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Allgemeine Zeitung. Nr. 11. Augsburg, 11. Januar 1840.

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dennoch muß ihn, sollte man denken, zuletzt eine Reihe von Musterstücken ermüden, unter denen die rhetorischen Bonbons des Hrn. v. Pasquier noch das Genießbarste sind. Vor bald 50 Jahren wurde in den Tuilerien an dem Herde des Königthums von den herzlosen Abgesandten eines entfesselten Volks über das Leben und den Tod eines Königs stürmischer Rath gehalten; hier empfing der Kaiser das huldigende Europa; hieher führte, fast möchte man sagen, wie in ein Gefängniß, das zum zweitenmale siegreiche Volk seinen selbstgewählten Herrn. Man kann diesen Palast nicht ohne ernste Gedanken ansehen; wenn die Erinnerungen, die er beherbergt, plötzlich mit sichtbaren Körpern sich umgäben, die weiten Säle würden für ihre Menge kaum genügen; wie in dem Herzen einer Buhlerin wohnte seit langer Zeit nur der Wechsel in diesem Hause, und selbst jetzt mögen diese Mauern schwerlich andere Laren, als Unbehagen und Besorgniß umschließen. Wie beschränkt und eitel erscheint in Gegenwart solcher Zeugen all dieß amtliche Festgerede, und verglichen mit so viel Größe, wie klein, und doch auch wie passend, als Echo dieser kleinen Zeit, in der nichts groß ist, als die Furcht! Diese Klage tönt nun aus Jedermanns Munde, und die Zwerge werfen einander ihre Statur vor. An wem aber ist die Schuld? Wer hat uns so schwach und verkrüppelt gemacht? Vielleicht das Weltverhängniß, das so uns braucht. Wenn Einer ein schmutziges Gesicht hat, so kann man ihm sagen, er solle sich waschen, allein, daß er nur vier und nicht sechs Fuß hoch ist, dafür kann Niemand etwas. Man klagt die Dürre der Ereignisse an, und meint, ein Gewitter würde Kraft und Größe geben, so etwa, wie der Regen die Kinder wachsen macht. Das Jahr 1840 soll nun die Wolken zusammenjagen, und abgesehen von aller Wahrsagung, muß man zugeben, daß die Atmosphäre der Gegenwart des schlimmen Samens in bedenklicher Menge enthält. Es ist ein Zustand, der sich schwer benennen und schwer erkennen läßt. Wir tappen in einem Nebel umher, der uns auf zwei Schritte deutlich zu sehen hindert. Weil nun nichts genau zu unterscheiden ist, so glauben Einige, die alte Welt sey in ein Chaos gesunken, damit die neue werde, deren Besitz von Republicanern, Bonapartisten und Legitimisten mit wetteifernder Zuversicht angesprochen wird. Die Bonapartisten namentlich sind ganz ausnehmend thätig: es wird jetzt über den Kaiser entsetzlich viel gedruckt, und insbesondere vermehren sich die Volkslieder auf sein Andenken in größtentheils schauerlichen Versen auf eine wunderbare Weise. Ein kurzer Auszug von Nostradamus ist gleichfalls im Buchhandel, und bildet hauptsächlich das Andachtsbüchlein der Legitimisten, deren Phantasie schon in dem fruchtbaren Jahr 1840 die Lilien auf allen Feldern und Wiesen wachsen sieht, während der National sich einzubilden scheint, der heilige Geist sey im Begriff, in Gestalt einer Jakobinermütze auf die Erde herabzusteigen. Dieses Concert von so verschiedenen, so widerstreitenden Hoffnungen ist ohne Zweifel etwas sehr Komisches, macht aber dennoch vielen Leuten gewaltig Angst. Manchem, der es nicht sagt, sieht man's an, wie froh er wäre, wenn er das fatale Jahr hinter sich hätte. Nur die herrliche, wärmende Sonne der letzten Tage, vor der kein trübseliger Gedanke recht aufkommen konnte, warf ein ermuthigendes Lächeln auf die bange Stimmung, und verwandelte viele Befürchtungen in heitern Unglauben. Da jedoch der Untergang der Welt auf übermorgen für ganz gewiß angesagt ist, so weiß ich nicht, ob diese Zeilen Sie erreichen, oder ob sie, wie wir selbst, in den Wirrwarr unzähliger Atome sich verflüchtigt haben werden; weil aber der Versuch nicht schaden kann, so geb' ich mein Schreiben auf die Post, und warte das Kommende mit Gelassenheit ab.

Das Dampfboot Phare ist gestern Abend auf unserer Rhede eingetroffen und bringt uns folgende Nachrichten aus Oran vom 31 Dec.: "Auf unsern äußersten Vorposten sind einige kleine Scharmützel, aber noch kein ernstes Gefecht vorgefallen. Buchamedi steht mit seinen Truppen in einer Entfernung von zwei Kanonenschüssen vom Lager des Feigenbaums und erwartet wahrscheinlich Abd-El-Kader, um uns anzugreifen. Der größte Theil der Araber weigert sich jenem Kabylenhäupling zu gehorchen und erwartet an den Ufern des großen Salzsees die Ankunft des Khalifa von Mascara, Hadschi-Mustapha. Der Emir will sich, wie es heißt, gegen Oran wenden, während sein Schwager Mustapha Messerghin angreifen und Buchamedi die Wohnsitze unserer Verbündeten verheeren und dann die Straße nach Messerghin bewachen wird. Wir erwarten sie festen Fußes. - Vorgestern raubten uns die feindlichen Maraudeurs etwa hundert Schafe, aber der alte General Mustapha ben Ismael stürzte sich auf sie mit etwa hundert Reitern, tödete ihnen 3 oder 4 Leute und zwang sie, ihren Raub fahren zu lassen. Die feindlichen Reiter umschwärmen unsere Vorposten, um uns in einen Hinterhalt zu locken, unsere Truppen haben aber Befehl, sich auf der Defensive zu halten. Die letzten Dampfboote aus Algier haben Verstärkungen gebracht, wodurch das Vertrauen unserer Verbündeten wieder gehoben wurde. - In dem zwischen Masagran und Mostaganem vorgefallenen Gefecht verloren die Feinde gegen 150 Mann an Todten und Verwundeten. Die Kuruglis haben sich tapfer geschlagen, es fehlte ihnen aber an Pulver. Unsere Voltigeurs zogen sich etwas zu eilig zurück, und die Cavallerie mußte einen Angriff ausführen, um eine völlige Nnordnung zu hindern. Obrist Duberail, Commandant der Besatzung von Mostaganem, zeigte viel Kaltblütigkeit und Muth. Auch die Bevölkerung von Masagran hat sich tapfer vertheidigt."


Italien.

Der Prinz Heinrich der Niederlande, jüngster Sohn des Prinzen von Oranien, ist hier eingetroffen. Er bestieg vorgestern bei einem überaus schönen Tage den Vesuv und kletterte auf dem am 1 Jan. d. J. von dem Berge ausgeworfenen Lavastrom den Kegel hinan.

Thermometerstand im Schatten gegen Norden um Mittag:


[irrelevantes Material - fehlt]

Der Großherzog von Toscana hat so eben die Gerichtsordnung wieder hergestellt, und den Gang der Gerichte so umgeschaffen, wie sie unter dem Kaiserthum bestanden. Um die Gleichstellung vollständig zu machen, haben die Magistrate das alte Costume wieder angenommen, so daß ein französischer Reisender glaubt, die Richter seines Landes vor sich zu sehen. (Franz. Bl.)

Schweiz.

Der Landrath hat am 28 v. M. mit 24 gegen 20 Stimmen die Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Rathsstellen beschlossen.

Das neue Jahr ist in diesem Kanton mit der vollesten Ruhe begonnen worden. Nur in Lugano herrschte noch Aufregung, theils wegen der an den Gränzen befindlichen tessinischen Emigranten, theils wegen der verschiedenen belästigenden Maaßnahmen, welche die lombardische und die sardinische Regierung gegen die liberalen Tessiner ergreifen; Reich oder Arm, Rentier oder bloßer Taglöhner, wer auf den Verzeichnissen steht, welche die Gestürzten und gewisse Spione der nachbarlichen Polizei liefern, hat das Ungemach der Zeiten und einer ungünstigen Politik zu tragen. - Am 31 v. M. legte der Staatsrath seine förmlichen Klagen bei den Nachbarregierungen


dennoch muß ihn, sollte man denken, zuletzt eine Reihe von Musterstücken ermüden, unter denen die rhetorischen Bonbons des Hrn. v. Pasquier noch das Genießbarste sind. Vor bald 50 Jahren wurde in den Tuilerien an dem Herde des Königthums von den herzlosen Abgesandten eines entfesselten Volks über das Leben und den Tod eines Königs stürmischer Rath gehalten; hier empfing der Kaiser das huldigende Europa; hieher führte, fast möchte man sagen, wie in ein Gefängniß, das zum zweitenmale siegreiche Volk seinen selbstgewählten Herrn. Man kann diesen Palast nicht ohne ernste Gedanken ansehen; wenn die Erinnerungen, die er beherbergt, plötzlich mit sichtbaren Körpern sich umgäben, die weiten Säle würden für ihre Menge kaum genügen; wie in dem Herzen einer Buhlerin wohnte seit langer Zeit nur der Wechsel in diesem Hause, und selbst jetzt mögen diese Mauern schwerlich andere Laren, als Unbehagen und Besorgniß umschließen. Wie beschränkt und eitel erscheint in Gegenwart solcher Zeugen all dieß amtliche Festgerede, und verglichen mit so viel Größe, wie klein, und doch auch wie passend, als Echo dieser kleinen Zeit, in der nichts groß ist, als die Furcht! Diese Klage tönt nun aus Jedermanns Munde, und die Zwerge werfen einander ihre Statur vor. An wem aber ist die Schuld? Wer hat uns so schwach und verkrüppelt gemacht? Vielleicht das Weltverhängniß, das so uns braucht. Wenn Einer ein schmutziges Gesicht hat, so kann man ihm sagen, er solle sich waschen, allein, daß er nur vier und nicht sechs Fuß hoch ist, dafür kann Niemand etwas. Man klagt die Dürre der Ereignisse an, und meint, ein Gewitter würde Kraft und Größe geben, so etwa, wie der Regen die Kinder wachsen macht. Das Jahr 1840 soll nun die Wolken zusammenjagen, und abgesehen von aller Wahrsagung, muß man zugeben, daß die Atmosphäre der Gegenwart des schlimmen Samens in bedenklicher Menge enthält. Es ist ein Zustand, der sich schwer benennen und schwer erkennen läßt. Wir tappen in einem Nebel umher, der uns auf zwei Schritte deutlich zu sehen hindert. Weil nun nichts genau zu unterscheiden ist, so glauben Einige, die alte Welt sey in ein Chaos gesunken, damit die neue werde, deren Besitz von Republicanern, Bonapartisten und Legitimisten mit wetteifernder Zuversicht angesprochen wird. Die Bonapartisten namentlich sind ganz ausnehmend thätig: es wird jetzt über den Kaiser entsetzlich viel gedruckt, und insbesondere vermehren sich die Volkslieder auf sein Andenken in größtentheils schauerlichen Versen auf eine wunderbare Weise. Ein kurzer Auszug von Nostradamus ist gleichfalls im Buchhandel, und bildet hauptsächlich das Andachtsbüchlein der Legitimisten, deren Phantasie schon in dem fruchtbaren Jahr 1840 die Lilien auf allen Feldern und Wiesen wachsen sieht, während der National sich einzubilden scheint, der heilige Geist sey im Begriff, in Gestalt einer Jakobinermütze auf die Erde herabzusteigen. Dieses Concert von so verschiedenen, so widerstreitenden Hoffnungen ist ohne Zweifel etwas sehr Komisches, macht aber dennoch vielen Leuten gewaltig Angst. Manchem, der es nicht sagt, sieht man's an, wie froh er wäre, wenn er das fatale Jahr hinter sich hätte. Nur die herrliche, wärmende Sonne der letzten Tage, vor der kein trübseliger Gedanke recht aufkommen konnte, warf ein ermuthigendes Lächeln auf die bange Stimmung, und verwandelte viele Befürchtungen in heitern Unglauben. Da jedoch der Untergang der Welt auf übermorgen für ganz gewiß angesagt ist, so weiß ich nicht, ob diese Zeilen Sie erreichen, oder ob sie, wie wir selbst, in den Wirrwarr unzähliger Atome sich verflüchtigt haben werden; weil aber der Versuch nicht schaden kann, so geb' ich mein Schreiben auf die Post, und warte das Kommende mit Gelassenheit ab.

Das Dampfboot Phare ist gestern Abend auf unserer Rhede eingetroffen und bringt uns folgende Nachrichten aus Oran vom 31 Dec.: „Auf unsern äußersten Vorposten sind einige kleine Scharmützel, aber noch kein ernstes Gefecht vorgefallen. Buchamedi steht mit seinen Truppen in einer Entfernung von zwei Kanonenschüssen vom Lager des Feigenbaums und erwartet wahrscheinlich Abd-El-Kader, um uns anzugreifen. Der größte Theil der Araber weigert sich jenem Kabylenhäupling zu gehorchen und erwartet an den Ufern des großen Salzsees die Ankunft des Khalifa von Mascara, Hadschi-Mustapha. Der Emir will sich, wie es heißt, gegen Oran wenden, während sein Schwager Mustapha Messerghin angreifen und Buchamedi die Wohnsitze unserer Verbündeten verheeren und dann die Straße nach Messerghin bewachen wird. Wir erwarten sie festen Fußes. – Vorgestern raubten uns die feindlichen Maraudeurs etwa hundert Schafe, aber der alte General Mustapha ben Ismael stürzte sich auf sie mit etwa hundert Reitern, tödete ihnen 3 oder 4 Leute und zwang sie, ihren Raub fahren zu lassen. Die feindlichen Reiter umschwärmen unsere Vorposten, um uns in einen Hinterhalt zu locken, unsere Truppen haben aber Befehl, sich auf der Defensive zu halten. Die letzten Dampfboote aus Algier haben Verstärkungen gebracht, wodurch das Vertrauen unserer Verbündeten wieder gehoben wurde. – In dem zwischen Masagran und Mostaganem vorgefallenen Gefecht verloren die Feinde gegen 150 Mann an Todten und Verwundeten. Die Kuruglis haben sich tapfer geschlagen, es fehlte ihnen aber an Pulver. Unsere Voltigeurs zogen sich etwas zu eilig zurück, und die Cavallerie mußte einen Angriff ausführen, um eine völlige Nnordnung zu hindern. Obrist Dubérail, Commandant der Besatzung von Mostaganem, zeigte viel Kaltblütigkeit und Muth. Auch die Bevölkerung von Masagran hat sich tapfer vertheidigt.“


Italien.

Der Prinz Heinrich der Niederlande, jüngster Sohn des Prinzen von Oranien, ist hier eingetroffen. Er bestieg vorgestern bei einem überaus schönen Tage den Vesuv und kletterte auf dem am 1 Jan. d. J. von dem Berge ausgeworfenen Lavastrom den Kegel hinan.

Thermometerstand im Schatten gegen Norden um Mittag:


[irrelevantes Material – fehlt]

Der Großherzog von Toscana hat so eben die Gerichtsordnung wieder hergestellt, und den Gang der Gerichte so umgeschaffen, wie sie unter dem Kaiserthum bestanden. Um die Gleichstellung vollständig zu machen, haben die Magistrate das alte Costume wieder angenommen, so daß ein französischer Reisender glaubt, die Richter seines Landes vor sich zu sehen. (Franz. Bl.)

Schweiz.

Der Landrath hat am 28 v. M. mit 24 gegen 20 Stimmen die Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Rathsstellen beschlossen.

Das neue Jahr ist in diesem Kanton mit der vollesten Ruhe begonnen worden. Nur in Lugano herrschte noch Aufregung, theils wegen der an den Gränzen befindlichen tessinischen Emigranten, theils wegen der verschiedenen belästigenden Maaßnahmen, welche die lombardische und die sardinische Regierung gegen die liberalen Tessiner ergreifen; Reich oder Arm, Rentier oder bloßer Taglöhner, wer auf den Verzeichnissen steht, welche die Gestürzten und gewisse Spione der nachbarlichen Polizei liefern, hat das Ungemach der Zeiten und einer ungünstigen Politik zu tragen. – Am 31 v. M. legte der Staatsrath seine förmlichen Klagen bei den Nachbarregierungen

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[0085/0005] dennoch muß ihn, sollte man denken, zuletzt eine Reihe von Musterstücken ermüden, unter denen die rhetorischen Bonbons des Hrn. v. Pasquier noch das Genießbarste sind. Vor bald 50 Jahren wurde in den Tuilerien an dem Herde des Königthums von den herzlosen Abgesandten eines entfesselten Volks über das Leben und den Tod eines Königs stürmischer Rath gehalten; hier empfing der Kaiser das huldigende Europa; hieher führte, fast möchte man sagen, wie in ein Gefängniß, das zum zweitenmale siegreiche Volk seinen selbstgewählten Herrn. Man kann diesen Palast nicht ohne ernste Gedanken ansehen; wenn die Erinnerungen, die er beherbergt, plötzlich mit sichtbaren Körpern sich umgäben, die weiten Säle würden für ihre Menge kaum genügen; wie in dem Herzen einer Buhlerin wohnte seit langer Zeit nur der Wechsel in diesem Hause, und selbst jetzt mögen diese Mauern schwerlich andere Laren, als Unbehagen und Besorgniß umschließen. Wie beschränkt und eitel erscheint in Gegenwart solcher Zeugen all dieß amtliche Festgerede, und verglichen mit so viel Größe, wie klein, und doch auch wie passend, als Echo dieser kleinen Zeit, in der nichts groß ist, als die Furcht! Diese Klage tönt nun aus Jedermanns Munde, und die Zwerge werfen einander ihre Statur vor. An wem aber ist die Schuld? Wer hat uns so schwach und verkrüppelt gemacht? Vielleicht das Weltverhängniß, das so uns braucht. Wenn Einer ein schmutziges Gesicht hat, so kann man ihm sagen, er solle sich waschen, allein, daß er nur vier und nicht sechs Fuß hoch ist, dafür kann Niemand etwas. Man klagt die Dürre der Ereignisse an, und meint, ein Gewitter würde Kraft und Größe geben, so etwa, wie der Regen die Kinder wachsen macht. Das Jahr 1840 soll nun die Wolken zusammenjagen, und abgesehen von aller Wahrsagung, muß man zugeben, daß die Atmosphäre der Gegenwart des schlimmen Samens in bedenklicher Menge enthält. Es ist ein Zustand, der sich schwer benennen und schwer erkennen läßt. Wir tappen in einem Nebel umher, der uns auf zwei Schritte deutlich zu sehen hindert. Weil nun nichts genau zu unterscheiden ist, so glauben Einige, die alte Welt sey in ein Chaos gesunken, damit die neue werde, deren Besitz von Republicanern, Bonapartisten und Legitimisten mit wetteifernder Zuversicht angesprochen wird. Die Bonapartisten namentlich sind ganz ausnehmend thätig: es wird jetzt über den Kaiser entsetzlich viel gedruckt, und insbesondere vermehren sich die Volkslieder auf sein Andenken in größtentheils schauerlichen Versen auf eine wunderbare Weise. Ein kurzer Auszug von Nostradamus ist gleichfalls im Buchhandel, und bildet hauptsächlich das Andachtsbüchlein der Legitimisten, deren Phantasie schon in dem fruchtbaren Jahr 1840 die Lilien auf allen Feldern und Wiesen wachsen sieht, während der National sich einzubilden scheint, der heilige Geist sey im Begriff, in Gestalt einer Jakobinermütze auf die Erde herabzusteigen. Dieses Concert von so verschiedenen, so widerstreitenden Hoffnungen ist ohne Zweifel etwas sehr Komisches, macht aber dennoch vielen Leuten gewaltig Angst. Manchem, der es nicht sagt, sieht man's an, wie froh er wäre, wenn er das fatale Jahr hinter sich hätte. Nur die herrliche, wärmende Sonne der letzten Tage, vor der kein trübseliger Gedanke recht aufkommen konnte, warf ein ermuthigendes Lächeln auf die bange Stimmung, und verwandelte viele Befürchtungen in heitern Unglauben. 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Der Emir will sich, wie es heißt, gegen Oran wenden, während sein Schwager Mustapha Messerghin angreifen und Buchamedi die Wohnsitze unserer Verbündeten verheeren und dann die Straße nach Messerghin bewachen wird. Wir erwarten sie festen Fußes. – Vorgestern raubten uns die feindlichen Maraudeurs etwa hundert Schafe, aber der alte General Mustapha ben Ismael stürzte sich auf sie mit etwa hundert Reitern, tödete ihnen 3 oder 4 Leute und zwang sie, ihren Raub fahren zu lassen. Die feindlichen Reiter umschwärmen unsere Vorposten, um uns in einen Hinterhalt zu locken, unsere Truppen haben aber Befehl, sich auf der Defensive zu halten. Die letzten Dampfboote aus Algier haben Verstärkungen gebracht, wodurch das Vertrauen unserer Verbündeten wieder gehoben wurde. – In dem zwischen Masagran und Mostaganem vorgefallenen Gefecht verloren die Feinde gegen 150 Mann an Todten und Verwundeten. Die Kuruglis haben sich tapfer geschlagen, es fehlte ihnen aber an Pulver. Unsere Voltigeurs zogen sich etwas zu eilig zurück, und die Cavallerie mußte einen Angriff ausführen, um eine völlige Nnordnung zu hindern. Obrist Dubérail, Commandant der Besatzung von Mostaganem, zeigte viel Kaltblütigkeit und Muth. Auch die Bevölkerung von Masagran hat sich tapfer vertheidigt.“ Italien. * Neapel, 31 Dec. Der Prinz Heinrich der Niederlande, jüngster Sohn des Prinzen von Oranien, ist hier eingetroffen. Er bestieg vorgestern bei einem überaus schönen Tage den Vesuv und kletterte auf dem am 1 Jan. d. J. von dem Berge ausgeworfenen Lavastrom den Kegel hinan. Thermometerstand im Schatten gegen Norden um Mittag: _ Der Großherzog von Toscana hat so eben die Gerichtsordnung wieder hergestellt, und den Gang der Gerichte so umgeschaffen, wie sie unter dem Kaiserthum bestanden. Um die Gleichstellung vollständig zu machen, haben die Magistrate das alte Costume wieder angenommen, so daß ein französischer Reisender glaubt, die Richter seines Landes vor sich zu sehen. (Franz. Bl.) Schweiz. Uri. Der Landrath hat am 28 v. M. mit 24 gegen 20 Stimmen die Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Rathsstellen beschlossen. Tessin. Das neue Jahr ist in diesem Kanton mit der vollesten Ruhe begonnen worden. Nur in Lugano herrschte noch Aufregung, theils wegen der an den Gränzen befindlichen tessinischen Emigranten, theils wegen der verschiedenen belästigenden Maaßnahmen, welche die lombardische und die sardinische Regierung gegen die liberalen Tessiner ergreifen; Reich oder Arm, Rentier oder bloßer Taglöhner, wer auf den Verzeichnissen steht, welche die Gestürzten und gewisse Spione der nachbarlichen Polizei liefern, hat das Ungemach der Zeiten und einer ungünstigen Politik zu tragen. – Am 31 v. M. legte der Staatsrath seine förmlichen Klagen bei den Nachbarregierungen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 11. Augsburg, 11. Januar 1840, S. 0085. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_011_18400111/5>, abgerufen am 27.04.2024.