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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mein junger Freund, die Ehe ist ein durch und durch praktisches Institut.

Sie dächten wirklich daran, Fraulein von Halden --

Zu heirathen, ja. Es ist wahr, sie hat kein Vermögen, und das hat mich einen Augenblick zweifelhaft gemacht. Aber grade darum ist es zugleich ein gutes Werk. Ihr Vater wird es mir im Himmel Dank wissen, falls es überhaupt eine Fortdauer nach dem Tode giebt, was ich für ungewiß halte.

Aber bedenken Sie den Abstand -- der Jahre, wollt' sich sagen, fürchtete aber den Amtmann zu beleidigen.

Welchen Abstand? fragte er verächtlich. Sie meinen wohl ihren Adel? -- Nun das Vorurtheil sind wir zum Glück auch durch die Franzosen losgeworden. Vor der Hand leben wir noch im Königreich Westphalen, wo es den Unsinn von Standesunterschieden nicht giebt. Bürgerliche Gleichheit, heiliges Palladium der menschlichen Gesellschaft!

Er blickte wie verklärt um sich: Ja, mein Herr, noch besitzen wir es, dieses werthvollste Gut des Staatsbürgers. Noch haben es uns Ihre preußischen "Freiheitskämpfer" nicht wieder entrissen.

Wie können Sie glauben, rief ich entrüstet, daß ich die Wiederkehr der alten Mißbräuche wünschte! -- Ich meinte auch keineswegs diese Bedenken -- ich wollte sagen -- ich dachte an die nahe Verwandtschaft.

Darüber seien Sie außer Sorge. Das Fräulein ist nicht meine leibliche Nichte, sondern lediglich die meiner verstorbenen Frau -- Gott habe sie selig! Als künftiger Prediger sollten Sie wissen, daß ein solches Verhältniß kein Ehehinderniß ist. Mein Advocat hat mich längst über diesen Punkt aufgeklärt.

Ich weiß das, versetzte ich ein wenig piquirt; trotzdem widerspricht eine solche Ehe unserm Gefühle --

Dem Ihrigen vielleicht -- dem meinigen nicht, und darauf kommt es lediglich an.

mein junger Freund, die Ehe ist ein durch und durch praktisches Institut.

Sie dächten wirklich daran, Fraulein von Halden —

Zu heirathen, ja. Es ist wahr, sie hat kein Vermögen, und das hat mich einen Augenblick zweifelhaft gemacht. Aber grade darum ist es zugleich ein gutes Werk. Ihr Vater wird es mir im Himmel Dank wissen, falls es überhaupt eine Fortdauer nach dem Tode giebt, was ich für ungewiß halte.

Aber bedenken Sie den Abstand — der Jahre, wollt' sich sagen, fürchtete aber den Amtmann zu beleidigen.

Welchen Abstand? fragte er verächtlich. Sie meinen wohl ihren Adel? — Nun das Vorurtheil sind wir zum Glück auch durch die Franzosen losgeworden. Vor der Hand leben wir noch im Königreich Westphalen, wo es den Unsinn von Standesunterschieden nicht giebt. Bürgerliche Gleichheit, heiliges Palladium der menschlichen Gesellschaft!

Er blickte wie verklärt um sich: Ja, mein Herr, noch besitzen wir es, dieses werthvollste Gut des Staatsbürgers. Noch haben es uns Ihre preußischen „Freiheitskämpfer“ nicht wieder entrissen.

Wie können Sie glauben, rief ich entrüstet, daß ich die Wiederkehr der alten Mißbräuche wünschte! — Ich meinte auch keineswegs diese Bedenken — ich wollte sagen — ich dachte an die nahe Verwandtschaft.

Darüber seien Sie außer Sorge. Das Fräulein ist nicht meine leibliche Nichte, sondern lediglich die meiner verstorbenen Frau — Gott habe sie selig! Als künftiger Prediger sollten Sie wissen, daß ein solches Verhältniß kein Ehehinderniß ist. Mein Advocat hat mich längst über diesen Punkt aufgeklärt.

Ich weiß das, versetzte ich ein wenig piquirt; trotzdem widerspricht eine solche Ehe unserm Gefühle —

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[0054] mein junger Freund, die Ehe ist ein durch und durch praktisches Institut. Sie dächten wirklich daran, Fraulein von Halden — Zu heirathen, ja. Es ist wahr, sie hat kein Vermögen, und das hat mich einen Augenblick zweifelhaft gemacht. Aber grade darum ist es zugleich ein gutes Werk. Ihr Vater wird es mir im Himmel Dank wissen, falls es überhaupt eine Fortdauer nach dem Tode giebt, was ich für ungewiß halte. Aber bedenken Sie den Abstand — der Jahre, wollt' sich sagen, fürchtete aber den Amtmann zu beleidigen. Welchen Abstand? fragte er verächtlich. Sie meinen wohl ihren Adel? — Nun das Vorurtheil sind wir zum Glück auch durch die Franzosen losgeworden. Vor der Hand leben wir noch im Königreich Westphalen, wo es den Unsinn von Standesunterschieden nicht giebt. Bürgerliche Gleichheit, heiliges Palladium der menschlichen Gesellschaft! Er blickte wie verklärt um sich: Ja, mein Herr, noch besitzen wir es, dieses werthvollste Gut des Staatsbürgers. Noch haben es uns Ihre preußischen „Freiheitskämpfer“ nicht wieder entrissen. Wie können Sie glauben, rief ich entrüstet, daß ich die Wiederkehr der alten Mißbräuche wünschte! — Ich meinte auch keineswegs diese Bedenken — ich wollte sagen — ich dachte an die nahe Verwandtschaft. Darüber seien Sie außer Sorge. Das Fräulein ist nicht meine leibliche Nichte, sondern lediglich die meiner verstorbenen Frau — Gott habe sie selig! Als künftiger Prediger sollten Sie wissen, daß ein solches Verhältniß kein Ehehinderniß ist. Mein Advocat hat mich längst über diesen Punkt aufgeklärt. Ich weiß das, versetzte ich ein wenig piquirt; trotzdem widerspricht eine solche Ehe unserm Gefühle — Dem Ihrigen vielleicht — dem meinigen nicht, und darauf kommt es lediglich an.

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/54>, abgerufen am 30.04.2024.