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Allgemeine Zeitung. Nr. 6. Augsburg, 6. Januar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Januar 1840

Afrikanische Sprachen.

Wie unsere Kenntnisse von Afrika überhaupt noch sehr unbedeutend und mangelhaft sind, so sind es auch die linguistischen. Die arabische und die äthiopische (amharische) Sprache ausgenommen, haben wir von den übrigen entweder gar nichts oder höchstens armselige Vocabularien, die nach der Art, wie sie gewöhnlich gewonnen werden, so wenig einen Begriff von der durch sie repräsentirten Sprache geben können, daß in den meisten Fällen die Wissenschaft nichts einbüßen würde, wenn sie gar nicht existirten. So wissen wir von Darfur und Kordofan - zwei Reichen im Süden von Nubien von mehr als 7 Graden Quadratflächenraum - außer den wenigen Zügen, welche die Reisenden Brown, Salt, Burckhardt, Rüppell und in der neuesten Zeit Cadalvene gegeben haben, nicht viel mehr, als daß Mehemed Ali jährlich gegen 5000 Sklaven dorther bezieht, und in linguistischer Beziehung sind die schmalen Vocabularien von Rüppell, Salt und Seetzen, welche zusammen genommen etwas über hundert Benennungen von Sachen, die man sehen und greifen kann, enthalten, unser ganzer Reichthum. Fast dasselbe galt bisher von Abyssinien, denn außer der äthiopischen und amharischen ist von den vielen in dem weiten Lande gangbaren Sprachen keine weiter grammatisch ausgebildet, am wenigsten eine, die nicht auf semitischen Füßen stünde. Erst die neueste Zeit gab der Welt die Nachricht, daß man einer ganz neuen, bisher fast nur in einem kurzen Vocabular von Salt vorhandenen Sprache genauer auf der Spur sey. Hr. d'Abbadie nämlich hat neuerlich die Ilmorma-Sprache (afan ilmorma, wie er sie nennt) gefunden, oder, wie es in Nr. 120 des Auslandes heißt, einen Dialekt der Gallasprache, d. h. eine der Sprachen entdeckt, die von den Horden gesprochen werden, welche die Abyssinier unter dem allgemeinen Namen Galla begreifen.

Wie weit Hrn. d'Abbadie sein wichtiges Unternehmen bis jetzt geglückt ist, weiß man noch nicht, denn das Einzige, was seit der ersten Kunde von der Sache weiter verlautete, sind einige kurze Discussionen über den Namen der fraglichen Sprache und die Bedeutung desselben - wobei natürlich Hr. d'Abbadie, weil er bis jetzt der Einzige ist, der hier eine Stimme hat, allein den Ausschlag geben konnte und gab, daß afan Ilmorma heiße: Sprache des Sohns des Wanderers; und dieß muß man einstweilen glauben und in Geduld das Weitere abwarten.

Aber gewiß zum Heile des ganzen Unternehmens wird Hr. d'Abbadie nicht mehr lang allein sich zu mühen brauchen, denn wie es so oft in der Welt sich zutrug, daß dieselben Erfindungen und Entdeckungen zu gleicher Zeit von Mehreren und an verschiedenen Orten gemacht wurden, so ging es auch hier. Ein Ereigniß der neuesten Zeit hat, während Hr. d'Abbadie an Ort und Stelle der fraglichen Sprache nachspürte, dieselben Resultate und noch mehr in unserm Vaterlande vorbereitet, und dieses Ereigniß ist die Reise Sr. Hoh. des Herzogs Maximilian in Bayern nach dem Orient.

Bekanntlich hat nämlich der Herzog während dieser Reise in Aegypten vier arme Schwarze dem Sklavenjoch entrissen, und sie nach München gebracht, um sie durch eine gute Erziehung in deutscher Sitte und Religion für das Unglück zu entschädigen, das sie aus den Armen ihrer Familie nach Aegypten in die Sklaverei geworfen hatte. Diese edelmüthige Handlung des menschenfreundlichen Fürsten ist schon von vornherein augenscheinlich vom Segen des Himmels begünstigt, da vier gute, unverdorbene und talentvolle Individuen dieses Glück traf; - und wie dieser Segen die wohlthätigsten Wirkungen auf das ganze Leben der so fürstlich Adoptirten äußern wird, so wird auch die Wissenschaft seiner inne werden, sofern nur derselbe Geist in der Erziehung der jungen Leute fortherrschen darf, wie bisher.

Der Erzieher der vier Knaben, Hr. Karl Tutscheck, ging nämlich sogleich, nachdem ihm von Sr. Hoh. das schwierige Amt übertragen war, mit andern als Schulmeisterabsichten ans Werk, und scheute weder Zeit noch Mühe, weder Hohn noch hundertmal fehlgeschlagene Hoffnungen, aus den bereits in einem hiezu fähigen Alter stehenden jungen Leuten Resultate über ihre früheren Verhältnisse und besonders über ihre Sprache herauszubringen. Nach zwei trostlosen Monaten, in denen alle Versuche in dieser Beziehung an dem bekannten afrikanischen Argwohn und Mißtrauen scheiterten, und die liebevollste Zusprache mit Lachen in langen arabischen Conversationen verhöhnt wurde, brachte endlich ein geschickt benützter Umstand, die Krankheit eines Knaben, Hrn. Tutscheck seinem Ziele näher. Dadurch, daß er den Kranken selbst verpflegte, gewann er nicht nur bleibend das Vertrauen und die Liebe des Kranken, sondern durch diesen auch dasselbe bei den übrigen, und von diesem Augenblick datiren sich die merkwürdigsten Resultate unausgesetzter, sowohl ethnograpischer als geographischer und besonders linguistischer Forschungen, die, wenn sie reif sind, die wichtigsten Aufschlüsse über drei noch wenig bekannte Völker geben werden, und zwar aus vielen Gründen richtiger und specieller, als es Reisende nach flüchtigen Anschauungen und oberflächlichen, mit so vielen Hindernissen verbundenen Ausfragungen von Eingebornen je thun können.

Die ersten noch sehr magern Resultate wurden im Mai Hrn. Professor Karl Ritter in Berlin mitgetheilt, und angefeuert durch seine Anerkennung, wie sie von ihm in einem Briefe und in der Monatsschrift des geographischen Vereins zu Berlin vom 4 Mai 1839 ausgesprochen ist, verbunden mit dem Beifall und der Aufmunterung Sr. Hoh. des Herzogs, ist Hr. Tutscheck in der kurzen Zeit eines Jahres so weit gekommen, daß nicht nur in der Galla-Sprache (Afan Galla - der Ilmorma-Sprache des Hrn. d'Abbadie), sondern anch in der Sprache von Darfur (Darfuring Cele) und in zwei strenggeschiedenen Dialekten einer weitverzweigten Sprache im Kordofan (Doa i Tumale und Doa i Dei oder i Tokole), anstatt der bisherigen mangelhaften Vocabularien, die interessantesten von den Referenten in zusammenhängender Rede freiwillig dictirten Berichte über alle Lebensverhältnisse ihrer Heimath vorliegen, und nun, abgesehen von ihrem entschiedenen ethnographischen Werthe, reichen Stoff für grammatische Untersuchungen darbieten.

Für die Sprachen von Darfur und Kordofan wird Hr. Tutscheck leider vielleicht noch lange allein stehen, wenn nicht ganz unvermuthet günstige Umstände eintreten; aber um so erfreulicher würde es seyn, wenn er bei Hrn. d'Abbadie für die Galla-Sprache Hülfe und Beistand fände, weßhalb zum Zwecke gegenseitiger Ergänzung und Berichtigung eine Correspondenz mit ihm, wofern er noch länger in Europa sich aufhält und reines wissenschaftliches Interesse ihn dazu geneigt macht, sehr wünschenswerth und für die gute Sache gewiß vom größten Vortheil seyn würde.



Beilage zur Allgemeinen Zeitung
4 Januar 1840

Afrikanische Sprachen.

Wie unsere Kenntnisse von Afrika überhaupt noch sehr unbedeutend und mangelhaft sind, so sind es auch die linguistischen. Die arabische und die äthiopische (amharische) Sprache ausgenommen, haben wir von den übrigen entweder gar nichts oder höchstens armselige Vocabularien, die nach der Art, wie sie gewöhnlich gewonnen werden, so wenig einen Begriff von der durch sie repräsentirten Sprache geben können, daß in den meisten Fällen die Wissenschaft nichts einbüßen würde, wenn sie gar nicht existirten. So wissen wir von Darfur und Kordofan – zwei Reichen im Süden von Nubien von mehr als 7 Graden Quadratflächenraum – außer den wenigen Zügen, welche die Reisenden Brown, Salt, Burckhardt, Rüppell und in der neuesten Zeit Cadalvène gegeben haben, nicht viel mehr, als daß Mehemed Ali jährlich gegen 5000 Sklaven dorther bezieht, und in linguistischer Beziehung sind die schmalen Vocabularien von Rüppell, Salt und Seetzen, welche zusammen genommen etwas über hundert Benennungen von Sachen, die man sehen und greifen kann, enthalten, unser ganzer Reichthum. Fast dasselbe galt bisher von Abyssinien, denn außer der äthiopischen und amharischen ist von den vielen in dem weiten Lande gangbaren Sprachen keine weiter grammatisch ausgebildet, am wenigsten eine, die nicht auf semitischen Füßen stünde. Erst die neueste Zeit gab der Welt die Nachricht, daß man einer ganz neuen, bisher fast nur in einem kurzen Vocabular von Salt vorhandenen Sprache genauer auf der Spur sey. Hr. d'Abbadie nämlich hat neuerlich die Ilmorma-Sprache (afan ilmorma, wie er sie nennt) gefunden, oder, wie es in Nr. 120 des Auslandes heißt, einen Dialekt der Gallasprache, d. h. eine der Sprachen entdeckt, die von den Horden gesprochen werden, welche die Abyssinier unter dem allgemeinen Namen Galla begreifen.

Wie weit Hrn. d'Abbadie sein wichtiges Unternehmen bis jetzt geglückt ist, weiß man noch nicht, denn das Einzige, was seit der ersten Kunde von der Sache weiter verlautete, sind einige kurze Discussionen über den Namen der fraglichen Sprache und die Bedeutung desselben – wobei natürlich Hr. d'Abbadie, weil er bis jetzt der Einzige ist, der hier eine Stimme hat, allein den Ausschlag geben konnte und gab, daß afan Ilmorma heiße: Sprache des Sohns des Wanderers; und dieß muß man einstweilen glauben und in Geduld das Weitere abwarten.

Aber gewiß zum Heile des ganzen Unternehmens wird Hr. d'Abbadie nicht mehr lang allein sich zu mühen brauchen, denn wie es so oft in der Welt sich zutrug, daß dieselben Erfindungen und Entdeckungen zu gleicher Zeit von Mehreren und an verschiedenen Orten gemacht wurden, so ging es auch hier. Ein Ereigniß der neuesten Zeit hat, während Hr. d'Abbadie an Ort und Stelle der fraglichen Sprache nachspürte, dieselben Resultate und noch mehr in unserm Vaterlande vorbereitet, und dieses Ereigniß ist die Reise Sr. Hoh. des Herzogs Maximilian in Bayern nach dem Orient.

Bekanntlich hat nämlich der Herzog während dieser Reise in Aegypten vier arme Schwarze dem Sklavenjoch entrissen, und sie nach München gebracht, um sie durch eine gute Erziehung in deutscher Sitte und Religion für das Unglück zu entschädigen, das sie aus den Armen ihrer Familie nach Aegypten in die Sklaverei geworfen hatte. Diese edelmüthige Handlung des menschenfreundlichen Fürsten ist schon von vornherein augenscheinlich vom Segen des Himmels begünstigt, da vier gute, unverdorbene und talentvolle Individuen dieses Glück traf; – und wie dieser Segen die wohlthätigsten Wirkungen auf das ganze Leben der so fürstlich Adoptirten äußern wird, so wird auch die Wissenschaft seiner inne werden, sofern nur derselbe Geist in der Erziehung der jungen Leute fortherrschen darf, wie bisher.

Der Erzieher der vier Knaben, Hr. Karl Tutscheck, ging nämlich sogleich, nachdem ihm von Sr. Hoh. das schwierige Amt übertragen war, mit andern als Schulmeisterabsichten ans Werk, und scheute weder Zeit noch Mühe, weder Hohn noch hundertmal fehlgeschlagene Hoffnungen, aus den bereits in einem hiezu fähigen Alter stehenden jungen Leuten Resultate über ihre früheren Verhältnisse und besonders über ihre Sprache herauszubringen. Nach zwei trostlosen Monaten, in denen alle Versuche in dieser Beziehung an dem bekannten afrikanischen Argwohn und Mißtrauen scheiterten, und die liebevollste Zusprache mit Lachen in langen arabischen Conversationen verhöhnt wurde, brachte endlich ein geschickt benützter Umstand, die Krankheit eines Knaben, Hrn. Tutscheck seinem Ziele näher. Dadurch, daß er den Kranken selbst verpflegte, gewann er nicht nur bleibend das Vertrauen und die Liebe des Kranken, sondern durch diesen auch dasselbe bei den übrigen, und von diesem Augenblick datiren sich die merkwürdigsten Resultate unausgesetzter, sowohl ethnograpischer als geographischer und besonders linguistischer Forschungen, die, wenn sie reif sind, die wichtigsten Aufschlüsse über drei noch wenig bekannte Völker geben werden, und zwar aus vielen Gründen richtiger und specieller, als es Reisende nach flüchtigen Anschauungen und oberflächlichen, mit so vielen Hindernissen verbundenen Ausfragungen von Eingebornen je thun können.

Die ersten noch sehr magern Resultate wurden im Mai Hrn. Professor Karl Ritter in Berlin mitgetheilt, und angefeuert durch seine Anerkennung, wie sie von ihm in einem Briefe und in der Monatsschrift des geographischen Vereins zu Berlin vom 4 Mai 1839 ausgesprochen ist, verbunden mit dem Beifall und der Aufmunterung Sr. Hoh. des Herzogs, ist Hr. Tutscheck in der kurzen Zeit eines Jahres so weit gekommen, daß nicht nur in der Galla-Sprache (Afan Galla – der Ilmorma-Sprache des Hrn. d'Abbadie), sondern anch in der Sprache von Darfur (Darfuring Célé) und in zwei strenggeschiedenen Dialekten einer weitverzweigten Sprache im Kordofan (Dòa i Tumale und Dòa i Dei oder i Tokole), anstatt der bisherigen mangelhaften Vocabularien, die interessantesten von den Referenten in zusammenhängender Rede freiwillig dictirten Berichte über alle Lebensverhältnisse ihrer Heimath vorliegen, und nun, abgesehen von ihrem entschiedenen ethnographischen Werthe, reichen Stoff für grammatische Untersuchungen darbieten.

Für die Sprachen von Darfur und Kordofan wird Hr. Tutscheck leider vielleicht noch lange allein stehen, wenn nicht ganz unvermuthet günstige Umstände eintreten; aber um so erfreulicher würde es seyn, wenn er bei Hrn. d'Abbadie für die Galla-Sprache Hülfe und Beistand fände, weßhalb zum Zwecke gegenseitiger Ergänzung und Berichtigung eine Correspondenz mit ihm, wofern er noch länger in Europa sich aufhält und reines wissenschaftliches Interesse ihn dazu geneigt macht, sehr wünschenswerth und für die gute Sache gewiß vom größten Vortheil seyn würde.


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[0041/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 4 Januar 1840 Afrikanische Sprachen. *✝ München. Wie unsere Kenntnisse von Afrika überhaupt noch sehr unbedeutend und mangelhaft sind, so sind es auch die linguistischen. Die arabische und die äthiopische (amharische) Sprache ausgenommen, haben wir von den übrigen entweder gar nichts oder höchstens armselige Vocabularien, die nach der Art, wie sie gewöhnlich gewonnen werden, so wenig einen Begriff von der durch sie repräsentirten Sprache geben können, daß in den meisten Fällen die Wissenschaft nichts einbüßen würde, wenn sie gar nicht existirten. So wissen wir von Darfur und Kordofan – zwei Reichen im Süden von Nubien von mehr als 7 Graden Quadratflächenraum – außer den wenigen Zügen, welche die Reisenden Brown, Salt, Burckhardt, Rüppell und in der neuesten Zeit Cadalvène gegeben haben, nicht viel mehr, als daß Mehemed Ali jährlich gegen 5000 Sklaven dorther bezieht, und in linguistischer Beziehung sind die schmalen Vocabularien von Rüppell, Salt und Seetzen, welche zusammen genommen etwas über hundert Benennungen von Sachen, die man sehen und greifen kann, enthalten, unser ganzer Reichthum. Fast dasselbe galt bisher von Abyssinien, denn außer der äthiopischen und amharischen ist von den vielen in dem weiten Lande gangbaren Sprachen keine weiter grammatisch ausgebildet, am wenigsten eine, die nicht auf semitischen Füßen stünde. Erst die neueste Zeit gab der Welt die Nachricht, daß man einer ganz neuen, bisher fast nur in einem kurzen Vocabular von Salt vorhandenen Sprache genauer auf der Spur sey. Hr. d'Abbadie nämlich hat neuerlich die Ilmorma-Sprache (afan ilmorma, wie er sie nennt) gefunden, oder, wie es in Nr. 120 des Auslandes heißt, einen Dialekt der Gallasprache, d. h. eine der Sprachen entdeckt, die von den Horden gesprochen werden, welche die Abyssinier unter dem allgemeinen Namen Galla begreifen. Wie weit Hrn. d'Abbadie sein wichtiges Unternehmen bis jetzt geglückt ist, weiß man noch nicht, denn das Einzige, was seit der ersten Kunde von der Sache weiter verlautete, sind einige kurze Discussionen über den Namen der fraglichen Sprache und die Bedeutung desselben – wobei natürlich Hr. d'Abbadie, weil er bis jetzt der Einzige ist, der hier eine Stimme hat, allein den Ausschlag geben konnte und gab, daß afan Ilmorma heiße: Sprache des Sohns des Wanderers; und dieß muß man einstweilen glauben und in Geduld das Weitere abwarten. Aber gewiß zum Heile des ganzen Unternehmens wird Hr. d'Abbadie nicht mehr lang allein sich zu mühen brauchen, denn wie es so oft in der Welt sich zutrug, daß dieselben Erfindungen und Entdeckungen zu gleicher Zeit von Mehreren und an verschiedenen Orten gemacht wurden, so ging es auch hier. Ein Ereigniß der neuesten Zeit hat, während Hr. d'Abbadie an Ort und Stelle der fraglichen Sprache nachspürte, dieselben Resultate und noch mehr in unserm Vaterlande vorbereitet, und dieses Ereigniß ist die Reise Sr. Hoh. des Herzogs Maximilian in Bayern nach dem Orient. Bekanntlich hat nämlich der Herzog während dieser Reise in Aegypten vier arme Schwarze dem Sklavenjoch entrissen, und sie nach München gebracht, um sie durch eine gute Erziehung in deutscher Sitte und Religion für das Unglück zu entschädigen, das sie aus den Armen ihrer Familie nach Aegypten in die Sklaverei geworfen hatte. Diese edelmüthige Handlung des menschenfreundlichen Fürsten ist schon von vornherein augenscheinlich vom Segen des Himmels begünstigt, da vier gute, unverdorbene und talentvolle Individuen dieses Glück traf; – und wie dieser Segen die wohlthätigsten Wirkungen auf das ganze Leben der so fürstlich Adoptirten äußern wird, so wird auch die Wissenschaft seiner inne werden, sofern nur derselbe Geist in der Erziehung der jungen Leute fortherrschen darf, wie bisher. Der Erzieher der vier Knaben, Hr. Karl Tutscheck, ging nämlich sogleich, nachdem ihm von Sr. Hoh. das schwierige Amt übertragen war, mit andern als Schulmeisterabsichten ans Werk, und scheute weder Zeit noch Mühe, weder Hohn noch hundertmal fehlgeschlagene Hoffnungen, aus den bereits in einem hiezu fähigen Alter stehenden jungen Leuten Resultate über ihre früheren Verhältnisse und besonders über ihre Sprache herauszubringen. Nach zwei trostlosen Monaten, in denen alle Versuche in dieser Beziehung an dem bekannten afrikanischen Argwohn und Mißtrauen scheiterten, und die liebevollste Zusprache mit Lachen in langen arabischen Conversationen verhöhnt wurde, brachte endlich ein geschickt benützter Umstand, die Krankheit eines Knaben, Hrn. Tutscheck seinem Ziele näher. Dadurch, daß er den Kranken selbst verpflegte, gewann er nicht nur bleibend das Vertrauen und die Liebe des Kranken, sondern durch diesen auch dasselbe bei den übrigen, und von diesem Augenblick datiren sich die merkwürdigsten Resultate unausgesetzter, sowohl ethnograpischer als geographischer und besonders linguistischer Forschungen, die, wenn sie reif sind, die wichtigsten Aufschlüsse über drei noch wenig bekannte Völker geben werden, und zwar aus vielen Gründen richtiger und specieller, als es Reisende nach flüchtigen Anschauungen und oberflächlichen, mit so vielen Hindernissen verbundenen Ausfragungen von Eingebornen je thun können. Die ersten noch sehr magern Resultate wurden im Mai Hrn. Professor Karl Ritter in Berlin mitgetheilt, und angefeuert durch seine Anerkennung, wie sie von ihm in einem Briefe und in der Monatsschrift des geographischen Vereins zu Berlin vom 4 Mai 1839 ausgesprochen ist, verbunden mit dem Beifall und der Aufmunterung Sr. Hoh. des Herzogs, ist Hr. Tutscheck in der kurzen Zeit eines Jahres so weit gekommen, daß nicht nur in der Galla-Sprache (Afan Galla – der Ilmorma-Sprache des Hrn. d'Abbadie), sondern anch in der Sprache von Darfur (Darfuring Célé) und in zwei strenggeschiedenen Dialekten einer weitverzweigten Sprache im Kordofan (Dòa i Tumale und Dòa i Dei oder i Tokole), anstatt der bisherigen mangelhaften Vocabularien, die interessantesten von den Referenten in zusammenhängender Rede freiwillig dictirten Berichte über alle Lebensverhältnisse ihrer Heimath vorliegen, und nun, abgesehen von ihrem entschiedenen ethnographischen Werthe, reichen Stoff für grammatische Untersuchungen darbieten. Für die Sprachen von Darfur und Kordofan wird Hr. Tutscheck leider vielleicht noch lange allein stehen, wenn nicht ganz unvermuthet günstige Umstände eintreten; aber um so erfreulicher würde es seyn, wenn er bei Hrn. d'Abbadie für die Galla-Sprache Hülfe und Beistand fände, weßhalb zum Zwecke gegenseitiger Ergänzung und Berichtigung eine Correspondenz mit ihm, wofern er noch länger in Europa sich aufhält und reines wissenschaftliches Interesse ihn dazu geneigt macht, sehr wünschenswerth und für die gute Sache gewiß vom größten Vortheil seyn würde.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 6. Augsburg, 6. Januar 1840, S. 0041. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_006_18400106/9>, abgerufen am 29.04.2024.