Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

hin, so wie sie vom Sturm gebrochen ist, und erblaßt
mit ihr und stirbt mit ihr, und wenn er dann wieder
auflebt, so ist er neu geboren in schönerer Jugend. --
Durch deinen Genius, Goethe. Dies sag ich Dir von
dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtschaften.

Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein
Buch zu lesen, das mir erst vor wenig Tagen in die
Hände kam. Du kannst Dir denken daß in dieser Nacht
eine ganze Welt sich durch meine Seele drängte. Ich
fühle, daß man nur bei Dir Balsam für die Wunde
holen kann, die Du schlägst; denn als am andern Mor-
gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da
wußte ich ja daß Du lebst, und auch für mich; ich
fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei-
ner Liebe zu würdigen. Dies Buch ist ein sturmerregtes
Meer, da die Wellen drohend an mein Herz schlagen,
mich zu zermalmen. Dein Brief ist das liebliche Ufer,
wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja sogar mit
Wohlbehagen übersehe.

Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon
lange geahnt, jene Venus ist dem brausenden Meer dei-
ner Leidenschaft entstiegen, und nachdem sie eine Saat
von Thränenperlen ausgesäet, da verschwindet sie wie-
der in überirdischem Glanz. Du bist gewaltig, Du

hin, ſo wie ſie vom Sturm gebrochen iſt, und erblaßt
mit ihr und ſtirbt mit ihr, und wenn er dann wieder
auflebt, ſo iſt er neu geboren in ſchönerer Jugend. —
Durch deinen Genius, Goethe. Dies ſag ich Dir von
dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtſchaften.

Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein
Buch zu leſen, das mir erſt vor wenig Tagen in die
Hände kam. Du kannſt Dir denken daß in dieſer Nacht
eine ganze Welt ſich durch meine Seele drängte. Ich
fühle, daß man nur bei Dir Balſam für die Wunde
holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Mor-
gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da
wußte ich ja daß Du lebſt, und auch für mich; ich
fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei-
ner Liebe zu würdigen. Dies Buch iſt ein ſturmerregtes
Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen,
mich zu zermalmen. Dein Brief iſt das liebliche Ufer,
wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja ſogar mit
Wohlbehagen überſehe.

Du biſt in ſie verliebt, Goethe, es hat mir ſchon
lange geahnt, jene Venus iſt dem brauſenden Meer dei-
ner Leidenſchaft entſtiegen, und nachdem ſie eine Saat
von Thränenperlen ausgeſäet, da verſchwindet ſie wie-
der in überirdiſchem Glanz. Du biſt gewaltig, Du

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="135"/>
hin, &#x017F;o wie &#x017F;ie vom Sturm gebrochen i&#x017F;t, und erblaßt<lb/>
mit ihr und &#x017F;tirbt mit ihr, und wenn er dann wieder<lb/>
auflebt, &#x017F;o i&#x017F;t er neu geboren in &#x017F;chönerer Jugend. &#x2014;<lb/>
Durch <hi rendition="#g">deinen</hi> Genius, Goethe. Dies &#x017F;ag ich Dir von<lb/>
dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandt&#x017F;chaften.</p><lb/>
          <p>Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein<lb/>
Buch zu le&#x017F;en, das mir er&#x017F;t vor wenig Tagen in die<lb/>
Hände kam. Du kann&#x017F;t Dir denken daß in die&#x017F;er Nacht<lb/>
eine ganze Welt &#x017F;ich durch meine Seele drängte. Ich<lb/>
fühle, daß man nur bei Dir Bal&#x017F;am für die Wunde<lb/>
holen kann, die Du &#x017F;chläg&#x017F;t; denn als am andern Mor-<lb/>
gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da<lb/>
wußte ich ja daß Du leb&#x017F;t, und auch für mich; ich<lb/>
fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei-<lb/>
ner Liebe zu würdigen. Dies Buch i&#x017F;t ein &#x017F;turmerregtes<lb/>
Meer, da die Wellen drohend an mein Herz &#x017F;chlagen,<lb/>
mich zu zermalmen. Dein Brief i&#x017F;t das liebliche Ufer,<lb/>
wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja &#x017F;ogar mit<lb/>
Wohlbehagen über&#x017F;ehe.</p><lb/>
          <p>Du bi&#x017F;t in &#x017F;ie verliebt, Goethe, es hat mir &#x017F;chon<lb/>
lange geahnt, jene Venus i&#x017F;t dem brau&#x017F;enden Meer dei-<lb/>
ner Leiden&#x017F;chaft ent&#x017F;tiegen, und nachdem &#x017F;ie eine Saat<lb/>
von Thränenperlen ausge&#x017F;äet, da ver&#x017F;chwindet &#x017F;ie wie-<lb/>
der in überirdi&#x017F;chem Glanz. Du bi&#x017F;t gewaltig, Du<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0145] hin, ſo wie ſie vom Sturm gebrochen iſt, und erblaßt mit ihr und ſtirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auflebt, ſo iſt er neu geboren in ſchönerer Jugend. — Durch deinen Genius, Goethe. Dies ſag ich Dir von dem Eindruck jenes Buchs: die Wahlverwandtſchaften. Eine helle Mondnacht hab ich durchwacht, um dein Buch zu leſen, das mir erſt vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannſt Dir denken daß in dieſer Nacht eine ganze Welt ſich durch meine Seele drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir Balſam für die Wunde holen kann, die Du ſchlägſt; denn als am andern Mor- gen dein Brief kam mit allen Zeichen deiner Güte, da wußte ich ja daß Du lebſt, und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich dei- ner Liebe zu würdigen. Dies Buch iſt ein ſturmerregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz ſchlagen, mich zu zermalmen. Dein Brief iſt das liebliche Ufer, wo ich lande, und alle Gefahr mit Ruhe, ja ſogar mit Wohlbehagen überſehe. Du biſt in ſie verliebt, Goethe, es hat mir ſchon lange geahnt, jene Venus iſt dem brauſenden Meer dei- ner Leidenſchaft entſtiegen, und nachdem ſie eine Saat von Thränenperlen ausgeſäet, da verſchwindet ſie wie- der in überirdiſchem Glanz. Du biſt gewaltig, Du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/145
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/145>, abgerufen am 26.04.2024.