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Allgemeine Zeitung. Nr. 103. Augsburg, 12. April 1840.

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und einen Theil derselben nicht versehen. Diesem könnte theils durch Erhöhung der Gehalte und Verbieten des Besitzens mehrerer Stellen, theils durch Einführung von Collegiengeldern abgeholfen werden. Aber das letzte und sicherste Mittel ist hier kaum anwendbar, es ist gegen die Gewohnheit und wird in der öffentlichen Meinung großen Widerstand finden. Es bleibt daher nichts übrig, als bessere Bezahlung und Beschränkung auf Eine Stelle, aber dieß erforderte eine beträchtliche Vermehrung des Budgets des öffentlichen Unterrichts, und die Zeiten sind nicht günstig dafür, denn Algier wird alle disponiblen Mittel der Finanzen ansprechen. Die Commission der Kammer macht zwar einen Versuch die Regierung zu nöthigen, das Territorium zu beschränken, allein die Erfahrung aller Zeiten hat gezeigt, daß es unmöglich ist, sich eines von einer fremden und halbbarbarischen Race bewohnten Landes nur theilweise zu bemächtigen. Alle Beschränkungen, welche das Parlament der ostindischen Compagnie auferlegt hat, haben zu nichts geführt, als einer noch schnellern Ausbreitung ihrer Eroberungen, und so wird es in Algier gehen, das man entweder ganz verlassen oder ganz besitzen muß. Daß das erste das einzig vernünftige wäre, daran zweifelt Niemand in Frankreich als die Stadt Marseille, welche freilich ihre guten Gründe dazu hat; aber die Nationaleitelkeit erlaubt nicht an das Aufgeben der Colonie nur zu denken, und so wird die Sache von Jahr zu Jahr weiter gehen, ohne eine Aussicht auf Entschädigung für die ungeheuern Opfer, die sie Frankreich kostet. Die ganz unverständige Eifersucht von England auf den Besitz von Algier trägt ebenfalls das Ihrige dazu bei, die Nation in ihrem Entschluß sich in Algier festzusetzen und auszubreiten zu bestärken. - Mit dem Gesetz über Zucker ist man noch nicht weiter als anfangs, Thiers hat sich gegen die Entschädigung der einheimischen Fabricanten mit großem Recht ausgesprochen, hat sich aber mit der Commission nicht über die Festsetzung des Zolls vereinigen können. Die Lage der Sache ist so, daß sie keine gute Lösung zuläßt, und jedes Gesetz, das gegenwärtig darüber gegeben werden mag, ist nichts als eine provisorische Zufriedenstellung der einen oder der andern Partei, bis eine neue Entdeckung in der Fabrication dem einheimischen Zucker die Concurrenz mit dem Rohrzucker erlaubt haben, oder die Fabrication desselben aufgegeben seyn wird. Eine ungleiche Steuer auf Zucker ist eine in hiesigen Verhältnissen in die Länge unmögliche Maaßregel, eine Entschädigung der Fabricanten wäre ein Vorgang, der bei jeder Aenderung des Douanentarifs endlose Ansprüche an den Staat weckte. Das wahre Uebel liegt hier wie in England an den Korngesetzen, hier in geringerem Maaß, weil die Kornzölle geringer sind, aber es ist derselben Art. Man hat den Preis des Landes durch die Zölle auf Lebensmittel hinaufgetrieben, daher kann der einheimische Zucker nicht mit Rohrzucker frei concurriren. Aber dieses Uebel liegt zu tief, als daß an seine Hebung so bald zu denken wäre. Man hat in der Debatte über die Viehzölle erst kürzlich gesehen, wie die Stimmung der Landbesitzer über jede Herabsetzung der Zölle ist, obgleich das Factum, daß Frankreich an Mangel an Vieh bitter leidet, am Tage liegt, und die Production von Schlachtvieh in den Händen einer vergleichungsweise geringen Zahl großer Grundbesitzer concentrirt ist. Es ist möglich, daß die Ueberzeugung, welche sich hier und in England gleichzeitig bildet, daß die Handelskrisen von dem Schwanken der Preise der Lebensmittel abhängen, und daß das einzige Mittel dagegen im freien Kornhandel bestehe, mit der Zeit hinlänglich durchdringt, um eine Aenderung zu erzwingen; aber bis sich eine Theorie gegen mächtige und positive Interessen Luft macht, dazu gehörten Zeit, Friede und günstige Umstände.

Belgien.

Der König soll die Entlassung aller Minister angenommen und Hrn. Lebeau zu sich berufen haben, der an die Spitze der neuen ministeriellen Combination gestellt zu werden scheint.

Italien.

Nach einem eben einlaufenden Briefe aus Neapel vom 2 April hätte der König dem englischen Cabinet einen schiedsrichterlichen Spruch von Frankreich, Oesterreich oder Rußland angeboten.

Schweiz.

Er ist vorüber der Tageskampf im Wallis; den Behörden und dem Volke in den übrigen Kantonen bleibt nur noch die historische Nachlese. Die Nachrichten in meinem Briefe vom 6 haben sich durchaus bestätigt, mit einiger Ausnahme von Baron v. Werra's Tode; dieser Herr stand zwar unter den Oberwalliser Vorposten, soll aber noch zu guter Zeit das Kampffeld verlassen haben, und sich, als einer der Zeloten, man weiß nicht wo, verborgen halte. Die Ereignisse vom 1 und 2 haben dem lange mißbrauchten Volke die Augen geöffnet. Die Unterwalliser fuhren fort, sich mit der größten Mäßigung und untadelhafter Disciplin zu betragen, und gewannen dadurch sofort das Zutrauen ihrer bisherigen Gegner. Dieß und die sichere Aussicht, daß nach Auflösung der Reste der ehemaligen Regierung eine Wiedervereinigung des ganzen obern Landes mit dem bereits nach der neuen Verfassung organisirten Landestheil leicht möglich seyn werde, sodann auch das Bedürfniß völliger Sicherung der bisherigen Vorsteher vor möglichen Verfolgungen der nunmehr gegen sie sehr aufgereizten Bürger veranlaßten die Militärcommission der Unterwalliser, den Marsch in das deutsche obere Wallis gegen die Simplonstraße fortzusetzen. Es zog deßhalb eine Colonne von 1500 Mann unter dem Commandanten Joris (einem tapfern Officier aus der ehemaligen königl. französischen Schweizergarde, der gegenwärtig zugleich Mitglied des großen Raths und einer der muntern Redner desselben ist) aufwärts gen Lenk, unsern dem Bade gleiches Namens und dem Bergpaß über die Gemmi, wo sie mit offenen Armen und durch eine Deputation empfangen und gastlich bewirthet wurden. Von dort aus wird das gleiche Corps seinen Marsch rhoneaufwärts noch fortgesetzt haben, doch ist dahier von dessen wirklicher Ankunft in Brieg noch nichts bekannt geworden. Es ergibt sich hieraus, daß bereits mit dem 2 April Morgens alle Feindseligkeiten aufgehört und diese sonach höchstens 36 Stunden lang gedauert hatten; von der Mannschaft der Oberwalliser vernahm man weiter nichts, als daß sie sich nach dem Auftritt in Siders, der die Flucht der alten Regierung herbeiführte, in einzelnen Abtheilungen und ohne irgend ein ordentliches Commando zurück nach Hause begaben. Bis zur Stunde noch läßt sich annehmen, daß wirklich sehr wenige Mannschaft gefallen ist; im Krankenhause von Sitten lagen vier verwundete Ober- und sechs Unterwalliser, einer von ihnen soll gestorben, nach andern Nachrichten bloß amputirt worden seyn. Excesse gab es gar keine; die trefflichen Officiere von Unterwallis wußten sogleich jede einzelne Anwandlung zu solchen zu unterdrücken. Der ganze Zug war überhaupt nicht etwa ein klerikalischer Landsturm (wie man deren einige schon, sogar in der neuesten Zeit, erlebt hat), sondern ein wohlorganisirtes Truppenaufgebot in militärischer Haltung und Ordnung, das seine Befehle von der verfassungsmäßigen Landesregierung empfing. Ein Mitglied derselben war unter den Truppencommandanten selbst, und auch der Großrathspräsident befand sich an der Spitze des Zuges nach Siders. - Sofort wird nun auch an der politischen

und einen Theil derselben nicht versehen. Diesem könnte theils durch Erhöhung der Gehalte und Verbieten des Besitzens mehrerer Stellen, theils durch Einführung von Collegiengeldern abgeholfen werden. Aber das letzte und sicherste Mittel ist hier kaum anwendbar, es ist gegen die Gewohnheit und wird in der öffentlichen Meinung großen Widerstand finden. Es bleibt daher nichts übrig, als bessere Bezahlung und Beschränkung auf Eine Stelle, aber dieß erforderte eine beträchtliche Vermehrung des Budgets des öffentlichen Unterrichts, und die Zeiten sind nicht günstig dafür, denn Algier wird alle disponiblen Mittel der Finanzen ansprechen. Die Commission der Kammer macht zwar einen Versuch die Regierung zu nöthigen, das Territorium zu beschränken, allein die Erfahrung aller Zeiten hat gezeigt, daß es unmöglich ist, sich eines von einer fremden und halbbarbarischen Race bewohnten Landes nur theilweise zu bemächtigen. Alle Beschränkungen, welche das Parlament der ostindischen Compagnie auferlegt hat, haben zu nichts geführt, als einer noch schnellern Ausbreitung ihrer Eroberungen, und so wird es in Algier gehen, das man entweder ganz verlassen oder ganz besitzen muß. Daß das erste das einzig vernünftige wäre, daran zweifelt Niemand in Frankreich als die Stadt Marseille, welche freilich ihre guten Gründe dazu hat; aber die Nationaleitelkeit erlaubt nicht an das Aufgeben der Colonie nur zu denken, und so wird die Sache von Jahr zu Jahr weiter gehen, ohne eine Aussicht auf Entschädigung für die ungeheuern Opfer, die sie Frankreich kostet. Die ganz unverständige Eifersucht von England auf den Besitz von Algier trägt ebenfalls das Ihrige dazu bei, die Nation in ihrem Entschluß sich in Algier festzusetzen und auszubreiten zu bestärken. – Mit dem Gesetz über Zucker ist man noch nicht weiter als anfangs, Thiers hat sich gegen die Entschädigung der einheimischen Fabricanten mit großem Recht ausgesprochen, hat sich aber mit der Commission nicht über die Festsetzung des Zolls vereinigen können. Die Lage der Sache ist so, daß sie keine gute Lösung zuläßt, und jedes Gesetz, das gegenwärtig darüber gegeben werden mag, ist nichts als eine provisorische Zufriedenstellung der einen oder der andern Partei, bis eine neue Entdeckung in der Fabrication dem einheimischen Zucker die Concurrenz mit dem Rohrzucker erlaubt haben, oder die Fabrication desselben aufgegeben seyn wird. Eine ungleiche Steuer auf Zucker ist eine in hiesigen Verhältnissen in die Länge unmögliche Maaßregel, eine Entschädigung der Fabricanten wäre ein Vorgang, der bei jeder Aenderung des Douanentarifs endlose Ansprüche an den Staat weckte. Das wahre Uebel liegt hier wie in England an den Korngesetzen, hier in geringerem Maaß, weil die Kornzölle geringer sind, aber es ist derselben Art. Man hat den Preis des Landes durch die Zölle auf Lebensmittel hinaufgetrieben, daher kann der einheimische Zucker nicht mit Rohrzucker frei concurriren. Aber dieses Uebel liegt zu tief, als daß an seine Hebung so bald zu denken wäre. Man hat in der Debatte über die Viehzölle erst kürzlich gesehen, wie die Stimmung der Landbesitzer über jede Herabsetzung der Zölle ist, obgleich das Factum, daß Frankreich an Mangel an Vieh bitter leidet, am Tage liegt, und die Production von Schlachtvieh in den Händen einer vergleichungsweise geringen Zahl großer Grundbesitzer concentrirt ist. Es ist möglich, daß die Ueberzeugung, welche sich hier und in England gleichzeitig bildet, daß die Handelskrisen von dem Schwanken der Preise der Lebensmittel abhängen, und daß das einzige Mittel dagegen im freien Kornhandel bestehe, mit der Zeit hinlänglich durchdringt, um eine Aenderung zu erzwingen; aber bis sich eine Theorie gegen mächtige und positive Interessen Luft macht, dazu gehörten Zeit, Friede und günstige Umstände.

Belgien.

Der König soll die Entlassung aller Minister angenommen und Hrn. Lebeau zu sich berufen haben, der an die Spitze der neuen ministeriellen Combination gestellt zu werden scheint.

Italien.

Nach einem eben einlaufenden Briefe aus Neapel vom 2 April hätte der König dem englischen Cabinet einen schiedsrichterlichen Spruch von Frankreich, Oesterreich oder Rußland angeboten.

Schweiz.

Er ist vorüber der Tageskampf im Wallis; den Behörden und dem Volke in den übrigen Kantonen bleibt nur noch die historische Nachlese. Die Nachrichten in meinem Briefe vom 6 haben sich durchaus bestätigt, mit einiger Ausnahme von Baron v. Werra's Tode; dieser Herr stand zwar unter den Oberwalliser Vorposten, soll aber noch zu guter Zeit das Kampffeld verlassen haben, und sich, als einer der Zeloten, man weiß nicht wo, verborgen halte. Die Ereignisse vom 1 und 2 haben dem lange mißbrauchten Volke die Augen geöffnet. Die Unterwalliser fuhren fort, sich mit der größten Mäßigung und untadelhafter Disciplin zu betragen, und gewannen dadurch sofort das Zutrauen ihrer bisherigen Gegner. Dieß und die sichere Aussicht, daß nach Auflösung der Reste der ehemaligen Regierung eine Wiedervereinigung des ganzen obern Landes mit dem bereits nach der neuen Verfassung organisirten Landestheil leicht möglich seyn werde, sodann auch das Bedürfniß völliger Sicherung der bisherigen Vorsteher vor möglichen Verfolgungen der nunmehr gegen sie sehr aufgereizten Bürger veranlaßten die Militärcommission der Unterwalliser, den Marsch in das deutsche obere Wallis gegen die Simplonstraße fortzusetzen. Es zog deßhalb eine Colonne von 1500 Mann unter dem Commandanten Joris (einem tapfern Officier aus der ehemaligen königl. französischen Schweizergarde, der gegenwärtig zugleich Mitglied des großen Raths und einer der muntern Redner desselben ist) aufwärts gen Lenk, unsern dem Bade gleiches Namens und dem Bergpaß über die Gemmi, wo sie mit offenen Armen und durch eine Deputation empfangen und gastlich bewirthet wurden. Von dort aus wird das gleiche Corps seinen Marsch rhoneaufwärts noch fortgesetzt haben, doch ist dahier von dessen wirklicher Ankunft in Brieg noch nichts bekannt geworden. Es ergibt sich hieraus, daß bereits mit dem 2 April Morgens alle Feindseligkeiten aufgehört und diese sonach höchstens 36 Stunden lang gedauert hatten; von der Mannschaft der Oberwalliser vernahm man weiter nichts, als daß sie sich nach dem Auftritt in Siders, der die Flucht der alten Regierung herbeiführte, in einzelnen Abtheilungen und ohne irgend ein ordentliches Commando zurück nach Hause begaben. Bis zur Stunde noch läßt sich annehmen, daß wirklich sehr wenige Mannschaft gefallen ist; im Krankenhause von Sitten lagen vier verwundete Ober- und sechs Unterwalliser, einer von ihnen soll gestorben, nach andern Nachrichten bloß amputirt worden seyn. Excesse gab es gar keine; die trefflichen Officiere von Unterwallis wußten sogleich jede einzelne Anwandlung zu solchen zu unterdrücken. Der ganze Zug war überhaupt nicht etwa ein klerikalischer Landsturm (wie man deren einige schon, sogar in der neuesten Zeit, erlebt hat), sondern ein wohlorganisirtes Truppenaufgebot in militärischer Haltung und Ordnung, das seine Befehle von der verfassungsmäßigen Landesregierung empfing. Ein Mitglied derselben war unter den Truppencommandanten selbst, und auch der Großrathspräsident befand sich an der Spitze des Zuges nach Siders. – Sofort wird nun auch an der politischen

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und einen Theil derselben nicht versehen. Diesem könnte theils durch Erhöhung der Gehalte und Verbieten des Besitzens mehrerer Stellen, theils durch Einführung von Collegiengeldern abgeholfen werden. Aber das letzte und sicherste Mittel ist hier kaum anwendbar, es ist gegen die Gewohnheit und wird in der öffentlichen Meinung großen Widerstand finden. Es bleibt daher nichts übrig, als bessere Bezahlung und Beschränkung auf Eine Stelle, aber dieß erforderte eine beträchtliche Vermehrung des Budgets des öffentlichen Unterrichts, und die Zeiten sind nicht günstig dafür, denn Algier wird alle disponiblen Mittel der Finanzen ansprechen. Die Commission der Kammer macht zwar einen Versuch die Regierung zu nöthigen, das Territorium zu beschränken, allein die Erfahrung aller Zeiten hat gezeigt, daß es unmöglich ist, sich eines von einer fremden und halbbarbarischen Race bewohnten Landes nur theilweise zu bemächtigen. Alle Beschränkungen, welche das Parlament der ostindischen Compagnie auferlegt hat, haben zu nichts geführt, als einer noch schnellern Ausbreitung ihrer Eroberungen, und so wird es in Algier gehen, das man entweder ganz verlassen oder ganz besitzen muß. Daß das erste das einzig vernünftige wäre, daran zweifelt Niemand in Frankreich als die Stadt Marseille, welche freilich ihre guten Gründe dazu hat; aber die Nationaleitelkeit erlaubt nicht an das Aufgeben der Colonie nur zu denken, und so wird die Sache von Jahr zu Jahr weiter gehen, ohne eine Aussicht auf Entschädigung für die ungeheuern Opfer, die sie Frankreich kostet. Die ganz unverständige Eifersucht von England auf den Besitz von Algier trägt ebenfalls das Ihrige dazu bei, die Nation in ihrem Entschluß sich in Algier festzusetzen und auszubreiten zu bestärken. &#x2013; Mit dem Gesetz über Zucker ist man noch nicht weiter als anfangs, Thiers hat sich gegen die Entschädigung der einheimischen Fabricanten mit großem Recht ausgesprochen, hat sich aber mit der Commission nicht über die Festsetzung des Zolls vereinigen können. Die Lage der Sache ist so, daß sie keine gute Lösung zuläßt, und jedes Gesetz, das gegenwärtig darüber gegeben werden mag, ist nichts als eine provisorische Zufriedenstellung der einen oder der andern Partei, bis eine neue Entdeckung in der Fabrication dem einheimischen Zucker die Concurrenz mit dem Rohrzucker erlaubt haben, oder die Fabrication desselben aufgegeben seyn wird. Eine ungleiche Steuer auf Zucker ist eine in hiesigen Verhältnissen in die Länge unmögliche Maaßregel, eine Entschädigung der Fabricanten wäre ein Vorgang, der bei jeder Aenderung des Douanentarifs endlose Ansprüche an den Staat weckte. Das wahre Uebel liegt hier wie in England an den Korngesetzen, hier in geringerem Maaß, weil die Kornzölle geringer sind, aber es ist derselben Art. Man hat den Preis des Landes durch die Zölle auf Lebensmittel hinaufgetrieben, daher kann der einheimische Zucker nicht mit Rohrzucker frei concurriren. Aber dieses Uebel liegt zu tief, als daß an seine Hebung so bald zu denken wäre. Man hat in der Debatte über die Viehzölle erst kürzlich gesehen, wie die Stimmung der Landbesitzer über jede Herabsetzung der Zölle ist, obgleich das Factum, daß Frankreich an Mangel an Vieh bitter leidet, am Tage liegt, und die Production von Schlachtvieh in den Händen einer vergleichungsweise geringen Zahl großer Grundbesitzer concentrirt ist. Es ist möglich, daß die Ueberzeugung, welche sich hier und in England gleichzeitig bildet, daß die Handelskrisen von dem Schwanken der Preise der Lebensmittel abhängen, und daß das einzige Mittel dagegen im freien Kornhandel bestehe, mit der Zeit hinlänglich durchdringt, um eine Aenderung zu erzwingen; aber bis sich eine Theorie gegen mächtige und positive Interessen Luft macht, dazu gehörten Zeit, Friede und günstige Umstände.</p><lb/>
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[0820/0004] und einen Theil derselben nicht versehen. Diesem könnte theils durch Erhöhung der Gehalte und Verbieten des Besitzens mehrerer Stellen, theils durch Einführung von Collegiengeldern abgeholfen werden. Aber das letzte und sicherste Mittel ist hier kaum anwendbar, es ist gegen die Gewohnheit und wird in der öffentlichen Meinung großen Widerstand finden. Es bleibt daher nichts übrig, als bessere Bezahlung und Beschränkung auf Eine Stelle, aber dieß erforderte eine beträchtliche Vermehrung des Budgets des öffentlichen Unterrichts, und die Zeiten sind nicht günstig dafür, denn Algier wird alle disponiblen Mittel der Finanzen ansprechen. Die Commission der Kammer macht zwar einen Versuch die Regierung zu nöthigen, das Territorium zu beschränken, allein die Erfahrung aller Zeiten hat gezeigt, daß es unmöglich ist, sich eines von einer fremden und halbbarbarischen Race bewohnten Landes nur theilweise zu bemächtigen. Alle Beschränkungen, welche das Parlament der ostindischen Compagnie auferlegt hat, haben zu nichts geführt, als einer noch schnellern Ausbreitung ihrer Eroberungen, und so wird es in Algier gehen, das man entweder ganz verlassen oder ganz besitzen muß. Daß das erste das einzig vernünftige wäre, daran zweifelt Niemand in Frankreich als die Stadt Marseille, welche freilich ihre guten Gründe dazu hat; aber die Nationaleitelkeit erlaubt nicht an das Aufgeben der Colonie nur zu denken, und so wird die Sache von Jahr zu Jahr weiter gehen, ohne eine Aussicht auf Entschädigung für die ungeheuern Opfer, die sie Frankreich kostet. Die ganz unverständige Eifersucht von England auf den Besitz von Algier trägt ebenfalls das Ihrige dazu bei, die Nation in ihrem Entschluß sich in Algier festzusetzen und auszubreiten zu bestärken. – Mit dem Gesetz über Zucker ist man noch nicht weiter als anfangs, Thiers hat sich gegen die Entschädigung der einheimischen Fabricanten mit großem Recht ausgesprochen, hat sich aber mit der Commission nicht über die Festsetzung des Zolls vereinigen können. Die Lage der Sache ist so, daß sie keine gute Lösung zuläßt, und jedes Gesetz, das gegenwärtig darüber gegeben werden mag, ist nichts als eine provisorische Zufriedenstellung der einen oder der andern Partei, bis eine neue Entdeckung in der Fabrication dem einheimischen Zucker die Concurrenz mit dem Rohrzucker erlaubt haben, oder die Fabrication desselben aufgegeben seyn wird. Eine ungleiche Steuer auf Zucker ist eine in hiesigen Verhältnissen in die Länge unmögliche Maaßregel, eine Entschädigung der Fabricanten wäre ein Vorgang, der bei jeder Aenderung des Douanentarifs endlose Ansprüche an den Staat weckte. Das wahre Uebel liegt hier wie in England an den Korngesetzen, hier in geringerem Maaß, weil die Kornzölle geringer sind, aber es ist derselben Art. Man hat den Preis des Landes durch die Zölle auf Lebensmittel hinaufgetrieben, daher kann der einheimische Zucker nicht mit Rohrzucker frei concurriren. Aber dieses Uebel liegt zu tief, als daß an seine Hebung so bald zu denken wäre. Man hat in der Debatte über die Viehzölle erst kürzlich gesehen, wie die Stimmung der Landbesitzer über jede Herabsetzung der Zölle ist, obgleich das Factum, daß Frankreich an Mangel an Vieh bitter leidet, am Tage liegt, und die Production von Schlachtvieh in den Händen einer vergleichungsweise geringen Zahl großer Grundbesitzer concentrirt ist. Es ist möglich, daß die Ueberzeugung, welche sich hier und in England gleichzeitig bildet, daß die Handelskrisen von dem Schwanken der Preise der Lebensmittel abhängen, und daß das einzige Mittel dagegen im freien Kornhandel bestehe, mit der Zeit hinlänglich durchdringt, um eine Aenderung zu erzwingen; aber bis sich eine Theorie gegen mächtige und positive Interessen Luft macht, dazu gehörten Zeit, Friede und günstige Umstände. Belgien. _ Brüssel, 6 April. Der König soll die Entlassung aller Minister angenommen und Hrn. Lebeau zu sich berufen haben, der an die Spitze der neuen ministeriellen Combination gestellt zu werden scheint. Italien. Nach einem eben einlaufenden Briefe aus Neapel vom 2 April hätte der König dem englischen Cabinet einen schiedsrichterlichen Spruch von Frankreich, Oesterreich oder Rußland angeboten. Schweiz. _ St. Gallen, 8 April. Er ist vorüber der Tageskampf im Wallis; den Behörden und dem Volke in den übrigen Kantonen bleibt nur noch die historische Nachlese. Die Nachrichten in meinem Briefe vom 6 haben sich durchaus bestätigt, mit einiger Ausnahme von Baron v. Werra's Tode; dieser Herr stand zwar unter den Oberwalliser Vorposten, soll aber noch zu guter Zeit das Kampffeld verlassen haben, und sich, als einer der Zeloten, man weiß nicht wo, verborgen halte. Die Ereignisse vom 1 und 2 haben dem lange mißbrauchten Volke die Augen geöffnet. Die Unterwalliser fuhren fort, sich mit der größten Mäßigung und untadelhafter Disciplin zu betragen, und gewannen dadurch sofort das Zutrauen ihrer bisherigen Gegner. Dieß und die sichere Aussicht, daß nach Auflösung der Reste der ehemaligen Regierung eine Wiedervereinigung des ganzen obern Landes mit dem bereits nach der neuen Verfassung organisirten Landestheil leicht möglich seyn werde, sodann auch das Bedürfniß völliger Sicherung der bisherigen Vorsteher vor möglichen Verfolgungen der nunmehr gegen sie sehr aufgereizten Bürger veranlaßten die Militärcommission der Unterwalliser, den Marsch in das deutsche obere Wallis gegen die Simplonstraße fortzusetzen. Es zog deßhalb eine Colonne von 1500 Mann unter dem Commandanten Joris (einem tapfern Officier aus der ehemaligen königl. französischen Schweizergarde, der gegenwärtig zugleich Mitglied des großen Raths und einer der muntern Redner desselben ist) aufwärts gen Lenk, unsern dem Bade gleiches Namens und dem Bergpaß über die Gemmi, wo sie mit offenen Armen und durch eine Deputation empfangen und gastlich bewirthet wurden. Von dort aus wird das gleiche Corps seinen Marsch rhoneaufwärts noch fortgesetzt haben, doch ist dahier von dessen wirklicher Ankunft in Brieg noch nichts bekannt geworden. Es ergibt sich hieraus, daß bereits mit dem 2 April Morgens alle Feindseligkeiten aufgehört und diese sonach höchstens 36 Stunden lang gedauert hatten; von der Mannschaft der Oberwalliser vernahm man weiter nichts, als daß sie sich nach dem Auftritt in Siders, der die Flucht der alten Regierung herbeiführte, in einzelnen Abtheilungen und ohne irgend ein ordentliches Commando zurück nach Hause begaben. Bis zur Stunde noch läßt sich annehmen, daß wirklich sehr wenige Mannschaft gefallen ist; im Krankenhause von Sitten lagen vier verwundete Ober- und sechs Unterwalliser, einer von ihnen soll gestorben, nach andern Nachrichten bloß amputirt worden seyn. Excesse gab es gar keine; die trefflichen Officiere von Unterwallis wußten sogleich jede einzelne Anwandlung zu solchen zu unterdrücken. Der ganze Zug war überhaupt nicht etwa ein klerikalischer Landsturm (wie man deren einige schon, sogar in der neuesten Zeit, erlebt hat), sondern ein wohlorganisirtes Truppenaufgebot in militärischer Haltung und Ordnung, das seine Befehle von der verfassungsmäßigen Landesregierung empfing. Ein Mitglied derselben war unter den Truppencommandanten selbst, und auch der Großrathspräsident befand sich an der Spitze des Zuges nach Siders. – Sofort wird nun auch an der politischen

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 103. Augsburg, 12. April 1840, S. 0820. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_103_18400412/4>, abgerufen am 29.04.2024.