Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

am besten in der Einsamkeit, aber nicht im Zimmer,
ich muß hinaus in die freie Luft, in die stillen
Schatten der Bäume. Unterlasse ich es, dann tritt
gewöhnlich Verstimmung bei mir ein, und je geräusch¬
voller es um mich wird, um so ärger wird sie. Ach,
es liegt ein ungemeiner Segen in dem abgeschlossenen
Umgange mit uns selbst."

Das war viel von einer Fürstin gegen ein jun¬
ges Mädchen, welches keine Ansprüche an ihre Ver¬
traulichkeit hatte, welches sie zum zweiten Mal sah.
Adelheid fühlte das Viele, es drückte sie indeß weder
nieder, noch erhob es sie. Jene hatte wohl Recht:
die auf den isolirten Höhen thronen, fühlen auch das
Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn sie
keine Herzen, Seelen, Geister finden, die sie ver¬
stehen, klagen sie's der sternbesäeten Nacht. Sie
schütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor
den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmor¬
kalten und glatten Menschengesichtern.

Adelheid gestand sich, sie war in diesem Augen¬
blick nur eine Wand, ein Baum, an den die Fürstin
ihr Herz ausschüttete. In der Art lag aber zugleich
eine Correction. Die Königin hatte die Saiten auf
den Ton gestimmt, der im Gespräche durchklingen
sollte, es war ein elegisch-sentimentaler. Er paßte nicht
zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht,
und die in dem belauschten Gespräche neue Nah¬
rung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu
hoch gestimmt gewesen, schwieg sie, in Erwar¬

am beſten in der Einſamkeit, aber nicht im Zimmer,
ich muß hinaus in die freie Luft, in die ſtillen
Schatten der Bäume. Unterlaſſe ich es, dann tritt
gewöhnlich Verſtimmung bei mir ein, und je geräuſch¬
voller es um mich wird, um ſo ärger wird ſie. Ach,
es liegt ein ungemeiner Segen in dem abgeſchloſſenen
Umgange mit uns ſelbſt.“

Das war viel von einer Fürſtin gegen ein jun¬
ges Mädchen, welches keine Anſprüche an ihre Ver¬
traulichkeit hatte, welches ſie zum zweiten Mal ſah.
Adelheid fühlte das Viele, es drückte ſie indeß weder
nieder, noch erhob es ſie. Jene hatte wohl Recht:
die auf den iſolirten Höhen thronen, fühlen auch das
Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn ſie
keine Herzen, Seelen, Geiſter finden, die ſie ver¬
ſtehen, klagen ſie's der ſternbeſäeten Nacht. Sie
ſchütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor
den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmor¬
kalten und glatten Menſchengeſichtern.

Adelheid geſtand ſich, ſie war in dieſem Augen¬
blick nur eine Wand, ein Baum, an den die Fürſtin
ihr Herz ausſchüttete. In der Art lag aber zugleich
eine Correction. Die Königin hatte die Saiten auf
den Ton geſtimmt, der im Geſpräche durchklingen
ſollte, es war ein elegiſch-ſentimentaler. Er paßte nicht
zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht,
und die in dem belauſchten Geſpräche neue Nah¬
rung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu
hoch geſtimmt geweſen, ſchwieg ſie, in Erwar¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0121" n="111"/>
am be&#x017F;ten in der Ein&#x017F;amkeit, aber nicht im Zimmer,<lb/>
ich muß hinaus in die freie Luft, in die &#x017F;tillen<lb/>
Schatten der Bäume. Unterla&#x017F;&#x017F;e ich es, dann tritt<lb/>
gewöhnlich Ver&#x017F;timmung bei mir ein, und je geräu&#x017F;ch¬<lb/>
voller es um mich wird, um &#x017F;o ärger wird &#x017F;ie. Ach,<lb/>
es liegt ein ungemeiner Segen in dem abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Umgange mit uns &#x017F;elb&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das war viel von einer Für&#x017F;tin gegen ein jun¬<lb/>
ges Mädchen, welches keine An&#x017F;prüche an ihre Ver¬<lb/>
traulichkeit hatte, welches &#x017F;ie zum zweiten Mal &#x017F;ah.<lb/>
Adelheid fühlte das Viele, es drückte &#x017F;ie indeß weder<lb/>
nieder, noch erhob es &#x017F;ie. Jene hatte wohl Recht:<lb/>
die auf den i&#x017F;olirten Höhen thronen, fühlen auch das<lb/>
Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn &#x017F;ie<lb/>
keine Herzen, Seelen, Gei&#x017F;ter finden, die &#x017F;ie ver¬<lb/>
&#x017F;tehen, klagen &#x017F;ie's der &#x017F;ternbe&#x017F;äeten Nacht. Sie<lb/>
&#x017F;chütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor<lb/>
den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmor¬<lb/>
kalten und glatten Men&#x017F;chenge&#x017F;ichtern.</p><lb/>
        <p>Adelheid ge&#x017F;tand &#x017F;ich, &#x017F;ie war in die&#x017F;em Augen¬<lb/>
blick nur eine Wand, ein Baum, an den die Für&#x017F;tin<lb/>
ihr Herz aus&#x017F;chüttete. In der Art lag aber zugleich<lb/>
eine Correction. Die Königin hatte die Saiten auf<lb/>
den Ton ge&#x017F;timmt, der im Ge&#x017F;präche durchklingen<lb/>
&#x017F;ollte, es war ein elegi&#x017F;ch-&#x017F;entimentaler. Er paßte nicht<lb/>
zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht,<lb/>
und die in dem belau&#x017F;chten Ge&#x017F;präche neue Nah¬<lb/>
rung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu<lb/>
hoch ge&#x017F;timmt gewe&#x017F;en, &#x017F;chwieg &#x017F;ie, in Erwar¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0121] am beſten in der Einſamkeit, aber nicht im Zimmer, ich muß hinaus in die freie Luft, in die ſtillen Schatten der Bäume. Unterlaſſe ich es, dann tritt gewöhnlich Verſtimmung bei mir ein, und je geräuſch¬ voller es um mich wird, um ſo ärger wird ſie. Ach, es liegt ein ungemeiner Segen in dem abgeſchloſſenen Umgange mit uns ſelbſt.“ Das war viel von einer Fürſtin gegen ein jun¬ ges Mädchen, welches keine Anſprüche an ihre Ver¬ traulichkeit hatte, welches ſie zum zweiten Mal ſah. Adelheid fühlte das Viele, es drückte ſie indeß weder nieder, noch erhob es ſie. Jene hatte wohl Recht: die auf den iſolirten Höhen thronen, fühlen auch das Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn ſie keine Herzen, Seelen, Geiſter finden, die ſie ver¬ ſtehen, klagen ſie's der ſternbeſäeten Nacht. Sie ſchütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmor¬ kalten und glatten Menſchengeſichtern. Adelheid geſtand ſich, ſie war in dieſem Augen¬ blick nur eine Wand, ein Baum, an den die Fürſtin ihr Herz ausſchüttete. In der Art lag aber zugleich eine Correction. Die Königin hatte die Saiten auf den Ton geſtimmt, der im Geſpräche durchklingen ſollte, es war ein elegiſch-ſentimentaler. Er paßte nicht zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht, und die in dem belauſchten Geſpräche neue Nah¬ rung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu hoch geſtimmt geweſen, ſchwieg ſie, in Erwar¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/121
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/121>, abgerufen am 30.04.2024.