_083.006 p3b_083.007Des Herzens Freude malte mir beide Backen rot. Heut' peitscht der Nord, der eis'ge, ins Angesicht die Flut, p3b_083.008 p3b_083.009Und färbet meine Wangen wie einst mit Purpurglut. Einst winkte mir die Tanne, mit Gaben reich geschmückt, p3b_083.010 p3b_083.011Nach deren dunklen Zweigen ich sehnsuchtsvoll geblickt; Heut' stehen nur drei Masten als Weihnachtsbäume da, p3b_083.012 p3b_083.013Und Silberstangen Eises verzieren jede Rah'. Einst strahlten viele Lichter durchs dunkle Grün am Baum, p3b_083.014 p3b_083.015Heut' schimmern tausend Sterne im weiten Himmelsraum. Mein Auge schaut zur Höhe so starr und unverrückt, p3b_083.016 p3b_083.017Wie es in meiner Jugend den Christbaum angeblickt. So hab' ich alles wieder, was ich mit Schmerz entbehrt, p3b_083.018 So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert. p3b_083.019 Graf Eberhard der Rauschebart. p3b_083.022 Lösung. Von L. Uhland. p3b_083.032Jst denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, ─ p3b_083.033 p3b_083.036Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang? p3b_083.034 Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz p3b_083.035 Der tapfern Väter Thaten, der alten Waffen Glanz? Man lispelt leichte Liedchen, man spitzt manch Sinngedicht, p3b_083.037
Man höhnt die holden Frauen, des alten Liedes Licht; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0109" n="83"/> <lb n="p3b_083.001"/> <lg> <l>Heut' bist du kalt und frostig im weiten Sturmesmeer,</l> <lb n="p3b_083.002"/> <l>Nur die Erinn'rung zaubert dich geistig zu mir her! </l> </lg> <lb n="p3b_083.003"/> <lg> <l>Sie malet freundlich wieder, was ich mit Schmerz entbehrt,</l> <lb n="p3b_083.004"/> <l>So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert. </l> </lg> <lb n="p3b_083.005"/> <lg> <l>Einst war es dieser Abend, der viel des Schönen bot,</l> <lb n="p3b_083.006"/> <l>Des Herzens Freude malte mir beide Backen rot. </l> </lg> <lb n="p3b_083.007"/> <lg> <l>Heut' peitscht der Nord, der eis'ge, ins Angesicht die Flut,</l> <lb n="p3b_083.008"/> <l>Und färbet meine Wangen wie einst mit Purpurglut. </l> </lg> <lb n="p3b_083.009"/> <lg> <l>Einst winkte mir die Tanne, mit Gaben reich geschmückt,</l> <lb n="p3b_083.010"/> <l>Nach deren dunklen Zweigen ich sehnsuchtsvoll geblickt; </l> </lg> <lb n="p3b_083.011"/> <lg> <l>Heut' stehen nur drei Masten als Weihnachtsbäume da,</l> <lb n="p3b_083.012"/> <l>Und Silberstangen Eises verzieren jede Rah'. </l> </lg> <lb n="p3b_083.013"/> <lg> <l>Einst strahlten viele Lichter durchs dunkle Grün am Baum,</l> <lb n="p3b_083.014"/> <l>Heut' schimmern tausend Sterne im weiten Himmelsraum. </l> </lg> <lb n="p3b_083.015"/> <lg> <l>Mein Auge schaut zur Höhe so starr und unverrückt,</l> <lb n="p3b_083.016"/> <l>Wie es in meiner Jugend den Christbaum angeblickt. </l> </lg> <lb n="p3b_083.017"/> <lg> <l>So hab' ich alles wieder, was ich mit Schmerz entbehrt,</l> <lb n="p3b_083.018"/> <l>So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert.</l> </lg> <p><lb n="p3b_083.019"/><hi rendition="#g">Aufgabe</hi> 2. <hi rendition="#g">Vierzeilige neue Nibelungenstrophe ohne Mittelreim <lb n="p3b_083.020"/> und ohne Anapäst.</hi></p> <lb n="p3b_083.021"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Graf Eberhard der Rauschebart.</hi> </hi> </p> <p><lb n="p3b_083.022"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> 1. Jst denn im Schwabenlande jeglicher Sang verschollen, │ <lb n="p3b_083.023"/> wo doch dereinst die Ritterharfe vom Staufen niederklang? │ Wenn aber der <lb n="p3b_083.024"/> Sang nicht verschollen ist, warum vergißt man, │ die Waffenthaten der tapfern <lb n="p3b_083.025"/> Väter zu rühmen? ‖ 2. Man bildet leichte Liedchen und schreibt Sinngedichte, │ <lb n="p3b_083.026"/> man höhnt die holden Frauen, die doch sonst den Gegenstand des Liedes bildeten; <lb n="p3b_083.027"/> │ die Heldenstoffe, die längst ihres Sängers warten, │ läßt man zur <lb n="p3b_083.028"/> Seite liegen. ‖ 3. So steige denn aus deinem Grabe, │ du alter Rauschebart, <lb n="p3b_083.029"/> mit deinem Heldensohne hervor. │ Noch in deinen alten Tagen schlugst du dich <lb n="p3b_083.030"/> mannhaft, │ durchbrich mit hellem Schwerterklang auch unsere Zeiten. ‖</p> <lb n="p3b_083.031"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung. Von</hi> L. <hi rendition="#g">Uhland.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_083.032"/> <lg> <l>Jst denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, ─</l> <lb n="p3b_083.033"/> <l>Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang?</l> <lb n="p3b_083.034"/> <l>Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz</l> <lb n="p3b_083.035"/> <l>Der tapfern Väter Thaten, der alten Waffen Glanz? </l> </lg> <lb n="p3b_083.036"/> <lg> <l>Man lispelt leichte Liedchen, man spitzt manch Sinngedicht,</l> <lb n="p3b_083.037"/> <l>Man höhnt die holden Frauen, des alten Liedes Licht;</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0109]
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So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert.
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Einst war es dieser Abend, der viel des Schönen bot, p3b_083.006
Des Herzens Freude malte mir beide Backen rot.
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Heut' peitscht der Nord, der eis'ge, ins Angesicht die Flut, p3b_083.008
Und färbet meine Wangen wie einst mit Purpurglut.
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Nach deren dunklen Zweigen ich sehnsuchtsvoll geblickt;
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Heut' stehen nur drei Masten als Weihnachtsbäume da, p3b_083.012
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Einst strahlten viele Lichter durchs dunkle Grün am Baum, p3b_083.014
Heut' schimmern tausend Sterne im weiten Himmelsraum.
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Mein Auge schaut zur Höhe so starr und unverrückt, p3b_083.016
Wie es in meiner Jugend den Christbaum angeblickt.
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So hab' ich alles wieder, was ich mit Schmerz entbehrt, p3b_083.018
So ist mir auch im Meere ein Weihnachtsbaum beschert.
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und ohne Anapäst.
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Graf Eberhard der Rauschebart.
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Stoff. 1. Jst denn im Schwabenlande jeglicher Sang verschollen, │ p3b_083.023
wo doch dereinst die Ritterharfe vom Staufen niederklang? │ Wenn aber der p3b_083.024
Sang nicht verschollen ist, warum vergißt man, │ die Waffenthaten der tapfern p3b_083.025
Väter zu rühmen? ‖ 2. Man bildet leichte Liedchen und schreibt Sinngedichte, │ p3b_083.026
man höhnt die holden Frauen, die doch sonst den Gegenstand des Liedes bildeten; p3b_083.027
│ die Heldenstoffe, die längst ihres Sängers warten, │ läßt man zur p3b_083.028
Seite liegen. ‖ 3. So steige denn aus deinem Grabe, │ du alter Rauschebart, p3b_083.029
mit deinem Heldensohne hervor. │ Noch in deinen alten Tagen schlugst du dich p3b_083.030
mannhaft, │ durchbrich mit hellem Schwerterklang auch unsere Zeiten. ‖
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Lösung. Von L. Uhland.
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Jst denn im Schwabenlande verschollen aller Sang, ─ p3b_083.033
Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang? p3b_083.034
Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz p3b_083.035
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/109>, abgerufen am 14.06.2024. |