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Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg, 9. März 1840.

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Großbritannien.

Die Angelegenheit der Sheriffs von London und Middlesex, im Zusammenhange mit dem Stockdale'schen Handel, erhält die Corporation der Stadt London in fortdauernder Aufregung. Am 28 Febr. fand, von den Untersheriffs berufen, die zweite öffentliche Versammlung in dieser Sache in der Freimaurertaberne statt. Sie war fast noch stürmischer als die, welche acht Tage früher statt gefunden. (Vgl. Allgem. Zeitg. Nr. 61). Die Eröffnung des Meeting sollte um 1 Uhr erfolgen, aber schon vor 12 Uhr hatte sich eine Menschenmasse vor dem Hause versammelt, welche die kommenden Unterhausmitglieder, Gemeinderäthe u. s. w. theils mit Beifallruf theils mit Zischen empfing. Der Eintritt sollte nur gegen Karten gestattet seyn, aber die Menge stieß die vor den Thüren errichteten Schranken ein, und drängte sich in den Saal. Unter den Parlamentsmitgliedern machte sich besonders Sir Fr. Burdett bemerkbar. Hume erschien dießmal nicht, obgleich viel für und gegen ihn geschrieen wurde. Der Untersheriff Hr. France führte den Vorsitz, den er später an Sir Fr. Burdett abtrat. Der Municipalrath Hr. Gibbons erklärte, das Meeting habe den Zweck, seine Entrüstung über das feige Benehmen des Hauses der Gemeinen auszudrücken, und schlug nach einer Rede, die von dem betäubendsten Geschrei obligat begleitet wurde, folgende Resolution vor: "Jeder brittische Unterthan, der sich in seinem Recht gekränkt glaubt, ist befugt, Abhülfe zu suchen durch gerichtliche Klage; die Anhängigmachung und Verfolgung einer solchen Klage ist keine Verletzung des Parlamentsprivilegiums. Das Haus der Gemeinen, indem es William Evans und John Weelton Esqrs., den Sheriff von London und den von Middlesex, wegen Vollzugs eines königlichen Gerichtsbefehls, unter dem Vorwand, sie hätten damit das Privilegium des Hauses verletzt, gefangen setzen ließ, hat sich damit eine legislative Autorität und eine Jurisdiction angemaßt, die ihm gesetzlich nicht zusteht und verfassungswidrig ist. Wir bitten daher, Ihre Maj. wolle huldvollst von ihrer königlichen Prärogative Gebrauch machen und durch eine alsbaldige Parlamentsauflösung ein Haus der Gemeinen entlassen, das sich auf solche Weise eine nicht verantwortliche Willkürgewalt arrogirt und sich mit den Grundprincipien einer freien Verfassung in Widerstreit gestellt hat." Unter einem ungeheuern Lärm suchte Sir J. S. Lillie das Verfahren des Unterhauses, unter Anderm mit Berufung auf Blackstone, zu rechtfertigen. (Man schreit: "Fort mit Blackstone! Fort mit Lillie!"). Endlich schlug der Untersheriff Jackson den Adreßentwurf an Ihre Maj. vor. Großer Applaus und Schwenken der Hüte; die Adresse wurde für angenommen erklärt. Schließlich suchte Sir Fr. Burdett noch zu sprechen, aber die "schwirrende Cicadenstimme" des Greises ward in dem Tumult kaum von den Zunächststehenden vernommen. Burdett hat dem gefangenen Advocatenschreiber Pearce zuerst schriftlich und dann mündlich angeboten, seine Petition um Freilassung im Parlament zu überreichen, aber Pearce hat heroisch erklärt: "Mir, einem alten Soldaten, würde es schlecht geziemen, in einer so guten Sache eine weiße Feder zu zeigen." Der Examiner spottet über den angeblichen Beschluß des Londoner Gemeinderaths, ihre Gratulationsadresse an die Königin nicht eher zu überreichen, bis die beiden Sheriffs frei seyen und in der Deputation mit gehen könnten - "keine Sheriffs, keine Adresse." Die junge Königin, meint das Blatt, werde darum schwerlich schlechter schlafen.

Belgien.

Die Kammer der Repräsentanten hat sich in ihrer Sitzung vom 28 Febr. mit einem Gesetze über das Duell beschäftigt. Es sind nämlich schon beinahe vier Jahre, daß ein Senator ein solches Gesetz im Senate in Vorschlag brachte, nachdem kurz vorher eine Reihe von Duellen vorgefallen war. Die Veranlassung zu diesem lag in dem Verleumdungssystem einiger schlechten Journale, deren sich credit- und achtungslose Individuen unter dem Schutze der Anonymität bedienten, um höhere Civil- und Militärbeamte und Officiere anzugreifen, und das Aergste über sie auszustreuen. Dieser Niederträchtigkeit lag die Speculation zu Grunde, die Angegriffenen aus ihren Aemtern zu vertreiben, und dagegen die Protegirten der Lügenpresse an ihre Stelle einzuschwärzen. Da nun in solchen Fällen das Einschreiten der Gerichte gegen den Preßunfug fast nur dazu dient, das Skandal zu vergrößern, die Geschwornen auch mehr als einmal eine Nachsicht ausgeübt, die dem angegriffenen Theil Mißtrauen in den gerichtlichen Weg einflößen mußte, so griffen Manche, besonders Officiere, lieber zum Degen, um sich selbst Recht zu verschaffen. Schritt dann die Justiz gegen die Duellanten ein, so entstand vor den Gerichtshöfen die Frage, ob überhaupt das bestehende Strafgesetzbuch auf das Duell anwendbar sey? In dem französischen Code penal nämlich, der in Belgien bestehen geblieben, ist von dem Duell insbesondere gar nicht die Rede. Die Einen leiten daraus die Behauptung her, das Gesetz betrachte dasselbe nicht als strafbar, die Andern wollen vielmehr darin den Beweis finden, das Gesetz habe es unter die gewöhnliche Rubrik von Attentaten gegen das Leben Anderer mitbegriffen, und wollen zwischen einem Duellanten und einem Mörder keinen Unterschied gemacht wissen. Jenes war lange Zeit die beim Pariser Cassationshof geltende Ansicht, bis derselbe bekanntlich, im Jahr 1837, in Folge eines merkwürdigen Requisitoriums des Generalprocurators Dupin, die letztere Ansicht annahm, und die gewöhnlichen Bestimmungen des Code penal auf das Duell anwandte. Der hiesige Cassationshof war dem Pariser hierin schon vorangegangen; unsere Provincialgerichtshöfe dagegen, vor welche solche Fälle gebracht werden müssen, sind alle der entgegengesetzten Meinung, und wollen den Duellanten nicht mit dem Mörder, oder demjenigen, der mit Absicht einem Andern nach dem Leben trachtet, auf gleiche Linie stellen. Diesem Conflict zwischen den Provincialgerichtshöfen und dem Cassationshof kann nur ein Ende gemacht werden durch eine von den Kammern in Verein mit dem König ausgehende Interpretation des Strafgesetzbuches; mithin würden die Kammern, auch ohne jenes im Senate vorgeschlagene specielle Gesetz über das Duell, sich dennoch mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Die Erfahrung beweist allerdings, daß das System, den gewöhnlichen Strafcodex auf den Zweikampf anzuwenden, nur zur Straflosigkeit des letztern führt, weil sich das Gefühl der Richter dagegen sträubt, und lieber den Schuldigen freispricht, als ihm eine infamirende Strafe auflegt, oder ihn zum Schaffot verurtheilt; sobald man aber, um diesem Uebelstande zu entgehen, sich auf ein specielles Gesetz über den Zweikampf einläßt, mithin die Strafen aufhebt oder mildert, und in die nähern Umstände des Duells eingeht, um sie nach den herkömmlichen Regeln zu beurtheilen und abzuwägen, so liegt hierin das Princip einer Art von Sanction des Duells, unter gewissen Bedingungen; der Gesetzgeber hat den Anschein, das barbarische Vorurtheil, das er bekämpfen sollte, zu theilen, es unter Regeln zu bringen und als einen Bestandtheil unserer Sitten in Zukunft gelten zu lassen. Die

Großbritannien.

Die Angelegenheit der Sheriffs von London und Middlesex, im Zusammenhange mit dem Stockdale'schen Handel, erhält die Corporation der Stadt London in fortdauernder Aufregung. Am 28 Febr. fand, von den Untersheriffs berufen, die zweite öffentliche Versammlung in dieser Sache in der Freimaurertaberne statt. Sie war fast noch stürmischer als die, welche acht Tage früher statt gefunden. (Vgl. Allgem. Zeitg. Nr. 61). Die Eröffnung des Meeting sollte um 1 Uhr erfolgen, aber schon vor 12 Uhr hatte sich eine Menschenmasse vor dem Hause versammelt, welche die kommenden Unterhausmitglieder, Gemeinderäthe u. s. w. theils mit Beifallruf theils mit Zischen empfing. Der Eintritt sollte nur gegen Karten gestattet seyn, aber die Menge stieß die vor den Thüren errichteten Schranken ein, und drängte sich in den Saal. Unter den Parlamentsmitgliedern machte sich besonders Sir Fr. Burdett bemerkbar. Hume erschien dießmal nicht, obgleich viel für und gegen ihn geschrieen wurde. Der Untersheriff Hr. France führte den Vorsitz, den er später an Sir Fr. Burdett abtrat. Der Municipalrath Hr. Gibbons erklärte, das Meeting habe den Zweck, seine Entrüstung über das feige Benehmen des Hauses der Gemeinen auszudrücken, und schlug nach einer Rede, die von dem betäubendsten Geschrei obligat begleitet wurde, folgende Resolution vor: „Jeder brittische Unterthan, der sich in seinem Recht gekränkt glaubt, ist befugt, Abhülfe zu suchen durch gerichtliche Klage; die Anhängigmachung und Verfolgung einer solchen Klage ist keine Verletzung des Parlamentsprivilegiums. Das Haus der Gemeinen, indem es William Evans und John Weelton Esqrs., den Sheriff von London und den von Middlesex, wegen Vollzugs eines königlichen Gerichtsbefehls, unter dem Vorwand, sie hätten damit das Privilegium des Hauses verletzt, gefangen setzen ließ, hat sich damit eine legislative Autorität und eine Jurisdiction angemaßt, die ihm gesetzlich nicht zusteht und verfassungswidrig ist. Wir bitten daher, Ihre Maj. wolle huldvollst von ihrer königlichen Prärogative Gebrauch machen und durch eine alsbaldige Parlamentsauflösung ein Haus der Gemeinen entlassen, das sich auf solche Weise eine nicht verantwortliche Willkürgewalt arrogirt und sich mit den Grundprincipien einer freien Verfassung in Widerstreit gestellt hat.“ Unter einem ungeheuern Lärm suchte Sir J. S. Lillie das Verfahren des Unterhauses, unter Anderm mit Berufung auf Blackstone, zu rechtfertigen. (Man schreit: „Fort mit Blackstone! Fort mit Lillie!“). Endlich schlug der Untersheriff Jackson den Adreßentwurf an Ihre Maj. vor. Großer Applaus und Schwenken der Hüte; die Adresse wurde für angenommen erklärt. Schließlich suchte Sir Fr. Burdett noch zu sprechen, aber die „schwirrende Cicadenstimme“ des Greises ward in dem Tumult kaum von den Zunächststehenden vernommen. Burdett hat dem gefangenen Advocatenschreiber Pearce zuerst schriftlich und dann mündlich angeboten, seine Petition um Freilassung im Parlament zu überreichen, aber Pearce hat heroisch erklärt: „Mir, einem alten Soldaten, würde es schlecht geziemen, in einer so guten Sache eine weiße Feder zu zeigen.“ Der Examiner spottet über den angeblichen Beschluß des Londoner Gemeinderaths, ihre Gratulationsadresse an die Königin nicht eher zu überreichen, bis die beiden Sheriffs frei seyen und in der Deputation mit gehen könnten – „keine Sheriffs, keine Adresse.“ Die junge Königin, meint das Blatt, werde darum schwerlich schlechter schlafen.

Belgien.

Die Kammer der Repräsentanten hat sich in ihrer Sitzung vom 28 Febr. mit einem Gesetze über das Duell beschäftigt. Es sind nämlich schon beinahe vier Jahre, daß ein Senator ein solches Gesetz im Senate in Vorschlag brachte, nachdem kurz vorher eine Reihe von Duellen vorgefallen war. Die Veranlassung zu diesem lag in dem Verleumdungssystem einiger schlechten Journale, deren sich credit- und achtungslose Individuen unter dem Schutze der Anonymität bedienten, um höhere Civil- und Militärbeamte und Officiere anzugreifen, und das Aergste über sie auszustreuen. Dieser Niederträchtigkeit lag die Speculation zu Grunde, die Angegriffenen aus ihren Aemtern zu vertreiben, und dagegen die Protegirten der Lügenpresse an ihre Stelle einzuschwärzen. Da nun in solchen Fällen das Einschreiten der Gerichte gegen den Preßunfug fast nur dazu dient, das Skandal zu vergrößern, die Geschwornen auch mehr als einmal eine Nachsicht ausgeübt, die dem angegriffenen Theil Mißtrauen in den gerichtlichen Weg einflößen mußte, so griffen Manche, besonders Officiere, lieber zum Degen, um sich selbst Recht zu verschaffen. Schritt dann die Justiz gegen die Duellanten ein, so entstand vor den Gerichtshöfen die Frage, ob überhaupt das bestehende Strafgesetzbuch auf das Duell anwendbar sey? In dem französischen Code pénal nämlich, der in Belgien bestehen geblieben, ist von dem Duell insbesondere gar nicht die Rede. Die Einen leiten daraus die Behauptung her, das Gesetz betrachte dasselbe nicht als strafbar, die Andern wollen vielmehr darin den Beweis finden, das Gesetz habe es unter die gewöhnliche Rubrik von Attentaten gegen das Leben Anderer mitbegriffen, und wollen zwischen einem Duellanten und einem Mörder keinen Unterschied gemacht wissen. Jenes war lange Zeit die beim Pariser Cassationshof geltende Ansicht, bis derselbe bekanntlich, im Jahr 1837, in Folge eines merkwürdigen Requisitoriums des Generalprocurators Dupin, die letztere Ansicht annahm, und die gewöhnlichen Bestimmungen des Code pénal auf das Duell anwandte. Der hiesige Cassationshof war dem Pariser hierin schon vorangegangen; unsere Provincialgerichtshöfe dagegen, vor welche solche Fälle gebracht werden müssen, sind alle der entgegengesetzten Meinung, und wollen den Duellanten nicht mit dem Mörder, oder demjenigen, der mit Absicht einem Andern nach dem Leben trachtet, auf gleiche Linie stellen. Diesem Conflict zwischen den Provincialgerichtshöfen und dem Cassationshof kann nur ein Ende gemacht werden durch eine von den Kammern in Verein mit dem König ausgehende Interpretation des Strafgesetzbuches; mithin würden die Kammern, auch ohne jenes im Senate vorgeschlagene specielle Gesetz über das Duell, sich dennoch mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Die Erfahrung beweist allerdings, daß das System, den gewöhnlichen Strafcodex auf den Zweikampf anzuwenden, nur zur Straflosigkeit des letztern führt, weil sich das Gefühl der Richter dagegen sträubt, und lieber den Schuldigen freispricht, als ihm eine infamirende Strafe auflegt, oder ihn zum Schaffot verurtheilt; sobald man aber, um diesem Uebelstande zu entgehen, sich auf ein specielles Gesetz über den Zweikampf einläßt, mithin die Strafen aufhebt oder mildert, und in die nähern Umstände des Duells eingeht, um sie nach den herkömmlichen Regeln zu beurtheilen und abzuwägen, so liegt hierin das Princip einer Art von Sanction des Duells, unter gewissen Bedingungen; der Gesetzgeber hat den Anschein, das barbarische Vorurtheil, das er bekämpfen sollte, zu theilen, es unter Regeln zu bringen und als einen Bestandtheil unserer Sitten in Zukunft gelten zu lassen. Die

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          <p> Die Kammer der Repräsentanten hat sich in ihrer Sitzung vom 28 Febr. mit einem Gesetze über das Duell beschäftigt. Es sind nämlich schon beinahe vier Jahre, daß ein Senator ein solches Gesetz im Senate in Vorschlag brachte, nachdem kurz vorher eine Reihe von Duellen vorgefallen war. Die Veranlassung zu diesem lag in dem Verleumdungssystem einiger schlechten Journale, deren sich credit- und achtungslose Individuen unter dem Schutze der Anonymität bedienten, um höhere Civil- und Militärbeamte und Officiere anzugreifen, und das Aergste über sie auszustreuen. Dieser Niederträchtigkeit lag die Speculation zu Grunde, die Angegriffenen aus ihren Aemtern zu vertreiben, und dagegen die Protegirten der Lügenpresse an ihre Stelle einzuschwärzen. Da nun in solchen Fällen das Einschreiten der Gerichte gegen den Preßunfug fast nur dazu dient, das Skandal zu vergrößern, die Geschwornen auch mehr als einmal eine Nachsicht ausgeübt, die dem angegriffenen Theil Mißtrauen in den gerichtlichen Weg einflößen mußte, so griffen Manche, besonders Officiere, lieber zum Degen, um sich selbst Recht zu verschaffen. Schritt dann die Justiz gegen die Duellanten ein, so entstand vor den Gerichtshöfen die Frage, ob überhaupt das bestehende Strafgesetzbuch auf das Duell anwendbar sey? In dem französischen Code pénal nämlich, der in Belgien bestehen geblieben, ist von dem Duell insbesondere gar nicht die Rede. Die Einen leiten daraus die Behauptung her, das Gesetz betrachte dasselbe nicht als strafbar, die Andern wollen vielmehr darin den Beweis finden, das Gesetz habe es unter die gewöhnliche Rubrik von Attentaten gegen das Leben Anderer mitbegriffen, und wollen zwischen einem Duellanten und einem Mörder keinen Unterschied gemacht wissen. Jenes war lange Zeit die beim Pariser Cassationshof geltende Ansicht, bis derselbe bekanntlich, im Jahr 1837, in Folge eines merkwürdigen Requisitoriums des Generalprocurators Dupin, die letztere Ansicht annahm, und die gewöhnlichen Bestimmungen des Code pénal auf das Duell anwandte. Der hiesige Cassationshof war dem Pariser hierin schon vorangegangen; unsere Provincialgerichtshöfe dagegen, vor welche solche Fälle gebracht werden müssen, sind alle der entgegengesetzten Meinung, und wollen den Duellanten nicht mit dem Mörder, oder demjenigen, der mit Absicht einem Andern nach dem Leben trachtet, auf gleiche Linie stellen. Diesem Conflict zwischen den Provincialgerichtshöfen und dem Cassationshof kann nur ein Ende gemacht werden durch eine von den Kammern in Verein mit dem König ausgehende Interpretation des Strafgesetzbuches; mithin würden die Kammern, auch ohne jenes im Senate vorgeschlagene specielle Gesetz über das Duell, sich dennoch mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Die Erfahrung beweist allerdings, daß das System, den gewöhnlichen Strafcodex auf den Zweikampf anzuwenden, nur zur Straflosigkeit des letztern führt, weil sich das Gefühl der Richter dagegen sträubt, und lieber den Schuldigen freispricht, als ihm eine infamirende Strafe auflegt, oder ihn zum Schaffot verurtheilt; sobald man aber, um diesem Uebelstande zu entgehen, sich auf ein specielles Gesetz über den Zweikampf einläßt, mithin die Strafen aufhebt oder mildert, und in die nähern Umstände des Duells eingeht, um sie nach den herkömmlichen Regeln zu beurtheilen und abzuwägen, so liegt hierin das Princip einer Art von Sanction des Duells, unter gewissen Bedingungen; der Gesetzgeber hat den Anschein, das barbarische Vorurtheil, das er bekämpfen sollte, zu theilen, es unter Regeln zu bringen und als einen Bestandtheil unserer Sitten in Zukunft gelten zu lassen. Die<lb/></p>
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[0547/0011] Großbritannien. _ London, 29 Febr. Die Angelegenheit der Sheriffs von London und Middlesex, im Zusammenhange mit dem Stockdale'schen Handel, erhält die Corporation der Stadt London in fortdauernder Aufregung. Am 28 Febr. fand, von den Untersheriffs berufen, die zweite öffentliche Versammlung in dieser Sache in der Freimaurertaberne statt. Sie war fast noch stürmischer als die, welche acht Tage früher statt gefunden. (Vgl. Allgem. Zeitg. Nr. 61). Die Eröffnung des Meeting sollte um 1 Uhr erfolgen, aber schon vor 12 Uhr hatte sich eine Menschenmasse vor dem Hause versammelt, welche die kommenden Unterhausmitglieder, Gemeinderäthe u. s. w. theils mit Beifallruf theils mit Zischen empfing. Der Eintritt sollte nur gegen Karten gestattet seyn, aber die Menge stieß die vor den Thüren errichteten Schranken ein, und drängte sich in den Saal. Unter den Parlamentsmitgliedern machte sich besonders Sir Fr. Burdett bemerkbar. Hume erschien dießmal nicht, obgleich viel für und gegen ihn geschrieen wurde. Der Untersheriff Hr. France führte den Vorsitz, den er später an Sir Fr. Burdett abtrat. Der Municipalrath Hr. Gibbons erklärte, das Meeting habe den Zweck, seine Entrüstung über das feige Benehmen des Hauses der Gemeinen auszudrücken, und schlug nach einer Rede, die von dem betäubendsten Geschrei obligat begleitet wurde, folgende Resolution vor: „Jeder brittische Unterthan, der sich in seinem Recht gekränkt glaubt, ist befugt, Abhülfe zu suchen durch gerichtliche Klage; die Anhängigmachung und Verfolgung einer solchen Klage ist keine Verletzung des Parlamentsprivilegiums. Das Haus der Gemeinen, indem es William Evans und John Weelton Esqrs., den Sheriff von London und den von Middlesex, wegen Vollzugs eines königlichen Gerichtsbefehls, unter dem Vorwand, sie hätten damit das Privilegium des Hauses verletzt, gefangen setzen ließ, hat sich damit eine legislative Autorität und eine Jurisdiction angemaßt, die ihm gesetzlich nicht zusteht und verfassungswidrig ist. Wir bitten daher, Ihre Maj. wolle huldvollst von ihrer königlichen Prärogative Gebrauch machen und durch eine alsbaldige Parlamentsauflösung ein Haus der Gemeinen entlassen, das sich auf solche Weise eine nicht verantwortliche Willkürgewalt arrogirt und sich mit den Grundprincipien einer freien Verfassung in Widerstreit gestellt hat.“ Unter einem ungeheuern Lärm suchte Sir J. S. Lillie das Verfahren des Unterhauses, unter Anderm mit Berufung auf Blackstone, zu rechtfertigen. (Man schreit: „Fort mit Blackstone! Fort mit Lillie!“). Endlich schlug der Untersheriff Jackson den Adreßentwurf an Ihre Maj. vor. Großer Applaus und Schwenken der Hüte; die Adresse wurde für angenommen erklärt. Schließlich suchte Sir Fr. Burdett noch zu sprechen, aber die „schwirrende Cicadenstimme“ des Greises ward in dem Tumult kaum von den Zunächststehenden vernommen. Burdett hat dem gefangenen Advocatenschreiber Pearce zuerst schriftlich und dann mündlich angeboten, seine Petition um Freilassung im Parlament zu überreichen, aber Pearce hat heroisch erklärt: „Mir, einem alten Soldaten, würde es schlecht geziemen, in einer so guten Sache eine weiße Feder zu zeigen.“ Der Examiner spottet über den angeblichen Beschluß des Londoner Gemeinderaths, ihre Gratulationsadresse an die Königin nicht eher zu überreichen, bis die beiden Sheriffs frei seyen und in der Deputation mit gehen könnten – „keine Sheriffs, keine Adresse.“ Die junge Königin, meint das Blatt, werde darum schwerlich schlechter schlafen. Belgien. _ Brüssel, 1 März. Die Kammer der Repräsentanten hat sich in ihrer Sitzung vom 28 Febr. mit einem Gesetze über das Duell beschäftigt. Es sind nämlich schon beinahe vier Jahre, daß ein Senator ein solches Gesetz im Senate in Vorschlag brachte, nachdem kurz vorher eine Reihe von Duellen vorgefallen war. Die Veranlassung zu diesem lag in dem Verleumdungssystem einiger schlechten Journale, deren sich credit- und achtungslose Individuen unter dem Schutze der Anonymität bedienten, um höhere Civil- und Militärbeamte und Officiere anzugreifen, und das Aergste über sie auszustreuen. Dieser Niederträchtigkeit lag die Speculation zu Grunde, die Angegriffenen aus ihren Aemtern zu vertreiben, und dagegen die Protegirten der Lügenpresse an ihre Stelle einzuschwärzen. Da nun in solchen Fällen das Einschreiten der Gerichte gegen den Preßunfug fast nur dazu dient, das Skandal zu vergrößern, die Geschwornen auch mehr als einmal eine Nachsicht ausgeübt, die dem angegriffenen Theil Mißtrauen in den gerichtlichen Weg einflößen mußte, so griffen Manche, besonders Officiere, lieber zum Degen, um sich selbst Recht zu verschaffen. Schritt dann die Justiz gegen die Duellanten ein, so entstand vor den Gerichtshöfen die Frage, ob überhaupt das bestehende Strafgesetzbuch auf das Duell anwendbar sey? In dem französischen Code pénal nämlich, der in Belgien bestehen geblieben, ist von dem Duell insbesondere gar nicht die Rede. Die Einen leiten daraus die Behauptung her, das Gesetz betrachte dasselbe nicht als strafbar, die Andern wollen vielmehr darin den Beweis finden, das Gesetz habe es unter die gewöhnliche Rubrik von Attentaten gegen das Leben Anderer mitbegriffen, und wollen zwischen einem Duellanten und einem Mörder keinen Unterschied gemacht wissen. Jenes war lange Zeit die beim Pariser Cassationshof geltende Ansicht, bis derselbe bekanntlich, im Jahr 1837, in Folge eines merkwürdigen Requisitoriums des Generalprocurators Dupin, die letztere Ansicht annahm, und die gewöhnlichen Bestimmungen des Code pénal auf das Duell anwandte. Der hiesige Cassationshof war dem Pariser hierin schon vorangegangen; unsere Provincialgerichtshöfe dagegen, vor welche solche Fälle gebracht werden müssen, sind alle der entgegengesetzten Meinung, und wollen den Duellanten nicht mit dem Mörder, oder demjenigen, der mit Absicht einem Andern nach dem Leben trachtet, auf gleiche Linie stellen. Diesem Conflict zwischen den Provincialgerichtshöfen und dem Cassationshof kann nur ein Ende gemacht werden durch eine von den Kammern in Verein mit dem König ausgehende Interpretation des Strafgesetzbuches; mithin würden die Kammern, auch ohne jenes im Senate vorgeschlagene specielle Gesetz über das Duell, sich dennoch mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Die Erfahrung beweist allerdings, daß das System, den gewöhnlichen Strafcodex auf den Zweikampf anzuwenden, nur zur Straflosigkeit des letztern führt, weil sich das Gefühl der Richter dagegen sträubt, und lieber den Schuldigen freispricht, als ihm eine infamirende Strafe auflegt, oder ihn zum Schaffot verurtheilt; sobald man aber, um diesem Uebelstande zu entgehen, sich auf ein specielles Gesetz über den Zweikampf einläßt, mithin die Strafen aufhebt oder mildert, und in die nähern Umstände des Duells eingeht, um sie nach den herkömmlichen Regeln zu beurtheilen und abzuwägen, so liegt hierin das Princip einer Art von Sanction des Duells, unter gewissen Bedingungen; der Gesetzgeber hat den Anschein, das barbarische Vorurtheil, das er bekämpfen sollte, zu theilen, es unter Regeln zu bringen und als einen Bestandtheil unserer Sitten in Zukunft gelten zu lassen. Die

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg, 9. März 1840, S. 0547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_069_18400309/11>, abgerufen am 29.04.2024.