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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gipfel der Macht in die frierende Entbehrung verstoßen -- wie Viele hatten schon im Kampf mit Raubthieren, mit Hunger und Kälte ihr klägliches Leben geendet. Statt in der mit Sammet und Gold verschlagenen Halle, von Kerzenduft umhüllt, lag ihr gefrorner Leichnam in einer schlecht gezimmerten Bretterscheune und wartete Monate lang, bis die Erde aufthaute, die müden Glieder zu empfangen. Er dachte an Mentschikow's Töchter, an wie vieler anderer Gewaltigen, wie sie die Pelze um den todten Vater, Bruder, Gatten hüllten, einen letzten, ohnmächtigen Liebesdienst dem Dahingegangenen. -- Ein Glück! sprach er, daß ich nicht verheirathet bin. Um mich wird keine Thräne unnöthig fließen. Man kann mich, wenn ich ausgeathmet, zum Fenster hinauswerfen, und die Wölfe sorgen, daß meine Leiche keinem Lebensfrohen ein Aergerniß wird.

Schon war ein zweiter, ein dritter Tag verstrichen. Man hatte ihn mit dem, was zur Nothdurft des Lebens gehört, versorgt. Er fand regelmäßig beim Erwachen aus dem unruhigen, unbequemen Schlafe die Nahrungsmittel in einem Korbe hingestellt. Im Verlauf der Reise legten seine Wächter von der anfänglich beobachteten Scheu etwas ab, und man reichte ihm auch im Wachen, was er bedurfte, in die Kutsche. Anfänglich ließ man ihn nur des Nachts aussteigen, später geschah es wohl auch des Tages, immer jedoch nur in der Mitte dichter Wälder, oder auf öden weiten Ebenen, wo kein lebendes Wesen, kein Kirchthurm sich dem Auge zeigte. Biswei-

Gipfel der Macht in die frierende Entbehrung verstoßen — wie Viele hatten schon im Kampf mit Raubthieren, mit Hunger und Kälte ihr klägliches Leben geendet. Statt in der mit Sammet und Gold verschlagenen Halle, von Kerzenduft umhüllt, lag ihr gefrorner Leichnam in einer schlecht gezimmerten Bretterscheune und wartete Monate lang, bis die Erde aufthaute, die müden Glieder zu empfangen. Er dachte an Mentschikow's Töchter, an wie vieler anderer Gewaltigen, wie sie die Pelze um den todten Vater, Bruder, Gatten hüllten, einen letzten, ohnmächtigen Liebesdienst dem Dahingegangenen. — Ein Glück! sprach er, daß ich nicht verheirathet bin. Um mich wird keine Thräne unnöthig fließen. Man kann mich, wenn ich ausgeathmet, zum Fenster hinauswerfen, und die Wölfe sorgen, daß meine Leiche keinem Lebensfrohen ein Aergerniß wird.

Schon war ein zweiter, ein dritter Tag verstrichen. Man hatte ihn mit dem, was zur Nothdurft des Lebens gehört, versorgt. Er fand regelmäßig beim Erwachen aus dem unruhigen, unbequemen Schlafe die Nahrungsmittel in einem Korbe hingestellt. Im Verlauf der Reise legten seine Wächter von der anfänglich beobachteten Scheu etwas ab, und man reichte ihm auch im Wachen, was er bedurfte, in die Kutsche. Anfänglich ließ man ihn nur des Nachts aussteigen, später geschah es wohl auch des Tages, immer jedoch nur in der Mitte dichter Wälder, oder auf öden weiten Ebenen, wo kein lebendes Wesen, kein Kirchthurm sich dem Auge zeigte. Biswei-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/90>, abgerufen am 29.04.2024.