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Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840.

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Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's.

(Fortsetzung.)

Nach Beendigung der Manöver ritten wir unter klingendem Spiel nach der großen, oben offenen, aber von Mauern eingeschlossenen Manege, wo eine andere geräumigere Tribune für den Vicekönig bereitet war. Hier standen Divans, auf denen er sich nach türkischer Art niederließ, und mir meinen Platz wieder neben sich anwies, während sich die Militärs und Hofleute wie vorher stehend umherreihten. Bald dieser, bald jener von diesen ergriff dann den Fliegenwedel, um Sr. Hoheit die hier so lästigen Insecten abzuwehren. Nachdem hierauf Pfeifen und Kaffee gebracht worden waren, machten dem Fürsten auch die andern anwesenden Consuln ihre Aufwartung. Ehe dieß indeß noch stattfand, fiel eine kleine Scene vor, die ich nicht übergehen darf, obgleich sie für meine Eitelkeit eben nicht schmeichelhaft ist. Die große Freundlichkeit des Vicekönigs und eine momentane Distraction meinerseits verleiteten mich zu einer jener Tactlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arriviren, aber immer eine tadelnswerthe Unschicklichkeit bleiben. Ich vergaß nämlich ganz der Umstehenden, die man an einem orientalischen Hofe noch leichter als an einem europäischen für bloße Statisten anzusehen sich gewöhnt, und mich eben so wenig erinnernd, daß man zu Muselmännern nie vom weiblichen Geschlechte sprechen darf, sagte ich unbedacht zum Vicekönig: "Beinahe Alles gefiele mir in Aegypten, Vieles errege meine größte Bewunderung, aber Eins habe ich ihm doch auf der Reise hierher sehr verdacht, nämlich, daß er den armen Almehs, die einen ganz eigenthümlichen Zug ägyptischer Nationalität darstellten, ihr tanzend musikalisches Gewerbe so streng und plötzlich untersagt habe." An dem Erblassen des Interpreten und den verstörten, mißfälligen Mienen derjenigen unter der Umgebung die französisch verstanden, ward ich augenblicklich meine bevue gewahr, und fühlte wie mir das Blut darüber ins Gesicht stieg. Doch half es nun nichts mehr, um so mehr, da Mehemed Ali, dem nichts entgeht, schon gleichfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, und nun Artim Bey, der sich sonst vielleicht irgend eine Modification meiner Worte ausgedacht haben würde - obgleich es gefährlich für den Dolmetscher ist, den Sinn einer dem Vicekönig adressirten Phrase zu entstellen - ausdrücklich fragte, was ich gesagt habe. Mit verlegener Miene stotterte nun Artim Bey die Phrase her, welche ich damals gern mit vielem Gelde zurückgekauft hätte. Doch jetzt reut mich meine gaucherie nicht mehr, denn ich würde ohne sie nicht Gelegenheit gehabt haben, Mehemed Ali's wahrhaft königliches Benehmen in einem Moment bewundern zu können, der, nach den Sitten und Gewohnheiten der Türken zu urtheilen, wirklich ein kritischer genannt werden konnte. Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir, und sagte: "Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almehs? ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören." Alles blieb stumm. "Ach," rief er plötzlich, wie sich besinnend aus, "Sie meinen gewiß die öffentlichen Musikanten *)*) - ja, das ist eine Sache, die meinen Polizeirath angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. Doch will ich mich darnach erkundigen, denn ich selbst erinnere mich nicht, daß mir je etwas über diesen Gegenstand vorgetragen worden sey" - und nun ging er höchst unbefangen zu einem andern Gegenstand über, mit eben so viel Schonung als Feinheit meine eigene Reise, deren ich erwähnt hatte, dazu wählend, indem er sich angelegentlich nach diesem und jenem erkundigte, um das Schokante des Vorhergegangenen desto schneller in Vergessenheit zu bringen. Selten habe ich eine eindringlichere, und doch auf mildere Weise gegebene Lection erhalten. Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenn gleich ungeschickten doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mehemed Ali's verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund zu glauben, daß wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt seyn würde - denn über viele Vorurtheile seiner Nation und selbst über die anderer Nationen hat Mehemed Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmüthigen Seele vielleicht gerade dieser kleinen Demüthigung zu verdanken, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie diese, noch keinem Fremden vor mir zu Theil ward. Als man ihm ankündigte, daß seine Tafel bereit sey, und ich aufstand, um mich mit den Consuln zu entfernen, fragte er mich, ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sey, vorziehe, oder, wenn ich mich entschließen könne einmal die türkische Weise zu versuchen, mit ihm tete a tete speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwiedern: "daß ich zwar fürchten müsse in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu seyn, um nicht vielleicht unwillkürlich mehr als einmal dagegen zu verstoßen, die mir angebotene Ehre jedoch zu groß sey, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer theilhaftig werden zu wollen." Kaum hatte ich dieß gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Bey's, verschwand, und zwei Diener Se. Hoheit, wie auch mich, mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen, und dann kniend ähnliche über unsere Schenkel breiteten, während andere dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Rosenwasser zum Waschen vorhielten, und wieder andere einen mit reichem Vermeilgeschirr und vielen Speisen besetzten Tisch herein brachten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig als dem Vicekönig in Allem möglichst genau nachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abthat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon immer auf europäische Weise speist, und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibehält. Uebrigens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Vicekönig aß auch selbst davon mit dem Appetit eines Jünglings. In goldenen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser, und mir auch excellenter Bordeauxwein servirt. Vor dem Volke trank der Vicekönig keinen. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße,

*) Die Almehs sind in der Regel immer von männlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung türkischer Gastmähler geholt werden.
Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's.

(Fortsetzung.)

Nach Beendigung der Manöver ritten wir unter klingendem Spiel nach der großen, oben offenen, aber von Mauern eingeschlossenen Manege, wo eine andere geräumigere Tribune für den Vicekönig bereitet war. Hier standen Divans, auf denen er sich nach türkischer Art niederließ, und mir meinen Platz wieder neben sich anwies, während sich die Militärs und Hofleute wie vorher stehend umherreihten. Bald dieser, bald jener von diesen ergriff dann den Fliegenwedel, um Sr. Hoheit die hier so lästigen Insecten abzuwehren. Nachdem hierauf Pfeifen und Kaffee gebracht worden waren, machten dem Fürsten auch die andern anwesenden Consuln ihre Aufwartung. Ehe dieß indeß noch stattfand, fiel eine kleine Scene vor, die ich nicht übergehen darf, obgleich sie für meine Eitelkeit eben nicht schmeichelhaft ist. Die große Freundlichkeit des Vicekönigs und eine momentane Distraction meinerseits verleiteten mich zu einer jener Tactlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arriviren, aber immer eine tadelnswerthe Unschicklichkeit bleiben. Ich vergaß nämlich ganz der Umstehenden, die man an einem orientalischen Hofe noch leichter als an einem europäischen für bloße Statisten anzusehen sich gewöhnt, und mich eben so wenig erinnernd, daß man zu Muselmännern nie vom weiblichen Geschlechte sprechen darf, sagte ich unbedacht zum Vicekönig: „Beinahe Alles gefiele mir in Aegypten, Vieles errege meine größte Bewunderung, aber Eins habe ich ihm doch auf der Reise hierher sehr verdacht, nämlich, daß er den armen Almehs, die einen ganz eigenthümlichen Zug ägyptischer Nationalität darstellten, ihr tanzend musikalisches Gewerbe so streng und plötzlich untersagt habe.“ An dem Erblassen des Interpreten und den verstörten, mißfälligen Mienen derjenigen unter der Umgebung die französisch verstanden, ward ich augenblicklich meine bevue gewahr, und fühlte wie mir das Blut darüber ins Gesicht stieg. Doch half es nun nichts mehr, um so mehr, da Mehemed Ali, dem nichts entgeht, schon gleichfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, und nun Artim Bey, der sich sonst vielleicht irgend eine Modification meiner Worte ausgedacht haben würde – obgleich es gefährlich für den Dolmetscher ist, den Sinn einer dem Vicekönig adressirten Phrase zu entstellen – ausdrücklich fragte, was ich gesagt habe. Mit verlegener Miene stotterte nun Artim Bey die Phrase her, welche ich damals gern mit vielem Gelde zurückgekauft hätte. Doch jetzt reut mich meine gaucherie nicht mehr, denn ich würde ohne sie nicht Gelegenheit gehabt haben, Mehemed Ali's wahrhaft königliches Benehmen in einem Moment bewundern zu können, der, nach den Sitten und Gewohnheiten der Türken zu urtheilen, wirklich ein kritischer genannt werden konnte. Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir, und sagte: „Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almehs? ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören.“ Alles blieb stumm. „Ach,“ rief er plötzlich, wie sich besinnend aus, „Sie meinen gewiß die öffentlichen Musikanten *)*) – ja, das ist eine Sache, die meinen Polizeirath angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. Doch will ich mich darnach erkundigen, denn ich selbst erinnere mich nicht, daß mir je etwas über diesen Gegenstand vorgetragen worden sey“ – und nun ging er höchst unbefangen zu einem andern Gegenstand über, mit eben so viel Schonung als Feinheit meine eigene Reise, deren ich erwähnt hatte, dazu wählend, indem er sich angelegentlich nach diesem und jenem erkundigte, um das Schokante des Vorhergegangenen desto schneller in Vergessenheit zu bringen. Selten habe ich eine eindringlichere, und doch auf mildere Weise gegebene Lection erhalten. Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenn gleich ungeschickten doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mehemed Ali's verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund zu glauben, daß wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt seyn würde – denn über viele Vorurtheile seiner Nation und selbst über die anderer Nationen hat Mehemed Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmüthigen Seele vielleicht gerade dieser kleinen Demüthigung zu verdanken, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie diese, noch keinem Fremden vor mir zu Theil ward. Als man ihm ankündigte, daß seine Tafel bereit sey, und ich aufstand, um mich mit den Consuln zu entfernen, fragte er mich, ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sey, vorziehe, oder, wenn ich mich entschließen könne einmal die türkische Weise zu versuchen, mit ihm tête á tête speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwiedern: „daß ich zwar fürchten müsse in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu seyn, um nicht vielleicht unwillkürlich mehr als einmal dagegen zu verstoßen, die mir angebotene Ehre jedoch zu groß sey, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer theilhaftig werden zu wollen.“ Kaum hatte ich dieß gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Bey's, verschwand, und zwei Diener Se. Hoheit, wie auch mich, mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen, und dann kniend ähnliche über unsere Schenkel breiteten, während andere dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Rosenwasser zum Waschen vorhielten, und wieder andere einen mit reichem Vermeilgeschirr und vielen Speisen besetzten Tisch herein brachten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig als dem Vicekönig in Allem möglichst genau nachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abthat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon immer auf europäische Weise speist, und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibehält. Uebrigens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Vicekönig aß auch selbst davon mit dem Appetit eines Jünglings. In goldenen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser, und mir auch excellenter Bordeauxwein servirt. Vor dem Volke trank der Vicekönig keinen. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße,

*) Die Almehs sind in der Regel immer von männlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung türkischer Gastmähler geholt werden.
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Die große Freundlichkeit des Vicekönigs und eine momentane Distraction meinerseits verleiteten mich zu einer jener Tactlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arriviren, aber immer eine tadelnswerthe Unschicklichkeit bleiben. 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Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir, und sagte: &#x201E;Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almehs? ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören.&#x201C; Alles blieb stumm. &#x201E;Ach,&#x201C; rief er plötzlich, wie sich besinnend aus, &#x201E;Sie meinen gewiß die öffentlichen Musikanten <hi rendition="#sup">*)</hi><note place="foot" n="*)"><p>Die Almehs sind in der Regel immer von männlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung türkischer Gastmähler geholt werden.</p></note> &#x2013; ja, das ist eine Sache, die meinen Polizeirath angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. 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Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenn gleich ungeschickten doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mehemed Ali's verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund zu glauben, daß wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt seyn würde &#x2013; denn über viele Vorurtheile seiner Nation und selbst über die anderer Nationen hat Mehemed Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmüthigen Seele vielleicht gerade dieser kleinen Demüthigung zu verdanken, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie diese, noch keinem Fremden vor mir zu Theil ward. Als man ihm ankündigte, daß seine Tafel bereit sey, und ich aufstand, um mich mit den Consuln zu entfernen, fragte er mich, ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sey, vorziehe, oder, wenn ich mich entschließen könne einmal die türkische Weise zu versuchen, mit ihm tête á tête speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwiedern: &#x201E;daß ich zwar fürchten müsse in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu seyn, um nicht vielleicht unwillkürlich <hi rendition="#g">mehr als einmal</hi> dagegen zu verstoßen, die mir angebotene Ehre jedoch zu groß sey, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer theilhaftig werden zu wollen.&#x201C; Kaum hatte ich dieß gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Bey's, verschwand, und zwei Diener Se. Hoheit, wie auch mich, mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen, und dann kniend ähnliche über unsere Schenkel breiteten, während andere dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Rosenwasser zum Waschen vorhielten, und wieder andere einen mit reichem Vermeilgeschirr und vielen Speisen besetzten Tisch herein brachten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig als dem Vicekönig in Allem möglichst genau nachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abthat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon immer auf europäische Weise speist, und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibehält. Uebrigens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Vicekönig aß auch selbst davon mit dem Appetit eines Jünglings. In goldenen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser, und mir auch excellenter Bordeauxwein servirt. Vor dem Volke trank der Vicekönig keinen. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße,<lb/></p>
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[0857/0009] Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's. (Fortsetzung.) Nach Beendigung der Manöver ritten wir unter klingendem Spiel nach der großen, oben offenen, aber von Mauern eingeschlossenen Manege, wo eine andere geräumigere Tribune für den Vicekönig bereitet war. Hier standen Divans, auf denen er sich nach türkischer Art niederließ, und mir meinen Platz wieder neben sich anwies, während sich die Militärs und Hofleute wie vorher stehend umherreihten. Bald dieser, bald jener von diesen ergriff dann den Fliegenwedel, um Sr. Hoheit die hier so lästigen Insecten abzuwehren. Nachdem hierauf Pfeifen und Kaffee gebracht worden waren, machten dem Fürsten auch die andern anwesenden Consuln ihre Aufwartung. Ehe dieß indeß noch stattfand, fiel eine kleine Scene vor, die ich nicht übergehen darf, obgleich sie für meine Eitelkeit eben nicht schmeichelhaft ist. Die große Freundlichkeit des Vicekönigs und eine momentane Distraction meinerseits verleiteten mich zu einer jener Tactlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arriviren, aber immer eine tadelnswerthe Unschicklichkeit bleiben. Ich vergaß nämlich ganz der Umstehenden, die man an einem orientalischen Hofe noch leichter als an einem europäischen für bloße Statisten anzusehen sich gewöhnt, und mich eben so wenig erinnernd, daß man zu Muselmännern nie vom weiblichen Geschlechte sprechen darf, sagte ich unbedacht zum Vicekönig: „Beinahe Alles gefiele mir in Aegypten, Vieles errege meine größte Bewunderung, aber Eins habe ich ihm doch auf der Reise hierher sehr verdacht, nämlich, daß er den armen Almehs, die einen ganz eigenthümlichen Zug ägyptischer Nationalität darstellten, ihr tanzend musikalisches Gewerbe so streng und plötzlich untersagt habe.“ An dem Erblassen des Interpreten und den verstörten, mißfälligen Mienen derjenigen unter der Umgebung die französisch verstanden, ward ich augenblicklich meine bevue gewahr, und fühlte wie mir das Blut darüber ins Gesicht stieg. Doch half es nun nichts mehr, um so mehr, da Mehemed Ali, dem nichts entgeht, schon gleichfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, und nun Artim Bey, der sich sonst vielleicht irgend eine Modification meiner Worte ausgedacht haben würde – obgleich es gefährlich für den Dolmetscher ist, den Sinn einer dem Vicekönig adressirten Phrase zu entstellen – ausdrücklich fragte, was ich gesagt habe. Mit verlegener Miene stotterte nun Artim Bey die Phrase her, welche ich damals gern mit vielem Gelde zurückgekauft hätte. Doch jetzt reut mich meine gaucherie nicht mehr, denn ich würde ohne sie nicht Gelegenheit gehabt haben, Mehemed Ali's wahrhaft königliches Benehmen in einem Moment bewundern zu können, der, nach den Sitten und Gewohnheiten der Türken zu urtheilen, wirklich ein kritischer genannt werden konnte. Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir, und sagte: „Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almehs? ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören.“ Alles blieb stumm. „Ach,“ rief er plötzlich, wie sich besinnend aus, „Sie meinen gewiß die öffentlichen Musikanten *) *) – ja, das ist eine Sache, die meinen Polizeirath angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. Doch will ich mich darnach erkundigen, denn ich selbst erinnere mich nicht, daß mir je etwas über diesen Gegenstand vorgetragen worden sey“ – und nun ging er höchst unbefangen zu einem andern Gegenstand über, mit eben so viel Schonung als Feinheit meine eigene Reise, deren ich erwähnt hatte, dazu wählend, indem er sich angelegentlich nach diesem und jenem erkundigte, um das Schokante des Vorhergegangenen desto schneller in Vergessenheit zu bringen. Selten habe ich eine eindringlichere, und doch auf mildere Weise gegebene Lection erhalten. Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenn gleich ungeschickten doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mehemed Ali's verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund zu glauben, daß wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt seyn würde – denn über viele Vorurtheile seiner Nation und selbst über die anderer Nationen hat Mehemed Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmüthigen Seele vielleicht gerade dieser kleinen Demüthigung zu verdanken, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie diese, noch keinem Fremden vor mir zu Theil ward. Als man ihm ankündigte, daß seine Tafel bereit sey, und ich aufstand, um mich mit den Consuln zu entfernen, fragte er mich, ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sey, vorziehe, oder, wenn ich mich entschließen könne einmal die türkische Weise zu versuchen, mit ihm tête á tête speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwiedern: „daß ich zwar fürchten müsse in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu seyn, um nicht vielleicht unwillkürlich mehr als einmal dagegen zu verstoßen, die mir angebotene Ehre jedoch zu groß sey, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer theilhaftig werden zu wollen.“ Kaum hatte ich dieß gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Bey's, verschwand, und zwei Diener Se. Hoheit, wie auch mich, mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen, und dann kniend ähnliche über unsere Schenkel breiteten, während andere dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Rosenwasser zum Waschen vorhielten, und wieder andere einen mit reichem Vermeilgeschirr und vielen Speisen besetzten Tisch herein brachten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig als dem Vicekönig in Allem möglichst genau nachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abthat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon immer auf europäische Weise speist, und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibehält. Uebrigens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Vicekönig aß auch selbst davon mit dem Appetit eines Jünglings. In goldenen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser, und mir auch excellenter Bordeauxwein servirt. Vor dem Volke trank der Vicekönig keinen. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße, *) Die Almehs sind in der Regel immer von männlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung türkischer Gastmähler geholt werden.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840, S. 0857. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_108_18400417/9>, abgerufen am 29.04.2024.