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Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840.

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saure und Fleischspeisen fortwährend mit einander ab, wozu noch eine Menge kalte hors d'oeuvres und saure Milch, die in kleinen Schüsseln rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behangen hatte, neben jedem von uns, um sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaw, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vicekönigs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert.

Jetzt trat ein Geheimsecretär in das Zimmer, um Sr. Hoheit einen eben eingelaufenen Brief des Gouverneurs vom Sudan aus dem Sennaar zu überreichen, den er nachher vorlas. Sein Inhalt betraf eine von Mehemed Ali befohlene Expedition zur Auffindung der noch immer halb fabelhaften Mondberge, dem Laufe des Baher el Abiad (des weißen Flusses) folgend, und eine andere dem Baher el Azrak (blauen Fluß) entlang nach dem Fazoli, wo man reiche Goldminen vermuthet. Um hierüber genau unterrichtet zu werden, hat Mehemed Ali aus Oesterreich eine Gesellschaft von zehn Bergbauverständigen und Naturforschern unter höchst generösen Bedingungen kommen lassen, die schon auf der Reise nach jenen fernen Gegenden begriffen, aber bei den Schwierigkeiten, welche das hiesige Klima und die ungewohnte Lebensart den Europäern entgegensetzen, noch nicht sehr weit fortgeschritten sind. Er zeigte eine kleine Anwandlung von Ungeduld bei dieser Zögerung, und benutzte, als beim Kaffee der Hof und die Consuln sich wieder eingefunden hatten, die Gelegenheit, Hrn. Laurin, den österreichischen Generalconsul, dringend um seine Mithülfe zur Beschleunigung einer Angelegenheit zu bitten, die ihm sehr am Herzen liege. Ich äußerte, der macedonische Philipp habe auch während seiner Regierung aufgefundenen Goldbergwerken einen großen Theil seiner glücklichen Kriegführung zu danken gehabt, wie nicht minder sein Nachfolger der große Alexander, und ich wünsche von Herzen, daß Se. Hoheit, die soviel von jenen berühmten Landsleuten geerbt, auch hierin ein gleiches Schicksal mit ihnen haben möchten. "Wir müssen sehen, was uns Gott bescheren wird," erwiederte der Vicekönig, "allzu viel rechne ich nicht darauf, doch sind die günstigen Anzeichen nicht zu vernachlässigen." *)*)

Wir wurden hier durch den Wiederanfang des Carroussels unterbrochen, das vor und nach unserer Mahlzeit in verschiedenen Reprisen von den ausgewähltesten Schülern der Anstalt, unter Anführung ihres geschickten Stallmeisters, Hrn. Bier, eines Deutschen, mit größter Meisterschaft sowohl was Pferdedressur und Reitergewandtheit als Ringelrennen, Pistolenschießen, Fechtübungen, Voltigiren u. s. w. betraf, ausgeführt wurde. Indem ich dem Vicekönig meine Verwunderung über diese ausgezeichnete Geschicklichkeit und Präcision der Eleven der Schule ausdrückte, fragte ich ihn, ob sich auch arabische Fellahs unter denselben befänden. Er antwortete: "O nein; dieß sind alles Türken", obgleich er sehr wohl wußte, daß das Gegentheil der Fall sey. Er gab diese Antwort offenbar nur, um den umstehenden Türken seines Hofes zu schmeicheln, die, gleich ihm selbst, mit Verachtung auf die Araber herabsehen, welche, obwohl bei weitem die besten Soldaten Mehemed Ali's, erst in neuester Zeit aus bloßer Noth zu den niedrigsten Officiersgraden avancirt wurden. Dieß ist eine Schwäche des Vicekönigs, die gewissermaßen dem Adelsstolz oder der abgeschmackten Verachtung der Juden bei uns gleichkommt, und ihn vielleicht allein verhindert hat, noch eine weit größere Rolle zu spielen, als ihm jetzt zu Theil geworden ist. Hätte er von Anfang an der Tendenz gefolgt, sich für einen Fürsten und Wiederhersteller der Araber anzusehen, und diese durch Befreiung vom langen türkischen Joch alle in einem neugebornen Enthusiasmus um seine Person zu vereinigen gewußt, so wäre seine Macht vielleicht noch kolossaler und sicherer, nachhaltiger begründet worden als sie es jetzt ist.

Die Anstalt zu Dschiseh ist unter der unermüdlichen Sorgfalt des Obristen Warin zu einer solchen Vollkommenheit gediehen, und hat sogleich ein so ganz europäisches Ansehen gewonnen, daß man in ihrem Bereich wirklich ganz vergessen könnte, in Aegypten zu seyn, und versucht wird, denen Recht zu geben, die behaupten, daß Erziehung und Dressur allein den Charakter der Völker wie den der Individuen bestimme. Soviel ist nicht abzustreiten, daß hier rohe Türken und der Sklaverei frisch entrissene Fellahs, wenigstens in allem, was man äußerlich an ihnen bemerken kann, zu vollkommnen Franzosen umgeschaffen worden sind, diesen wirklich bis in den kleinsten nationellen und militärischen Manieren gleichend. Dieß ist hier sogar noch weit vollständiger der Fall, als selbst bei denjenigen Aegyptiern, die in Frankreich erzogen worden sind und ihre ganze Jugendbildung dort erhalten haben. Von Obrist Warin kann man aber auch sagen, daß er für eine solche Stelle geschaffen sey, und schon in Frankreich nannten ihn deßhalb seine Cameraden: le type de l'officier d'etat major. Alles indeß, was ich hier sah, zeigte mir zugleich, daß, so streng er die Form verehrt und vielleicht als Hauptsache ansieht, er doch auch keineswegs den Geist darüber vernachlässigt. Viele der von seinen Eleven angefertigten Situations- und Positionsplane, die er mir später zeigte, mit Darstellung theils wirklich stattgefundener, theils fingirter Gefechte hätten von den geschicktesten unserer Officiere nicht besser geliefert werden können, und überall fand ich, daß die von dem Obristen befolgte Unterrichtsmethode sich nicht bloß darauf beschränke, aus den Eleven gute Cavalleristen, sondern überhaupt vollendete Soldaten zu machen, so weit individuelle Fähigkeiten des Ziels Erreichung möglich werden lassen.

Der Vicekönig erkennt dieß, und es war eine delicate Attention von seiner Seite, daß er nicht nach der Prüfung, sondern schon den Tag vorher dem Obrist Warin die Würde eines Bey's (die außer dem erhöhten Rang auch eine sehr bedeutende Besoldungserhöhung mit sich führt) ertheilt, und die Insignien in großen Brillanten überschickt hat, indem er ihm dazu ausdrücklich sagen ließ: diese Auszeichnung betreffe in keiner Art die Dienste, welche der Vicekönig noch vom Obrist Warin erwarte, sondern sey nur die Belohnung der von ihm bereits geleisteten und ein Zeichen der aufrichtigsten Anerkennung derselben. Herren, die so graciös zu belohnen wissen, sind bei uns selten geworden, und aus demselben Grunde auch die Freude an ihrem Dienst. Wasil Bey, denn so heißt der Obrist Warin jetzt, hat eine sonderbare Schicksalsaffinität mit dem berühmten Allard, jetzigen Generallissimus im Königreich Lahore. Beide sind aus demselben Ort, von geringen Eltern abstammend; beide ergriffen an demselben Tage das Soldatenhandwerk; beide hatten ihr erstes Duell an demselben Tage; beide wurden an demselben Tage Officiere, und hatten darauf eine lange andauernde Liebesverbindung mit zwei Zwillingsschwestern; beide wurden an demselben Tage zusammen verwundet; beide mußten Frankreich nach Napoleons Sturz verlassen; beide endlich fanden Auszeichnung und Vermögen (wenn auch auf nicht ganz gleich glänzende Weise) im Dienste der beiden größten

*) Der Erfolg hat nach den neuesten Nachrichten der Hoffnung Mehemed Ali's wenigstens theilweise entsprochen.
A. des Eins.

saure und Fleischspeisen fortwährend mit einander ab, wozu noch eine Menge kalte hors d'oeuvres und saure Milch, die in kleinen Schüsseln rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behangen hatte, neben jedem von uns, um sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaw, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vicekönigs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert.

Jetzt trat ein Geheimsecretär in das Zimmer, um Sr. Hoheit einen eben eingelaufenen Brief des Gouverneurs vom Sudan aus dem Sennaar zu überreichen, den er nachher vorlas. Sein Inhalt betraf eine von Mehemed Ali befohlene Expedition zur Auffindung der noch immer halb fabelhaften Mondberge, dem Laufe des Baher el Abiad (des weißen Flusses) folgend, und eine andere dem Baher el Azrak (blauen Fluß) entlang nach dem Fazoli, wo man reiche Goldminen vermuthet. Um hierüber genau unterrichtet zu werden, hat Mehemed Ali aus Oesterreich eine Gesellschaft von zehn Bergbauverständigen und Naturforschern unter höchst generösen Bedingungen kommen lassen, die schon auf der Reise nach jenen fernen Gegenden begriffen, aber bei den Schwierigkeiten, welche das hiesige Klima und die ungewohnte Lebensart den Europäern entgegensetzen, noch nicht sehr weit fortgeschritten sind. Er zeigte eine kleine Anwandlung von Ungeduld bei dieser Zögerung, und benutzte, als beim Kaffee der Hof und die Consuln sich wieder eingefunden hatten, die Gelegenheit, Hrn. Laurin, den österreichischen Generalconsul, dringend um seine Mithülfe zur Beschleunigung einer Angelegenheit zu bitten, die ihm sehr am Herzen liege. Ich äußerte, der macedonische Philipp habe auch während seiner Regierung aufgefundenen Goldbergwerken einen großen Theil seiner glücklichen Kriegführung zu danken gehabt, wie nicht minder sein Nachfolger der große Alexander, und ich wünsche von Herzen, daß Se. Hoheit, die soviel von jenen berühmten Landsleuten geerbt, auch hierin ein gleiches Schicksal mit ihnen haben möchten. „Wir müssen sehen, was uns Gott bescheren wird,“ erwiederte der Vicekönig, „allzu viel rechne ich nicht darauf, doch sind die günstigen Anzeichen nicht zu vernachlässigen.“ *)*)

Wir wurden hier durch den Wiederanfang des Carroussels unterbrochen, das vor und nach unserer Mahlzeit in verschiedenen Reprisen von den ausgewähltesten Schülern der Anstalt, unter Anführung ihres geschickten Stallmeisters, Hrn. Bier, eines Deutschen, mit größter Meisterschaft sowohl was Pferdedressur und Reitergewandtheit als Ringelrennen, Pistolenschießen, Fechtübungen, Voltigiren u. s. w. betraf, ausgeführt wurde. Indem ich dem Vicekönig meine Verwunderung über diese ausgezeichnete Geschicklichkeit und Präcision der Eleven der Schule ausdrückte, fragte ich ihn, ob sich auch arabische Fellahs unter denselben befänden. Er antwortete: „O nein; dieß sind alles Türken“, obgleich er sehr wohl wußte, daß das Gegentheil der Fall sey. Er gab diese Antwort offenbar nur, um den umstehenden Türken seines Hofes zu schmeicheln, die, gleich ihm selbst, mit Verachtung auf die Araber herabsehen, welche, obwohl bei weitem die besten Soldaten Mehemed Ali's, erst in neuester Zeit aus bloßer Noth zu den niedrigsten Officiersgraden avancirt wurden. Dieß ist eine Schwäche des Vicekönigs, die gewissermaßen dem Adelsstolz oder der abgeschmackten Verachtung der Juden bei uns gleichkommt, und ihn vielleicht allein verhindert hat, noch eine weit größere Rolle zu spielen, als ihm jetzt zu Theil geworden ist. Hätte er von Anfang an der Tendenz gefolgt, sich für einen Fürsten und Wiederhersteller der Araber anzusehen, und diese durch Befreiung vom langen türkischen Joch alle in einem neugebornen Enthusiasmus um seine Person zu vereinigen gewußt, so wäre seine Macht vielleicht noch kolossaler und sicherer, nachhaltiger begründet worden als sie es jetzt ist.

Die Anstalt zu Dschiseh ist unter der unermüdlichen Sorgfalt des Obristen Warin zu einer solchen Vollkommenheit gediehen, und hat sogleich ein so ganz europäisches Ansehen gewonnen, daß man in ihrem Bereich wirklich ganz vergessen könnte, in Aegypten zu seyn, und versucht wird, denen Recht zu geben, die behaupten, daß Erziehung und Dressur allein den Charakter der Völker wie den der Individuen bestimme. Soviel ist nicht abzustreiten, daß hier rohe Türken und der Sklaverei frisch entrissene Fellahs, wenigstens in allem, was man äußerlich an ihnen bemerken kann, zu vollkommnen Franzosen umgeschaffen worden sind, diesen wirklich bis in den kleinsten nationellen und militärischen Manieren gleichend. Dieß ist hier sogar noch weit vollständiger der Fall, als selbst bei denjenigen Aegyptiern, die in Frankreich erzogen worden sind und ihre ganze Jugendbildung dort erhalten haben. Von Obrist Warin kann man aber auch sagen, daß er für eine solche Stelle geschaffen sey, und schon in Frankreich nannten ihn deßhalb seine Cameraden: le type de l'officier d'état major. Alles indeß, was ich hier sah, zeigte mir zugleich, daß, so streng er die Form verehrt und vielleicht als Hauptsache ansieht, er doch auch keineswegs den Geist darüber vernachlässigt. Viele der von seinen Eleven angefertigten Situations- und Positionsplane, die er mir später zeigte, mit Darstellung theils wirklich stattgefundener, theils fingirter Gefechte hätten von den geschicktesten unserer Officiere nicht besser geliefert werden können, und überall fand ich, daß die von dem Obristen befolgte Unterrichtsmethode sich nicht bloß darauf beschränke, aus den Eleven gute Cavalleristen, sondern überhaupt vollendete Soldaten zu machen, so weit individuelle Fähigkeiten des Ziels Erreichung möglich werden lassen.

Der Vicekönig erkennt dieß, und es war eine delicate Attention von seiner Seite, daß er nicht nach der Prüfung, sondern schon den Tag vorher dem Obrist Warin die Würde eines Bey's (die außer dem erhöhten Rang auch eine sehr bedeutende Besoldungserhöhung mit sich führt) ertheilt, und die Insignien in großen Brillanten überschickt hat, indem er ihm dazu ausdrücklich sagen ließ: diese Auszeichnung betreffe in keiner Art die Dienste, welche der Vicekönig noch vom Obrist Warin erwarte, sondern sey nur die Belohnung der von ihm bereits geleisteten und ein Zeichen der aufrichtigsten Anerkennung derselben. Herren, die so graciös zu belohnen wissen, sind bei uns selten geworden, und aus demselben Grunde auch die Freude an ihrem Dienst. Wasil Bey, denn so heißt der Obrist Warin jetzt, hat eine sonderbare Schicksalsaffinität mit dem berühmten Allard, jetzigen Generallissimus im Königreich Lahore. Beide sind aus demselben Ort, von geringen Eltern abstammend; beide ergriffen an demselben Tage das Soldatenhandwerk; beide hatten ihr erstes Duell an demselben Tage; beide wurden an demselben Tage Officiere, und hatten darauf eine lange andauernde Liebesverbindung mit zwei Zwillingsschwestern; beide wurden an demselben Tage zusammen verwundet; beide mußten Frankreich nach Napoleons Sturz verlassen; beide endlich fanden Auszeichnung und Vermögen (wenn auch auf nicht ganz gleich glänzende Weise) im Dienste der beiden größten

*) Der Erfolg hat nach den neuesten Nachrichten der Hoffnung Mehemed Ali's wenigstens theilweise entsprochen.
A. des Eins.
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saure und Fleischspeisen fortwährend mit einander ab, wozu noch eine Menge kalte hors d'oeuvres und saure Milch, die in kleinen Schüsseln rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behangen hatte, neben jedem von uns, um sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaw, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vicekönigs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert.</p><lb/>
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[0858/0010] saure und Fleischspeisen fortwährend mit einander ab, wozu noch eine Menge kalte hors d'oeuvres und saure Milch, die in kleinen Schüsseln rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behangen hatte, neben jedem von uns, um sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaw, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vicekönigs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert. Jetzt trat ein Geheimsecretär in das Zimmer, um Sr. Hoheit einen eben eingelaufenen Brief des Gouverneurs vom Sudan aus dem Sennaar zu überreichen, den er nachher vorlas. Sein Inhalt betraf eine von Mehemed Ali befohlene Expedition zur Auffindung der noch immer halb fabelhaften Mondberge, dem Laufe des Baher el Abiad (des weißen Flusses) folgend, und eine andere dem Baher el Azrak (blauen Fluß) entlang nach dem Fazoli, wo man reiche Goldminen vermuthet. Um hierüber genau unterrichtet zu werden, hat Mehemed Ali aus Oesterreich eine Gesellschaft von zehn Bergbauverständigen und Naturforschern unter höchst generösen Bedingungen kommen lassen, die schon auf der Reise nach jenen fernen Gegenden begriffen, aber bei den Schwierigkeiten, welche das hiesige Klima und die ungewohnte Lebensart den Europäern entgegensetzen, noch nicht sehr weit fortgeschritten sind. Er zeigte eine kleine Anwandlung von Ungeduld bei dieser Zögerung, und benutzte, als beim Kaffee der Hof und die Consuln sich wieder eingefunden hatten, die Gelegenheit, Hrn. Laurin, den österreichischen Generalconsul, dringend um seine Mithülfe zur Beschleunigung einer Angelegenheit zu bitten, die ihm sehr am Herzen liege. Ich äußerte, der macedonische Philipp habe auch während seiner Regierung aufgefundenen Goldbergwerken einen großen Theil seiner glücklichen Kriegführung zu danken gehabt, wie nicht minder sein Nachfolger der große Alexander, und ich wünsche von Herzen, daß Se. Hoheit, die soviel von jenen berühmten Landsleuten geerbt, auch hierin ein gleiches Schicksal mit ihnen haben möchten. „Wir müssen sehen, was uns Gott bescheren wird,“ erwiederte der Vicekönig, „allzu viel rechne ich nicht darauf, doch sind die günstigen Anzeichen nicht zu vernachlässigen.“ *) *) Wir wurden hier durch den Wiederanfang des Carroussels unterbrochen, das vor und nach unserer Mahlzeit in verschiedenen Reprisen von den ausgewähltesten Schülern der Anstalt, unter Anführung ihres geschickten Stallmeisters, Hrn. Bier, eines Deutschen, mit größter Meisterschaft sowohl was Pferdedressur und Reitergewandtheit als Ringelrennen, Pistolenschießen, Fechtübungen, Voltigiren u. s. w. betraf, ausgeführt wurde. Indem ich dem Vicekönig meine Verwunderung über diese ausgezeichnete Geschicklichkeit und Präcision der Eleven der Schule ausdrückte, fragte ich ihn, ob sich auch arabische Fellahs unter denselben befänden. Er antwortete: „O nein; dieß sind alles Türken“, obgleich er sehr wohl wußte, daß das Gegentheil der Fall sey. Er gab diese Antwort offenbar nur, um den umstehenden Türken seines Hofes zu schmeicheln, die, gleich ihm selbst, mit Verachtung auf die Araber herabsehen, welche, obwohl bei weitem die besten Soldaten Mehemed Ali's, erst in neuester Zeit aus bloßer Noth zu den niedrigsten Officiersgraden avancirt wurden. Dieß ist eine Schwäche des Vicekönigs, die gewissermaßen dem Adelsstolz oder der abgeschmackten Verachtung der Juden bei uns gleichkommt, und ihn vielleicht allein verhindert hat, noch eine weit größere Rolle zu spielen, als ihm jetzt zu Theil geworden ist. Hätte er von Anfang an der Tendenz gefolgt, sich für einen Fürsten und Wiederhersteller der Araber anzusehen, und diese durch Befreiung vom langen türkischen Joch alle in einem neugebornen Enthusiasmus um seine Person zu vereinigen gewußt, so wäre seine Macht vielleicht noch kolossaler und sicherer, nachhaltiger begründet worden als sie es jetzt ist. Die Anstalt zu Dschiseh ist unter der unermüdlichen Sorgfalt des Obristen Warin zu einer solchen Vollkommenheit gediehen, und hat sogleich ein so ganz europäisches Ansehen gewonnen, daß man in ihrem Bereich wirklich ganz vergessen könnte, in Aegypten zu seyn, und versucht wird, denen Recht zu geben, die behaupten, daß Erziehung und Dressur allein den Charakter der Völker wie den der Individuen bestimme. Soviel ist nicht abzustreiten, daß hier rohe Türken und der Sklaverei frisch entrissene Fellahs, wenigstens in allem, was man äußerlich an ihnen bemerken kann, zu vollkommnen Franzosen umgeschaffen worden sind, diesen wirklich bis in den kleinsten nationellen und militärischen Manieren gleichend. Dieß ist hier sogar noch weit vollständiger der Fall, als selbst bei denjenigen Aegyptiern, die in Frankreich erzogen worden sind und ihre ganze Jugendbildung dort erhalten haben. Von Obrist Warin kann man aber auch sagen, daß er für eine solche Stelle geschaffen sey, und schon in Frankreich nannten ihn deßhalb seine Cameraden: le type de l'officier d'état major. Alles indeß, was ich hier sah, zeigte mir zugleich, daß, so streng er die Form verehrt und vielleicht als Hauptsache ansieht, er doch auch keineswegs den Geist darüber vernachlässigt. Viele der von seinen Eleven angefertigten Situations- und Positionsplane, die er mir später zeigte, mit Darstellung theils wirklich stattgefundener, theils fingirter Gefechte hätten von den geschicktesten unserer Officiere nicht besser geliefert werden können, und überall fand ich, daß die von dem Obristen befolgte Unterrichtsmethode sich nicht bloß darauf beschränke, aus den Eleven gute Cavalleristen, sondern überhaupt vollendete Soldaten zu machen, so weit individuelle Fähigkeiten des Ziels Erreichung möglich werden lassen. Der Vicekönig erkennt dieß, und es war eine delicate Attention von seiner Seite, daß er nicht nach der Prüfung, sondern schon den Tag vorher dem Obrist Warin die Würde eines Bey's (die außer dem erhöhten Rang auch eine sehr bedeutende Besoldungserhöhung mit sich führt) ertheilt, und die Insignien in großen Brillanten überschickt hat, indem er ihm dazu ausdrücklich sagen ließ: diese Auszeichnung betreffe in keiner Art die Dienste, welche der Vicekönig noch vom Obrist Warin erwarte, sondern sey nur die Belohnung der von ihm bereits geleisteten und ein Zeichen der aufrichtigsten Anerkennung derselben. Herren, die so graciös zu belohnen wissen, sind bei uns selten geworden, und aus demselben Grunde auch die Freude an ihrem Dienst. Wasil Bey, denn so heißt der Obrist Warin jetzt, hat eine sonderbare Schicksalsaffinität mit dem berühmten Allard, jetzigen Generallissimus im Königreich Lahore. Beide sind aus demselben Ort, von geringen Eltern abstammend; beide ergriffen an demselben Tage das Soldatenhandwerk; beide hatten ihr erstes Duell an demselben Tage; beide wurden an demselben Tage Officiere, und hatten darauf eine lange andauernde Liebesverbindung mit zwei Zwillingsschwestern; beide wurden an demselben Tage zusammen verwundet; beide mußten Frankreich nach Napoleons Sturz verlassen; beide endlich fanden Auszeichnung und Vermögen (wenn auch auf nicht ganz gleich glänzende Weise) im Dienste der beiden größten *) Der Erfolg hat nach den neuesten Nachrichten der Hoffnung Mehemed Ali's wenigstens theilweise entsprochen. A. des Eins.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 108. Augsburg, 17. April 1840, S. 0858. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_108_18400417/10>, abgerufen am 29.04.2024.