Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
George Sands Cosima.

Gestern Abend, nach langem Erwarten, von Tag zu Tag, nach einem fast zweimonatlichen Hinzögern, wodurch die Neugier, aber auch die Geduld des Publicums überreizt wurde - endlich gestern Abend ward das Drama von George Sand im Theatre francais aufgeführt. Das Gedränge und die Hitze war unerträglich. Man hat keinen Begriff davon, wie seit einigen Wochen alle Notabilitäten der Hauptstadt, alles, was hier hervorragt durch Rang, Geburt, Talent, Laster, Reichthum, kurz durch Auszeichnung jeder Art, sich Mühe gab, dieser Vorstellung beiwohnen zu können. Der Ruhm des Autors ist so groß, daß die Schaulust aufs höchste gespannt war; aber nicht bloß die Schaulust, sondern noch ganz andere Interessen und Leidenschaften kamen ins Spiel. Man kannte im voraus die Cabalen, die Intriguen, die Böswilligkeiten, die sich gegen das Stück verschworen und mit dem niedrigsten Metierneid gemeinschaftliche Sache machten. Der kühne Autor, der durch seine Romane bei der Aristokratie und bei dem Bürgerstand gleich großes Mißfallen erregte, sollte für seine "irreligiösen und immoralischen Grundsätze" bei Gelegenheit eines dramatischen Debuts öffentlich büßen; denn, wie ich Ihnen dieser Tage schrieb, die französische Noblesse betrachtet die Religion als eine Abwehr gegen die herandrohenden Schrecknisse des Republicanismus und protegirt sie, um ihr Ansehen zu befördern und ihre Köpfe zu schützen, während die Bourgeoisie durch die antimatrimonialen Doctrinen eines George Sand ebenfalls ihre Köpfe bedroht sieht, nämlich bedroht durch einen gewissen Hornschmuck, den ein verheiratheter Bürgergardist eben so gern entbehrt, wie er gern mit dem Kreuze der Ehrenlegion geziert zu werden wünscht.

Der Autor hatte sehr gut seine mißliche Stellung begriffen, und in seinem Stück alles vermieden, was die adeligen Ritter der Religion und die bürgerlichen Schildknappen der Moral, die Legitimisten der Politik und der Ehe, in Harnisch bringen konnte; und der Vorfechter der socialen Revolution, der in seinen Schriften das Wildeste wagte, hatte sich auf der Bühne die zahmsten Schranken gesetzt, und sein nächster Zweck war, nicht auf dem Theater seine Principien zu proclamiren, sondern vom Theater Besitz zu nehmen. Daß ihm dieß gelingen könne, erregte aber eine große Furcht unter gewissen kleinen Leuten, denen die angedeuteten religiösen, politischen und moralischen Differenzen ganz fremd sind, und die nur den gemeinsten Handwerksinteressen huldigen. Das sind die sogenannten Bühnendichter, die in Frankreich ebenso wie bei uns in Deutschland eine ganz abgesonderte Classe bilden, und wie mit der eigentlichen Litteratur selbst, so auch mit den ausgezeichneten Schriftstellern, deren die Nation sich rühmt, nichts gemein haben. Letztere, mit wenigen Ausnahmen, stehen dem Theater ganz fern; nur daß bei uns die großen Schriftsteller mit vornehmer Geringschätzung sich eigenwillig von der Bretterwelt abwenden, während sie in Frankreich sich herzlich gern darauf produciren möchten, aber durch die Machinationen der erwähnten Bühnendichter von diesem Terrain zurückgetrieben werden. Und im Grunde kann man es den kleinen Leuten nicht verdenken, daß sie sich gegen die Invasion der Großen so viel als möglich wehren. Was wollt ihr bei uns, rufen sie, bleibt in eurer Litteratur und drängt euch nicht zu unsern Suppentöpfen! Für euch der Ruhm, für uns das Geld! Für euch die langen Artikel der Bewunderung, die Anerkenntniß der Geister, die höhere Kritik, die uns arme Schelme ganz ignorirt! Für euch der Lorbeer, für uns der Braten! Für euch der Rausch der Poesie, für uns der Schaum des Champagners, den wir vergnüglich schlürfen in Gesellschaft des Chefs der Claqueure und der anständigsten Damen. Wir essen, trinken, werden applaudirt, ausgepfiffen und vergessen, während ihr in den Revuen "beider Welten" gefeiert werdet und der erhabensten Unsterblichkeit entgegenhungert!

In der That, das Theater gewährt jenen Bühnendichtern den glänzendsten Wohlstand; die meisten von ihnen werden reich, leben in Hülle und Fülle, statt daß die größten Schriftsteller Frankreichs, ruinirt durch den belgischen Nachdruck und den bankerotten Zustand des Buchhandels, in trostloser Armuth dahindarben. Was ist natürlicher, als daß sie manchmal nach den goldenen Früchten schmachten, die hinter den Lampen der Bretterwelt reifen, und die Hand danach ausstrecken, wie jüngst Balzac that, dem solches Gelüst so schlecht bekam! Herrscht schon in Deutschland ein geheimes Schutz- und Trutzbündniß zwischen den Mittelmäßigkeiten, die das Theater ausbeuten, so ist das in noch weit schnöderer Weise der Fall zu Paris, wo all diese Misere centralisirt ist. Und dabei sind hier die kleinen Leute so activ, so geschickt, so unermüdlich in ihrem Kampf gegen die Großen, und gar besonders in ihrem Kampf gegen das Genie, das immer isolirt steht, auch etwas ungeschickt und, im Vertrauen gesagt, auch gar zu träumerisch träge ist.

Welche Aufnahme fand nun das Drama von George Sand, des größten Schriftstellers, den das neue Frankreich hervorgebracht, des unheimlich einsamen Genie's, das auch bei uns in Deutschland gewürdigt worden? War die Aufnahme eine entschieden schlechte oder eine zweifelhaft gute? Ehrlich gestanden, ich kann diese Fragen nicht mit bestimmter Bejahung oder Verneinung beantworten, obgleich ich von Anfang bis zu Ende dem Schauspiel beiwohnte. Die Achtung vor dem großen Namen lähmte vielleicht manches böse Vorhaben, und die Vorstellung ward nicht unterbrochen durch jene Tumulte, die bei der Aufführung der Stücke von Victor Hugo stattzufinden pflegen. Ich erwartete das Schlimmste. Alle Antagonisten des Autors hatten sich ein Rendez-vous gegeben in dem ungeheuren Saale des Theatre francais, der über zweitausend Personen faßt. Etwa 140 Billete hatte die Administration zur Verfügung des Autors gestellt, um sie an die Freunde zu vertheilen; ich glaube aber, verzettelt durch weibliche Laune, sind davon nur wenige in die rechten, applaudirenden Hände gerathen. Von einer organisirten Claque war gar nicht die Rede; der gewöhnliche Chef derselben hatte seine Dienste angeboten, fand aber kein Gehör bei dem stolzen Verfasser der Lelia. Die sogenannten Römer, die in der Mitte des Parterre's unter dem großen Leuchter so tapfer zu applaudiren pflegen, wenn ein Stück von Scribe oder Ancelot aufgeführt wird, waren gestern im Theatre francais nicht sichtbar. Die Beifallsbezeugungen, die dennoch häufig und hinlänglich geräuschvoll stattfanden, waren um so ehrenwerther. Während des fünften Acts hörte man einige Meucheltöne, und doch enthielt dieser Act weit mehr dramatische und poetische Schönheiten als die vorhergehenden, worin das Bestreben, alles Anstößige zu vermeiden, fast in eine unerfreuliche Zagniß ausartete.

Ueber den Werth des Stücks überhaupt will ich mir hier kein Urtheil gestatten. Genug, der Verfasser ist George Sand und das gedruckte Werk wird in einigen Tagen der Kritik von

George Sands Cosima.

Gestern Abend, nach langem Erwarten, von Tag zu Tag, nach einem fast zweimonatlichen Hinzögern, wodurch die Neugier, aber auch die Geduld des Publicums überreizt wurde – endlich gestern Abend ward das Drama von George Sand im Théàtre français aufgeführt. Das Gedränge und die Hitze war unerträglich. Man hat keinen Begriff davon, wie seit einigen Wochen alle Notabilitäten der Hauptstadt, alles, was hier hervorragt durch Rang, Geburt, Talent, Laster, Reichthum, kurz durch Auszeichnung jeder Art, sich Mühe gab, dieser Vorstellung beiwohnen zu können. Der Ruhm des Autors ist so groß, daß die Schaulust aufs höchste gespannt war; aber nicht bloß die Schaulust, sondern noch ganz andere Interessen und Leidenschaften kamen ins Spiel. Man kannte im voraus die Cabalen, die Intriguen, die Böswilligkeiten, die sich gegen das Stück verschworen und mit dem niedrigsten Metierneid gemeinschaftliche Sache machten. Der kühne Autor, der durch seine Romane bei der Aristokratie und bei dem Bürgerstand gleich großes Mißfallen erregte, sollte für seine „irreligiösen und immoralischen Grundsätze“ bei Gelegenheit eines dramatischen Debuts öffentlich büßen; denn, wie ich Ihnen dieser Tage schrieb, die französische Noblesse betrachtet die Religion als eine Abwehr gegen die herandrohenden Schrecknisse des Republicanismus und protegirt sie, um ihr Ansehen zu befördern und ihre Köpfe zu schützen, während die Bourgeoisie durch die antimatrimonialen Doctrinen eines George Sand ebenfalls ihre Köpfe bedroht sieht, nämlich bedroht durch einen gewissen Hornschmuck, den ein verheiratheter Bürgergardist eben so gern entbehrt, wie er gern mit dem Kreuze der Ehrenlegion geziert zu werden wünscht.

Der Autor hatte sehr gut seine mißliche Stellung begriffen, und in seinem Stück alles vermieden, was die adeligen Ritter der Religion und die bürgerlichen Schildknappen der Moral, die Legitimisten der Politik und der Ehe, in Harnisch bringen konnte; und der Vorfechter der socialen Revolution, der in seinen Schriften das Wildeste wagte, hatte sich auf der Bühne die zahmsten Schranken gesetzt, und sein nächster Zweck war, nicht auf dem Theater seine Principien zu proclamiren, sondern vom Theater Besitz zu nehmen. Daß ihm dieß gelingen könne, erregte aber eine große Furcht unter gewissen kleinen Leuten, denen die angedeuteten religiösen, politischen und moralischen Differenzen ganz fremd sind, und die nur den gemeinsten Handwerksinteressen huldigen. Das sind die sogenannten Bühnendichter, die in Frankreich ebenso wie bei uns in Deutschland eine ganz abgesonderte Classe bilden, und wie mit der eigentlichen Litteratur selbst, so auch mit den ausgezeichneten Schriftstellern, deren die Nation sich rühmt, nichts gemein haben. Letztere, mit wenigen Ausnahmen, stehen dem Theater ganz fern; nur daß bei uns die großen Schriftsteller mit vornehmer Geringschätzung sich eigenwillig von der Bretterwelt abwenden, während sie in Frankreich sich herzlich gern darauf produciren möchten, aber durch die Machinationen der erwähnten Bühnendichter von diesem Terrain zurückgetrieben werden. Und im Grunde kann man es den kleinen Leuten nicht verdenken, daß sie sich gegen die Invasion der Großen so viel als möglich wehren. Was wollt ihr bei uns, rufen sie, bleibt in eurer Litteratur und drängt euch nicht zu unsern Suppentöpfen! Für euch der Ruhm, für uns das Geld! Für euch die langen Artikel der Bewunderung, die Anerkenntniß der Geister, die höhere Kritik, die uns arme Schelme ganz ignorirt! Für euch der Lorbeer, für uns der Braten! Für euch der Rausch der Poesie, für uns der Schaum des Champagners, den wir vergnüglich schlürfen in Gesellschaft des Chefs der Claqueure und der anständigsten Damen. Wir essen, trinken, werden applaudirt, ausgepfiffen und vergessen, während ihr in den Revuen „beider Welten“ gefeiert werdet und der erhabensten Unsterblichkeit entgegenhungert!

In der That, das Theater gewährt jenen Bühnendichtern den glänzendsten Wohlstand; die meisten von ihnen werden reich, leben in Hülle und Fülle, statt daß die größten Schriftsteller Frankreichs, ruinirt durch den belgischen Nachdruck und den bankerotten Zustand des Buchhandels, in trostloser Armuth dahindarben. Was ist natürlicher, als daß sie manchmal nach den goldenen Früchten schmachten, die hinter den Lampen der Bretterwelt reifen, und die Hand danach ausstrecken, wie jüngst Balzac that, dem solches Gelüst so schlecht bekam! Herrscht schon in Deutschland ein geheimes Schutz- und Trutzbündniß zwischen den Mittelmäßigkeiten, die das Theater ausbeuten, so ist das in noch weit schnöderer Weise der Fall zu Paris, wo all diese Misere centralisirt ist. Und dabei sind hier die kleinen Leute so activ, so geschickt, so unermüdlich in ihrem Kampf gegen die Großen, und gar besonders in ihrem Kampf gegen das Genie, das immer isolirt steht, auch etwas ungeschickt und, im Vertrauen gesagt, auch gar zu träumerisch träge ist.

Welche Aufnahme fand nun das Drama von George Sand, des größten Schriftstellers, den das neue Frankreich hervorgebracht, des unheimlich einsamen Genie's, das auch bei uns in Deutschland gewürdigt worden? War die Aufnahme eine entschieden schlechte oder eine zweifelhaft gute? Ehrlich gestanden, ich kann diese Fragen nicht mit bestimmter Bejahung oder Verneinung beantworten, obgleich ich von Anfang bis zu Ende dem Schauspiel beiwohnte. Die Achtung vor dem großen Namen lähmte vielleicht manches böse Vorhaben, und die Vorstellung ward nicht unterbrochen durch jene Tumulte, die bei der Aufführung der Stücke von Victor Hugo stattzufinden pflegen. Ich erwartete das Schlimmste. Alle Antagonisten des Autors hatten sich ein Rendez-vous gegeben in dem ungeheuren Saale des Théâtre français, der über zweitausend Personen faßt. Etwa 140 Billete hatte die Administration zur Verfügung des Autors gestellt, um sie an die Freunde zu vertheilen; ich glaube aber, verzettelt durch weibliche Laune, sind davon nur wenige in die rechten, applaudirenden Hände gerathen. Von einer organisirten Claque war gar nicht die Rede; der gewöhnliche Chef derselben hatte seine Dienste angeboten, fand aber kein Gehör bei dem stolzen Verfasser der Lelia. Die sogenannten Römer, die in der Mitte des Parterre's unter dem großen Leuchter so tapfer zu applaudiren pflegen, wenn ein Stück von Scribe oder Ancelot aufgeführt wird, waren gestern im Théàtre français nicht sichtbar. Die Beifallsbezeugungen, die dennoch häufig und hinlänglich geräuschvoll stattfanden, waren um so ehrenwerther. Während des fünften Acts hörte man einige Meucheltöne, und doch enthielt dieser Act weit mehr dramatische und poetische Schönheiten als die vorhergehenden, worin das Bestreben, alles Anstößige zu vermeiden, fast in eine unerfreuliche Zagniß ausartete.

Ueber den Werth des Stücks überhaupt will ich mir hier kein Urtheil gestatten. Genug, der Verfasser ist George Sand und das gedruckte Werk wird in einigen Tagen der Kritik von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0009" n="1025"/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">George Sands Cosima</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 30 April.</dateline>
          <p> Gestern Abend, nach langem Erwarten, von Tag zu Tag, nach einem fast zweimonatlichen Hinzögern, wodurch die Neugier, aber auch die Geduld des Publicums überreizt wurde &#x2013; endlich gestern Abend ward das Drama von George Sand im Théàtre français aufgeführt. Das Gedränge und die Hitze war unerträglich. Man hat keinen Begriff davon, wie seit einigen Wochen alle Notabilitäten der Hauptstadt, alles, was hier hervorragt durch Rang, Geburt, Talent, Laster, Reichthum, kurz durch Auszeichnung jeder Art, sich Mühe gab, dieser Vorstellung beiwohnen zu können. Der Ruhm des Autors ist so groß, daß die Schaulust aufs höchste gespannt war; aber nicht bloß die Schaulust, sondern noch ganz andere Interessen und Leidenschaften kamen ins Spiel. Man kannte im voraus die Cabalen, die Intriguen, die Böswilligkeiten, die sich gegen das Stück verschworen und mit dem niedrigsten Metierneid gemeinschaftliche Sache machten. Der kühne Autor, der durch seine Romane bei der Aristokratie und bei dem Bürgerstand gleich großes Mißfallen erregte, sollte für seine &#x201E;irreligiösen und immoralischen Grundsätze&#x201C; bei Gelegenheit eines dramatischen Debuts öffentlich büßen; denn, wie ich Ihnen dieser Tage schrieb, die französische Noblesse betrachtet die Religion als eine Abwehr gegen die herandrohenden Schrecknisse des Republicanismus und protegirt sie, um ihr Ansehen zu befördern und ihre Köpfe zu schützen, während die Bourgeoisie durch die antimatrimonialen Doctrinen eines George Sand ebenfalls ihre Köpfe bedroht sieht, nämlich bedroht durch einen gewissen Hornschmuck, den ein verheiratheter Bürgergardist eben so gern entbehrt, wie er gern mit dem Kreuze der Ehrenlegion geziert zu werden wünscht.</p><lb/>
          <p>Der Autor hatte sehr gut seine mißliche Stellung begriffen, und in seinem Stück alles vermieden, was die adeligen Ritter der Religion und die bürgerlichen Schildknappen der Moral, die Legitimisten der Politik und der Ehe, in Harnisch bringen konnte; und der Vorfechter der socialen Revolution, der in seinen Schriften das Wildeste wagte, hatte sich auf der Bühne die zahmsten Schranken gesetzt, und sein nächster Zweck war, nicht auf dem Theater seine Principien zu proclamiren, sondern vom Theater Besitz zu nehmen. Daß ihm dieß gelingen könne, erregte aber eine große Furcht unter gewissen kleinen Leuten, denen die angedeuteten religiösen, politischen und moralischen Differenzen ganz fremd sind, und die nur den gemeinsten Handwerksinteressen huldigen. Das sind die sogenannten Bühnendichter, die in Frankreich ebenso wie bei uns in Deutschland eine ganz abgesonderte Classe bilden, und wie mit der eigentlichen Litteratur selbst, so auch mit den ausgezeichneten Schriftstellern, deren die Nation sich rühmt, nichts gemein haben. Letztere, mit wenigen Ausnahmen, stehen dem Theater ganz fern; nur daß bei uns die großen Schriftsteller mit vornehmer Geringschätzung sich eigenwillig von der Bretterwelt abwenden, während sie in Frankreich sich herzlich gern darauf produciren möchten, aber durch die Machinationen der erwähnten Bühnendichter von diesem Terrain zurückgetrieben werden. Und im Grunde kann man es den kleinen Leuten nicht verdenken, daß sie sich gegen die Invasion der Großen so viel als möglich wehren. Was wollt ihr bei uns, rufen sie, bleibt in eurer Litteratur und drängt euch nicht zu unsern Suppentöpfen! Für euch der Ruhm, für uns das Geld! Für euch die langen Artikel der Bewunderung, die Anerkenntniß der Geister, die höhere Kritik, die uns arme Schelme ganz ignorirt! Für euch der Lorbeer, für uns der Braten! Für euch der Rausch der Poesie, für uns der Schaum des Champagners, den wir vergnüglich schlürfen in Gesellschaft des Chefs der Claqueure und der anständigsten Damen. Wir essen, trinken, werden applaudirt, ausgepfiffen und vergessen, während ihr in den Revuen &#x201E;beider Welten&#x201C; gefeiert werdet und der erhabensten Unsterblichkeit entgegenhungert!</p><lb/>
          <p>In der That, das Theater gewährt jenen Bühnendichtern den glänzendsten Wohlstand; die meisten von ihnen werden reich, leben in Hülle und Fülle, statt daß die größten Schriftsteller Frankreichs, ruinirt durch den belgischen Nachdruck und den bankerotten Zustand des Buchhandels, in trostloser Armuth dahindarben. Was ist natürlicher, als daß sie manchmal nach den goldenen Früchten schmachten, die hinter den Lampen der Bretterwelt reifen, und die Hand danach ausstrecken, wie jüngst Balzac that, dem solches Gelüst so schlecht bekam! Herrscht schon in Deutschland ein geheimes Schutz- und Trutzbündniß zwischen den Mittelmäßigkeiten, die das Theater ausbeuten, so ist das in noch weit schnöderer Weise der Fall zu Paris, wo all diese Misere centralisirt ist. Und dabei sind hier die kleinen Leute so activ, so geschickt, so unermüdlich in ihrem Kampf gegen die Großen, und gar besonders in ihrem Kampf gegen das Genie, das immer isolirt steht, auch etwas ungeschickt und, im Vertrauen gesagt, auch gar zu träumerisch träge ist.</p><lb/>
          <p>Welche Aufnahme fand nun das Drama von George Sand, des größten Schriftstellers, den das neue Frankreich hervorgebracht, des unheimlich einsamen Genie's, das auch bei uns in Deutschland gewürdigt worden? War die Aufnahme eine entschieden schlechte oder eine zweifelhaft gute? Ehrlich gestanden, ich kann diese Fragen nicht mit bestimmter Bejahung oder Verneinung beantworten, obgleich ich von Anfang bis zu Ende dem Schauspiel beiwohnte. Die Achtung vor dem großen Namen lähmte vielleicht manches böse Vorhaben, und die Vorstellung ward nicht unterbrochen durch jene Tumulte, die bei der Aufführung der Stücke von Victor Hugo stattzufinden pflegen. Ich erwartete das Schlimmste. Alle Antagonisten des Autors hatten sich ein Rendez-vous gegeben in dem ungeheuren Saale des Théâtre français, der über zweitausend Personen faßt. Etwa 140 Billete hatte die Administration zur Verfügung des Autors gestellt, um sie an die Freunde zu vertheilen; ich glaube aber, verzettelt durch weibliche Laune, sind davon nur wenige in die rechten, applaudirenden Hände gerathen. Von einer organisirten Claque war gar nicht die Rede; der gewöhnliche Chef derselben hatte seine Dienste angeboten, fand aber kein Gehör bei dem stolzen Verfasser der Lelia. Die sogenannten Römer, die in der Mitte des Parterre's unter dem großen Leuchter so tapfer zu applaudiren pflegen, wenn ein Stück von Scribe oder Ancelot aufgeführt wird, waren gestern im Théàtre français nicht sichtbar. Die Beifallsbezeugungen, die dennoch häufig und hinlänglich geräuschvoll stattfanden, waren um so ehrenwerther. Während des fünften Acts hörte man einige Meucheltöne, und doch enthielt dieser Act weit mehr dramatische und poetische Schönheiten als die vorhergehenden, worin das Bestreben, alles Anstößige zu vermeiden, fast in eine unerfreuliche Zagniß ausartete.</p><lb/>
          <p>Ueber den Werth des Stücks überhaupt will ich mir hier kein Urtheil gestatten. Genug, der Verfasser ist George Sand und das gedruckte Werk wird in einigen Tagen der Kritik von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1025/0009] George Sands Cosima. _ Paris, 30 April. Gestern Abend, nach langem Erwarten, von Tag zu Tag, nach einem fast zweimonatlichen Hinzögern, wodurch die Neugier, aber auch die Geduld des Publicums überreizt wurde – endlich gestern Abend ward das Drama von George Sand im Théàtre français aufgeführt. Das Gedränge und die Hitze war unerträglich. Man hat keinen Begriff davon, wie seit einigen Wochen alle Notabilitäten der Hauptstadt, alles, was hier hervorragt durch Rang, Geburt, Talent, Laster, Reichthum, kurz durch Auszeichnung jeder Art, sich Mühe gab, dieser Vorstellung beiwohnen zu können. Der Ruhm des Autors ist so groß, daß die Schaulust aufs höchste gespannt war; aber nicht bloß die Schaulust, sondern noch ganz andere Interessen und Leidenschaften kamen ins Spiel. Man kannte im voraus die Cabalen, die Intriguen, die Böswilligkeiten, die sich gegen das Stück verschworen und mit dem niedrigsten Metierneid gemeinschaftliche Sache machten. Der kühne Autor, der durch seine Romane bei der Aristokratie und bei dem Bürgerstand gleich großes Mißfallen erregte, sollte für seine „irreligiösen und immoralischen Grundsätze“ bei Gelegenheit eines dramatischen Debuts öffentlich büßen; denn, wie ich Ihnen dieser Tage schrieb, die französische Noblesse betrachtet die Religion als eine Abwehr gegen die herandrohenden Schrecknisse des Republicanismus und protegirt sie, um ihr Ansehen zu befördern und ihre Köpfe zu schützen, während die Bourgeoisie durch die antimatrimonialen Doctrinen eines George Sand ebenfalls ihre Köpfe bedroht sieht, nämlich bedroht durch einen gewissen Hornschmuck, den ein verheiratheter Bürgergardist eben so gern entbehrt, wie er gern mit dem Kreuze der Ehrenlegion geziert zu werden wünscht. Der Autor hatte sehr gut seine mißliche Stellung begriffen, und in seinem Stück alles vermieden, was die adeligen Ritter der Religion und die bürgerlichen Schildknappen der Moral, die Legitimisten der Politik und der Ehe, in Harnisch bringen konnte; und der Vorfechter der socialen Revolution, der in seinen Schriften das Wildeste wagte, hatte sich auf der Bühne die zahmsten Schranken gesetzt, und sein nächster Zweck war, nicht auf dem Theater seine Principien zu proclamiren, sondern vom Theater Besitz zu nehmen. Daß ihm dieß gelingen könne, erregte aber eine große Furcht unter gewissen kleinen Leuten, denen die angedeuteten religiösen, politischen und moralischen Differenzen ganz fremd sind, und die nur den gemeinsten Handwerksinteressen huldigen. Das sind die sogenannten Bühnendichter, die in Frankreich ebenso wie bei uns in Deutschland eine ganz abgesonderte Classe bilden, und wie mit der eigentlichen Litteratur selbst, so auch mit den ausgezeichneten Schriftstellern, deren die Nation sich rühmt, nichts gemein haben. Letztere, mit wenigen Ausnahmen, stehen dem Theater ganz fern; nur daß bei uns die großen Schriftsteller mit vornehmer Geringschätzung sich eigenwillig von der Bretterwelt abwenden, während sie in Frankreich sich herzlich gern darauf produciren möchten, aber durch die Machinationen der erwähnten Bühnendichter von diesem Terrain zurückgetrieben werden. Und im Grunde kann man es den kleinen Leuten nicht verdenken, daß sie sich gegen die Invasion der Großen so viel als möglich wehren. Was wollt ihr bei uns, rufen sie, bleibt in eurer Litteratur und drängt euch nicht zu unsern Suppentöpfen! Für euch der Ruhm, für uns das Geld! Für euch die langen Artikel der Bewunderung, die Anerkenntniß der Geister, die höhere Kritik, die uns arme Schelme ganz ignorirt! Für euch der Lorbeer, für uns der Braten! Für euch der Rausch der Poesie, für uns der Schaum des Champagners, den wir vergnüglich schlürfen in Gesellschaft des Chefs der Claqueure und der anständigsten Damen. Wir essen, trinken, werden applaudirt, ausgepfiffen und vergessen, während ihr in den Revuen „beider Welten“ gefeiert werdet und der erhabensten Unsterblichkeit entgegenhungert! In der That, das Theater gewährt jenen Bühnendichtern den glänzendsten Wohlstand; die meisten von ihnen werden reich, leben in Hülle und Fülle, statt daß die größten Schriftsteller Frankreichs, ruinirt durch den belgischen Nachdruck und den bankerotten Zustand des Buchhandels, in trostloser Armuth dahindarben. Was ist natürlicher, als daß sie manchmal nach den goldenen Früchten schmachten, die hinter den Lampen der Bretterwelt reifen, und die Hand danach ausstrecken, wie jüngst Balzac that, dem solches Gelüst so schlecht bekam! Herrscht schon in Deutschland ein geheimes Schutz- und Trutzbündniß zwischen den Mittelmäßigkeiten, die das Theater ausbeuten, so ist das in noch weit schnöderer Weise der Fall zu Paris, wo all diese Misere centralisirt ist. Und dabei sind hier die kleinen Leute so activ, so geschickt, so unermüdlich in ihrem Kampf gegen die Großen, und gar besonders in ihrem Kampf gegen das Genie, das immer isolirt steht, auch etwas ungeschickt und, im Vertrauen gesagt, auch gar zu träumerisch träge ist. Welche Aufnahme fand nun das Drama von George Sand, des größten Schriftstellers, den das neue Frankreich hervorgebracht, des unheimlich einsamen Genie's, das auch bei uns in Deutschland gewürdigt worden? War die Aufnahme eine entschieden schlechte oder eine zweifelhaft gute? Ehrlich gestanden, ich kann diese Fragen nicht mit bestimmter Bejahung oder Verneinung beantworten, obgleich ich von Anfang bis zu Ende dem Schauspiel beiwohnte. Die Achtung vor dem großen Namen lähmte vielleicht manches böse Vorhaben, und die Vorstellung ward nicht unterbrochen durch jene Tumulte, die bei der Aufführung der Stücke von Victor Hugo stattzufinden pflegen. Ich erwartete das Schlimmste. Alle Antagonisten des Autors hatten sich ein Rendez-vous gegeben in dem ungeheuren Saale des Théâtre français, der über zweitausend Personen faßt. Etwa 140 Billete hatte die Administration zur Verfügung des Autors gestellt, um sie an die Freunde zu vertheilen; ich glaube aber, verzettelt durch weibliche Laune, sind davon nur wenige in die rechten, applaudirenden Hände gerathen. Von einer organisirten Claque war gar nicht die Rede; der gewöhnliche Chef derselben hatte seine Dienste angeboten, fand aber kein Gehör bei dem stolzen Verfasser der Lelia. Die sogenannten Römer, die in der Mitte des Parterre's unter dem großen Leuchter so tapfer zu applaudiren pflegen, wenn ein Stück von Scribe oder Ancelot aufgeführt wird, waren gestern im Théàtre français nicht sichtbar. Die Beifallsbezeugungen, die dennoch häufig und hinlänglich geräuschvoll stattfanden, waren um so ehrenwerther. Während des fünften Acts hörte man einige Meucheltöne, und doch enthielt dieser Act weit mehr dramatische und poetische Schönheiten als die vorhergehenden, worin das Bestreben, alles Anstößige zu vermeiden, fast in eine unerfreuliche Zagniß ausartete. Ueber den Werth des Stücks überhaupt will ich mir hier kein Urtheil gestatten. Genug, der Verfasser ist George Sand und das gedruckte Werk wird in einigen Tagen der Kritik von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_129_18400508
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_129_18400508/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840, S. 1025. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_129_18400508/9>, abgerufen am 05.11.2024.