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Allgemeine Zeitung. Nr. 44. Augsburg, 13. Februar 1840.

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Interessen auf das innigste mit Niederland verbunden, daher auch dessen Grundgesetz, so weit es die Beziehungen zum deutschen Bunde gestatten, dort anwendbar ist. Was die Beschwerde betrifft, daß die Luxemburger jetzt zur Belohnung ihrer Treue und Anhänglichkeit an ihren legitimen Souverän der constitutionellen Wohlthaten beraubt werden, so ist diese, wenn wir selbst annehmen wollen, daß der Verfasser in gutem Glauben sprach, völlig ungegründet, da der König-Großherzog schon in seiner Proclamation bei der Wiederbesitznahme die Zusicherung ertheilt hat, daß er dem Lande eine seinen dermaligen Verhältnissen und Beziehungen angemessene Verfassung geben werde, und mit Beziehung hierauf auch bereits jetzt in der Organisation der oberen Verwaltungs- und Justizbehörden auf diese Zusicherung Rücksicht und nachmals ausdrücklich der Vorsatz ausgesprochen worden, dem Großherzogthum eine Ständeversammlung zu geben. Jedem Vernünftigen aber wird und muß es einleuchten, daß man mit Einberufung einer Ständeversammlung und Erlassung eines Grundgesetzes nicht anfangen könne in einem Lande, das seit neun Jahren beinahe gar keine Regierung hatte, und worin es nur der angestrengtesten Bemühung gelang, eine gänzliche Anarchie zu verhüten, und einen, wenigstens einigermaßen geregelten Dienst einzuführen. *)

Die Mächte und die Pforte.

Allem Anschein nach neigen sich die Angelegenheiten des Orients zur Entscheidung: Rußland und England befinden sich in einer Lage, daß sie nicht mehr länger müßig zusehen können. Frankreich, das den augenblicklichen Stand der Dinge erhalten will, wird bei Seite geschoben, und das österreichische Kabinet strebt umsonst, noch einen Mezzo Termine zu finden, der einen alsbaldigen Bruch verhindern könnte. Rußland hält seine Flotte und Armee bereit, den übermüthigen Vasallen der Pforte zu demüthigen, England läßt durch seinen neuen Generalkonsul in Alexandrien, Oberst Hodges, dem Vicekönig mit Coercitivmaaßregeln drohen, beide sind bereit, der Pforte wieder Syrien und den Taurus zu verschaffen, und diese, verblendet durch den alten Stolz auf Stambuls Herrschaft, will nicht anerkennen, daß die Kraft des Reichs jetzt auf Mehemed Ali ruht, sie glaubt, ihre Ehre und ihr Vortheil hänge daran, daß sie wiederum in den Besitz Syriens gelange, und blickt auf England und Rußland, die ihr um die Wette denselben versprechen, während Frankreichs Gesandter scheel angesehen wird. Wenn irgendwo, so paßt hier das Wort: la fatalite les entraeine. Rußland hat Mehemed Ali's Macht benützt, um die der Pforte zu brechen, jetzt ist Mehemed Ali selbst zu bedeutender Macht herangewachsen, und nun soll ihn die Reihe treffen. Aber er hat sich im Taurus festgesetzt, sein Einfluß ist in Kurdistan herrschend, seine Emissäre sind thätig unter der mohammedanischen Bevölkerung des russischen Transkaukasiens, und selbst schon mit den Völkern des östlichen Kaukasus, fanatischen Moslems, sollen Verbindungen angeknüpft seyn. Zögert Rußland noch einige Zeit, so hat es mit den lesghischen Stämmen im Kaukasus, mit den sunnitischen Tataren in Schirwan und Karabag und mit den zahlreichen, unbändigen Kurdenschwärmen einen Kampf zu bestehen, der im geringsten Falle seine Kräfte in Asien lähmt, die Macht Mehemed Alis steigert, und vielleicht der Pforte Zeit gibt, sich aufzuraffen. Die Nachrichten häufen sich, daß die Kurdenhäuptlinge Ibrahim Pascha eingeladen haben, sich an ihre Spitze zu stellen, Rußland darf also um seiner Selbsterhaltung willen nicht mehr zögern, ja es kann sich veranlaßt sehen, die Dardanellenfrage und den Vertrag von Hunkiar-Skelessi für den Augenblick ganz fallen zu lassen, überzeugt, daß ihm Konstantinopel von selbst zufallen muß, wenn es ihm gelingt, Mehemed Ali auf die Südseite des Taurus zurückzuwerfen, und so mit im ganzen östlichen Theil von Kleinasien Meister zu werden. Für England aber macht es die um sich greifende antienglische Bewegung in Asien zur immer dringendern Nothwendigkeit, sich der Landenge von Suez zu bemächtigen. Der abermalige Zug der Perser gegen Herat und der Uebertritt dieses Fürsten auf die persische Seite sind allein schon so bedeutende Thatsachen, daß England nicht mehr länger zögern kann, sich den Weg über Aegypten zu sichern. Für beide Mächte ist somit die Nothwendigkeit gegeben, den Vicekönig zu demüthigen, und sie ermangeln nicht, dieser Nothwendigkeit das Ansehen von Eifer für die Macht und Würde des Sultans zu geben. Wenn England stillschweigend oder in einem offenkundigen Vertrage Rußland den Zug in Kleinasien gegen den Vicekönig unternehmen läßt, und noch durch einen gleichzeitigen Angriff in Syrien, Aegypten oder vom rothen Meere her Vorschub thut, so erklärt es eben damit, daß es der Nothwendigkeit, seinen ostindischen Besitzungen zu Hülfe zu kommen, alle weiteren Rücksichten nachsetzt, eben so wie Rußland, um dem nähern und drohenderen Feind in Kurdistan zu begegnen, vielleicht für den Augenblick die Dardanellenfrage fallen zu lassen scheint. Diese hat darum ihre Wichtigkeit nicht verloren, sie ist nur vertagt: Rußland hofft durch Siege in Hocharmenien und Kurdistan seine Macht und seinen Einfluß in der Türkei und in Konstantinopel so zu steigern, daß ihm diese Beute nicht entgehen kann, England aber meint, mit und durch die türkische Regierung und durch eine mächtige Flotte den wichtigen Punkt des Bosporus behaupten zu können. Welcher von beiden sich täuschen wird, das kann nur der Erfolg, das Kriegsgeschick, lehren.

Wie es Rußlands und Englands immer dringenderes Interesse ist, sich Mehemed Ali's zu entledigen, und also zu Gewaltmaaßregeln zu schreiten, so ist es Oesterreichs und Preußens entschiedenes Interesse, eben diese Gewaltmaaßregeln, und dadurch den Krieg zu vermeiden, aber unglücklicherweise fehlen ihnen hiezu alle directen Mittel. Nur Frankreich besitzt diese, allein um sie in Anwendung zu bringen, muß es eine entschiedenr Sprache führen, sich offen aussprechen, und sich in Bereitschaft setzen, nöthigenfalls seinen Worten mit Gewalt der Waffen Gehör zu verschaffen. Aber zu solchen extremen Schritten ist fürs erste weder Frankreich, noch England geneigt, und man findet es bequemer, jetzt noch einen heimlichen Krieg zu führen: England hetzt in Spanien die Exaltados gegen die Frankreich auf, und schürt das Feuer des Parteikampfes in Frankreich selbst, während dieses England in Aegypten Hindernisse bereitet, in Südamerika seinen Handel zu lähmen sucht, und durch seine Sendlinge die Chartisten in den Waffen übt. Das sind die Vorspiele des offenen Kampfs, der nicht ausbleiben kann, wenn Frankreich auf seinem Entschlusse beharrt, Mehemed Ali mit Rath und That gegen England beizustehen. Alle Nachrichten stimmen zusammen, daß gegen diesen auf irgend eine Art eingeschritten werden soll, aber wie, darüber weiß außer den Eingeweihten niemand etwas anders, als daß Rußland von Armenien her gegen ihn agiren werde. Es fehlt nicht an Engländern, welche behaupten, daß man zwar den Hafen

*) Obiger, wie es scheint aus sehr competenter Quelle kommende Artikel bestätigt doch nur die Angabe deutscher und einiger holländischen Blätter, daß Luxemburg vom niederländischen Grundgesetz ausgeschlossen, und dafür mit Provincialständen bedacht werden soll.

Interessen auf das innigste mit Niederland verbunden, daher auch dessen Grundgesetz, so weit es die Beziehungen zum deutschen Bunde gestatten, dort anwendbar ist. Was die Beschwerde betrifft, daß die Luxemburger jetzt zur Belohnung ihrer Treue und Anhänglichkeit an ihren legitimen Souverän der constitutionellen Wohlthaten beraubt werden, so ist diese, wenn wir selbst annehmen wollen, daß der Verfasser in gutem Glauben sprach, völlig ungegründet, da der König-Großherzog schon in seiner Proclamation bei der Wiederbesitznahme die Zusicherung ertheilt hat, daß er dem Lande eine seinen dermaligen Verhältnissen und Beziehungen angemessene Verfassung geben werde, und mit Beziehung hierauf auch bereits jetzt in der Organisation der oberen Verwaltungs- und Justizbehörden auf diese Zusicherung Rücksicht und nachmals ausdrücklich der Vorsatz ausgesprochen worden, dem Großherzogthum eine Ständeversammlung zu geben. Jedem Vernünftigen aber wird und muß es einleuchten, daß man mit Einberufung einer Ständeversammlung und Erlassung eines Grundgesetzes nicht anfangen könne in einem Lande, das seit neun Jahren beinahe gar keine Regierung hatte, und worin es nur der angestrengtesten Bemühung gelang, eine gänzliche Anarchie zu verhüten, und einen, wenigstens einigermaßen geregelten Dienst einzuführen. *)

Die Mächte und die Pforte.

Allem Anschein nach neigen sich die Angelegenheiten des Orients zur Entscheidung: Rußland und England befinden sich in einer Lage, daß sie nicht mehr länger müßig zusehen können. Frankreich, das den augenblicklichen Stand der Dinge erhalten will, wird bei Seite geschoben, und das österreichische Kabinet strebt umsonst, noch einen Mezzo Termine zu finden, der einen alsbaldigen Bruch verhindern könnte. Rußland hält seine Flotte und Armee bereit, den übermüthigen Vasallen der Pforte zu demüthigen, England läßt durch seinen neuen Generalkonsul in Alexandrien, Oberst Hodges, dem Vicekönig mit Coercitivmaaßregeln drohen, beide sind bereit, der Pforte wieder Syrien und den Taurus zu verschaffen, und diese, verblendet durch den alten Stolz auf Stambuls Herrschaft, will nicht anerkennen, daß die Kraft des Reichs jetzt auf Mehemed Ali ruht, sie glaubt, ihre Ehre und ihr Vortheil hänge daran, daß sie wiederum in den Besitz Syriens gelange, und blickt auf England und Rußland, die ihr um die Wette denselben versprechen, während Frankreichs Gesandter scheel angesehen wird. Wenn irgendwo, so paßt hier das Wort: la fatalité les entraîne. Rußland hat Mehemed Ali's Macht benützt, um die der Pforte zu brechen, jetzt ist Mehemed Ali selbst zu bedeutender Macht herangewachsen, und nun soll ihn die Reihe treffen. Aber er hat sich im Taurus festgesetzt, sein Einfluß ist in Kurdistan herrschend, seine Emissäre sind thätig unter der mohammedanischen Bevölkerung des russischen Transkaukasiens, und selbst schon mit den Völkern des östlichen Kaukasus, fanatischen Moslems, sollen Verbindungen angeknüpft seyn. Zögert Rußland noch einige Zeit, so hat es mit den lesghischen Stämmen im Kaukasus, mit den sunnitischen Tataren in Schirwan und Karabag und mit den zahlreichen, unbändigen Kurdenschwärmen einen Kampf zu bestehen, der im geringsten Falle seine Kräfte in Asien lähmt, die Macht Mehemed Alis steigert, und vielleicht der Pforte Zeit gibt, sich aufzuraffen. Die Nachrichten häufen sich, daß die Kurdenhäuptlinge Ibrahim Pascha eingeladen haben, sich an ihre Spitze zu stellen, Rußland darf also um seiner Selbsterhaltung willen nicht mehr zögern, ja es kann sich veranlaßt sehen, die Dardanellenfrage und den Vertrag von Hunkiar-Skelessi für den Augenblick ganz fallen zu lassen, überzeugt, daß ihm Konstantinopel von selbst zufallen muß, wenn es ihm gelingt, Mehemed Ali auf die Südseite des Taurus zurückzuwerfen, und so mit im ganzen östlichen Theil von Kleinasien Meister zu werden. Für England aber macht es die um sich greifende antienglische Bewegung in Asien zur immer dringendern Nothwendigkeit, sich der Landenge von Suez zu bemächtigen. Der abermalige Zug der Perser gegen Herat und der Uebertritt dieses Fürsten auf die persische Seite sind allein schon so bedeutende Thatsachen, daß England nicht mehr länger zögern kann, sich den Weg über Aegypten zu sichern. Für beide Mächte ist somit die Nothwendigkeit gegeben, den Vicekönig zu demüthigen, und sie ermangeln nicht, dieser Nothwendigkeit das Ansehen von Eifer für die Macht und Würde des Sultans zu geben. Wenn England stillschweigend oder in einem offenkundigen Vertrage Rußland den Zug in Kleinasien gegen den Vicekönig unternehmen läßt, und noch durch einen gleichzeitigen Angriff in Syrien, Aegypten oder vom rothen Meere her Vorschub thut, so erklärt es eben damit, daß es der Nothwendigkeit, seinen ostindischen Besitzungen zu Hülfe zu kommen, alle weiteren Rücksichten nachsetzt, eben so wie Rußland, um dem nähern und drohenderen Feind in Kurdistan zu begegnen, vielleicht für den Augenblick die Dardanellenfrage fallen zu lassen scheint. Diese hat darum ihre Wichtigkeit nicht verloren, sie ist nur vertagt: Rußland hofft durch Siege in Hocharmenien und Kurdistan seine Macht und seinen Einfluß in der Türkei und in Konstantinopel so zu steigern, daß ihm diese Beute nicht entgehen kann, England aber meint, mit und durch die türkische Regierung und durch eine mächtige Flotte den wichtigen Punkt des Bosporus behaupten zu können. Welcher von beiden sich täuschen wird, das kann nur der Erfolg, das Kriegsgeschick, lehren.

Wie es Rußlands und Englands immer dringenderes Interesse ist, sich Mehemed Ali's zu entledigen, und also zu Gewaltmaaßregeln zu schreiten, so ist es Oesterreichs und Preußens entschiedenes Interesse, eben diese Gewaltmaaßregeln, und dadurch den Krieg zu vermeiden, aber unglücklicherweise fehlen ihnen hiezu alle directen Mittel. Nur Frankreich besitzt diese, allein um sie in Anwendung zu bringen, muß es eine entschiedenr Sprache führen, sich offen aussprechen, und sich in Bereitschaft setzen, nöthigenfalls seinen Worten mit Gewalt der Waffen Gehör zu verschaffen. Aber zu solchen extremen Schritten ist fürs erste weder Frankreich, noch England geneigt, und man findet es bequemer, jetzt noch einen heimlichen Krieg zu führen: England hetzt in Spanien die Exaltados gegen die Frankreich auf, und schürt das Feuer des Parteikampfes in Frankreich selbst, während dieses England in Aegypten Hindernisse bereitet, in Südamerika seinen Handel zu lähmen sucht, und durch seine Sendlinge die Chartisten in den Waffen übt. Das sind die Vorspiele des offenen Kampfs, der nicht ausbleiben kann, wenn Frankreich auf seinem Entschlusse beharrt, Mehemed Ali mit Rath und That gegen England beizustehen. Alle Nachrichten stimmen zusammen, daß gegen diesen auf irgend eine Art eingeschritten werden soll, aber wie, darüber weiß außer den Eingeweihten niemand etwas anders, als daß Rußland von Armenien her gegen ihn agiren werde. Es fehlt nicht an Engländern, welche behaupten, daß man zwar den Hafen

*) Obiger, wie es scheint aus sehr competenter Quelle kommende Artikel bestätigt doch nur die Angabe deutscher und einiger holländischen Blätter, daß Luxemburg vom niederländischen Grundgesetz ausgeschlossen, und dafür mit Provincialständen bedacht werden soll.
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Interessen auf das innigste mit Niederland verbunden, daher auch dessen Grundgesetz, so weit es die Beziehungen zum deutschen Bunde gestatten, dort anwendbar ist. Was die Beschwerde betrifft, daß die Luxemburger jetzt zur Belohnung ihrer Treue und Anhänglichkeit an ihren legitimen Souverän der constitutionellen Wohlthaten beraubt werden, so ist diese, wenn wir selbst annehmen wollen, daß der Verfasser in gutem Glauben sprach, völlig ungegründet, da der König-Großherzog schon in seiner Proclamation bei der Wiederbesitznahme die Zusicherung ertheilt hat, daß er dem Lande eine seinen dermaligen Verhältnissen und Beziehungen angemessene Verfassung geben werde, und mit Beziehung hierauf auch bereits jetzt in der Organisation der oberen Verwaltungs- und Justizbehörden auf diese Zusicherung Rücksicht und nachmals ausdrücklich der Vorsatz ausgesprochen worden, dem Großherzogthum eine Ständeversammlung zu geben. Jedem Vernünftigen aber wird und muß es einleuchten, daß man mit Einberufung einer Ständeversammlung und Erlassung eines Grundgesetzes nicht anfangen könne in einem Lande, das seit neun Jahren beinahe gar keine Regierung hatte, und worin es nur der angestrengtesten Bemühung gelang, eine gänzliche Anarchie zu verhüten, und einen, wenigstens einigermaßen geregelten Dienst einzuführen. <note place="foot" n="*)">Obiger, wie es scheint aus sehr competenter Quelle kommende Artikel bestätigt doch nur die Angabe deutscher und einiger holländischen Blätter, daß Luxemburg vom niederländischen Grundgesetz ausgeschlossen, und dafür mit Provincialständen bedacht werden soll.</note></p><lb/>
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[0349/0013] Interessen auf das innigste mit Niederland verbunden, daher auch dessen Grundgesetz, so weit es die Beziehungen zum deutschen Bunde gestatten, dort anwendbar ist. Was die Beschwerde betrifft, daß die Luxemburger jetzt zur Belohnung ihrer Treue und Anhänglichkeit an ihren legitimen Souverän der constitutionellen Wohlthaten beraubt werden, so ist diese, wenn wir selbst annehmen wollen, daß der Verfasser in gutem Glauben sprach, völlig ungegründet, da der König-Großherzog schon in seiner Proclamation bei der Wiederbesitznahme die Zusicherung ertheilt hat, daß er dem Lande eine seinen dermaligen Verhältnissen und Beziehungen angemessene Verfassung geben werde, und mit Beziehung hierauf auch bereits jetzt in der Organisation der oberen Verwaltungs- und Justizbehörden auf diese Zusicherung Rücksicht und nachmals ausdrücklich der Vorsatz ausgesprochen worden, dem Großherzogthum eine Ständeversammlung zu geben. Jedem Vernünftigen aber wird und muß es einleuchten, daß man mit Einberufung einer Ständeversammlung und Erlassung eines Grundgesetzes nicht anfangen könne in einem Lande, das seit neun Jahren beinahe gar keine Regierung hatte, und worin es nur der angestrengtesten Bemühung gelang, eine gänzliche Anarchie zu verhüten, und einen, wenigstens einigermaßen geregelten Dienst einzuführen. *) Die Mächte und die Pforte. _ Vom Rhein, 1 Febr. Allem Anschein nach neigen sich die Angelegenheiten des Orients zur Entscheidung: Rußland und England befinden sich in einer Lage, daß sie nicht mehr länger müßig zusehen können. Frankreich, das den augenblicklichen Stand der Dinge erhalten will, wird bei Seite geschoben, und das österreichische Kabinet strebt umsonst, noch einen Mezzo Termine zu finden, der einen alsbaldigen Bruch verhindern könnte. Rußland hält seine Flotte und Armee bereit, den übermüthigen Vasallen der Pforte zu demüthigen, England läßt durch seinen neuen Generalkonsul in Alexandrien, Oberst Hodges, dem Vicekönig mit Coercitivmaaßregeln drohen, beide sind bereit, der Pforte wieder Syrien und den Taurus zu verschaffen, und diese, verblendet durch den alten Stolz auf Stambuls Herrschaft, will nicht anerkennen, daß die Kraft des Reichs jetzt auf Mehemed Ali ruht, sie glaubt, ihre Ehre und ihr Vortheil hänge daran, daß sie wiederum in den Besitz Syriens gelange, und blickt auf England und Rußland, die ihr um die Wette denselben versprechen, während Frankreichs Gesandter scheel angesehen wird. Wenn irgendwo, so paßt hier das Wort: la fatalité les entraîne. Rußland hat Mehemed Ali's Macht benützt, um die der Pforte zu brechen, jetzt ist Mehemed Ali selbst zu bedeutender Macht herangewachsen, und nun soll ihn die Reihe treffen. Aber er hat sich im Taurus festgesetzt, sein Einfluß ist in Kurdistan herrschend, seine Emissäre sind thätig unter der mohammedanischen Bevölkerung des russischen Transkaukasiens, und selbst schon mit den Völkern des östlichen Kaukasus, fanatischen Moslems, sollen Verbindungen angeknüpft seyn. Zögert Rußland noch einige Zeit, so hat es mit den lesghischen Stämmen im Kaukasus, mit den sunnitischen Tataren in Schirwan und Karabag und mit den zahlreichen, unbändigen Kurdenschwärmen einen Kampf zu bestehen, der im geringsten Falle seine Kräfte in Asien lähmt, die Macht Mehemed Alis steigert, und vielleicht der Pforte Zeit gibt, sich aufzuraffen. Die Nachrichten häufen sich, daß die Kurdenhäuptlinge Ibrahim Pascha eingeladen haben, sich an ihre Spitze zu stellen, Rußland darf also um seiner Selbsterhaltung willen nicht mehr zögern, ja es kann sich veranlaßt sehen, die Dardanellenfrage und den Vertrag von Hunkiar-Skelessi für den Augenblick ganz fallen zu lassen, überzeugt, daß ihm Konstantinopel von selbst zufallen muß, wenn es ihm gelingt, Mehemed Ali auf die Südseite des Taurus zurückzuwerfen, und so mit im ganzen östlichen Theil von Kleinasien Meister zu werden. Für England aber macht es die um sich greifende antienglische Bewegung in Asien zur immer dringendern Nothwendigkeit, sich der Landenge von Suez zu bemächtigen. Der abermalige Zug der Perser gegen Herat und der Uebertritt dieses Fürsten auf die persische Seite sind allein schon so bedeutende Thatsachen, daß England nicht mehr länger zögern kann, sich den Weg über Aegypten zu sichern. Für beide Mächte ist somit die Nothwendigkeit gegeben, den Vicekönig zu demüthigen, und sie ermangeln nicht, dieser Nothwendigkeit das Ansehen von Eifer für die Macht und Würde des Sultans zu geben. Wenn England stillschweigend oder in einem offenkundigen Vertrage Rußland den Zug in Kleinasien gegen den Vicekönig unternehmen läßt, und noch durch einen gleichzeitigen Angriff in Syrien, Aegypten oder vom rothen Meere her Vorschub thut, so erklärt es eben damit, daß es der Nothwendigkeit, seinen ostindischen Besitzungen zu Hülfe zu kommen, alle weiteren Rücksichten nachsetzt, eben so wie Rußland, um dem nähern und drohenderen Feind in Kurdistan zu begegnen, vielleicht für den Augenblick die Dardanellenfrage fallen zu lassen scheint. Diese hat darum ihre Wichtigkeit nicht verloren, sie ist nur vertagt: Rußland hofft durch Siege in Hocharmenien und Kurdistan seine Macht und seinen Einfluß in der Türkei und in Konstantinopel so zu steigern, daß ihm diese Beute nicht entgehen kann, England aber meint, mit und durch die türkische Regierung und durch eine mächtige Flotte den wichtigen Punkt des Bosporus behaupten zu können. Welcher von beiden sich täuschen wird, das kann nur der Erfolg, das Kriegsgeschick, lehren. Wie es Rußlands und Englands immer dringenderes Interesse ist, sich Mehemed Ali's zu entledigen, und also zu Gewaltmaaßregeln zu schreiten, so ist es Oesterreichs und Preußens entschiedenes Interesse, eben diese Gewaltmaaßregeln, und dadurch den Krieg zu vermeiden, aber unglücklicherweise fehlen ihnen hiezu alle directen Mittel. Nur Frankreich besitzt diese, allein um sie in Anwendung zu bringen, muß es eine entschiedenr Sprache führen, sich offen aussprechen, und sich in Bereitschaft setzen, nöthigenfalls seinen Worten mit Gewalt der Waffen Gehör zu verschaffen. Aber zu solchen extremen Schritten ist fürs erste weder Frankreich, noch England geneigt, und man findet es bequemer, jetzt noch einen heimlichen Krieg zu führen: England hetzt in Spanien die Exaltados gegen die Frankreich auf, und schürt das Feuer des Parteikampfes in Frankreich selbst, während dieses England in Aegypten Hindernisse bereitet, in Südamerika seinen Handel zu lähmen sucht, und durch seine Sendlinge die Chartisten in den Waffen übt. Das sind die Vorspiele des offenen Kampfs, der nicht ausbleiben kann, wenn Frankreich auf seinem Entschlusse beharrt, Mehemed Ali mit Rath und That gegen England beizustehen. Alle Nachrichten stimmen zusammen, daß gegen diesen auf irgend eine Art eingeschritten werden soll, aber wie, darüber weiß außer den Eingeweihten niemand etwas anders, als daß Rußland von Armenien her gegen ihn agiren werde. Es fehlt nicht an Engländern, welche behaupten, daß man zwar den Hafen *) Obiger, wie es scheint aus sehr competenter Quelle kommende Artikel bestätigt doch nur die Angabe deutscher und einiger holländischen Blätter, daß Luxemburg vom niederländischen Grundgesetz ausgeschlossen, und dafür mit Provincialständen bedacht werden soll.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 44. Augsburg, 13. Februar 1840, S. 0349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_044_18400213/13>, abgerufen am 29.04.2024.