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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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selben nahe genug der allmäligen Entwickelung der welt-
geschichtlichen Krise und doch frei von persönlich unange-
nehmen Berührungen. Auf dem kaum eine Tagereise von
Berlin entfernten Gute Cunersdorf nun, wo der Dichter
sich ganz der Botanik und andern Lieblingsstudien widmen
konnte, war es, wo er die Idee zum Peter Schlemihl faßte
und mit rascher Feder ausführte. Die Briefe aus der er-
wähnten Periode in dem ersten Bande von Chamisso's von
dem Unterzeichneten herausgegebener Biographie legen da-
von Zeugniß ab. Die erste Ausgabe der unvergleichlichen
Erzählung erschien mit einer Widmung, die vom 27. Mai
1813 datirt ist, 1814, und hatte sich kaum zu Anfange
des nächsten Jahres 1815 Bahn zu brechen angefangen,
als der Dichter für mehr als drei Jahre, zu seiner Reise
um die Welt, von der der Schlemihl eine merkwürdige
Vorahnung enthält, Deutschland verließ. Schlemihl war
der Abschiedsgruß an dies sein zweites Vaterland, der erste
Grundstein zu dem Bau seines nachmaligen Ruhmes.

Man hat Chamisso oft mit der Frage gequält, was er
mit dem Schlemihl so recht gemeint habe? Oft ergötzte ihn
diese Frage, oft ärgerte sie ihn. Die Wahrheit ist, daß er
wohl eigentlich keine specielle Absicht, deren er sich so be-
wußt gewesen, um davon eine philiströse Rechenschaft zu
geben, dabei gehabt. Das Mährchen entstand, wie jedes
ächt poetische Werk, in ihm mit zwingender Nothwendig-
keit, um seiner selbst willen. "Du hast -- schrieb er an
Hitzig, nachdem er die erste Hand daran gelegt -- jetzt ge-
wiß nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies
es Deiner Frau vor, heute Abend, wenn sie Zeit hat. Ist
sie neugierig zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergan-
gen, und besonders wer der Mann im grauen Kleide war,
so schick' mir gleich morgen das Heft wieder, daß ich daran
weiter schreibe; -- wo nicht -- so weiß ich schon was die

ſelben nahe genug der allmäligen Entwickelung der welt-
geſchichtlichen Kriſe und doch frei von perſönlich unange-
nehmen Berührungen. Auf dem kaum eine Tagereiſe von
Berlin entfernten Gute Cunersdorf nun, wo der Dichter
ſich ganz der Botanik und andern Lieblingsſtudien widmen
konnte, war es, wo er die Idee zum Peter Schlemihl faßte
und mit raſcher Feder ausführte. Die Briefe aus der er-
wähnten Periode in dem erſten Bande von Chamiſſo’s von
dem Unterzeichneten herausgegebener Biographie legen da-
von Zeugniß ab. Die erſte Ausgabe der unvergleichlichen
Erzählung erſchien mit einer Widmung, die vom 27. Mai
1813 datirt iſt, 1814, und hatte ſich kaum zu Anfange
des nächſten Jahres 1815 Bahn zu brechen angefangen,
als der Dichter für mehr als drei Jahre, zu ſeiner Reiſe
um die Welt, von der der Schlemihl eine merkwürdige
Vorahnung enthält, Deutſchland verließ. Schlemihl war
der Abſchiedsgruß an dies ſein zweites Vaterland, der erſte
Grundſtein zu dem Bau ſeines nachmaligen Ruhmes.

Man hat Chamiſſo oft mit der Frage gequält, was er
mit dem Schlemihl ſo recht gemeint habe? Oft ergötzte ihn
dieſe Frage, oft ärgerte ſie ihn. Die Wahrheit iſt, daß er
wohl eigentlich keine ſpecielle Abſicht, deren er ſich ſo be-
wußt geweſen, um davon eine philiſtröſe Rechenſchaft zu
geben, dabei gehabt. Das Mährchen entſtand, wie jedes
ächt poetiſche Werk, in ihm mit zwingender Nothwendig-
keit, um ſeiner ſelbſt willen. 〟Du haſt — ſchrieb er an
Hitzig, nachdem er die erſte Hand daran gelegt — jetzt ge-
wiß nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies
es Deiner Frau vor, heute Abend, wenn ſie Zeit hat. Iſt
ſie neugierig zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergan-
gen, und beſonders wer der Mann im grauen Kleide war,
ſo ſchick’ mir gleich morgen das Heft wieder, daß ich daran
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[IV/0006] ſelben nahe genug der allmäligen Entwickelung der welt- geſchichtlichen Kriſe und doch frei von perſönlich unange- nehmen Berührungen. Auf dem kaum eine Tagereiſe von Berlin entfernten Gute Cunersdorf nun, wo der Dichter ſich ganz der Botanik und andern Lieblingsſtudien widmen konnte, war es, wo er die Idee zum Peter Schlemihl faßte und mit raſcher Feder ausführte. Die Briefe aus der er- wähnten Periode in dem erſten Bande von Chamiſſo’s von dem Unterzeichneten herausgegebener Biographie legen da- von Zeugniß ab. Die erſte Ausgabe der unvergleichlichen Erzählung erſchien mit einer Widmung, die vom 27. Mai 1813 datirt iſt, 1814, und hatte ſich kaum zu Anfange des nächſten Jahres 1815 Bahn zu brechen angefangen, als der Dichter für mehr als drei Jahre, zu ſeiner Reiſe um die Welt, von der der Schlemihl eine merkwürdige Vorahnung enthält, Deutſchland verließ. Schlemihl war der Abſchiedsgruß an dies ſein zweites Vaterland, der erſte Grundſtein zu dem Bau ſeines nachmaligen Ruhmes. Man hat Chamiſſo oft mit der Frage gequält, was er mit dem Schlemihl ſo recht gemeint habe? Oft ergötzte ihn dieſe Frage, oft ärgerte ſie ihn. Die Wahrheit iſt, daß er wohl eigentlich keine ſpecielle Abſicht, deren er ſich ſo be- wußt geweſen, um davon eine philiſtröſe Rechenſchaft zu geben, dabei gehabt. Das Mährchen entſtand, wie jedes ächt poetiſche Werk, in ihm mit zwingender Nothwendig- keit, um ſeiner ſelbſt willen. 〟Du haſt — ſchrieb er an Hitzig, nachdem er die erſte Hand daran gelegt — jetzt ge- wiß nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies es Deiner Frau vor, heute Abend, wenn ſie Zeit hat. Iſt ſie neugierig zu erfahren, wie es Schlemihl weiter ergan- gen, und beſonders wer der Mann im grauen Kleide war, ſo ſchick’ mir gleich morgen das Heft wieder, daß ich daran weiter ſchreibe; — wo nicht — ſo weiß ich ſchon was die

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/6>, abgerufen am 26.04.2024.