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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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lich die Begeistrung der Begeistrung. -- Ich fühlte mich
wie in einer Wolke gebettet aufwärts schwebend, eine
göttliche Gewalt trieb diese Wolke entgegen dem Er-
sehnten und zwar in der Verklärung seines eignen Wer-
kes welche schönere Apotheose seiner Einwirkung auf mich,
war zu erleben? -- so waren denn alle Schmerzen der
Sehnsucht gelöst in freudiges Flügelrauschen des Gei-
stes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne
zuwinkt, ohne sich empor zu schwingen, und im Gefühl
seiner Kraft sie auf ihre Bahn zu verfolgen sich genü-
gen läßt: so war ich, heiter und froh. -- Ich ging zu
Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquik-
kender Gewitterregen.

So ist von jeher und bis auf die heutige Stunde
alles unbefriedigte Begehren durch Kunstgefühl aufgelöst
worden. Jedes in der heiligen Natur begründete sinn-
liche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenschaft steigert sich
schon hier zu der Sehnsucht, überzugehen in eine höhere
Welt, wo das Sinnliche auch Geist wird.


Ich danke Dir Freund, daß ich Dir alles sagen
darf, unter allen Menschen weiß ich keinen zweiten, dem
ich diese Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht

lich die Begeiſtrung der Begeiſtrung. — Ich fühlte mich
wie in einer Wolke gebettet aufwärts ſchwebend, eine
göttliche Gewalt trieb dieſe Wolke entgegen dem Er-
ſehnten und zwar in der Verklärung ſeines eignen Wer-
kes welche ſchönere Apotheoſe ſeiner Einwirkung auf mich,
war zu erleben? — ſo waren denn alle Schmerzen der
Sehnſucht gelöſt in freudiges Flügelrauſchen des Gei-
ſtes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne
zuwinkt, ohne ſich empor zu ſchwingen, und im Gefühl
ſeiner Kraft ſie auf ihre Bahn zu verfolgen ſich genü-
gen läßt: ſo war ich, heiter und froh. — Ich ging zu
Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquik-
kender Gewitterregen.

So iſt von jeher und bis auf die heutige Stunde
alles unbefriedigte Begehren durch Kunſtgefühl aufgelöſt
worden. Jedes in der heiligen Natur begründete ſinn-
liche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenſchaft ſteigert ſich
ſchon hier zu der Sehnſucht, überzugehen in eine höhere
Welt, wo das Sinnliche auch Geiſt wird.


Ich danke Dir Freund, daß ich Dir alles ſagen
darf, unter allen Menſchen weiß ich keinen zweiten, dem
ich dieſe Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht

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[218/0228] lich die Begeiſtrung der Begeiſtrung. — Ich fühlte mich wie in einer Wolke gebettet aufwärts ſchwebend, eine göttliche Gewalt trieb dieſe Wolke entgegen dem Er- ſehnten und zwar in der Verklärung ſeines eignen Wer- kes welche ſchönere Apotheoſe ſeiner Einwirkung auf mich, war zu erleben? — ſo waren denn alle Schmerzen der Sehnſucht gelöſt in freudiges Flügelrauſchen des Gei- ſtes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne zuwinkt, ohne ſich empor zu ſchwingen, und im Gefühl ſeiner Kraft ſie auf ihre Bahn zu verfolgen ſich genü- gen läßt: ſo war ich, heiter und froh. — Ich ging zu Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquik- kender Gewitterregen. So iſt von jeher und bis auf die heutige Stunde alles unbefriedigte Begehren durch Kunſtgefühl aufgelöſt worden. Jedes in der heiligen Natur begründete ſinn- liche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenſchaft ſteigert ſich ſchon hier zu der Sehnſucht, überzugehen in eine höhere Welt, wo das Sinnliche auch Geiſt wird. Ich danke Dir Freund, daß ich Dir alles ſagen darf, unter allen Menſchen weiß ich keinen zweiten, dem ich dieſe Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/228>, abgerufen am 28.04.2024.