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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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im Schlaf unruhig ward, klingelten und rasselten sie
heftig, damit er bei dem Aufwachen gleich den Traum
vergessen möge; einmal hatte der Vater ihn auf dem
Arm und ließ ihn in den Mond sehen, da fiel er plötz-
lich wie von etwas erschüttert zurück, und gerieth so au-
ßer sich, daß ihm der Vater Luft einblasen mußte, da-
mit er nicht ersticke. -- Diese kleinen Zufälle würde ich
in einem Zeitraum von sechzig Jahren vergessen haben,
sagte die Mutter, wenn nicht sein fortwährendes Leben
mir dies alles geheiligt hatte; denn soll ich die Vorse-
hung nicht anbeten, wenn ich bedenke, daß ein Leben
damals von einem Lufthauch abhing, das sich jetzt in
tausend Herzen befestigt hat? -- und mir ist es nun
gar das einzige, denn Du kannst wohl denken Bettine,
daß Weltbegebenheiten mich nicht sehr anfechten, daß
Gesellschaften mich nicht erfüllen. Hier in meiner Ein-
samkeit, wo ich die Tage nach einander zähle, und kei-
ner vergeht, daß ich nicht meines Sohnes gedenke, und
alles ist mir wie Gold.

Er spielte nicht gern mit kleinen Kindern, sie muß-
ten denn sehr schön sein. In einer Gesellschaft fing er
plötzlich an zu weinen und schrie: das schwarze Kind
soll hinaus, das kann ich nicht leiden, er hörte auch
nicht auf mit Weinen bis er nach Haus kam, wo ihn

im Schlaf unruhig ward, klingelten und raſſelten ſie
heftig, damit er bei dem Aufwachen gleich den Traum
vergeſſen möge; einmal hatte der Vater ihn auf dem
Arm und ließ ihn in den Mond ſehen, da fiel er plötz-
lich wie von etwas erſchüttert zurück, und gerieth ſo au-
ßer ſich, daß ihm der Vater Luft einblaſen mußte, da-
mit er nicht erſticke. — Dieſe kleinen Zufälle würde ich
in einem Zeitraum von ſechzig Jahren vergeſſen haben,
ſagte die Mutter, wenn nicht ſein fortwährendes Leben
mir dies alles geheiligt hatte; denn ſoll ich die Vorſe-
hung nicht anbeten, wenn ich bedenke, daß ein Leben
damals von einem Lufthauch abhing, das ſich jetzt in
tauſend Herzen befeſtigt hat? — und mir iſt es nun
gar das einzige, denn Du kannſt wohl denken Bettine,
daß Weltbegebenheiten mich nicht ſehr anfechten, daß
Geſellſchaften mich nicht erfüllen. Hier in meiner Ein-
ſamkeit, wo ich die Tage nach einander zähle, und kei-
ner vergeht, daß ich nicht meines Sohnes gedenke, und
alles iſt mir wie Gold.

Er ſpielte nicht gern mit kleinen Kindern, ſie muß-
ten denn ſehr ſchön ſein. In einer Geſellſchaft fing er
plötzlich an zu weinen und ſchrie: das ſchwarze Kind
ſoll hinaus, das kann ich nicht leiden, er hörte auch
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[248/0258] im Schlaf unruhig ward, klingelten und raſſelten ſie heftig, damit er bei dem Aufwachen gleich den Traum vergeſſen möge; einmal hatte der Vater ihn auf dem Arm und ließ ihn in den Mond ſehen, da fiel er plötz- lich wie von etwas erſchüttert zurück, und gerieth ſo au- ßer ſich, daß ihm der Vater Luft einblaſen mußte, da- mit er nicht erſticke. — Dieſe kleinen Zufälle würde ich in einem Zeitraum von ſechzig Jahren vergeſſen haben, ſagte die Mutter, wenn nicht ſein fortwährendes Leben mir dies alles geheiligt hatte; denn ſoll ich die Vorſe- hung nicht anbeten, wenn ich bedenke, daß ein Leben damals von einem Lufthauch abhing, das ſich jetzt in tauſend Herzen befeſtigt hat? — und mir iſt es nun gar das einzige, denn Du kannſt wohl denken Bettine, daß Weltbegebenheiten mich nicht ſehr anfechten, daß Geſellſchaften mich nicht erfüllen. Hier in meiner Ein- ſamkeit, wo ich die Tage nach einander zähle, und kei- ner vergeht, daß ich nicht meines Sohnes gedenke, und alles iſt mir wie Gold. Er ſpielte nicht gern mit kleinen Kindern, ſie muß- ten denn ſehr ſchön ſein. In einer Geſellſchaft fing er plötzlich an zu weinen und ſchrie: das ſchwarze Kind ſoll hinaus, das kann ich nicht leiden, er hörte auch nicht auf mit Weinen bis er nach Haus kam, wo ihn

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/258>, abgerufen am 26.04.2024.