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Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840.

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Rußland nach der Darstellung der Chinesen.

Es haben sich während der jüngsten Zeiten in England und auf dem Continente mehrere Stimmen erhoben, welche behaupteten, Rußland habe durch schlaue Diplomatenkünste die Chinesen gegen die Engländer aufgereizt; es hätten die Slaven im Geheimen diesen Krieg zwischen den beiden größten Reichen der Erde herbeigeführt und ihnen müsse demnach die Schuld aller dieser Wirren zugeschrieben werden. Unter diesen Umständen ist es wichtig, nicht bloß die Beziehungen Rußlands zu China dem Leser ins Gedächtniß zurückzurufen, wie dieß bereits in einem frühern Artikel unseres Blattes geschehen ist, sondern auch die Angaben und Nachrichten kennen zu lernen, welche sich in den officiellen Werken des Mittelreichs über Rußland, über seine Regierung und Macht vorfinden. Man wird daraus am sichersten ermessen können, ob Rußland wirklich am Hofe zu Peking eines solchen Ansehens sich erfreut, daß dieser Staat nach Willkür den Arm des erhabenen Himmelssohnes lenken und den Britten den Zutritt zum Mittelreiche versperren könnte.

"Rußland - so lesen wir in der neuesten Ausgabe der officiellen Beschreibung des chinesischen Reiches und in der auf Befehl Kien longs begonnenen Geographie, deren Druck im Jahr 1804 vollendet wurde - Rußland liegt nördlich der Chalka-Mongolen. Es beginnt bei dem Flusse Tschikoi und zieht sich hin bis zu dem äußersten Norden der Erde. Von Osten nach Westen erstreckt es sich auf zwanzigtausend, und von Süden nach Norden auf dreitausend chinesische Meilen (wovon zweihundert auf einen geographischen Grad gehen). Im Nordosten gränzt dieses Reich an das Meer, im Westen an Europa, im Süden an das Mittelreich, im Südosten an das nördliche Ufer des Gerbitsi, im Südwesten an die Torgot und im Nordwesten an Stämme der Dschongaren. Wenn die, dem Tractate von 1728 gemäß neben dem Anführer aus zehn Personen bestehende Gesandtschaft der Russen ihren Tribut nach dem Mittelreiche bringt, so kommt sie über Kiachta, zieht durch das Land der Chalka hin nach dem Paß Tschang kia an der großen Mauer (48°, 51', 35'' nördl. Br.) von den Russen Chalgan oder die Pforte genannt, und dann von hier aus nach der Hauptstadt. Der Anführer der Gesandtschaft erhält täglich ein Schaf, ein Gefäß Weines, ein Pfund Thee, einen Hafen Milch, zwei Unzen Butter, zwei Fische, zwei Becher Oels für die Lampen, ein Pfund eingemachten Gemüses, vier Unzen Soza, vier Unzen Weinessig und eine Unze Salz. Jeden neunten Tag seines Aufenthalts in der Hauptstadt empfängt er, als ein Zeichen besonderer Gnade, vier Gerichte vom kaiserlichen Tisch und zehn Kessel voll Thees, nach der Weise der Mandschu zubereitet. Die zehn neuen Mitglieder der Mission bleiben zurück, um im kaiserlichen Collegium in der Sprache der Chinesen, Mongolen und Mandschu Unterricht zu erhalten; ihrerseits sollen sie einigen Chinesen und Mandschu die russische und lateinische Sprache lehren.

"Wie es vor Alters mit diesem Lande ausgesehen habe, ist schwer zu sagen. Zu den Zeiten der Tsin und Han stand Rußland unter der Herrschaft der Hunnen; es führte damals, wie in den folgenden Jahrhunderten, allerlei Namen. Während der Mongolendynastie wohnten hier die Oroß und die Kirgisen; zu den Zeiten der Ming ward aber jede Verbindung mit diesem Reiche abgebrochen. Gegen den Anfang der Periode Schun tschi (1644) des jetzt in China regierenden Hauses der Mandschu haben sich die Lo tscha oder Russen heimlicherweise des Landes Jaksa am schwarzen Drachenflusse (Amur) bemächtigt und dort eine mit Festungswerken versehene Stadt errichtet. Es ist dieß die von den Russen sogenannte Veste Albasin (nach chinesischen Angaben 52° 55' nördlicher Breite gelegen). Von hier aus suchten sie nun die Ssolon und Dauern, Völker tungusischer Abstammung, zu beunruhigen und zu unterwerfen. In dem fünfzehnten Jahre der Periode Kang hi (1676) sandte der weiße Chan (dieß ist der Name des Czars bei den Mongolen und Tungesen) zum erstenmal einen Gesandten, um den Tribut darzubringen. (Doch ist dieß nicht gegründet. Wie wir aus Fischers Geschichte von Sibirien wissen, ging bereits im Jahr 1656 auf Befehl des Czars Alexei Michailowitsch ein gewisser Baikow von Tomsk aus mit einer Escorte von hundert Kosaken hin nach Peking. Baikow hat einen Bericht über seine Reise hinterlassen. Diese Thatsache ward höchst wahrscheinlich unter den Wirren, die damals noch im chinesischen Reiche stattfanden, von den in diesen Dingen sonst so genauen chinesischen Historiographen übersehen.) Der ganze Süden gehörte nämlich Parteigängern, welche theils in ihrem Namen, theils in dem der Ming die Fahne des Aufruhrs erhoben hatten, um ihr Vaterland vor der drückenden Fremdenherrschaft zu wahren. Kang hi befahl diesen Gesandten des weißen Chans, strenge Maaßregeln zu ergreifen, damit seine Landsleute künftig nicht mehr die Gränzen beunruhigten. Da dieß aber nichts half, so gab der Kaiser Befehl, daß man die Russen mit Waffengewalt aus Jaksa vertreibe, was dann auch im Jahre 1685 geschah. Hierauf schickte der weiße Chan eine Gesandtschaft nach der Hauptstadt, um sich seiner Verbrechen wegen zu entschuldigen, und bat zugleich unterthänigst, daß man die Gränzen seiner Länder bestimmen möchte. Dieß geschah durch den Friedensschluß zu Nipschuh oder Nertschinsk im Jahr 1689. Nertschinsk (57°, 56' nördlichen Br.), bei der Mündung der Nertscha in den Amur gelegen, wovon es den Namen erhalten hat, ward von demselben Baikow, welcher als Gesandter nach Peking gegangen war, im Jahr 1658 angelegt, verblieb den Russen im Friedensschluß und war bald ein mächtiger Ort, die Hauptstadt eines ganzen Kreises. Die Gränzlinie zog sich längs des Laufes des Flüßchens Gerbitsi und des nördlichen Abhangs der Hing ngan Kette. Alle südlich dieser Linie gelegenen Plätze und Landstriche, wie Jaksa, verblieben dem Mittelreiche. Es ward den Russen überdieß erlaubt, sowohl des Handels wegen als auch um den Tribut darzubringen, jährlich zweimal nach der Hauptstadt zu kommen. Seit dieser Zeit erlitt das gute Vernehmen mit diesem tributpflichtigen Reiche keine wesentliche Störung. Die Russen, so heißt es in der officiellen Statistik des chinesischen Reiches, sind uns treu und gehorsam. Als Kaldan, der kräftige Fürst der Dschongaren, gegen den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, von unsern Truppen in die Enge getrieben, sich an den Czar wendete, so würdigte man ihn nicht einmal einer Antwort. Dessenungeachtet läßt auch das Betragen der Russen viel zu wünschen übrig. Wie häufig haben sie nicht die Zurückgabe der Ueberläufer an der Gränze verweigert! Dieß ward ihnen auch während der Periode Kien long streng verwiesen. Es führten nämlich die Russen zu dieser Zeit Klage über die Aufnahme der Torgoten, welche sich im Jahr 1771 von den Gegenden der Wolga und des kaspischen Meeres nach China hin geflüchtet hatten, wo ihnen neue Wohnsitze in ihrer ehemaligen Heimath, im alten Lande der Dschongaren, angewiesen wurden. Auf Befehl des Himmelssohnes ward ihnen durch das Ministerium der Colonien eine Antwort, aus der wir nur Folgendes ausheben: *)

*) Zwischen Rußland und China findet kein unmittelbarer diplomatischer
Rußland nach der Darstellung der Chinesen.

Es haben sich während der jüngsten Zeiten in England und auf dem Continente mehrere Stimmen erhoben, welche behaupteten, Rußland habe durch schlaue Diplomatenkünste die Chinesen gegen die Engländer aufgereizt; es hätten die Slaven im Geheimen diesen Krieg zwischen den beiden größten Reichen der Erde herbeigeführt und ihnen müsse demnach die Schuld aller dieser Wirren zugeschrieben werden. Unter diesen Umständen ist es wichtig, nicht bloß die Beziehungen Rußlands zu China dem Leser ins Gedächtniß zurückzurufen, wie dieß bereits in einem frühern Artikel unseres Blattes geschehen ist, sondern auch die Angaben und Nachrichten kennen zu lernen, welche sich in den officiellen Werken des Mittelreichs über Rußland, über seine Regierung und Macht vorfinden. Man wird daraus am sichersten ermessen können, ob Rußland wirklich am Hofe zu Peking eines solchen Ansehens sich erfreut, daß dieser Staat nach Willkür den Arm des erhabenen Himmelssohnes lenken und den Britten den Zutritt zum Mittelreiche versperren könnte.

„Rußland – so lesen wir in der neuesten Ausgabe der officiellen Beschreibung des chinesischen Reiches und in der auf Befehl Kien longs begonnenen Geographie, deren Druck im Jahr 1804 vollendet wurde – Rußland liegt nördlich der Chalka-Mongolen. Es beginnt bei dem Flusse Tschikoi und zieht sich hin bis zu dem äußersten Norden der Erde. Von Osten nach Westen erstreckt es sich auf zwanzigtausend, und von Süden nach Norden auf dreitausend chinesische Meilen (wovon zweihundert auf einen geographischen Grad gehen). Im Nordosten gränzt dieses Reich an das Meer, im Westen an Europa, im Süden an das Mittelreich, im Südosten an das nördliche Ufer des Gerbitsi, im Südwesten an die Torgot und im Nordwesten an Stämme der Dschongaren. Wenn die, dem Tractate von 1728 gemäß neben dem Anführer aus zehn Personen bestehende Gesandtschaft der Russen ihren Tribut nach dem Mittelreiche bringt, so kommt sie über Kiachta, zieht durch das Land der Chalka hin nach dem Paß Tschang kia an der großen Mauer (48°, 51', 35'' nördl. Br.) von den Russen Chalgan oder die Pforte genannt, und dann von hier aus nach der Hauptstadt. Der Anführer der Gesandtschaft erhält täglich ein Schaf, ein Gefäß Weines, ein Pfund Thee, einen Hafen Milch, zwei Unzen Butter, zwei Fische, zwei Becher Oels für die Lampen, ein Pfund eingemachten Gemüses, vier Unzen Soza, vier Unzen Weinessig und eine Unze Salz. Jeden neunten Tag seines Aufenthalts in der Hauptstadt empfängt er, als ein Zeichen besonderer Gnade, vier Gerichte vom kaiserlichen Tisch und zehn Kessel voll Thees, nach der Weise der Mandschu zubereitet. Die zehn neuen Mitglieder der Mission bleiben zurück, um im kaiserlichen Collegium in der Sprache der Chinesen, Mongolen und Mandschu Unterricht zu erhalten; ihrerseits sollen sie einigen Chinesen und Mandschu die russische und lateinische Sprache lehren.

„Wie es vor Alters mit diesem Lande ausgesehen habe, ist schwer zu sagen. Zu den Zeiten der Tsin und Han stand Rußland unter der Herrschaft der Hunnen; es führte damals, wie in den folgenden Jahrhunderten, allerlei Namen. Während der Mongolendynastie wohnten hier die Oroß und die Kirgisen; zu den Zeiten der Ming ward aber jede Verbindung mit diesem Reiche abgebrochen. Gegen den Anfang der Periode Schun tschi (1644) des jetzt in China regierenden Hauses der Mandschu haben sich die Lo tscha oder Russen heimlicherweise des Landes Jaksa am schwarzen Drachenflusse (Amur) bemächtigt und dort eine mit Festungswerken versehene Stadt errichtet. Es ist dieß die von den Russen sogenannte Veste Albasin (nach chinesischen Angaben 52° 55' nördlicher Breite gelegen). Von hier aus suchten sie nun die Ssolon und Dauern, Völker tungusischer Abstammung, zu beunruhigen und zu unterwerfen. In dem fünfzehnten Jahre der Periode Kang hi (1676) sandte der weiße Chan (dieß ist der Name des Czars bei den Mongolen und Tungesen) zum erstenmal einen Gesandten, um den Tribut darzubringen. (Doch ist dieß nicht gegründet. Wie wir aus Fischers Geschichte von Sibirien wissen, ging bereits im Jahr 1656 auf Befehl des Czars Alexei Michailowitsch ein gewisser Baikow von Tomsk aus mit einer Escorte von hundert Kosaken hin nach Peking. Baikow hat einen Bericht über seine Reise hinterlassen. Diese Thatsache ward höchst wahrscheinlich unter den Wirren, die damals noch im chinesischen Reiche stattfanden, von den in diesen Dingen sonst so genauen chinesischen Historiographen übersehen.) Der ganze Süden gehörte nämlich Parteigängern, welche theils in ihrem Namen, theils in dem der Ming die Fahne des Aufruhrs erhoben hatten, um ihr Vaterland vor der drückenden Fremdenherrschaft zu wahren. Kang hi befahl diesen Gesandten des weißen Chans, strenge Maaßregeln zu ergreifen, damit seine Landsleute künftig nicht mehr die Gränzen beunruhigten. Da dieß aber nichts half, so gab der Kaiser Befehl, daß man die Russen mit Waffengewalt aus Jaksa vertreibe, was dann auch im Jahre 1685 geschah. Hierauf schickte der weiße Chan eine Gesandtschaft nach der Hauptstadt, um sich seiner Verbrechen wegen zu entschuldigen, und bat zugleich unterthänigst, daß man die Gränzen seiner Länder bestimmen möchte. Dieß geschah durch den Friedensschluß zu Nipschuh oder Nertschinsk im Jahr 1689. Nertschinsk (57°, 56' nördlichen Br.), bei der Mündung der Nertscha in den Amur gelegen, wovon es den Namen erhalten hat, ward von demselben Baikow, welcher als Gesandter nach Peking gegangen war, im Jahr 1658 angelegt, verblieb den Russen im Friedensschluß und war bald ein mächtiger Ort, die Hauptstadt eines ganzen Kreises. Die Gränzlinie zog sich längs des Laufes des Flüßchens Gerbitsi und des nördlichen Abhangs der Hing ngan Kette. Alle südlich dieser Linie gelegenen Plätze und Landstriche, wie Jaksa, verblieben dem Mittelreiche. Es ward den Russen überdieß erlaubt, sowohl des Handels wegen als auch um den Tribut darzubringen, jährlich zweimal nach der Hauptstadt zu kommen. Seit dieser Zeit erlitt das gute Vernehmen mit diesem tributpflichtigen Reiche keine wesentliche Störung. Die Russen, so heißt es in der officiellen Statistik des chinesischen Reiches, sind uns treu und gehorsam. Als Kaldan, der kräftige Fürst der Dschongaren, gegen den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, von unsern Truppen in die Enge getrieben, sich an den Czar wendete, so würdigte man ihn nicht einmal einer Antwort. Dessenungeachtet läßt auch das Betragen der Russen viel zu wünschen übrig. Wie häufig haben sie nicht die Zurückgabe der Ueberläufer an der Gränze verweigert! Dieß ward ihnen auch während der Periode Kien long streng verwiesen. Es führten nämlich die Russen zu dieser Zeit Klage über die Aufnahme der Torgoten, welche sich im Jahr 1771 von den Gegenden der Wolga und des kaspischen Meeres nach China hin geflüchtet hatten, wo ihnen neue Wohnsitze in ihrer ehemaligen Heimath, im alten Lande der Dschongaren, angewiesen wurden. Auf Befehl des Himmelssohnes ward ihnen durch das Ministerium der Colonien eine Antwort, aus der wir nur Folgendes ausheben: *)

*) Zwischen Rußland und China findet kein unmittelbarer diplomatischer
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[1028/0012] Rußland nach der Darstellung der Chinesen. Es haben sich während der jüngsten Zeiten in England und auf dem Continente mehrere Stimmen erhoben, welche behaupteten, Rußland habe durch schlaue Diplomatenkünste die Chinesen gegen die Engländer aufgereizt; es hätten die Slaven im Geheimen diesen Krieg zwischen den beiden größten Reichen der Erde herbeigeführt und ihnen müsse demnach die Schuld aller dieser Wirren zugeschrieben werden. Unter diesen Umständen ist es wichtig, nicht bloß die Beziehungen Rußlands zu China dem Leser ins Gedächtniß zurückzurufen, wie dieß bereits in einem frühern Artikel unseres Blattes geschehen ist, sondern auch die Angaben und Nachrichten kennen zu lernen, welche sich in den officiellen Werken des Mittelreichs über Rußland, über seine Regierung und Macht vorfinden. Man wird daraus am sichersten ermessen können, ob Rußland wirklich am Hofe zu Peking eines solchen Ansehens sich erfreut, daß dieser Staat nach Willkür den Arm des erhabenen Himmelssohnes lenken und den Britten den Zutritt zum Mittelreiche versperren könnte. „Rußland – so lesen wir in der neuesten Ausgabe der officiellen Beschreibung des chinesischen Reiches und in der auf Befehl Kien longs begonnenen Geographie, deren Druck im Jahr 1804 vollendet wurde – Rußland liegt nördlich der Chalka-Mongolen. Es beginnt bei dem Flusse Tschikoi und zieht sich hin bis zu dem äußersten Norden der Erde. Von Osten nach Westen erstreckt es sich auf zwanzigtausend, und von Süden nach Norden auf dreitausend chinesische Meilen (wovon zweihundert auf einen geographischen Grad gehen). Im Nordosten gränzt dieses Reich an das Meer, im Westen an Europa, im Süden an das Mittelreich, im Südosten an das nördliche Ufer des Gerbitsi, im Südwesten an die Torgot und im Nordwesten an Stämme der Dschongaren. Wenn die, dem Tractate von 1728 gemäß neben dem Anführer aus zehn Personen bestehende Gesandtschaft der Russen ihren Tribut nach dem Mittelreiche bringt, so kommt sie über Kiachta, zieht durch das Land der Chalka hin nach dem Paß Tschang kia an der großen Mauer (48°, 51', 35'' nördl. Br.) von den Russen Chalgan oder die Pforte genannt, und dann von hier aus nach der Hauptstadt. Der Anführer der Gesandtschaft erhält täglich ein Schaf, ein Gefäß Weines, ein Pfund Thee, einen Hafen Milch, zwei Unzen Butter, zwei Fische, zwei Becher Oels für die Lampen, ein Pfund eingemachten Gemüses, vier Unzen Soza, vier Unzen Weinessig und eine Unze Salz. Jeden neunten Tag seines Aufenthalts in der Hauptstadt empfängt er, als ein Zeichen besonderer Gnade, vier Gerichte vom kaiserlichen Tisch und zehn Kessel voll Thees, nach der Weise der Mandschu zubereitet. Die zehn neuen Mitglieder der Mission bleiben zurück, um im kaiserlichen Collegium in der Sprache der Chinesen, Mongolen und Mandschu Unterricht zu erhalten; ihrerseits sollen sie einigen Chinesen und Mandschu die russische und lateinische Sprache lehren. „Wie es vor Alters mit diesem Lande ausgesehen habe, ist schwer zu sagen. Zu den Zeiten der Tsin und Han stand Rußland unter der Herrschaft der Hunnen; es führte damals, wie in den folgenden Jahrhunderten, allerlei Namen. Während der Mongolendynastie wohnten hier die Oroß und die Kirgisen; zu den Zeiten der Ming ward aber jede Verbindung mit diesem Reiche abgebrochen. Gegen den Anfang der Periode Schun tschi (1644) des jetzt in China regierenden Hauses der Mandschu haben sich die Lo tscha oder Russen heimlicherweise des Landes Jaksa am schwarzen Drachenflusse (Amur) bemächtigt und dort eine mit Festungswerken versehene Stadt errichtet. Es ist dieß die von den Russen sogenannte Veste Albasin (nach chinesischen Angaben 52° 55' nördlicher Breite gelegen). Von hier aus suchten sie nun die Ssolon und Dauern, Völker tungusischer Abstammung, zu beunruhigen und zu unterwerfen. In dem fünfzehnten Jahre der Periode Kang hi (1676) sandte der weiße Chan (dieß ist der Name des Czars bei den Mongolen und Tungesen) zum erstenmal einen Gesandten, um den Tribut darzubringen. (Doch ist dieß nicht gegründet. Wie wir aus Fischers Geschichte von Sibirien wissen, ging bereits im Jahr 1656 auf Befehl des Czars Alexei Michailowitsch ein gewisser Baikow von Tomsk aus mit einer Escorte von hundert Kosaken hin nach Peking. Baikow hat einen Bericht über seine Reise hinterlassen. Diese Thatsache ward höchst wahrscheinlich unter den Wirren, die damals noch im chinesischen Reiche stattfanden, von den in diesen Dingen sonst so genauen chinesischen Historiographen übersehen.) Der ganze Süden gehörte nämlich Parteigängern, welche theils in ihrem Namen, theils in dem der Ming die Fahne des Aufruhrs erhoben hatten, um ihr Vaterland vor der drückenden Fremdenherrschaft zu wahren. Kang hi befahl diesen Gesandten des weißen Chans, strenge Maaßregeln zu ergreifen, damit seine Landsleute künftig nicht mehr die Gränzen beunruhigten. Da dieß aber nichts half, so gab der Kaiser Befehl, daß man die Russen mit Waffengewalt aus Jaksa vertreibe, was dann auch im Jahre 1685 geschah. Hierauf schickte der weiße Chan eine Gesandtschaft nach der Hauptstadt, um sich seiner Verbrechen wegen zu entschuldigen, und bat zugleich unterthänigst, daß man die Gränzen seiner Länder bestimmen möchte. Dieß geschah durch den Friedensschluß zu Nipschuh oder Nertschinsk im Jahr 1689. Nertschinsk (57°, 56' nördlichen Br.), bei der Mündung der Nertscha in den Amur gelegen, wovon es den Namen erhalten hat, ward von demselben Baikow, welcher als Gesandter nach Peking gegangen war, im Jahr 1658 angelegt, verblieb den Russen im Friedensschluß und war bald ein mächtiger Ort, die Hauptstadt eines ganzen Kreises. Die Gränzlinie zog sich längs des Laufes des Flüßchens Gerbitsi und des nördlichen Abhangs der Hing ngan Kette. Alle südlich dieser Linie gelegenen Plätze und Landstriche, wie Jaksa, verblieben dem Mittelreiche. Es ward den Russen überdieß erlaubt, sowohl des Handels wegen als auch um den Tribut darzubringen, jährlich zweimal nach der Hauptstadt zu kommen. Seit dieser Zeit erlitt das gute Vernehmen mit diesem tributpflichtigen Reiche keine wesentliche Störung. Die Russen, so heißt es in der officiellen Statistik des chinesischen Reiches, sind uns treu und gehorsam. Als Kaldan, der kräftige Fürst der Dschongaren, gegen den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, von unsern Truppen in die Enge getrieben, sich an den Czar wendete, so würdigte man ihn nicht einmal einer Antwort. Dessenungeachtet läßt auch das Betragen der Russen viel zu wünschen übrig. Wie häufig haben sie nicht die Zurückgabe der Ueberläufer an der Gränze verweigert! Dieß ward ihnen auch während der Periode Kien long streng verwiesen. Es führten nämlich die Russen zu dieser Zeit Klage über die Aufnahme der Torgoten, welche sich im Jahr 1771 von den Gegenden der Wolga und des kaspischen Meeres nach China hin geflüchtet hatten, wo ihnen neue Wohnsitze in ihrer ehemaligen Heimath, im alten Lande der Dschongaren, angewiesen wurden. Auf Befehl des Himmelssohnes ward ihnen durch das Ministerium der Colonien eine Antwort, aus der wir nur Folgendes ausheben: *) *) Zwischen Rußland und China findet kein unmittelbarer diplomatischer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 129. Augsburg, 8. Mai 1840, S. 1028. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_129_18400508/12>, abgerufen am 29.04.2024.