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Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840.

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ganz Europa überliefert werden. Das ist ein Vortheil, den die großen Reputationen genießen: sie werden von einer Jury gerichtet, welche sich nicht irre machen läßt von einigen litterarischen Eunuchen, die aus dem Winkel eines Parterre's oder eines Journals ihre pfeifenden Stimmchen vernehmen lassen.

Ueber die Darstellung des bestrittenen Drama's kann ich leider nur das Schlimmste berichten. Außer der berühmten Dorval, die gestern nicht schlechter, aber auch nicht besser wie gewöhnlich spielte, trugen alle Acteure ihre monotone Mittelmäßigkeit zur Schau. Der Hauptheld des Stücks, ein Monsieur Bauvallet, spielte, um biblisch zu reden, "wie ein Schwein mit einem goldenen Nasenring." George Sand scheint vorausgesehen zu haben, wie wenig sein Drama trotz aller Zugeständnisse, die er den Capricen der Schauspieler machte, von den mimischen Leistungen derselben zu erwarten hatte, und im Gespräch mit einem deutschen Freunde sagte er scherzhaft: "Sehen Sie, die Franzosen sind alle geborne Komödianten, und jeder spielt in der Welt mehr oder minder brillant seine Rolle; diejenigen aber unter meinen Landsleuten, die am wenigsten Talent für die edle Schauspielkunst besitzen, widmen sich dem Theater und werden Acteure."

Der neue Theorienkampf in der Schweiz.

Im April. Seit einer Reihe von Jahren überzeugen wir uns mit Bedauern, daß von der bildsamen Einwirkung, die man Ihrem Blatte allenthalben zugesteht, nur ein ganz geringes Maß auf die Schweiz trifft. Man sucht die Berichte über das Ausland mit Begier, und überschlägt jene das Vaterland berührenden mit mißtrauischer Eilfertigkeit; man bewundert die Ausdehnung, welche der Wissenschaft gegönnt wird in den Beilagen, während fast jedes Wörtchen, das die Kantone bespricht - um es mild auszudrücken - entbehrlich scheint. Es sey fern von uns, mit derlei Andeutungen den vielen würdigen Männern in den Weg treten zu wollen, die in einem so weit reichenden Organ sich über die verwickelte Lage unserer verschiedenartigen Staatshaushalte aufklärend vernehmen lassen; wohl aber meinen wir solche, die sich der einzelnen Wahrheit und des Wissens nicht um seiner selbst willen bedienen, sondern es bloß für ihren Eigensinn verbrauchen, um, wenn sie doch endlich den Strom der Vergessenheit hinabschwimmen müssen, noch aus dem Wasser heraus, wie jener Hartnäckige im Mährchen, ihre Rechthaberei zu betheuern - jene meinen wir, denen das hingenommene System, wie dem Knaben der Reiterstiefel um die Beine schlottert, und die jede Thatsache, jede Regung entweder abenteuerlich emporschrauben, oder tragikomisch verdammen und mit kumäischem Pathos dem Untergange weihen möchten; die das höchste Gut des Vaterlandes, die große Einfachheit seiner Entwickelung, diesen in aller wahren Volksgeschichte rührendsten Zug, so oft mißbrauchen und verletzen, so oft sie ihre Feder ansetzen. Wie sie selbst nur überredet werden müssen, weil ihnen abgeht die schöne menschliche Gabe, überzeugt werden zu können: so können sie auch selber nie überzeugen, und führen deßhalb in einheimischen wie in auswärtigen Blättern den bodenlosen Traum ihrer antinationellen Phantasmagorien oder den kleinen Krieg ihrer dürftig angelernten Sophistik fort - ärgerlich und betrübend für die Zeitgenossen, nutzlos und lächerlich für die Folgezeit, unerquicklich und irreführend für das Ausland, reizend und provocirend für die Einheimischen. Auf solche Weise mußte eine leidenschaftliche Stimmung der Schweiz gegen deutsches Zeitungsurtheil nothwendig entstehen. Alles Volk ist lauter Reciprocität. Nichts in der Welt hält der Republicaner für wichtiger als sich selbst; man hat ihm sein Leben genommen, wenn man es absichtlich zu bloßen Parteizwecken entstellt. Auch eine solche Volksleidenschaft, wie sie sich lange schon gegen deutsches Wesen bei uns ausdrückt, hat noch eine Vernünftigkeit in sich; sie wendet sich aber nur nicht gegen die einzelnen Ursachen, sondern verdammt in wenig analysirender Raschheit gleich das Ganze.

Die Schweiz ist, vermöge ihrer Einrichtungen, der freieste Tummelplatz für Meinungskämpfe und Parteibestrebungen aller Art. Und während auf der einen Seite die Ursachen der Bewegung nicht auf Grundsätze, sondern auf Persönlichkeiten und ihre nächsten Zwecke sich zurückleiten lassen, während hier zur Vertheidigung des Glaubens und der Sitte gegen zersetzenden Radicalismus, dort für Volksfreiheit und Fortschritt gegen reactionäre und ultramontane Umtriebe das Feldgeschrei erschallt, läßt sich dennoch hinter den Leidenschaften und Vorwänden ein wissenschaftliches Element nicht verkennen. Es lebt in den Köpfen der Männer aller Parteien, die sich bei Savigny oder Hegel auf deutschen Universitäten ein System geholt haben. Allein, wie in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht, so muß die Wissenschaft, wie die Religionsgefahr ein Mittel abgeben zum Zweck. Wir, von jeher die Musterkarte aller Zeitmöglichkeiten zu einer und derselben Zeit; wir, die minutiosen historischen Antiquare und zugleich die Vertheidiger der Volkssouveränetät; wir, in kantonaler Zerrissenheit das oft ausgesprochene Streben nach Einheit, mit nordamerikanischen Detentionsanstalten und feudalistischem Blutbann, mit neuen Gemeindeordnungen und Zehntablösungen neben uralten Ortszöllen und Grundlasten - wir erröthen nicht, aus dem Orte und Brennpunkte der neuesten Regierungshandstreiche heraus, und mit derselben Hand, die noch von oder vor der geschwungenen Revolutionswaffe zittert, von dem historischen Rechte zu berichten, dem sich die Schweiz zuwende. Aus Savigny's Kategorien-Scheu suchen wir Anklagen gegen uns selbst und - wie lächerlich klingend - vor Deutschland zusammenzunieten, das ein hundertjähriges Schlachtfeld gewesen; das sich in die undeutschen Erbfolgekriege hineinreißen lassen; das genug gesunkene Größen in stumme Gräber verschloß; das den Rheinbund gesehen, - das - ich sage nicht mehr, an die Stelle des historischen Rechtes die Reformation zu setzen vermochte. Und nun dieses historische Recht gar noch auf die Schweiz angewendet! angewendet, wie ein Vexiersatz, der, wenn er just nicht hier paßt, doch wieder einmal dort halbwahr ist, der sich bei allen Gelegenheiten bequem wiederholen läßt wie die alte Leyer, womit sich Johann, der muntere Seifensieder, den Schrecken über seine neuen Glücksfälle vom Halse sang. Aber es ist gewiß nur ein morscher Stecken, herausgezogen aus der Paragraphenhecke des infalliblen Compendiums, dieser hierseits schülerhaft nachgesprochene und deßhalb nur carikirte Lehrsatz des historischen Rechts. Und wir sagen es nicht etwa demjenigen, der nun eben damit gleißet; wir reden es für die nächste Zukunft des Landes: weder Savigny's historisches Recht noch der reine Begriff Hegels sind die Zielpunkte des schweizerischen Volkslebens. Es ist gewiß nicht der wurzelschlagende Stab Jakobs und seiner Söhne gewesen, mit dem das Züricher Landvolk neulich in die Stadt zog. Es war höchstens jener irgendwo beliebig ausgezogene Hagstecken zum dreinschlagen.

Daß dieß, wie jede Wahrheit, öfter als einmal wahr ist, dieß beweisen jetzt schon alle weiteren Erfolge. Man verkennt es nur noch, oder bemüht sich wenigstens, es noch länger verkennen zu dürfen. Trieb man in Zürich eine Richtung bis in ihre pure Abstractheit und sank damit, weil man sie dem Volk

ganz Europa überliefert werden. Das ist ein Vortheil, den die großen Reputationen genießen: sie werden von einer Jury gerichtet, welche sich nicht irre machen läßt von einigen litterarischen Eunuchen, die aus dem Winkel eines Parterre's oder eines Journals ihre pfeifenden Stimmchen vernehmen lassen.

Ueber die Darstellung des bestrittenen Drama's kann ich leider nur das Schlimmste berichten. Außer der berühmten Dorval, die gestern nicht schlechter, aber auch nicht besser wie gewöhnlich spielte, trugen alle Acteure ihre monotone Mittelmäßigkeit zur Schau. Der Hauptheld des Stücks, ein Monsieur Bauvallet, spielte, um biblisch zu reden, „wie ein Schwein mit einem goldenen Nasenring.“ George Sand scheint vorausgesehen zu haben, wie wenig sein Drama trotz aller Zugeständnisse, die er den Capricen der Schauspieler machte, von den mimischen Leistungen derselben zu erwarten hatte, und im Gespräch mit einem deutschen Freunde sagte er scherzhaft: „Sehen Sie, die Franzosen sind alle geborne Komödianten, und jeder spielt in der Welt mehr oder minder brillant seine Rolle; diejenigen aber unter meinen Landsleuten, die am wenigsten Talent für die edle Schauspielkunst besitzen, widmen sich dem Theater und werden Acteure.“

Der neue Theorienkampf in der Schweiz.

Im April. Seit einer Reihe von Jahren überzeugen wir uns mit Bedauern, daß von der bildsamen Einwirkung, die man Ihrem Blatte allenthalben zugesteht, nur ein ganz geringes Maß auf die Schweiz trifft. Man sucht die Berichte über das Ausland mit Begier, und überschlägt jene das Vaterland berührenden mit mißtrauischer Eilfertigkeit; man bewundert die Ausdehnung, welche der Wissenschaft gegönnt wird in den Beilagen, während fast jedes Wörtchen, das die Kantone bespricht – um es mild auszudrücken – entbehrlich scheint. Es sey fern von uns, mit derlei Andeutungen den vielen würdigen Männern in den Weg treten zu wollen, die in einem so weit reichenden Organ sich über die verwickelte Lage unserer verschiedenartigen Staatshaushalte aufklärend vernehmen lassen; wohl aber meinen wir solche, die sich der einzelnen Wahrheit und des Wissens nicht um seiner selbst willen bedienen, sondern es bloß für ihren Eigensinn verbrauchen, um, wenn sie doch endlich den Strom der Vergessenheit hinabschwimmen müssen, noch aus dem Wasser heraus, wie jener Hartnäckige im Mährchen, ihre Rechthaberei zu betheuern – jene meinen wir, denen das hingenommene System, wie dem Knaben der Reiterstiefel um die Beine schlottert, und die jede Thatsache, jede Regung entweder abenteuerlich emporschrauben, oder tragikomisch verdammen und mit kumäischem Pathos dem Untergange weihen möchten; die das höchste Gut des Vaterlandes, die große Einfachheit seiner Entwickelung, diesen in aller wahren Volksgeschichte rührendsten Zug, so oft mißbrauchen und verletzen, so oft sie ihre Feder ansetzen. Wie sie selbst nur überredet werden müssen, weil ihnen abgeht die schöne menschliche Gabe, überzeugt werden zu können: so können sie auch selber nie überzeugen, und führen deßhalb in einheimischen wie in auswärtigen Blättern den bodenlosen Traum ihrer antinationellen Phantasmagorien oder den kleinen Krieg ihrer dürftig angelernten Sophistik fort – ärgerlich und betrübend für die Zeitgenossen, nutzlos und lächerlich für die Folgezeit, unerquicklich und irreführend für das Ausland, reizend und provocirend für die Einheimischen. Auf solche Weise mußte eine leidenschaftliche Stimmung der Schweiz gegen deutsches Zeitungsurtheil nothwendig entstehen. Alles Volk ist lauter Reciprocität. Nichts in der Welt hält der Republicaner für wichtiger als sich selbst; man hat ihm sein Leben genommen, wenn man es absichtlich zu bloßen Parteizwecken entstellt. Auch eine solche Volksleidenschaft, wie sie sich lange schon gegen deutsches Wesen bei uns ausdrückt, hat noch eine Vernünftigkeit in sich; sie wendet sich aber nur nicht gegen die einzelnen Ursachen, sondern verdammt in wenig analysirender Raschheit gleich das Ganze.

Die Schweiz ist, vermöge ihrer Einrichtungen, der freieste Tummelplatz für Meinungskämpfe und Parteibestrebungen aller Art. Und während auf der einen Seite die Ursachen der Bewegung nicht auf Grundsätze, sondern auf Persönlichkeiten und ihre nächsten Zwecke sich zurückleiten lassen, während hier zur Vertheidigung des Glaubens und der Sitte gegen zersetzenden Radicalismus, dort für Volksfreiheit und Fortschritt gegen reactionäre und ultramontane Umtriebe das Feldgeschrei erschallt, läßt sich dennoch hinter den Leidenschaften und Vorwänden ein wissenschaftliches Element nicht verkennen. Es lebt in den Köpfen der Männer aller Parteien, die sich bei Savigny oder Hegel auf deutschen Universitäten ein System geholt haben. Allein, wie in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht, so muß die Wissenschaft, wie die Religionsgefahr ein Mittel abgeben zum Zweck. Wir, von jeher die Musterkarte aller Zeitmöglichkeiten zu einer und derselben Zeit; wir, die minutiosen historischen Antiquare und zugleich die Vertheidiger der Volkssouveränetät; wir, in kantonaler Zerrissenheit das oft ausgesprochene Streben nach Einheit, mit nordamerikanischen Detentionsanstalten und feudalistischem Blutbann, mit neuen Gemeindeordnungen und Zehntablösungen neben uralten Ortszöllen und Grundlasten – wir erröthen nicht, aus dem Orte und Brennpunkte der neuesten Regierungshandstreiche heraus, und mit derselben Hand, die noch von oder vor der geschwungenen Revolutionswaffe zittert, von dem historischen Rechte zu berichten, dem sich die Schweiz zuwende. Aus Savigny's Kategorien-Scheu suchen wir Anklagen gegen uns selbst und – wie lächerlich klingend – vor Deutschland zusammenzunieten, das ein hundertjähriges Schlachtfeld gewesen; das sich in die undeutschen Erbfolgekriege hineinreißen lassen; das genug gesunkene Größen in stumme Gräber verschloß; das den Rheinbund gesehen, – das – ich sage nicht mehr, an die Stelle des historischen Rechtes die Reformation zu setzen vermochte. Und nun dieses historische Recht gar noch auf die Schweiz angewendet! angewendet, wie ein Vexiersatz, der, wenn er just nicht hier paßt, doch wieder einmal dort halbwahr ist, der sich bei allen Gelegenheiten bequem wiederholen läßt wie die alte Leyer, womit sich Johann, der muntere Seifensieder, den Schrecken über seine neuen Glücksfälle vom Halse sang. Aber es ist gewiß nur ein morscher Stecken, herausgezogen aus der Paragraphenhecke des infalliblen Compendiums, dieser hierseits schülerhaft nachgesprochene und deßhalb nur carikirte Lehrsatz des historischen Rechts. Und wir sagen es nicht etwa demjenigen, der nun eben damit gleißet; wir reden es für die nächste Zukunft des Landes: weder Savigny's historisches Recht noch der reine Begriff Hegels sind die Zielpunkte des schweizerischen Volkslebens. Es ist gewiß nicht der wurzelschlagende Stab Jakobs und seiner Söhne gewesen, mit dem das Züricher Landvolk neulich in die Stadt zog. Es war höchstens jener irgendwo beliebig ausgezogene Hagstecken zum dreinschlagen.

Daß dieß, wie jede Wahrheit, öfter als einmal wahr ist, dieß beweisen jetzt schon alle weiteren Erfolge. Man verkennt es nur noch, oder bemüht sich wenigstens, es noch länger verkennen zu dürfen. Trieb man in Zürich eine Richtung bis in ihre pure Abstractheit und sank damit, weil man sie dem Volk

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[1026/0010] ganz Europa überliefert werden. Das ist ein Vortheil, den die großen Reputationen genießen: sie werden von einer Jury gerichtet, welche sich nicht irre machen läßt von einigen litterarischen Eunuchen, die aus dem Winkel eines Parterre's oder eines Journals ihre pfeifenden Stimmchen vernehmen lassen. Ueber die Darstellung des bestrittenen Drama's kann ich leider nur das Schlimmste berichten. Außer der berühmten Dorval, die gestern nicht schlechter, aber auch nicht besser wie gewöhnlich spielte, trugen alle Acteure ihre monotone Mittelmäßigkeit zur Schau. Der Hauptheld des Stücks, ein Monsieur Bauvallet, spielte, um biblisch zu reden, „wie ein Schwein mit einem goldenen Nasenring.“ George Sand scheint vorausgesehen zu haben, wie wenig sein Drama trotz aller Zugeständnisse, die er den Capricen der Schauspieler machte, von den mimischen Leistungen derselben zu erwarten hatte, und im Gespräch mit einem deutschen Freunde sagte er scherzhaft: „Sehen Sie, die Franzosen sind alle geborne Komödianten, und jeder spielt in der Welt mehr oder minder brillant seine Rolle; diejenigen aber unter meinen Landsleuten, die am wenigsten Talent für die edle Schauspielkunst besitzen, widmen sich dem Theater und werden Acteure.“ Der neue Theorienkampf in der Schweiz. _ Aus der westlichen Schweiz. Im April. Seit einer Reihe von Jahren überzeugen wir uns mit Bedauern, daß von der bildsamen Einwirkung, die man Ihrem Blatte allenthalben zugesteht, nur ein ganz geringes Maß auf die Schweiz trifft. Man sucht die Berichte über das Ausland mit Begier, und überschlägt jene das Vaterland berührenden mit mißtrauischer Eilfertigkeit; man bewundert die Ausdehnung, welche der Wissenschaft gegönnt wird in den Beilagen, während fast jedes Wörtchen, das die Kantone bespricht – um es mild auszudrücken – entbehrlich scheint. Es sey fern von uns, mit derlei Andeutungen den vielen würdigen Männern in den Weg treten zu wollen, die in einem so weit reichenden Organ sich über die verwickelte Lage unserer verschiedenartigen Staatshaushalte aufklärend vernehmen lassen; wohl aber meinen wir solche, die sich der einzelnen Wahrheit und des Wissens nicht um seiner selbst willen bedienen, sondern es bloß für ihren Eigensinn verbrauchen, um, wenn sie doch endlich den Strom der Vergessenheit hinabschwimmen müssen, noch aus dem Wasser heraus, wie jener Hartnäckige im Mährchen, ihre Rechthaberei zu betheuern – jene meinen wir, denen das hingenommene System, wie dem Knaben der Reiterstiefel um die Beine schlottert, und die jede Thatsache, jede Regung entweder abenteuerlich emporschrauben, oder tragikomisch verdammen und mit kumäischem Pathos dem Untergange weihen möchten; die das höchste Gut des Vaterlandes, die große Einfachheit seiner Entwickelung, diesen in aller wahren Volksgeschichte rührendsten Zug, so oft mißbrauchen und verletzen, so oft sie ihre Feder ansetzen. Wie sie selbst nur überredet werden müssen, weil ihnen abgeht die schöne menschliche Gabe, überzeugt werden zu können: so können sie auch selber nie überzeugen, und führen deßhalb in einheimischen wie in auswärtigen Blättern den bodenlosen Traum ihrer antinationellen Phantasmagorien oder den kleinen Krieg ihrer dürftig angelernten Sophistik fort – ärgerlich und betrübend für die Zeitgenossen, nutzlos und lächerlich für die Folgezeit, unerquicklich und irreführend für das Ausland, reizend und provocirend für die Einheimischen. Auf solche Weise mußte eine leidenschaftliche Stimmung der Schweiz gegen deutsches Zeitungsurtheil nothwendig entstehen. Alles Volk ist lauter Reciprocität. Nichts in der Welt hält der Republicaner für wichtiger als sich selbst; man hat ihm sein Leben genommen, wenn man es absichtlich zu bloßen Parteizwecken entstellt. Auch eine solche Volksleidenschaft, wie sie sich lange schon gegen deutsches Wesen bei uns ausdrückt, hat noch eine Vernünftigkeit in sich; sie wendet sich aber nur nicht gegen die einzelnen Ursachen, sondern verdammt in wenig analysirender Raschheit gleich das Ganze. Die Schweiz ist, vermöge ihrer Einrichtungen, der freieste Tummelplatz für Meinungskämpfe und Parteibestrebungen aller Art. Und während auf der einen Seite die Ursachen der Bewegung nicht auf Grundsätze, sondern auf Persönlichkeiten und ihre nächsten Zwecke sich zurückleiten lassen, während hier zur Vertheidigung des Glaubens und der Sitte gegen zersetzenden Radicalismus, dort für Volksfreiheit und Fortschritt gegen reactionäre und ultramontane Umtriebe das Feldgeschrei erschallt, läßt sich dennoch hinter den Leidenschaften und Vorwänden ein wissenschaftliches Element nicht verkennen. Es lebt in den Köpfen der Männer aller Parteien, die sich bei Savigny oder Hegel auf deutschen Universitäten ein System geholt haben. Allein, wie in der Republik überhaupt, und in dem Charakter der Schweizer insbesondere, die praktische Richtung vorherrscht, so muß die Wissenschaft, wie die Religionsgefahr ein Mittel abgeben zum Zweck. Wir, von jeher die Musterkarte aller Zeitmöglichkeiten zu einer und derselben Zeit; wir, die minutiosen historischen Antiquare und zugleich die Vertheidiger der Volkssouveränetät; wir, in kantonaler Zerrissenheit das oft ausgesprochene Streben nach Einheit, mit nordamerikanischen Detentionsanstalten und feudalistischem Blutbann, mit neuen Gemeindeordnungen und Zehntablösungen neben uralten Ortszöllen und Grundlasten – wir erröthen nicht, aus dem Orte und Brennpunkte der neuesten Regierungshandstreiche heraus, und mit derselben Hand, die noch von oder vor der geschwungenen Revolutionswaffe zittert, von dem historischen Rechte zu berichten, dem sich die Schweiz zuwende. Aus Savigny's Kategorien-Scheu suchen wir Anklagen gegen uns selbst und – wie lächerlich klingend – vor Deutschland zusammenzunieten, das ein hundertjähriges Schlachtfeld gewesen; das sich in die undeutschen Erbfolgekriege hineinreißen lassen; das genug gesunkene Größen in stumme Gräber verschloß; das den Rheinbund gesehen, – das – ich sage nicht mehr, an die Stelle des historischen Rechtes die Reformation zu setzen vermochte. Und nun dieses historische Recht gar noch auf die Schweiz angewendet! angewendet, wie ein Vexiersatz, der, wenn er just nicht hier paßt, doch wieder einmal dort halbwahr ist, der sich bei allen Gelegenheiten bequem wiederholen läßt wie die alte Leyer, womit sich Johann, der muntere Seifensieder, den Schrecken über seine neuen Glücksfälle vom Halse sang. Aber es ist gewiß nur ein morscher Stecken, herausgezogen aus der Paragraphenhecke des infalliblen Compendiums, dieser hierseits schülerhaft nachgesprochene und deßhalb nur carikirte Lehrsatz des historischen Rechts. Und wir sagen es nicht etwa demjenigen, der nun eben damit gleißet; wir reden es für die nächste Zukunft des Landes: weder Savigny's historisches Recht noch der reine Begriff Hegels sind die Zielpunkte des schweizerischen Volkslebens. Es ist gewiß nicht der wurzelschlagende Stab Jakobs und seiner Söhne gewesen, mit dem das Züricher Landvolk neulich in die Stadt zog. Es war höchstens jener irgendwo beliebig ausgezogene Hagstecken zum dreinschlagen. Daß dieß, wie jede Wahrheit, öfter als einmal wahr ist, dieß beweisen jetzt schon alle weiteren Erfolge. Man verkennt es nur noch, oder bemüht sich wenigstens, es noch länger verkennen zu dürfen. Trieb man in Zürich eine Richtung bis in ihre pure Abstractheit und sank damit, weil man sie dem Volk

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840, S. 1026. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_129_18400508/10>, abgerufen am 29.04.2024.