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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Höhe; da öffnete sich dem Blick die weite Ferne; die
Nebel theilten sich, es war mir als trätest Du meinen Bit-
ten entgegen geheimnißvoll, und schautest mich an, und
nähmst mich auf an Deinem mir unerforschten Busen.

Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er ist
außer der Zeit. -- Was hab' ich zu fürchten? -- Diese
Sehnsucht, ist sie vergänglich, so wirst Du mit ihr ver-
schwinden; ist sie es nicht, so wird sie erreichen, wonach
sie strebt, und schon jetzt hab' ich ihr eine Innenwelt,
mannigfaltig und eigenthümlich zu verdanken; Wahr-
nehmungen und Gedanken nähren mich, und ich fühle
mich in einem innig lebendigen Einverständniß mit Dei-
nem Geist.

Die Natur ist kindlich, sie will verstanden sein, und
das ist ihre Weisheit, daß sie solche Bilder malt, die
der Spiegel unserer inneren Welt sind, und wer sie an-
schaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird sie die Fragen
innerer Räthsel lösen; wer sich ihr anschmiegt, der wird
sich in ihr verstanden fühlen; sie sagt jedem die Wahr-
heit, dem Verzweiflenden wie dem Glücklichen. Sie be-
leuchtet die Seele und bietet ihren Reichthum dem Be-
dürftigen; sie reizt die Sinne und entzückt den Geist
durch übereinstimmende Bedeutung.

Ich glaube auch von Dir, daß Du dies manchmal

Höhe; da öffnete ſich dem Blick die weite Ferne; die
Nebel theilten ſich, es war mir als träteſt Du meinen Bit-
ten entgegen geheimnißvoll, und ſchauteſt mich an, und
nähmſt mich auf an Deinem mir unerforſchten Buſen.

Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er iſt
außer der Zeit. — Was hab' ich zu fürchten? — Dieſe
Sehnſucht, iſt ſie vergänglich, ſo wirſt Du mit ihr ver-
ſchwinden; iſt ſie es nicht, ſo wird ſie erreichen, wonach
ſie ſtrebt, und ſchon jetzt hab' ich ihr eine Innenwelt,
mannigfaltig und eigenthümlich zu verdanken; Wahr-
nehmungen und Gedanken nähren mich, und ich fühle
mich in einem innig lebendigen Einverſtändniß mit Dei-
nem Geiſt.

Die Natur iſt kindlich, ſie will verſtanden ſein, und
das iſt ihre Weisheit, daß ſie ſolche Bilder malt, die
der Spiegel unſerer inneren Welt ſind, und wer ſie an-
ſchaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird ſie die Fragen
innerer Räthſel löſen; wer ſich ihr anſchmiegt, der wird
ſich in ihr verſtanden fühlen; ſie ſagt jedem die Wahr-
heit, dem Verzweiflenden wie dem Glücklichen. Sie be-
leuchtet die Seele und bietet ihren Reichthum dem Be-
dürftigen; ſie reizt die Sinne und entzückt den Geiſt
durch übereinſtimmende Bedeutung.

Ich glaube auch von Dir, daß Du dies manchmal

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[13/0023] Höhe; da öffnete ſich dem Blick die weite Ferne; die Nebel theilten ſich, es war mir als träteſt Du meinen Bit- ten entgegen geheimnißvoll, und ſchauteſt mich an, und nähmſt mich auf an Deinem mir unerforſchten Buſen. Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er iſt außer der Zeit. — Was hab' ich zu fürchten? — Dieſe Sehnſucht, iſt ſie vergänglich, ſo wirſt Du mit ihr ver- ſchwinden; iſt ſie es nicht, ſo wird ſie erreichen, wonach ſie ſtrebt, und ſchon jetzt hab' ich ihr eine Innenwelt, mannigfaltig und eigenthümlich zu verdanken; Wahr- nehmungen und Gedanken nähren mich, und ich fühle mich in einem innig lebendigen Einverſtändniß mit Dei- nem Geiſt. Die Natur iſt kindlich, ſie will verſtanden ſein, und das iſt ihre Weisheit, daß ſie ſolche Bilder malt, die der Spiegel unſerer inneren Welt ſind, und wer ſie an- ſchaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird ſie die Fragen innerer Räthſel löſen; wer ſich ihr anſchmiegt, der wird ſich in ihr verſtanden fühlen; ſie ſagt jedem die Wahr- heit, dem Verzweiflenden wie dem Glücklichen. Sie be- leuchtet die Seele und bietet ihren Reichthum dem Be- dürftigen; ſie reizt die Sinne und entzückt den Geiſt durch übereinſtimmende Bedeutung. Ich glaube auch von Dir, daß Du dies manchmal

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/23>, abgerufen am 27.04.2024.