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Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840.

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Zügel in Händen, so ist der Staatswagen auf lange Zeit vor Umsturz gesichert. Der König und Thiers, der eine im Innern des Wagens, der andere auf dem Bocke, sie müssen einig bleiben, denn trotz der verschiedenen Situation sind sie denselben Gefahren ausgesetzt. Der König und Thiers hegen durchaus keinen geheimen Hader, wie man allgemein glaubt. Persönlich hatten sich beide schon vor geraumer Zeit ausgesöhnt. Die Differenz blieb nur eine politische. Bei aller jetzigen Einigkeit, bei dem besten Willen des Königs für die Erhaltung des Ministeriums, kann doch in seinem Geiste jene politische Differenz nie ganz schwinden; denn der König ist ja der Repräsentant der Krone, deren Interessen und Rechte in beständigem Conflict mit den usurpirenden Gelüsten der Kammer. In der That, wir müssen der Wahrheit gemäß das ganze Streben der Kammer mit dem Ausdruck Usurpationslust bezeichnen; sie war auch immer der angreifende Theil, sie suchte bei jeder Veranlassung die Rechte der Krone zu schmälern, die Interessen derselben zu untergraben, und der König übte nur eine natürliche Nothwehr. Z. B. die Charte verlieh dem König das Recht seine Minister zu wählen, und jetzt ist dieses Prärogativ nur ein leerer Schein, eine ironische, das Königthum verhöhnende Formel, denn in der Wirklichkeit ist es die Kammer, welche die Minister wählt und verabschiedet. Auch ist es sehr charakteristisch, daß seit einiger Zeit die französische Staatsregierung nicht mehr ein constitutionelles, sondern ein parlamentarisches Gouvernement genannt wird. Das Ministerium vom ersten April erhielt gleich in der Taufe diesen Namen, und durch die That wie durch das Wort ward eine Rechtsberaubung der Krone zu Gunsten der Kammer öffentlich proclamirt und sanctionirt. - Thiers ist der Repräsentant der Kammer, er ist ihr gewählter Minister, und in dieser Beziehung kann er dem König nie ganz behagen. Die allerhöchste Mißhuld trifft also, wie gesagt, nicht die Person des Ministers, sondern das Princip, das sich durch seine Wahl geltend gemacht hat. - Wir glauben, daß die Kammer den Sieg jenes Princips nicht weiter verfolgen wird; denn es ist im Grunde dasselbe Electionsprincip, als dessen letzte Consequenz die Republik sich darbietet. Wohin sie führen diese gewonnenen Kammerschlachten, merken die dynastischen Oppositionshelden jetzt eben so gut wie jene Conservatoren, die, aus persönlicher Leidenschaft, bei Gelegenheit der Dotationsfrage sich die lächerlichsten Mißgriffe zu Schulden kommen ließen. Das Verwerfen der Dotation, und gar der schweigende Hohn, womit man sie verwarf, war nicht bloß eine Beleidigung des Königthums, sondern auch eine ungerechte Thorheit; - denn indem man der Krone alle wirkliche Macht allmählich abkämpfte, mußte man sie wenigstens entschädigen durch äußern Glanz, und ihr moralisches Ansehen in den Augen des Volks vielmehr erhöhen als herabwürdigen. Welche Inconsequenz! Ihr wollt einen Monarchen haben, und knickert bei den Kosten für Hermelin und Goldprunk! Ihr schreckt zurück vor der Republik, und insultirt euren König öffentlich, wie ihr gethan bei der Abstimmung der Dotationsfrage! Und sie wollen wahrlich keine Republik, diese edlen Geldritter, diese Barone der Industrie, diese Auserwählten des Eigenthums, diese Enthusiasten des ruhigen Besitzes, welche die Majorität in der französischen Kammer bilden. Sie hegen vor der Republik ein noch weit entsetzlicheres Grauen als der König selbst, sie zittern davor noch weit mehr als Ludwig Philipp, welcher sich in seiner Jugend schon daran gewöhnt hat. - Wird sich das Ministerium Thiers lange halten? Das ist jetzt die Frage. Dieser Mann spielt eine schauerliche Rolle. Er verfügt nicht bloß über alle Streitkräfte des mächtigsten Reiches, sondern auch über alle Heeresmacht der Revolution, über alles Feuer und allen Wahnsinn der Zeit. Reizt ihn nicht aus seiner weisen Jovialität hinaus in die fatalistischen Irrgänge der Leidenschaft, legt ihm nichts in den Weg, weder goldene Aepfel noch rohe Klötze.... Die ganze Partei der Krone sollten sich Glück wünschen, daß die Kammer eben den Thiers gewählt, den Staatsmann, der in den jüngsten Debatten seine ganze politische Größe offenbart hat. Ja, während die andern nur Redner sind, oder Administratoren, oder Gelehrte, oder Diplomaten, oder Tugendhelden, so ist Thiers alles dieses zusammen, sogar letzteres, nur daß sich bei ihm diese Fähigkeiten nicht als schroffe Specialitäten hervorstellen, sondern von seinem staatsmännischen Genie überragt und absorbirt werden. Thiers ist Staatsmann; er ist einer von jenen Geistern, denen das Talent des Regierens angeboren ist. Die Natur schafft Staatsmänner wie sie Dichter schafft, zwei sehr heterogene Arten von Geschöpfen, die aber von gleicher Unentbehrlichkeit; denn die Menschheit muß begeistert werden und regiert. Die Männer, denen die Poesie oder die Staatskunst angeboren ist, werden auch von der Natur getrieben, ihr Talent geltend zu machen, und wir dürfen diesen Trieb keineswegs mit jenem kleinen Ehrgeiz verwechseln, der die Minderbegabten anstachelt, die Welt mit ihren elegischen Reimereien oder mit ihren prosaischen Declamationen zu langweilen. Thiers ist kein Ehrgeiziger, eben so wenig wie Victor Hugo; Monsieur de Lamartine hingegen ist ein Ehrgeiziger, sowohl in politischer wie in poetischer Beziehung. Ich habe angedeutet, daß Thiers eben durch seine Rede bei der Abstimmung über die geheimen Fonds seine staatsmännische Größe beurkundete. Berryer hat vielleicht mit seinen sonoren Phrasen auf die Ohren der großen Menge eine pomphaftere Wirkung ausgeübt; aber dieser Orator verhält sich zu jenem Staatsmann wie Cicero zu Demosthenes. Wenn Cicero auf dem Forum plaidirte, dann sagten die Zuhörer, daß Niemand schöner zu reden verstehe als der Marcus Tullius; sprach aber Demosthenes, so riefen die Athener: Krieg gegen Philipp! Statt aller Lobsprüche, nachdem Thiers geredet hatte, öffneten die Deputirten ihren Säckel, und gaben ihm das verlangte Geld. Culminirend in jener Rede des Thiers war das Wort "Transaction" - ein Wort, das unsre Tagspolitiker wenig begriffen, das aber nach meiner Ansicht die tiefsinnigste Bedeutung enthält. War denn von jeher die Aufgabe der großen Staatsmänner etwas Anderes als eine Transaction, eine Vermittlung zwischen Principien oder Parteien? Wenn man regieren soll, und sich zwischen zwei Factionen, die sich befehden, befindet, so muß man eine Transaction versuchen. Wie könnte die Welt fortschreiten, wie könnte sie nur ruhig stehen bleiben, wenn nicht nach wilden Umwälzungen die gebietenden Männer kämen, die unter den ermüdeten und leidenden Kämpfern den Gottesfrieden wieder herstellten, im Reiche des Gedankens wie im Reiche der Erscheinung? Ja, auch im Reiche des Gedankens sind Transactionen nothwendig. Was war es anders als Transaction zwischen der römisch-katholischen Ueberlieferung und der menschlich-göttlichen Vernunft, was vor drei Jahrhunderten in Deutschland als Reformation und protestantische Kirche ins Leben trat? Was war es anders als Transaction, was Napoleon in Frankreich versuchte, als er die Menschen und die Interessen des alten Regime's mit den neuen Menschen und neuen Interessen der Revolution zu versöhnen suchte? Er gab dieser Transaction den Namen "Fusion" - ebenfalls ein sehr bedeutungsvolles Wort, welches ein ganzes System offenbart. - Vor zwei Jahrtausenden hatte ein anderer großer Staatsmann, Alexander von Macedonien, ein ähnliches Fusionsystem ersonnen, als er den Occident mit dem Oriente

Zügel in Händen, so ist der Staatswagen auf lange Zeit vor Umsturz gesichert. Der König und Thiers, der eine im Innern des Wagens, der andere auf dem Bocke, sie müssen einig bleiben, denn trotz der verschiedenen Situation sind sie denselben Gefahren ausgesetzt. Der König und Thiers hegen durchaus keinen geheimen Hader, wie man allgemein glaubt. Persönlich hatten sich beide schon vor geraumer Zeit ausgesöhnt. Die Differenz blieb nur eine politische. Bei aller jetzigen Einigkeit, bei dem besten Willen des Königs für die Erhaltung des Ministeriums, kann doch in seinem Geiste jene politische Differenz nie ganz schwinden; denn der König ist ja der Repräsentant der Krone, deren Interessen und Rechte in beständigem Conflict mit den usurpirenden Gelüsten der Kammer. In der That, wir müssen der Wahrheit gemäß das ganze Streben der Kammer mit dem Ausdruck Usurpationslust bezeichnen; sie war auch immer der angreifende Theil, sie suchte bei jeder Veranlassung die Rechte der Krone zu schmälern, die Interessen derselben zu untergraben, und der König übte nur eine natürliche Nothwehr. Z. B. die Charte verlieh dem König das Recht seine Minister zu wählen, und jetzt ist dieses Prärogativ nur ein leerer Schein, eine ironische, das Königthum verhöhnende Formel, denn in der Wirklichkeit ist es die Kammer, welche die Minister wählt und verabschiedet. Auch ist es sehr charakteristisch, daß seit einiger Zeit die französische Staatsregierung nicht mehr ein constitutionelles, sondern ein parlamentarisches Gouvernement genannt wird. Das Ministerium vom ersten April erhielt gleich in der Taufe diesen Namen, und durch die That wie durch das Wort ward eine Rechtsberaubung der Krone zu Gunsten der Kammer öffentlich proclamirt und sanctionirt. – Thiers ist der Repräsentant der Kammer, er ist ihr gewählter Minister, und in dieser Beziehung kann er dem König nie ganz behagen. Die allerhöchste Mißhuld trifft also, wie gesagt, nicht die Person des Ministers, sondern das Princip, das sich durch seine Wahl geltend gemacht hat. – Wir glauben, daß die Kammer den Sieg jenes Princips nicht weiter verfolgen wird; denn es ist im Grunde dasselbe Electionsprincip, als dessen letzte Consequenz die Republik sich darbietet. Wohin sie führen diese gewonnenen Kammerschlachten, merken die dynastischen Oppositionshelden jetzt eben so gut wie jene Conservatoren, die, aus persönlicher Leidenschaft, bei Gelegenheit der Dotationsfrage sich die lächerlichsten Mißgriffe zu Schulden kommen ließen. Das Verwerfen der Dotation, und gar der schweigende Hohn, womit man sie verwarf, war nicht bloß eine Beleidigung des Königthums, sondern auch eine ungerechte Thorheit; – denn indem man der Krone alle wirkliche Macht allmählich abkämpfte, mußte man sie wenigstens entschädigen durch äußern Glanz, und ihr moralisches Ansehen in den Augen des Volks vielmehr erhöhen als herabwürdigen. Welche Inconsequenz! Ihr wollt einen Monarchen haben, und knickert bei den Kosten für Hermelin und Goldprunk! Ihr schreckt zurück vor der Republik, und insultirt euren König öffentlich, wie ihr gethan bei der Abstimmung der Dotationsfrage! Und sie wollen wahrlich keine Republik, diese edlen Geldritter, diese Barone der Industrie, diese Auserwählten des Eigenthums, diese Enthusiasten des ruhigen Besitzes, welche die Majorität in der französischen Kammer bilden. Sie hegen vor der Republik ein noch weit entsetzlicheres Grauen als der König selbst, sie zittern davor noch weit mehr als Ludwig Philipp, welcher sich in seiner Jugend schon daran gewöhnt hat. – Wird sich das Ministerium Thiers lange halten? Das ist jetzt die Frage. Dieser Mann spielt eine schauerliche Rolle. Er verfügt nicht bloß über alle Streitkräfte des mächtigsten Reiches, sondern auch über alle Heeresmacht der Revolution, über alles Feuer und allen Wahnsinn der Zeit. Reizt ihn nicht aus seiner weisen Jovialität hinaus in die fatalistischen Irrgänge der Leidenschaft, legt ihm nichts in den Weg, weder goldene Aepfel noch rohe Klötze.... Die ganze Partei der Krone sollten sich Glück wünschen, daß die Kammer eben den Thiers gewählt, den Staatsmann, der in den jüngsten Debatten seine ganze politische Größe offenbart hat. Ja, während die andern nur Redner sind, oder Administratoren, oder Gelehrte, oder Diplomaten, oder Tugendhelden, so ist Thiers alles dieses zusammen, sogar letzteres, nur daß sich bei ihm diese Fähigkeiten nicht als schroffe Specialitäten hervorstellen, sondern von seinem staatsmännischen Genie überragt und absorbirt werden. Thiers ist Staatsmann; er ist einer von jenen Geistern, denen das Talent des Regierens angeboren ist. Die Natur schafft Staatsmänner wie sie Dichter schafft, zwei sehr heterogene Arten von Geschöpfen, die aber von gleicher Unentbehrlichkeit; denn die Menschheit muß begeistert werden und regiert. Die Männer, denen die Poesie oder die Staatskunst angeboren ist, werden auch von der Natur getrieben, ihr Talent geltend zu machen, und wir dürfen diesen Trieb keineswegs mit jenem kleinen Ehrgeiz verwechseln, der die Minderbegabten anstachelt, die Welt mit ihren elegischen Reimereien oder mit ihren prosaischen Declamationen zu langweilen. Thiers ist kein Ehrgeiziger, eben so wenig wie Victor Hugo; Monsieur de Lamartine hingegen ist ein Ehrgeiziger, sowohl in politischer wie in poetischer Beziehung. Ich habe angedeutet, daß Thiers eben durch seine Rede bei der Abstimmung über die geheimen Fonds seine staatsmännische Größe beurkundete. Berryer hat vielleicht mit seinen sonoren Phrasen auf die Ohren der großen Menge eine pomphaftere Wirkung ausgeübt; aber dieser Orator verhält sich zu jenem Staatsmann wie Cicero zu Demosthenes. Wenn Cicero auf dem Forum plaidirte, dann sagten die Zuhörer, daß Niemand schöner zu reden verstehe als der Marcus Tullius; sprach aber Demosthenes, so riefen die Athener: Krieg gegen Philipp! Statt aller Lobsprüche, nachdem Thiers geredet hatte, öffneten die Deputirten ihren Säckel, und gaben ihm das verlangte Geld. Culminirend in jener Rede des Thiers war das Wort „Transaction“ – ein Wort, das unsre Tagspolitiker wenig begriffen, das aber nach meiner Ansicht die tiefsinnigste Bedeutung enthält. War denn von jeher die Aufgabe der großen Staatsmänner etwas Anderes als eine Transaction, eine Vermittlung zwischen Principien oder Parteien? Wenn man regieren soll, und sich zwischen zwei Factionen, die sich befehden, befindet, so muß man eine Transaction versuchen. Wie könnte die Welt fortschreiten, wie könnte sie nur ruhig stehen bleiben, wenn nicht nach wilden Umwälzungen die gebietenden Männer kämen, die unter den ermüdeten und leidenden Kämpfern den Gottesfrieden wieder herstellten, im Reiche des Gedankens wie im Reiche der Erscheinung? Ja, auch im Reiche des Gedankens sind Transactionen nothwendig. Was war es anders als Transaction zwischen der römisch-katholischen Ueberlieferung und der menschlich-göttlichen Vernunft, was vor drei Jahrhunderten in Deutschland als Reformation und protestantische Kirche ins Leben trat? Was war es anders als Transaction, was Napoleon in Frankreich versuchte, als er die Menschen und die Interessen des alten Regime's mit den neuen Menschen und neuen Interessen der Revolution zu versöhnen suchte? Er gab dieser Transaction den Namen „Fusion“ – ebenfalls ein sehr bedeutungsvolles Wort, welches ein ganzes System offenbart. – Vor zwei Jahrtausenden hatte ein anderer großer Staatsmann, Alexander von Macedonien, ein ähnliches Fusionsystem ersonnen, als er den Occident mit dem Oriente

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Zügel in Händen, so ist der Staatswagen auf lange Zeit vor Umsturz gesichert. Der König und Thiers, der eine im Innern des Wagens, der andere auf dem Bocke, sie müssen einig bleiben, denn trotz der verschiedenen Situation sind sie denselben Gefahren ausgesetzt. Der König und Thiers hegen durchaus keinen geheimen Hader, wie man allgemein glaubt. Persönlich hatten sich beide schon vor geraumer Zeit ausgesöhnt. Die Differenz blieb nur eine politische. Bei aller jetzigen Einigkeit, bei dem besten Willen des Königs für die Erhaltung des Ministeriums, kann doch in seinem Geiste jene politische Differenz nie ganz schwinden; denn der König ist ja der Repräsentant der Krone, deren Interessen und Rechte in beständigem Conflict mit den usurpirenden Gelüsten der Kammer. In der That, wir müssen der Wahrheit gemäß das ganze Streben der Kammer mit dem Ausdruck Usurpationslust bezeichnen; sie war auch immer der angreifende Theil, sie suchte bei jeder Veranlassung die Rechte der Krone zu schmälern, die Interessen derselben zu untergraben, und der König übte nur eine natürliche Nothwehr. Z. B. die Charte verlieh dem König das Recht seine Minister zu wählen, und jetzt ist dieses Prärogativ nur ein leerer Schein, eine ironische, das Königthum verhöhnende Formel, denn in der Wirklichkeit ist es die Kammer, welche die Minister wählt und verabschiedet. Auch ist es sehr charakteristisch, daß seit einiger Zeit die französische Staatsregierung nicht mehr ein constitutionelles, sondern ein parlamentarisches Gouvernement genannt wird. Das Ministerium vom ersten April erhielt gleich in der Taufe diesen Namen, und durch die That wie durch das Wort ward eine Rechtsberaubung der Krone zu Gunsten der Kammer öffentlich proclamirt und sanctionirt. &#x2013; Thiers ist der Repräsentant der Kammer, er ist ihr gewählter Minister, und in dieser Beziehung kann er dem König nie ganz behagen. Die allerhöchste Mißhuld trifft also, wie gesagt, nicht die Person des Ministers, sondern das Princip, das sich durch seine Wahl geltend gemacht hat. &#x2013; Wir glauben, daß die Kammer den Sieg jenes Princips nicht weiter verfolgen wird; denn es ist im Grunde dasselbe Electionsprincip, als dessen letzte Consequenz die Republik sich darbietet. Wohin sie führen diese gewonnenen Kammerschlachten, merken die dynastischen Oppositionshelden jetzt eben so gut wie jene Conservatoren, die, aus persönlicher Leidenschaft, bei Gelegenheit der Dotationsfrage sich die lächerlichsten Mißgriffe zu Schulden kommen ließen. Das Verwerfen der Dotation, und gar der schweigende Hohn, womit man sie verwarf, war nicht bloß eine Beleidigung des Königthums, sondern auch eine ungerechte Thorheit; &#x2013; denn indem man der Krone alle wirkliche Macht allmählich abkämpfte, mußte man sie wenigstens entschädigen durch äußern Glanz, und ihr moralisches Ansehen in den Augen des Volks vielmehr erhöhen als herabwürdigen. Welche Inconsequenz! Ihr wollt einen Monarchen haben, und knickert bei den Kosten für Hermelin und Goldprunk! Ihr schreckt zurück vor der Republik, und insultirt euren König öffentlich, wie ihr gethan bei der Abstimmung der Dotationsfrage! Und sie wollen wahrlich keine Republik, diese edlen Geldritter, diese Barone der Industrie, diese Auserwählten des Eigenthums, diese Enthusiasten des ruhigen Besitzes, welche die Majorität in der französischen Kammer bilden. Sie hegen vor der Republik ein noch weit entsetzlicheres Grauen als der König selbst, sie zittern davor noch weit mehr als Ludwig Philipp, welcher sich in seiner Jugend schon daran gewöhnt hat. &#x2013; Wird sich das Ministerium Thiers lange halten? Das ist jetzt die Frage. Dieser Mann spielt eine schauerliche Rolle. Er verfügt nicht bloß über alle Streitkräfte des mächtigsten Reiches, sondern auch über alle Heeresmacht der Revolution, über alles Feuer und allen Wahnsinn der Zeit. Reizt ihn nicht aus seiner weisen Jovialität hinaus in die fatalistischen Irrgänge der Leidenschaft, legt ihm nichts in den Weg, weder goldene Aepfel noch rohe Klötze.... Die ganze Partei der Krone sollten sich Glück wünschen, daß die Kammer eben den Thiers gewählt, den Staatsmann, der in den jüngsten Debatten seine ganze politische Größe offenbart hat. Ja, während die andern nur Redner sind, oder Administratoren, oder Gelehrte, oder Diplomaten, oder Tugendhelden, so ist Thiers alles dieses zusammen, sogar letzteres, nur daß sich bei ihm diese Fähigkeiten nicht als schroffe Specialitäten hervorstellen, sondern von seinem staatsmännischen Genie überragt und absorbirt werden. Thiers ist Staatsmann; er ist einer von jenen Geistern, denen das Talent des Regierens angeboren ist. Die Natur schafft Staatsmänner wie sie Dichter schafft, zwei sehr heterogene Arten von Geschöpfen, die aber von gleicher Unentbehrlichkeit; denn die Menschheit muß begeistert werden und regiert. Die Männer, denen die Poesie oder die Staatskunst angeboren ist, werden auch von der Natur getrieben, ihr Talent geltend zu machen, und wir dürfen diesen Trieb keineswegs mit jenem kleinen Ehrgeiz verwechseln, der die Minderbegabten anstachelt, die Welt mit ihren elegischen Reimereien oder mit ihren prosaischen Declamationen zu langweilen. Thiers ist kein Ehrgeiziger, eben so wenig wie Victor Hugo; Monsieur de Lamartine hingegen ist ein Ehrgeiziger, sowohl in politischer wie in poetischer Beziehung. Ich habe angedeutet, daß Thiers eben durch seine Rede bei der Abstimmung über die geheimen Fonds seine staatsmännische Größe beurkundete. Berryer hat vielleicht mit seinen sonoren Phrasen auf die Ohren der großen Menge eine pomphaftere Wirkung ausgeübt; aber dieser Orator verhält sich zu jenem Staatsmann wie Cicero zu Demosthenes. Wenn Cicero auf dem Forum plaidirte, dann sagten die Zuhörer, daß Niemand schöner zu reden verstehe als der Marcus Tullius; sprach aber Demosthenes, so riefen die Athener: Krieg gegen Philipp! Statt aller Lobsprüche, nachdem Thiers geredet hatte, öffneten die Deputirten ihren Säckel, und gaben ihm das verlangte Geld. Culminirend in jener Rede des Thiers war das Wort &#x201E;Transaction&#x201C; &#x2013; ein Wort, das unsre Tagspolitiker wenig begriffen, das aber nach meiner Ansicht die tiefsinnigste Bedeutung enthält. War denn von jeher die Aufgabe der großen Staatsmänner etwas Anderes als eine Transaction, eine Vermittlung zwischen Principien oder Parteien? Wenn man regieren soll, und sich zwischen zwei Factionen, die sich befehden, befindet, so muß man eine Transaction versuchen. Wie könnte die Welt fortschreiten, wie könnte sie nur ruhig stehen bleiben, wenn nicht nach wilden Umwälzungen die gebietenden Männer kämen, die unter den ermüdeten und leidenden Kämpfern den Gottesfrieden wieder herstellten, im Reiche des Gedankens wie im Reiche der Erscheinung? Ja, auch im Reiche des Gedankens sind Transactionen nothwendig. Was war es anders als Transaction zwischen der römisch-katholischen Ueberlieferung und der menschlich-göttlichen Vernunft, was vor drei Jahrhunderten in Deutschland als Reformation und protestantische Kirche ins Leben trat? Was war es anders als Transaction, was Napoleon in Frankreich versuchte, als er die Menschen und die Interessen des alten Regime's mit den neuen Menschen und neuen Interessen der Revolution zu versöhnen suchte? Er gab dieser Transaction den Namen &#x201E;Fusion&#x201C; &#x2013; ebenfalls ein sehr bedeutungsvolles Wort, welches ein ganzes System offenbart. &#x2013; Vor zwei Jahrtausenden hatte ein anderer großer Staatsmann, Alexander von Macedonien, ein ähnliches Fusionsystem ersonnen, als er den Occident mit dem Oriente<lb/></p>
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[0861/0005] Zügel in Händen, so ist der Staatswagen auf lange Zeit vor Umsturz gesichert. Der König und Thiers, der eine im Innern des Wagens, der andere auf dem Bocke, sie müssen einig bleiben, denn trotz der verschiedenen Situation sind sie denselben Gefahren ausgesetzt. Der König und Thiers hegen durchaus keinen geheimen Hader, wie man allgemein glaubt. Persönlich hatten sich beide schon vor geraumer Zeit ausgesöhnt. Die Differenz blieb nur eine politische. Bei aller jetzigen Einigkeit, bei dem besten Willen des Königs für die Erhaltung des Ministeriums, kann doch in seinem Geiste jene politische Differenz nie ganz schwinden; denn der König ist ja der Repräsentant der Krone, deren Interessen und Rechte in beständigem Conflict mit den usurpirenden Gelüsten der Kammer. In der That, wir müssen der Wahrheit gemäß das ganze Streben der Kammer mit dem Ausdruck Usurpationslust bezeichnen; sie war auch immer der angreifende Theil, sie suchte bei jeder Veranlassung die Rechte der Krone zu schmälern, die Interessen derselben zu untergraben, und der König übte nur eine natürliche Nothwehr. Z. B. die Charte verlieh dem König das Recht seine Minister zu wählen, und jetzt ist dieses Prärogativ nur ein leerer Schein, eine ironische, das Königthum verhöhnende Formel, denn in der Wirklichkeit ist es die Kammer, welche die Minister wählt und verabschiedet. Auch ist es sehr charakteristisch, daß seit einiger Zeit die französische Staatsregierung nicht mehr ein constitutionelles, sondern ein parlamentarisches Gouvernement genannt wird. Das Ministerium vom ersten April erhielt gleich in der Taufe diesen Namen, und durch die That wie durch das Wort ward eine Rechtsberaubung der Krone zu Gunsten der Kammer öffentlich proclamirt und sanctionirt. – Thiers ist der Repräsentant der Kammer, er ist ihr gewählter Minister, und in dieser Beziehung kann er dem König nie ganz behagen. Die allerhöchste Mißhuld trifft also, wie gesagt, nicht die Person des Ministers, sondern das Princip, das sich durch seine Wahl geltend gemacht hat. – Wir glauben, daß die Kammer den Sieg jenes Princips nicht weiter verfolgen wird; denn es ist im Grunde dasselbe Electionsprincip, als dessen letzte Consequenz die Republik sich darbietet. Wohin sie führen diese gewonnenen Kammerschlachten, merken die dynastischen Oppositionshelden jetzt eben so gut wie jene Conservatoren, die, aus persönlicher Leidenschaft, bei Gelegenheit der Dotationsfrage sich die lächerlichsten Mißgriffe zu Schulden kommen ließen. Das Verwerfen der Dotation, und gar der schweigende Hohn, womit man sie verwarf, war nicht bloß eine Beleidigung des Königthums, sondern auch eine ungerechte Thorheit; – denn indem man der Krone alle wirkliche Macht allmählich abkämpfte, mußte man sie wenigstens entschädigen durch äußern Glanz, und ihr moralisches Ansehen in den Augen des Volks vielmehr erhöhen als herabwürdigen. Welche Inconsequenz! Ihr wollt einen Monarchen haben, und knickert bei den Kosten für Hermelin und Goldprunk! Ihr schreckt zurück vor der Republik, und insultirt euren König öffentlich, wie ihr gethan bei der Abstimmung der Dotationsfrage! Und sie wollen wahrlich keine Republik, diese edlen Geldritter, diese Barone der Industrie, diese Auserwählten des Eigenthums, diese Enthusiasten des ruhigen Besitzes, welche die Majorität in der französischen Kammer bilden. Sie hegen vor der Republik ein noch weit entsetzlicheres Grauen als der König selbst, sie zittern davor noch weit mehr als Ludwig Philipp, welcher sich in seiner Jugend schon daran gewöhnt hat. – Wird sich das Ministerium Thiers lange halten? Das ist jetzt die Frage. Dieser Mann spielt eine schauerliche Rolle. Er verfügt nicht bloß über alle Streitkräfte des mächtigsten Reiches, sondern auch über alle Heeresmacht der Revolution, über alles Feuer und allen Wahnsinn der Zeit. Reizt ihn nicht aus seiner weisen Jovialität hinaus in die fatalistischen Irrgänge der Leidenschaft, legt ihm nichts in den Weg, weder goldene Aepfel noch rohe Klötze.... Die ganze Partei der Krone sollten sich Glück wünschen, daß die Kammer eben den Thiers gewählt, den Staatsmann, der in den jüngsten Debatten seine ganze politische Größe offenbart hat. Ja, während die andern nur Redner sind, oder Administratoren, oder Gelehrte, oder Diplomaten, oder Tugendhelden, so ist Thiers alles dieses zusammen, sogar letzteres, nur daß sich bei ihm diese Fähigkeiten nicht als schroffe Specialitäten hervorstellen, sondern von seinem staatsmännischen Genie überragt und absorbirt werden. Thiers ist Staatsmann; er ist einer von jenen Geistern, denen das Talent des Regierens angeboren ist. Die Natur schafft Staatsmänner wie sie Dichter schafft, zwei sehr heterogene Arten von Geschöpfen, die aber von gleicher Unentbehrlichkeit; denn die Menschheit muß begeistert werden und regiert. Die Männer, denen die Poesie oder die Staatskunst angeboren ist, werden auch von der Natur getrieben, ihr Talent geltend zu machen, und wir dürfen diesen Trieb keineswegs mit jenem kleinen Ehrgeiz verwechseln, der die Minderbegabten anstachelt, die Welt mit ihren elegischen Reimereien oder mit ihren prosaischen Declamationen zu langweilen. Thiers ist kein Ehrgeiziger, eben so wenig wie Victor Hugo; Monsieur de Lamartine hingegen ist ein Ehrgeiziger, sowohl in politischer wie in poetischer Beziehung. Ich habe angedeutet, daß Thiers eben durch seine Rede bei der Abstimmung über die geheimen Fonds seine staatsmännische Größe beurkundete. Berryer hat vielleicht mit seinen sonoren Phrasen auf die Ohren der großen Menge eine pomphaftere Wirkung ausgeübt; aber dieser Orator verhält sich zu jenem Staatsmann wie Cicero zu Demosthenes. Wenn Cicero auf dem Forum plaidirte, dann sagten die Zuhörer, daß Niemand schöner zu reden verstehe als der Marcus Tullius; sprach aber Demosthenes, so riefen die Athener: Krieg gegen Philipp! Statt aller Lobsprüche, nachdem Thiers geredet hatte, öffneten die Deputirten ihren Säckel, und gaben ihm das verlangte Geld. Culminirend in jener Rede des Thiers war das Wort „Transaction“ – ein Wort, das unsre Tagspolitiker wenig begriffen, das aber nach meiner Ansicht die tiefsinnigste Bedeutung enthält. War denn von jeher die Aufgabe der großen Staatsmänner etwas Anderes als eine Transaction, eine Vermittlung zwischen Principien oder Parteien? Wenn man regieren soll, und sich zwischen zwei Factionen, die sich befehden, befindet, so muß man eine Transaction versuchen. Wie könnte die Welt fortschreiten, wie könnte sie nur ruhig stehen bleiben, wenn nicht nach wilden Umwälzungen die gebietenden Männer kämen, die unter den ermüdeten und leidenden Kämpfern den Gottesfrieden wieder herstellten, im Reiche des Gedankens wie im Reiche der Erscheinung? Ja, auch im Reiche des Gedankens sind Transactionen nothwendig. Was war es anders als Transaction zwischen der römisch-katholischen Ueberlieferung und der menschlich-göttlichen Vernunft, was vor drei Jahrhunderten in Deutschland als Reformation und protestantische Kirche ins Leben trat? Was war es anders als Transaction, was Napoleon in Frankreich versuchte, als er die Menschen und die Interessen des alten Regime's mit den neuen Menschen und neuen Interessen der Revolution zu versöhnen suchte? Er gab dieser Transaction den Namen „Fusion“ – ebenfalls ein sehr bedeutungsvolles Wort, welches ein ganzes System offenbart. – Vor zwei Jahrtausenden hatte ein anderer großer Staatsmann, Alexander von Macedonien, ein ähnliches Fusionsystem ersonnen, als er den Occident mit dem Oriente

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840, S. 0861. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_108_18400417/5>, abgerufen am 29.04.2024.