Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

O Goethe! -- der Gott da oben ist ein großer
Dichter, der bildet Geschicke frei im Äther schwebend,
glanzvoller Gestalt. Unser armes Herz das ist der Mut-
terschooß, aus dem er sie mit großen Schmerzen gebo-
ren werden lässet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge-
schicke schwingen sich aufwärts, freudig hallen sie wieder
in den himmlischen Räumen. -- Deine Lieder sind der
Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, -- ich
fühl's, mag sich's wenden wie es auch will, frei von
irdischer Schwere wird es als himmlisches Gedicht einst
aufwärts sich schwingen, und dem Gott da oben wer-
den diese Schmerzen und diese Sehnsucht und diese be-
geisterten Schwingungen Sprossen des jungen Lorbeers
weihen, und selig wird das Herz sein, das solche Schmer-
zen getragen hat.

Siehst Du, wie ich heute ernsthaft mit Dir zu
sprechen versteh'? -- ernster als je; und weil Du jung
bist, und herrlich, und herrlicher wie alle, so wirst Du
mich auch verstehen. -- Ich bin ganz sanft gewor-
den durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Men-
schen, mit Musik und Büchern herum, und Abends,
wenn ich müde bin und will schlafen, da rauscht die
Fluth meiner Liebe mir gewaltsam in's Herz. Da seh'
ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das

O Goethe! — der Gott da oben iſt ein großer
Dichter, der bildet Geſchicke frei im Äther ſchwebend,
glanzvoller Geſtalt. Unſer armes Herz das iſt der Mut-
terſchooß, aus dem er ſie mit großen Schmerzen gebo-
ren werden läſſet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge-
ſchicke ſchwingen ſich aufwärts, freudig hallen ſie wieder
in den himmliſchen Räumen. — Deine Lieder ſind der
Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, — ich
fühl's, mag ſich's wenden wie es auch will, frei von
irdiſcher Schwere wird es als himmliſches Gedicht einſt
aufwärts ſich ſchwingen, und dem Gott da oben wer-
den dieſe Schmerzen und dieſe Sehnſucht und dieſe be-
geiſterten Schwingungen Sproſſen des jungen Lorbeers
weihen, und ſelig wird das Herz ſein, das ſolche Schmer-
zen getragen hat.

Siehſt Du, wie ich heute ernſthaft mit Dir zu
ſprechen verſteh'? — ernſter als je; und weil Du jung
biſt, und herrlich, und herrlicher wie alle, ſo wirſt Du
mich auch verſtehen. — Ich bin ganz ſanft gewor-
den durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Men-
ſchen, mit Muſik und Büchern herum, und Abends,
wenn ich müde bin und will ſchlafen, da rauſcht die
Fluth meiner Liebe mir gewaltſam in's Herz. Da ſeh'
ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0191" n="159"/>
          <p>O Goethe! &#x2014; der Gott da oben i&#x017F;t ein großer<lb/>
Dichter, der bildet Ge&#x017F;chicke frei im Äther &#x017F;chwebend,<lb/>
glanzvoller Ge&#x017F;talt. Un&#x017F;er armes Herz das i&#x017F;t der Mut-<lb/>
ter&#x017F;chooß, aus dem er &#x017F;ie mit großen Schmerzen gebo-<lb/>
ren werden lä&#x017F;&#x017F;et; das Herz verzweifelt, aber jene Ge-<lb/>
&#x017F;chicke &#x017F;chwingen &#x017F;ich aufwärts, freudig hallen &#x017F;ie wieder<lb/>
in den himmli&#x017F;chen Räumen. &#x2014; Deine Lieder &#x017F;ind der<lb/>
Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, &#x2014; ich<lb/>
fühl's, mag &#x017F;ich's wenden wie es auch will, frei von<lb/>
irdi&#x017F;cher Schwere wird es als himmli&#x017F;ches Gedicht ein&#x017F;t<lb/>
aufwärts &#x017F;ich &#x017F;chwingen, und dem Gott da oben wer-<lb/>
den die&#x017F;e Schmerzen und die&#x017F;e Sehn&#x017F;ucht und die&#x017F;e be-<lb/>
gei&#x017F;terten Schwingungen Spro&#x017F;&#x017F;en des jungen Lorbeers<lb/>
weihen, und &#x017F;elig wird das Herz &#x017F;ein, das &#x017F;olche Schmer-<lb/>
zen getragen hat.</p><lb/>
          <p>Sieh&#x017F;t Du, wie ich heute ern&#x017F;thaft mit Dir zu<lb/>
&#x017F;prechen ver&#x017F;teh'? &#x2014; ern&#x017F;ter als je; und weil Du jung<lb/>
bi&#x017F;t, und herrlich, und herrlicher wie alle, &#x017F;o wir&#x017F;t Du<lb/>
mich auch ver&#x017F;tehen. &#x2014; Ich bin ganz &#x017F;anft gewor-<lb/>
den durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Men-<lb/>
&#x017F;chen, mit Mu&#x017F;ik und Büchern herum, und Abends,<lb/>
wenn ich müde bin und will &#x017F;chlafen, da rau&#x017F;cht die<lb/>
Fluth meiner Liebe mir gewalt&#x017F;am in's Herz. Da &#x017F;eh'<lb/>
ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0191] O Goethe! — der Gott da oben iſt ein großer Dichter, der bildet Geſchicke frei im Äther ſchwebend, glanzvoller Geſtalt. Unſer armes Herz das iſt der Mut- terſchooß, aus dem er ſie mit großen Schmerzen gebo- ren werden läſſet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge- ſchicke ſchwingen ſich aufwärts, freudig hallen ſie wieder in den himmliſchen Räumen. — Deine Lieder ſind der Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, — ich fühl's, mag ſich's wenden wie es auch will, frei von irdiſcher Schwere wird es als himmliſches Gedicht einſt aufwärts ſich ſchwingen, und dem Gott da oben wer- den dieſe Schmerzen und dieſe Sehnſucht und dieſe be- geiſterten Schwingungen Sproſſen des jungen Lorbeers weihen, und ſelig wird das Herz ſein, das ſolche Schmer- zen getragen hat. Siehſt Du, wie ich heute ernſthaft mit Dir zu ſprechen verſteh'? — ernſter als je; und weil Du jung biſt, und herrlich, und herrlicher wie alle, ſo wirſt Du mich auch verſtehen. — Ich bin ganz ſanft gewor- den durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Men- ſchen, mit Muſik und Büchern herum, und Abends, wenn ich müde bin und will ſchlafen, da rauſcht die Fluth meiner Liebe mir gewaltſam in's Herz. Da ſeh' ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/191
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/191>, abgerufen am 03.05.2024.