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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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disch Theil in ihm sich nicht verzehrte, daß wir noch le-
ben, noch sind, noch denken, daß wir nicht auf ewig auf-
gegeben haben, was man so gern in glücklicher Stunde,
am Busen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders
zu sein als Tief empfunden von dem Geliebten.

Einmal stand ich am Fenster mit ihm, es war
Mondschein, die Blätter der Reben schatteten sich ab
auf seinem Antlitz, der Wind bewegte sie, so daß sein
Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht
glänzte. Ich fragt: "Was sagt Dein Aug?" -- weil
mir's schien als plaudre es. -- "Du gefällst mir!" --
Was sagen Deine Blicke? -- "Du gefällst mir wie
keine andre mir gefällt," sagte er; o ich bitte, sage
doch, was willst Du mit Deinem durchdringenden Blick?
fragte ich, denn ich hielt seine Rede für keine Antwort
auf meine Frage. -- "Er betheuert, sagte er, was ich sage,
und beschwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling,
Sommer, Herbst und Winter meinen Blick dir soll ver-
locken. Denn du lächelst mir ja zu, wie der Welt du
niemals lächelst, soll ich dir da nicht beschwören, was
der Welt ich nie geschworen?"

Es ist mir häufig nur gleich einem Lichtstreif, der mir
durch die Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von
denen ich kaum weiß ob sie bedeutend genug sind, daß man

diſch Theil in ihm ſich nicht verzehrte, daß wir noch le-
ben, noch ſind, noch denken, daß wir nicht auf ewig auf-
gegeben haben, was man ſo gern in glücklicher Stunde,
am Buſen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders
zu ſein als Tief empfunden von dem Geliebten.

Einmal ſtand ich am Fenſter mit ihm, es war
Mondſchein, die Blätter der Reben ſchatteten ſich ab
auf ſeinem Antlitz, der Wind bewegte ſie, ſo daß ſein
Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht
glänzte. Ich fragt: „Was ſagt Dein Aug?“ — weil
mir's ſchien als plaudre es. — „Du gefällſt mir!“ —
Was ſagen Deine Blicke? — „Du gefällſt mir wie
keine andre mir gefällt,“ ſagte er; o ich bitte, ſage
doch, was willſt Du mit Deinem durchdringenden Blick?
fragte ich, denn ich hielt ſeine Rede für keine Antwort
auf meine Frage. — „Er betheuert, ſagte er, was ich ſage,
und beſchwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling,
Sommer, Herbſt und Winter meinen Blick dir ſoll ver-
locken. Denn du lächelſt mir ja zu, wie der Welt du
niemals lächelſt, ſoll ich dir da nicht beſchwören, was
der Welt ich nie geſchworen?“

Es iſt mir häufig nur gleich einem Lichtſtreif, der mir
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[229/0239] diſch Theil in ihm ſich nicht verzehrte, daß wir noch le- ben, noch ſind, noch denken, daß wir nicht auf ewig auf- gegeben haben, was man ſo gern in glücklicher Stunde, am Buſen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders zu ſein als Tief empfunden von dem Geliebten. Einmal ſtand ich am Fenſter mit ihm, es war Mondſchein, die Blätter der Reben ſchatteten ſich ab auf ſeinem Antlitz, der Wind bewegte ſie, ſo daß ſein Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht glänzte. Ich fragt: „Was ſagt Dein Aug?“ — weil mir's ſchien als plaudre es. — „Du gefällſt mir!“ — Was ſagen Deine Blicke? — „Du gefällſt mir wie keine andre mir gefällt,“ ſagte er; o ich bitte, ſage doch, was willſt Du mit Deinem durchdringenden Blick? fragte ich, denn ich hielt ſeine Rede für keine Antwort auf meine Frage. — „Er betheuert, ſagte er, was ich ſage, und beſchwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling, Sommer, Herbſt und Winter meinen Blick dir ſoll ver- locken. Denn du lächelſt mir ja zu, wie der Welt du niemals lächelſt, ſoll ich dir da nicht beſchwören, was der Welt ich nie geſchworen?“ Es iſt mir häufig nur gleich einem Lichtſtreif, der mir durch die Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von denen ich kaum weiß ob ſie bedeutend genug ſind, daß man

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/239>, abgerufen am 29.04.2024.