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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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loren geben, und dafür Neues erobern. Sie muß
aus ihrer Sphäre entrückt, in eine andere höhere
versetzt werden. Das muß mit einem gewissen Eclat
geschehen, der die Klatschcirkel verblüfft, durch einen
leuchtenden Akt der Anerkennung muß man ihnen auf
den Mund schlagen, daß sie an ihrem Urtheil irre
werden. Und das ist nicht schwer, denn die Menge
murrt zwar über die Vornehmen, richtet ihr Urtheil
aber immer instinctartig nach dem ein, was dort gilt.
Ist das schöne junge Mädchen in den Kreisen, ich
sage nicht retablirt, sondern mit vollen Ehren aufge¬
nommen, wird sie gehätschelt, so sinkt das Urtheil der
Menge über sie von selbst zusammen, und am Ende
schämt sich jeder, der über sie geurtheilt und leugnet
es ab, denn er will doch nicht dümmer erscheinen als
die vornehmen Leute. So argumentirte der Lagations¬
rath, und ich gab mich gefangen, und Deine Eltern
endlich auch. Und hatte der Treffliche nicht Recht?
Ist nun nicht Alles gut? Man reißt sich um Dich.
Bist Du eine andere geworden als damals in der
kleinen Wohnung am Gensd'armenmarkt? Habe ich
Dich besser gemacht, erzogen? Ich bin weit von der
Eitelkeit entfernt, mir das anzumaßen; ich weiß so¬
gar, daß Du ein Character bist, der sich eigentlich
nicht erziehen läßt, der sich aus sich selbst heraus¬
bildet. Was Du nach meinem Willen thust, geschieht
nur aus Dankbarkeit, und Du behältst doch Deinen
Willen. Aber vor der Welt bist Du eine andre, Du
giltst, ich sage nicht für tugendhaft, davon ist nicht

loren geben, und dafür Neues erobern. Sie muß
aus ihrer Sphäre entrückt, in eine andere höhere
verſetzt werden. Das muß mit einem gewiſſen Eclat
geſchehen, der die Klatſchcirkel verblüfft, durch einen
leuchtenden Akt der Anerkennung muß man ihnen auf
den Mund ſchlagen, daß ſie an ihrem Urtheil irre
werden. Und das iſt nicht ſchwer, denn die Menge
murrt zwar über die Vornehmen, richtet ihr Urtheil
aber immer inſtinctartig nach dem ein, was dort gilt.
Iſt das ſchöne junge Mädchen in den Kreiſen, ich
ſage nicht retablirt, ſondern mit vollen Ehren aufge¬
nommen, wird ſie gehätſchelt, ſo ſinkt das Urtheil der
Menge über ſie von ſelbſt zuſammen, und am Ende
ſchämt ſich jeder, der über ſie geurtheilt und leugnet
es ab, denn er will doch nicht dümmer erſcheinen als
die vornehmen Leute. So argumentirte der Lagations¬
rath, und ich gab mich gefangen, und Deine Eltern
endlich auch. Und hatte der Treffliche nicht Recht?
Iſt nun nicht Alles gut? Man reißt ſich um Dich.
Biſt Du eine andere geworden als damals in der
kleinen Wohnung am Gensd'armenmarkt? Habe ich
Dich beſſer gemacht, erzogen? Ich bin weit von der
Eitelkeit entfernt, mir das anzumaßen; ich weiß ſo¬
gar, daß Du ein Character biſt, der ſich eigentlich
nicht erziehen läßt, der ſich aus ſich ſelbſt heraus¬
bildet. Was Du nach meinem Willen thuſt, geſchieht
nur aus Dankbarkeit, und Du behältſt doch Deinen
Willen. Aber vor der Welt biſt Du eine andre, Du
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[50/0060] loren geben, und dafür Neues erobern. Sie muß aus ihrer Sphäre entrückt, in eine andere höhere verſetzt werden. Das muß mit einem gewiſſen Eclat geſchehen, der die Klatſchcirkel verblüfft, durch einen leuchtenden Akt der Anerkennung muß man ihnen auf den Mund ſchlagen, daß ſie an ihrem Urtheil irre werden. Und das iſt nicht ſchwer, denn die Menge murrt zwar über die Vornehmen, richtet ihr Urtheil aber immer inſtinctartig nach dem ein, was dort gilt. Iſt das ſchöne junge Mädchen in den Kreiſen, ich ſage nicht retablirt, ſondern mit vollen Ehren aufge¬ nommen, wird ſie gehätſchelt, ſo ſinkt das Urtheil der Menge über ſie von ſelbſt zuſammen, und am Ende ſchämt ſich jeder, der über ſie geurtheilt und leugnet es ab, denn er will doch nicht dümmer erſcheinen als die vornehmen Leute. So argumentirte der Lagations¬ rath, und ich gab mich gefangen, und Deine Eltern endlich auch. Und hatte der Treffliche nicht Recht? Iſt nun nicht Alles gut? Man reißt ſich um Dich. Biſt Du eine andere geworden als damals in der kleinen Wohnung am Gensd'armenmarkt? Habe ich Dich beſſer gemacht, erzogen? Ich bin weit von der Eitelkeit entfernt, mir das anzumaßen; ich weiß ſo¬ gar, daß Du ein Character biſt, der ſich eigentlich nicht erziehen läßt, der ſich aus ſich ſelbſt heraus¬ bildet. Was Du nach meinem Willen thuſt, geſchieht nur aus Dankbarkeit, und Du behältſt doch Deinen Willen. Aber vor der Welt biſt Du eine andre, Du giltſt, ich ſage nicht für tugendhaft, davon iſt nicht

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/60>, abgerufen am 02.05.2024.