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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808.

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Und da des Zwergleins Mutter
Die Jungfrau recht ansah:
"Geh führ sie wieder geschwinde,
"Da du sie funden hast.
"Du schaffst gros Jammer und gros Noth,
"Eh morgen der Tag hergehet,
"So sind drey Menschen todt."
Er nahm sie bey den Händen,
Bey der schneeweissen Hand,
Er führt sie an das Ende,
Wo er sie funden hat.
Da lag der Ritter verwundet in Tod,
Da stand die schöne Jungfraue,
Ihr Herz litt grosse Noth.
Sie zog aus seinem Herzen
Das Schwerdt und stieß es in sich:
"Und hat es dich erstochen,
"So stech ichs auch in mich;
"Es soll nun nimmer kein Königs Kind
"Um meinetwillen sterben,
"Sich morden mehr um mich."
Und da es morgen taget,
Der Wächter hub an und sang:
"So ward mir nie kein Jahre,
"Kein Nacht noch nie so lang,
"Denn diese Nacht wollt nicht vergehn.
"O reicher Christ vom Himmel,
"Wie wird es mir ergehn."

Und da des Zwergleins Mutter
Die Jungfrau recht anſah:
„Geh fuͤhr ſie wieder geſchwinde,
„Da du ſie funden haſt.
„Du ſchaffſt gros Jammer und gros Noth,
„Eh morgen der Tag hergehet,
„So ſind drey Menſchen todt.“
Er nahm ſie bey den Haͤnden,
Bey der ſchneeweiſſen Hand,
Er fuͤhrt ſie an das Ende,
Wo er ſie funden hat.
Da lag der Ritter verwundet in Tod,
Da ſtand die ſchoͤne Jungfraue,
Ihr Herz litt groſſe Noth.
Sie zog aus ſeinem Herzen
Das Schwerdt und ſtieß es in ſich:
„Und hat es dich erſtochen,
„So ſtech ichs auch in mich;
„Es ſoll nun nimmer kein Koͤnigs Kind
„Um meinetwillen ſterben,
„Sich morden mehr um mich.“
Und da es morgen taget,
Der Waͤchter hub an und ſang:
„So ward mir nie kein Jahre,
„Kein Nacht noch nie ſo lang,
„Denn dieſe Nacht wollt nicht vergehn.
„O reicher Chriſt vom Himmel,
„Wie wird es mir ergehn.“

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[246/0258] Und da des Zwergleins Mutter Die Jungfrau recht anſah: „Geh fuͤhr ſie wieder geſchwinde, „Da du ſie funden haſt. „Du ſchaffſt gros Jammer und gros Noth, „Eh morgen der Tag hergehet, „So ſind drey Menſchen todt.“ Er nahm ſie bey den Haͤnden, Bey der ſchneeweiſſen Hand, Er fuͤhrt ſie an das Ende, Wo er ſie funden hat. Da lag der Ritter verwundet in Tod, Da ſtand die ſchoͤne Jungfraue, Ihr Herz litt groſſe Noth. Sie zog aus ſeinem Herzen Das Schwerdt und ſtieß es in ſich: „Und hat es dich erſtochen, „So ſtech ichs auch in mich; „Es ſoll nun nimmer kein Koͤnigs Kind „Um meinetwillen ſterben, „Sich morden mehr um mich.“ Und da es morgen taget, Der Waͤchter hub an und ſang: „So ward mir nie kein Jahre, „Kein Nacht noch nie ſo lang, „Denn dieſe Nacht wollt nicht vergehn. „O reicher Chriſt vom Himmel, „Wie wird es mir ergehn.“

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn02_1808/258>, abgerufen am 26.04.2024.