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Allgemeine Zeitung. Nr. 125. Augsburg, 4. Mai 1840.

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auch dieses erfüllt. Trotz alles Hohns und Spottes, aller Lügenprophezeiungen der Torypresse ist es ihnen gelungen, Englands Ehre und Interessen bis jetzt unbefleckt und ungeschmälert zu wahren, und zugleich die Trübsal eines verheerenden Weltkriegs abzuwenden. Doch wie war dieses berühmte Friedensgelübde der Whigregierung gemeint? Weder als eine quäkerhafte Verzichtleistung auf das Recht der Waffen, noch als eine Entschließung, unbedingt jede Unbild und Beleidigung hinzunehmen, welche China, Neapel oder irgend ein Staat oder Despot uns zuzufügen belieben möchte. Wie die Regierung es verstanden wissen wollte und die brittische Nation es auch wirklich verstand, war es lediglich ein Versprechen: muthwillige Feindseligkeiten zu vermeiden, vielmehr, insoweit immer thunlich, eine ehrenhafte, geradsinnige, versöhnliche Friedenspolitik zu befolgen. Es war eine Anerkennung gezollt jenem sittlichen Gefühl, einer der edelsten Früchte der neuern Civilisation, welches endlich die Menschheit gelehrt hat den Krieg in seinem wahren Lichte zu betrachten: als ein Verbrechen und einen Fluch, wenn er ungerecht - als ein schweres Unglück, selbst wenn er gerecht, nothwendig und siegreich ist. Nichts kann falscher seyn, als die kecke Behauptung der Times, daß "Großbritannien eines Zustandes von Frieden und Vertrauen sich erfreut habe, als im J. 1830 die Whigs die Regierung übernahmen." Das war nicht die Ansicht eines der Scharfsinnigsten unter den Tory-Staatsmännern, der sich damals durch die bekannte unglückliche Aeußerung bloßstellte: ""wenn ein Engel vom Himmel ins Ministerium des Auswärtigen hernieder stiege, so könnte er kein halbes Jahr lang den Frieden wahren."" So oft man auch Lord Ashburton wegen dieser unglücklichen Probe seiner Weissagungsgabe belacht hat, so war er doch vielleicht nicht so sehr im Irrthum, als die hintenher Weisen zu glauben geneigt scheinen. Nach allen altherkömmlichen Regeln und Maximen der Tory-Politik mußte die Erhaltung des Friedens auf mehrere Jahre nach der gewaltigen Erschütterung der Juliusrevolution allerdings als ein nahebei verzweifeltes Unternehmen erscheinen. Allein die Whigs haben, ohne die Hülfe eines sichtbar herniedersteigenden Engels, durch Klugheit, Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Festigkeit den Sturm ausgedauert und die drohende Gefahr beschworen. Es ist nachgerade eine historische Wahrheit, daß nur Englands feste, aber gemessene Haltung in jener Periode, gegenüber der blinden Heftigkeit der legitimistischen wie der republicanischen Ultras, welche, die einen und die andern, um die unpraktischen Plane ihrer Propaganda zu verfolgen, Europa in den Krieg stürzen wollten, die Trübsale eines so allgemeinen und zerstörenden Kampfes, wie der erste französische Revolutionskrieg, abwenden konnte. Mittlerweile hohnlächelten die Tories über Lord Palmerston und seine Protokolle, und ergötzten sich mit Fictionen, wie England die Dupe jeder Continentalmacht sey. Was sagen sie zu den Protokollen jetzt? Können sie läugnen, daß diese so sehr verlästerten Instrumente ihrem Zweck etwas wirksamer entsprachen, als torystische Kanonenkugeln? Daß das große Ziel erreicht worden, nämlich die Aufrechthaltung der Interessen und der Ehre Englands und die Befriedung Europa's auf der Grundlage der durch die Revolutionen in Frankreich und Belgien nöthig gewordenen neuern Ordnung der Dinge, ohne die Schrecken eines allgemeinen Kriegs? Das verächtliche Geschwätz aber über die zahme Schmiegsamkeit unter erlittenen Unbilden, welche das Cabinet Melbourne zeige, und über die Langsamkeit, womit es Beleidigungen ressentire, fertigen wir mit der Frage ab: wer war erster Minister von England, als Rußland die Dardanellen blokiren durfte, und zwar nach einer ausdrücklichen, in glückwünschendem Ton in der Thronrede wiederholten Versicherung, daß eine solche Blokade nicht würde versucht werden?"

Das torystische Abendblatt der Standard antwortet: "Daraus, daß England in seinen jetzigen Streithändeln mit Neapel, China und den Vereinigten Staaten das Recht auf seiner Seite haben mag, folgt noch keineswegs nothwendig, daß unsere Politik diesen Staaten gegenüber eine untadelige ist oder war. Völker wie Individuen werden sehr selten in Händel, gerechte oder ungerechte, verwickelt, ausgenommen durch ihre eigene Thorheit oder Mißverhalten. Feigheit, Vernachlässigung der nöthigen Vertheidigungsmittel, unzeitige Dienstfertigkeit, dünkelvolle Unhöflichkeit - kurz Thorheit von allen Arten und Namen lädt, auch ohne directe Anreizung, zu fremden An- und Uebergriffen ein. Wenn einem einzelnen Manne oder einem Staat eine Menge Streithändel, ohne einen vernünftigen Grund dazu, über den Hals kommen, so ist dieß der sicherste Beweis von der thörichten Handlungsweise dieses Mannes oder dieses Staats. England mag gerechte Beschwerdegründe gegen Neapel und China haben, und doch kann deren ursprüngliche Veranlassung das Werk unserer eigenen Regierung seyn. In dem Falle mit den Vereinigten Staaten liegt die Ungerechtigkeit der republicanischen Regierung und die Haftbarkeit unserer eigenen dafür, daß sie zum Hervortreten dieser Ungerechtigkeit auf amerikanischer Seite Anlaß gegeben, gleich deutlich zu Tag. Den neapolitanischen Handel hat man zum Motiv eines Kriegs - denn das ist er mittlerweile vielleicht geworden - gemacht, einzig und allein durch ungeschickte Behandlung desselben. In der That, eine gewisse Genialität in der Stümperei gehörte dazu, um einen armseligen Streit über einen armseligen Handelsartikel in den Anlaß zu europäischen Feindseligkeiten zu verwandeln. Dem Herkommen der Nationen und den ewigen allgültigen Gesetzen des gesunden Menschenverstandes gemäß sind Handelsstreitigkeiten mit Handelsoperationen zu führen. Verfährt die neapolitanische Regierung hart gegen brittische Kaufleute oder Speculanten, so übe die brittische Regierung commercielle Repressalien. Der Einwurf, die Neapolitaner könnten uns in einem solchen Kampfe mehr belästigen als wir sie, ist noch keine hinreichende Entschuldigung von jener Maxime abzuweichen. Gibt man erst einmal das Princip zu, daß es erlaubt sey, in jedem Falle, wo man sich beeinträchtigt glaubt, durch das Mittel des Kriegs die Sache auszugleichen, dann ist es mit aller Sicherheit des Friedens in der Welt vorbei. Man nehme z. B. eben unsern jetzigen Handel mit Neapel. Hr. Temple hat durch seine Reizbarkeit und Unmanierlichkeit einen verächtlichen Hader, der im Anfang vielleicht nicht einmal der Beachtung eines Handelsconsuls werth war, zu einer Frage erster Größe, einer Frage nationalen Kriegs erhöht. Europa soll erschüttert werden, um zu entscheiden, welche von zwei Compagnien, die französische oder die englische, den Profit des Schwefelhandels in die Tasche stecken dürfe. Die englische Compagnie - wenn es anders eine Compagnie ist - ist betrogen worden, und Bestechungen, pots-de-vin, sind höheren Orts dabei im Spiele gewesen; zugegeben. Aber welcher weise Mann läßt sich nicht lieber alle Tage, die Gott schenkt, betrügen, wenn er damit ein größeres Uebel vermeidet, ohne seinen Charakter als Mann von Muth und Ehre bloßzustellen? Die ächte Lebensklugheit, das Geheimniß des Lebensglücks und Friedens besteht großentheils in der Wissenschaft, wie man mit dem wenigsten Verlust betrogen werden kann. Eine Hauptdoctrin der Staatsklugheit ist: man mache ein Handelspunctilio nie zu einem Ehren-Punctilio, weil außerdem mit dem Verlust an Geld, den man durch einen Betrug erleidet, immer auch ein ungleich schwererer Schaden: Verlust an der Ehre, zu befürchten steht. Diese gesunde Maxime hat Hr. Temple ungeschickterweise verabsäumt, und so den Krämerstreit über den

auch dieses erfüllt. Trotz alles Hohns und Spottes, aller Lügenprophezeiungen der Torypresse ist es ihnen gelungen, Englands Ehre und Interessen bis jetzt unbefleckt und ungeschmälert zu wahren, und zugleich die Trübsal eines verheerenden Weltkriegs abzuwenden. Doch wie war dieses berühmte Friedensgelübde der Whigregierung gemeint? Weder als eine quäkerhafte Verzichtleistung auf das Recht der Waffen, noch als eine Entschließung, unbedingt jede Unbild und Beleidigung hinzunehmen, welche China, Neapel oder irgend ein Staat oder Despot uns zuzufügen belieben möchte. Wie die Regierung es verstanden wissen wollte und die brittische Nation es auch wirklich verstand, war es lediglich ein Versprechen: muthwillige Feindseligkeiten zu vermeiden, vielmehr, insoweit immer thunlich, eine ehrenhafte, geradsinnige, versöhnliche Friedenspolitik zu befolgen. Es war eine Anerkennung gezollt jenem sittlichen Gefühl, einer der edelsten Früchte der neuern Civilisation, welches endlich die Menschheit gelehrt hat den Krieg in seinem wahren Lichte zu betrachten: als ein Verbrechen und einen Fluch, wenn er ungerecht – als ein schweres Unglück, selbst wenn er gerecht, nothwendig und siegreich ist. Nichts kann falscher seyn, als die kecke Behauptung der Times, daß „Großbritannien eines Zustandes von Frieden und Vertrauen sich erfreut habe, als im J. 1830 die Whigs die Regierung übernahmen.“ Das war nicht die Ansicht eines der Scharfsinnigsten unter den Tory-Staatsmännern, der sich damals durch die bekannte unglückliche Aeußerung bloßstellte: „„wenn ein Engel vom Himmel ins Ministerium des Auswärtigen hernieder stiege, so könnte er kein halbes Jahr lang den Frieden wahren.““ So oft man auch Lord Ashburton wegen dieser unglücklichen Probe seiner Weissagungsgabe belacht hat, so war er doch vielleicht nicht so sehr im Irrthum, als die hintenher Weisen zu glauben geneigt scheinen. Nach allen altherkömmlichen Regeln und Maximen der Tory-Politik mußte die Erhaltung des Friedens auf mehrere Jahre nach der gewaltigen Erschütterung der Juliusrevolution allerdings als ein nahebei verzweifeltes Unternehmen erscheinen. Allein die Whigs haben, ohne die Hülfe eines sichtbar herniedersteigenden Engels, durch Klugheit, Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Festigkeit den Sturm ausgedauert und die drohende Gefahr beschworen. Es ist nachgerade eine historische Wahrheit, daß nur Englands feste, aber gemessene Haltung in jener Periode, gegenüber der blinden Heftigkeit der legitimistischen wie der republicanischen Ultras, welche, die einen und die andern, um die unpraktischen Plane ihrer Propaganda zu verfolgen, Europa in den Krieg stürzen wollten, die Trübsale eines so allgemeinen und zerstörenden Kampfes, wie der erste französische Revolutionskrieg, abwenden konnte. Mittlerweile hohnlächelten die Tories über Lord Palmerston und seine Protokolle, und ergötzten sich mit Fictionen, wie England die Dupe jeder Continentalmacht sey. Was sagen sie zu den Protokollen jetzt? Können sie läugnen, daß diese so sehr verlästerten Instrumente ihrem Zweck etwas wirksamer entsprachen, als torystische Kanonenkugeln? Daß das große Ziel erreicht worden, nämlich die Aufrechthaltung der Interessen und der Ehre Englands und die Befriedung Europa's auf der Grundlage der durch die Revolutionen in Frankreich und Belgien nöthig gewordenen neuern Ordnung der Dinge, ohne die Schrecken eines allgemeinen Kriegs? Das verächtliche Geschwätz aber über die zahme Schmiegsamkeit unter erlittenen Unbilden, welche das Cabinet Melbourne zeige, und über die Langsamkeit, womit es Beleidigungen ressentire, fertigen wir mit der Frage ab: wer war erster Minister von England, als Rußland die Dardanellen blokiren durfte, und zwar nach einer ausdrücklichen, in glückwünschendem Ton in der Thronrede wiederholten Versicherung, daß eine solche Blokade nicht würde versucht werden?“

Das torystische Abendblatt der Standard antwortet: „Daraus, daß England in seinen jetzigen Streithändeln mit Neapel, China und den Vereinigten Staaten das Recht auf seiner Seite haben mag, folgt noch keineswegs nothwendig, daß unsere Politik diesen Staaten gegenüber eine untadelige ist oder war. Völker wie Individuen werden sehr selten in Händel, gerechte oder ungerechte, verwickelt, ausgenommen durch ihre eigene Thorheit oder Mißverhalten. Feigheit, Vernachlässigung der nöthigen Vertheidigungsmittel, unzeitige Dienstfertigkeit, dünkelvolle Unhöflichkeit – kurz Thorheit von allen Arten und Namen lädt, auch ohne directe Anreizung, zu fremden An- und Uebergriffen ein. Wenn einem einzelnen Manne oder einem Staat eine Menge Streithändel, ohne einen vernünftigen Grund dazu, über den Hals kommen, so ist dieß der sicherste Beweis von der thörichten Handlungsweise dieses Mannes oder dieses Staats. England mag gerechte Beschwerdegründe gegen Neapel und China haben, und doch kann deren ursprüngliche Veranlassung das Werk unserer eigenen Regierung seyn. In dem Falle mit den Vereinigten Staaten liegt die Ungerechtigkeit der republicanischen Regierung und die Haftbarkeit unserer eigenen dafür, daß sie zum Hervortreten dieser Ungerechtigkeit auf amerikanischer Seite Anlaß gegeben, gleich deutlich zu Tag. Den neapolitanischen Handel hat man zum Motiv eines Kriegs – denn das ist er mittlerweile vielleicht geworden – gemacht, einzig und allein durch ungeschickte Behandlung desselben. In der That, eine gewisse Genialität in der Stümperei gehörte dazu, um einen armseligen Streit über einen armseligen Handelsartikel in den Anlaß zu europäischen Feindseligkeiten zu verwandeln. Dem Herkommen der Nationen und den ewigen allgültigen Gesetzen des gesunden Menschenverstandes gemäß sind Handelsstreitigkeiten mit Handelsoperationen zu führen. Verfährt die neapolitanische Regierung hart gegen brittische Kaufleute oder Speculanten, so übe die brittische Regierung commercielle Repressalien. Der Einwurf, die Neapolitaner könnten uns in einem solchen Kampfe mehr belästigen als wir sie, ist noch keine hinreichende Entschuldigung von jener Maxime abzuweichen. Gibt man erst einmal das Princip zu, daß es erlaubt sey, in jedem Falle, wo man sich beeinträchtigt glaubt, durch das Mittel des Kriegs die Sache auszugleichen, dann ist es mit aller Sicherheit des Friedens in der Welt vorbei. Man nehme z. B. eben unsern jetzigen Handel mit Neapel. Hr. Temple hat durch seine Reizbarkeit und Unmanierlichkeit einen verächtlichen Hader, der im Anfang vielleicht nicht einmal der Beachtung eines Handelsconsuls werth war, zu einer Frage erster Größe, einer Frage nationalen Kriegs erhöht. Europa soll erschüttert werden, um zu entscheiden, welche von zwei Compagnien, die französische oder die englische, den Profit des Schwefelhandels in die Tasche stecken dürfe. Die englische Compagnie – wenn es anders eine Compagnie ist – ist betrogen worden, und Bestechungen, pots-de-vin, sind höheren Orts dabei im Spiele gewesen; zugegeben. Aber welcher weise Mann läßt sich nicht lieber alle Tage, die Gott schenkt, betrügen, wenn er damit ein größeres Uebel vermeidet, ohne seinen Charakter als Mann von Muth und Ehre bloßzustellen? Die ächte Lebensklugheit, das Geheimniß des Lebensglücks und Friedens besteht großentheils in der Wissenschaft, wie man mit dem wenigsten Verlust betrogen werden kann. Eine Hauptdoctrin der Staatsklugheit ist: man mache ein Handelspunctilio nie zu einem Ehren-Punctilio, weil außerdem mit dem Verlust an Geld, den man durch einen Betrug erleidet, immer auch ein ungleich schwererer Schaden: Verlust an der Ehre, zu befürchten steht. Diese gesunde Maxime hat Hr. Temple ungeschickterweise verabsäumt, und so den Krämerstreit über den

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[0995/0003] auch dieses erfüllt. Trotz alles Hohns und Spottes, aller Lügenprophezeiungen der Torypresse ist es ihnen gelungen, Englands Ehre und Interessen bis jetzt unbefleckt und ungeschmälert zu wahren, und zugleich die Trübsal eines verheerenden Weltkriegs abzuwenden. Doch wie war dieses berühmte Friedensgelübde der Whigregierung gemeint? Weder als eine quäkerhafte Verzichtleistung auf das Recht der Waffen, noch als eine Entschließung, unbedingt jede Unbild und Beleidigung hinzunehmen, welche China, Neapel oder irgend ein Staat oder Despot uns zuzufügen belieben möchte. Wie die Regierung es verstanden wissen wollte und die brittische Nation es auch wirklich verstand, war es lediglich ein Versprechen: muthwillige Feindseligkeiten zu vermeiden, vielmehr, insoweit immer thunlich, eine ehrenhafte, geradsinnige, versöhnliche Friedenspolitik zu befolgen. Es war eine Anerkennung gezollt jenem sittlichen Gefühl, einer der edelsten Früchte der neuern Civilisation, welches endlich die Menschheit gelehrt hat den Krieg in seinem wahren Lichte zu betrachten: als ein Verbrechen und einen Fluch, wenn er ungerecht – als ein schweres Unglück, selbst wenn er gerecht, nothwendig und siegreich ist. Nichts kann falscher seyn, als die kecke Behauptung der Times, daß „Großbritannien eines Zustandes von Frieden und Vertrauen sich erfreut habe, als im J. 1830 die Whigs die Regierung übernahmen.“ Das war nicht die Ansicht eines der Scharfsinnigsten unter den Tory-Staatsmännern, der sich damals durch die bekannte unglückliche Aeußerung bloßstellte: „„wenn ein Engel vom Himmel ins Ministerium des Auswärtigen hernieder stiege, so könnte er kein halbes Jahr lang den Frieden wahren.““ So oft man auch Lord Ashburton wegen dieser unglücklichen Probe seiner Weissagungsgabe belacht hat, so war er doch vielleicht nicht so sehr im Irrthum, als die hintenher Weisen zu glauben geneigt scheinen. Nach allen altherkömmlichen Regeln und Maximen der Tory-Politik mußte die Erhaltung des Friedens auf mehrere Jahre nach der gewaltigen Erschütterung der Juliusrevolution allerdings als ein nahebei verzweifeltes Unternehmen erscheinen. Allein die Whigs haben, ohne die Hülfe eines sichtbar herniedersteigenden Engels, durch Klugheit, Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Festigkeit den Sturm ausgedauert und die drohende Gefahr beschworen. Es ist nachgerade eine historische Wahrheit, daß nur Englands feste, aber gemessene Haltung in jener Periode, gegenüber der blinden Heftigkeit der legitimistischen wie der republicanischen Ultras, welche, die einen und die andern, um die unpraktischen Plane ihrer Propaganda zu verfolgen, Europa in den Krieg stürzen wollten, die Trübsale eines so allgemeinen und zerstörenden Kampfes, wie der erste französische Revolutionskrieg, abwenden konnte. Mittlerweile hohnlächelten die Tories über Lord Palmerston und seine Protokolle, und ergötzten sich mit Fictionen, wie England die Dupe jeder Continentalmacht sey. Was sagen sie zu den Protokollen jetzt? Können sie läugnen, daß diese so sehr verlästerten Instrumente ihrem Zweck etwas wirksamer entsprachen, als torystische Kanonenkugeln? Daß das große Ziel erreicht worden, nämlich die Aufrechthaltung der Interessen und der Ehre Englands und die Befriedung Europa's auf der Grundlage der durch die Revolutionen in Frankreich und Belgien nöthig gewordenen neuern Ordnung der Dinge, ohne die Schrecken eines allgemeinen Kriegs? Das verächtliche Geschwätz aber über die zahme Schmiegsamkeit unter erlittenen Unbilden, welche das Cabinet Melbourne zeige, und über die Langsamkeit, womit es Beleidigungen ressentire, fertigen wir mit der Frage ab: wer war erster Minister von England, als Rußland die Dardanellen blokiren durfte, und zwar nach einer ausdrücklichen, in glückwünschendem Ton in der Thronrede wiederholten Versicherung, daß eine solche Blokade nicht würde versucht werden?“ Das torystische Abendblatt der Standard antwortet: „Daraus, daß England in seinen jetzigen Streithändeln mit Neapel, China und den Vereinigten Staaten das Recht auf seiner Seite haben mag, folgt noch keineswegs nothwendig, daß unsere Politik diesen Staaten gegenüber eine untadelige ist oder war. Völker wie Individuen werden sehr selten in Händel, gerechte oder ungerechte, verwickelt, ausgenommen durch ihre eigene Thorheit oder Mißverhalten. Feigheit, Vernachlässigung der nöthigen Vertheidigungsmittel, unzeitige Dienstfertigkeit, dünkelvolle Unhöflichkeit – kurz Thorheit von allen Arten und Namen lädt, auch ohne directe Anreizung, zu fremden An- und Uebergriffen ein. Wenn einem einzelnen Manne oder einem Staat eine Menge Streithändel, ohne einen vernünftigen Grund dazu, über den Hals kommen, so ist dieß der sicherste Beweis von der thörichten Handlungsweise dieses Mannes oder dieses Staats. England mag gerechte Beschwerdegründe gegen Neapel und China haben, und doch kann deren ursprüngliche Veranlassung das Werk unserer eigenen Regierung seyn. In dem Falle mit den Vereinigten Staaten liegt die Ungerechtigkeit der republicanischen Regierung und die Haftbarkeit unserer eigenen dafür, daß sie zum Hervortreten dieser Ungerechtigkeit auf amerikanischer Seite Anlaß gegeben, gleich deutlich zu Tag. Den neapolitanischen Handel hat man zum Motiv eines Kriegs – denn das ist er mittlerweile vielleicht geworden – gemacht, einzig und allein durch ungeschickte Behandlung desselben. In der That, eine gewisse Genialität in der Stümperei gehörte dazu, um einen armseligen Streit über einen armseligen Handelsartikel in den Anlaß zu europäischen Feindseligkeiten zu verwandeln. Dem Herkommen der Nationen und den ewigen allgültigen Gesetzen des gesunden Menschenverstandes gemäß sind Handelsstreitigkeiten mit Handelsoperationen zu führen. Verfährt die neapolitanische Regierung hart gegen brittische Kaufleute oder Speculanten, so übe die brittische Regierung commercielle Repressalien. Der Einwurf, die Neapolitaner könnten uns in einem solchen Kampfe mehr belästigen als wir sie, ist noch keine hinreichende Entschuldigung von jener Maxime abzuweichen. Gibt man erst einmal das Princip zu, daß es erlaubt sey, in jedem Falle, wo man sich beeinträchtigt glaubt, durch das Mittel des Kriegs die Sache auszugleichen, dann ist es mit aller Sicherheit des Friedens in der Welt vorbei. Man nehme z. B. eben unsern jetzigen Handel mit Neapel. Hr. Temple hat durch seine Reizbarkeit und Unmanierlichkeit einen verächtlichen Hader, der im Anfang vielleicht nicht einmal der Beachtung eines Handelsconsuls werth war, zu einer Frage erster Größe, einer Frage nationalen Kriegs erhöht. Europa soll erschüttert werden, um zu entscheiden, welche von zwei Compagnien, die französische oder die englische, den Profit des Schwefelhandels in die Tasche stecken dürfe. Die englische Compagnie – wenn es anders eine Compagnie ist – ist betrogen worden, und Bestechungen, pots-de-vin, sind höheren Orts dabei im Spiele gewesen; zugegeben. Aber welcher weise Mann läßt sich nicht lieber alle Tage, die Gott schenkt, betrügen, wenn er damit ein größeres Uebel vermeidet, ohne seinen Charakter als Mann von Muth und Ehre bloßzustellen? Die ächte Lebensklugheit, das Geheimniß des Lebensglücks und Friedens besteht großentheils in der Wissenschaft, wie man mit dem wenigsten Verlust betrogen werden kann. Eine Hauptdoctrin der Staatsklugheit ist: man mache ein Handelspunctilio nie zu einem Ehren-Punctilio, weil außerdem mit dem Verlust an Geld, den man durch einen Betrug erleidet, immer auch ein ungleich schwererer Schaden: Verlust an der Ehre, zu befürchten steht. Diese gesunde Maxime hat Hr. Temple ungeschickterweise verabsäumt, und so den Krämerstreit über den

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 125. Augsburg, 4. Mai 1840, S. 0995. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_125_18400504/3>, abgerufen am 27.04.2024.