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Allgemeine Zeitung. Nr. 147. Augsburg, 26. Mai 1840.

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Victor Hugo's "Strahlen und Schatten."

Jedes neu erscheinende Werk eines französischen Dichters von Namen und Ansehen hat hier zu Lande sicher auf Empfänglichkeit und vielfache Theilnahme zu rechnen; die entzündbare Natur des französischen Gemüths begeistert sich gern und leicht, und das Nationalgefühl des Volks freut sich innig und lebhaft an allem Vortrefflichen, was ein ausgezeichneter Mitbürger hervorbringt. Auf der andern Seite ist Vieles in dem Charakter und der Anschauungsweise des Franzosen nachsichtiger Beurtheilung oder wohlwollender Aufnahme neuer Dichterwerke entgegen: der Geist der Rüge und Verkleinerung, der in der neueren Zeit Frankreich heimgesucht, der durch den Cultus älterer Meister genährte Unglaube an die poetische Fähigkeit des heutigen Geschlechts, und das scharfe Augenmerk, das hier Jedermann auf die geringsten Vergehen in Styl und Technik hat - das sind keineswegs Dinge, die geneigte Richter bilden. Jedermann begreift, daß auf diese Weise höchst widersprechende Urtheile entstehen müssen, und die Verschiedenheit der Meinungen in dem Maaße zunimmt, je gemischter die Natur eines Dichters ist, und je mehr Ursachen er zugleich dem Lobe und dem Tadel, sich auszusprechen, gibt. Dieß aber ist sicher bei keinem Autor des heutigen Frankreichs so sehr der Fall, als bei Victor Hugo; bei keinem tritt das Vortreffliche so glänzend, das Verwerfliche so grell hervor; bei keinem ist der dichterische Naturtrieb so glücklich, der Mangel an überwachendem Verstand dagegen so sichtbar, als bei ihm, und wie er selbst in dem Bau seiner Sätze eine übermäßige Vorliebe für die Antithese an den Tag legt, so ist seine ganze Erscheinung, als Dichter, in einer fortwährenden Antithese befangen. Die Sammlung von Oden und Elegien, die er vor kurzem herausgab, ist hievon ein abermaliges Beispiel: zwei Seelen wohnen in diesen Poesien, wie in allen Poesien Hugo's, und der Dämon der Uebertreibung kämpft noch immer mit dem Genius geläuterter Schönheit; doch scheint es mir, der Sieg wolle sich auf die Seite des besseren Gefühls neigen. Unnütze Verschwendung von Bildern, so wie unstatthafte Gleichnisse, Gewagtheiten des Ausdrucks, die eher wie Härte oder Geziertheit, als wie geniale Kühnheit aussehen, häufige Rückfälle in eine verbrauchte Manier, statt Gefühl oft kalter Witz, und schimmernde Paradoxen statt reifer Gedanken - das sind allerdings namhafte Schäden dieses Buchs, und sie scheinen so tief in der innersten Natur des Verfassers zu wurzeln, daß man sie wohl für unheilbar erklären muß. Eine unartige, ungeeignete Bewegung mit der Hand, dem Auge, den Lippen geht zuletzt oft in eine krankhafte Zuckung über, und die Natur hält mit unbezwinglicher Zähigkeit an dem, was unsere Laune und Gewohnheit leichtsinnig geschaffen. So geht es auch im Reiche des Geistes und Gemüths: wir eignen uns dieß und jenes aus Nachahmungstrieb oder gefälligem Grunde an, und wenn die Zeit kommt, sich des so Erworbenen zu entäußern, hat sich das Uebel schon zu fest in die Fugen des Lebens eingerostet; der zu lang getragene Ring ist in des Fingers Fleisch gewachsen. Daß Victor Hugo, wie Viele behaupten, aus starrsinniger Hoffart an diesen Mängeln hafte, und jede Warnung der Kritik, als eine Stimme der Unvernunft oder des Neids verachtend, zurückweise, darf sehr bezweifelt werden. Eine Miene der Geringschätzung gegen die Aussprüche tadelnder Richter und des Vertrauens auf die Unfehlbarkeit seines Genie's mag er sich immerhin geben, aber in seinem Innern werden jene strengen Urtheile eine gerechtere Würdigung finden, und der kennt die Eitelkeit schlecht, der sie immer für taub und der Wahrheit unzugänglich hält; die Eitelkeit gedankenloser Menschen mag gewisse Bemerkungen gescheidterer Leute für Unsinn oder Bosheit in glücklichem Wahn erklären; sitzt sie aber in dem Busen begabter Männer, dann hat sie auch die Kenntniß des Richtigen und Falschen, weiß recht gut, wie gegründet eine Rüge ist; und sucht sie etwa sich zu täuschen, so flüstert das schelmische Gewissen ihr beständig zu: es ist dennoch so, es ist dennoch so!

Begegnen nun auch dem Leser der "Strahlen und Schatten", wie unser Dichter seine neueste Sammlung nennt, von neuem die Mängel, denen sich Hugo einmal nicht entwinden kann, so erfreuen ihn in weit dichterer Masse alle die Vorzüge, die er in den Dämmerliedern und Herbstblättern gefunden. Victor Hugo ist ein meisterlicher Maler der regsamen Außenwelt; das sichtbare Labyrinth des Gewühls der Menschen und die bunten Verschlingungen der Natur können nicht anschaulicher, das Summen der Städte und der Flüsse Rauschen kann nicht hörbarer geschildert werden, als von ihm. Die Geschichte der Gegenwart strömt durch alle seine Verse, und des Stromes Wirbel und seine Katarakte, und die Felsen, die aus seiner Tiefe ragen, erscheinen abwechselnd vor unserm Auge. Vor Allem steht der Kaiser leuchtend da, wie seine Säule, wenn sie die Fluth der hellsten Sonne überfließt, doch auch finster im einsamen Gespräche mit dem Ocean, als ein gebeugter Held. Victor Hugo's Philosophie hat keinen weiten Gesichtskreis: er kommt, nicht aus Nachlässigkeit, wie Lamartine, sondern aus einer gewissen Ungelenkigkeit des Denkens stets zu denselben Ideen zurück, die er nun durch alle Adern der Schöpfung und des menschlichen Daseyns verfolgt, und in den mannichfachsten Erscheinungen verkörpert. Dieß gibt ihm hie und da zu ermüdenden Zusammenstellungen und geschmacklosen Vergleichungen, doch auch zu sinnigen Analogien und lieblichen Bildern Anlaß. Auch in seinen "Strahlen und Schatten" sind das Forum und die Kinderstube, der Ocean und das Dunkel des gesangreichen Waldes, dann etwas Liebe, weil die einmal kein irdischer Poet entbehren kann, wieder Stoff und Schauplatz; in der Auffassung dieser Dinge jedoch kann Referent nur einen Fortschritt sehen. Die Beziehungspunkte scheinen neuer, die Gedanken treffender, die Gefühle inniger als gewöhnlich; namentlich ist die Elegie "Olympios Trauer" ein Gebilde von feinerer Art, als vielleicht irgend eine seiner früheren Poesien; die feinsten Seelenregungen fließen hier in die schönste, zarteste Harmonie zusammen, in der selten nur ein allzu gespitzter Ausdruck mißtönend auffällt. Sonst ist, wie in den besten Erzeugnissen des Dichters, der Styl scharf geschliffen oder von ehernem Guß, voll nerviger Gedrungenheit, von einer Energie, die immerwährend Funken emporwirft, als wenn Hammer und Amboß in Berührung wären, Momente lang voll düsterer Majestät, öfter jedoch ein zwangloses Spiel mit heitern Dingen, das uns bedauern läßt, daß Victor Hugo statt in unseligen Schauerstücken nicht in der Sphäre des höheren Lustspiels seine scenischen Triumphe gesucht habe. Jetzt ist er vielleicht dazu verdorben, und im Tragischen doch nichts Rechtes geworden.

Reise von Madrid nach Bayonne.

Nichts kann überraschender seyn, als der Anblick der Gegenden, welche der Reisende, den sein

Victor Hugo's „Strahlen und Schatten.“

Jedes neu erscheinende Werk eines französischen Dichters von Namen und Ansehen hat hier zu Lande sicher auf Empfänglichkeit und vielfache Theilnahme zu rechnen; die entzündbare Natur des französischen Gemüths begeistert sich gern und leicht, und das Nationalgefühl des Volks freut sich innig und lebhaft an allem Vortrefflichen, was ein ausgezeichneter Mitbürger hervorbringt. Auf der andern Seite ist Vieles in dem Charakter und der Anschauungsweise des Franzosen nachsichtiger Beurtheilung oder wohlwollender Aufnahme neuer Dichterwerke entgegen: der Geist der Rüge und Verkleinerung, der in der neueren Zeit Frankreich heimgesucht, der durch den Cultus älterer Meister genährte Unglaube an die poetische Fähigkeit des heutigen Geschlechts, und das scharfe Augenmerk, das hier Jedermann auf die geringsten Vergehen in Styl und Technik hat – das sind keineswegs Dinge, die geneigte Richter bilden. Jedermann begreift, daß auf diese Weise höchst widersprechende Urtheile entstehen müssen, und die Verschiedenheit der Meinungen in dem Maaße zunimmt, je gemischter die Natur eines Dichters ist, und je mehr Ursachen er zugleich dem Lobe und dem Tadel, sich auszusprechen, gibt. Dieß aber ist sicher bei keinem Autor des heutigen Frankreichs so sehr der Fall, als bei Victor Hugo; bei keinem tritt das Vortreffliche so glänzend, das Verwerfliche so grell hervor; bei keinem ist der dichterische Naturtrieb so glücklich, der Mangel an überwachendem Verstand dagegen so sichtbar, als bei ihm, und wie er selbst in dem Bau seiner Sätze eine übermäßige Vorliebe für die Antithese an den Tag legt, so ist seine ganze Erscheinung, als Dichter, in einer fortwährenden Antithese befangen. Die Sammlung von Oden und Elegien, die er vor kurzem herausgab, ist hievon ein abermaliges Beispiel: zwei Seelen wohnen in diesen Poesien, wie in allen Poesien Hugo's, und der Dämon der Uebertreibung kämpft noch immer mit dem Genius geläuterter Schönheit; doch scheint es mir, der Sieg wolle sich auf die Seite des besseren Gefühls neigen. Unnütze Verschwendung von Bildern, so wie unstatthafte Gleichnisse, Gewagtheiten des Ausdrucks, die eher wie Härte oder Geziertheit, als wie geniale Kühnheit aussehen, häufige Rückfälle in eine verbrauchte Manier, statt Gefühl oft kalter Witz, und schimmernde Paradoxen statt reifer Gedanken – das sind allerdings namhafte Schäden dieses Buchs, und sie scheinen so tief in der innersten Natur des Verfassers zu wurzeln, daß man sie wohl für unheilbar erklären muß. Eine unartige, ungeeignete Bewegung mit der Hand, dem Auge, den Lippen geht zuletzt oft in eine krankhafte Zuckung über, und die Natur hält mit unbezwinglicher Zähigkeit an dem, was unsere Laune und Gewohnheit leichtsinnig geschaffen. So geht es auch im Reiche des Geistes und Gemüths: wir eignen uns dieß und jenes aus Nachahmungstrieb oder gefälligem Grunde an, und wenn die Zeit kommt, sich des so Erworbenen zu entäußern, hat sich das Uebel schon zu fest in die Fugen des Lebens eingerostet; der zu lang getragene Ring ist in des Fingers Fleisch gewachsen. Daß Victor Hugo, wie Viele behaupten, aus starrsinniger Hoffart an diesen Mängeln hafte, und jede Warnung der Kritik, als eine Stimme der Unvernunft oder des Neids verachtend, zurückweise, darf sehr bezweifelt werden. Eine Miene der Geringschätzung gegen die Aussprüche tadelnder Richter und des Vertrauens auf die Unfehlbarkeit seines Genie's mag er sich immerhin geben, aber in seinem Innern werden jene strengen Urtheile eine gerechtere Würdigung finden, und der kennt die Eitelkeit schlecht, der sie immer für taub und der Wahrheit unzugänglich hält; die Eitelkeit gedankenloser Menschen mag gewisse Bemerkungen gescheidterer Leute für Unsinn oder Bosheit in glücklichem Wahn erklären; sitzt sie aber in dem Busen begabter Männer, dann hat sie auch die Kenntniß des Richtigen und Falschen, weiß recht gut, wie gegründet eine Rüge ist; und sucht sie etwa sich zu täuschen, so flüstert das schelmische Gewissen ihr beständig zu: es ist dennoch so, es ist dennoch so!

Begegnen nun auch dem Leser der „Strahlen und Schatten“, wie unser Dichter seine neueste Sammlung nennt, von neuem die Mängel, denen sich Hugo einmal nicht entwinden kann, so erfreuen ihn in weit dichterer Masse alle die Vorzüge, die er in den Dämmerliedern und Herbstblättern gefunden. Victor Hugo ist ein meisterlicher Maler der regsamen Außenwelt; das sichtbare Labyrinth des Gewühls der Menschen und die bunten Verschlingungen der Natur können nicht anschaulicher, das Summen der Städte und der Flüsse Rauschen kann nicht hörbarer geschildert werden, als von ihm. Die Geschichte der Gegenwart strömt durch alle seine Verse, und des Stromes Wirbel und seine Katarakte, und die Felsen, die aus seiner Tiefe ragen, erscheinen abwechselnd vor unserm Auge. Vor Allem steht der Kaiser leuchtend da, wie seine Säule, wenn sie die Fluth der hellsten Sonne überfließt, doch auch finster im einsamen Gespräche mit dem Ocean, als ein gebeugter Held. Victor Hugo's Philosophie hat keinen weiten Gesichtskreis: er kommt, nicht aus Nachlässigkeit, wie Lamartine, sondern aus einer gewissen Ungelenkigkeit des Denkens stets zu denselben Ideen zurück, die er nun durch alle Adern der Schöpfung und des menschlichen Daseyns verfolgt, und in den mannichfachsten Erscheinungen verkörpert. Dieß gibt ihm hie und da zu ermüdenden Zusammenstellungen und geschmacklosen Vergleichungen, doch auch zu sinnigen Analogien und lieblichen Bildern Anlaß. Auch in seinen „Strahlen und Schatten“ sind das Forum und die Kinderstube, der Ocean und das Dunkel des gesangreichen Waldes, dann etwas Liebe, weil die einmal kein irdischer Poet entbehren kann, wieder Stoff und Schauplatz; in der Auffassung dieser Dinge jedoch kann Referent nur einen Fortschritt sehen. Die Beziehungspunkte scheinen neuer, die Gedanken treffender, die Gefühle inniger als gewöhnlich; namentlich ist die Elegie „Olympios Trauer“ ein Gebilde von feinerer Art, als vielleicht irgend eine seiner früheren Poesien; die feinsten Seelenregungen fließen hier in die schönste, zarteste Harmonie zusammen, in der selten nur ein allzu gespitzter Ausdruck mißtönend auffällt. Sonst ist, wie in den besten Erzeugnissen des Dichters, der Styl scharf geschliffen oder von ehernem Guß, voll nerviger Gedrungenheit, von einer Energie, die immerwährend Funken emporwirft, als wenn Hammer und Amboß in Berührung wären, Momente lang voll düsterer Majestät, öfter jedoch ein zwangloses Spiel mit heitern Dingen, das uns bedauern läßt, daß Victor Hugo statt in unseligen Schauerstücken nicht in der Sphäre des höheren Lustspiels seine scenischen Triumphe gesucht habe. Jetzt ist er vielleicht dazu verdorben, und im Tragischen doch nichts Rechtes geworden.

Reise von Madrid nach Bayonne.

Nichts kann überraschender seyn, als der Anblick der Gegenden, welche der Reisende, den sein

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[1169/0009] Victor Hugo's „Strahlen und Schatten.“ _ Paris, 16 Mai. Jedes neu erscheinende Werk eines französischen Dichters von Namen und Ansehen hat hier zu Lande sicher auf Empfänglichkeit und vielfache Theilnahme zu rechnen; die entzündbare Natur des französischen Gemüths begeistert sich gern und leicht, und das Nationalgefühl des Volks freut sich innig und lebhaft an allem Vortrefflichen, was ein ausgezeichneter Mitbürger hervorbringt. Auf der andern Seite ist Vieles in dem Charakter und der Anschauungsweise des Franzosen nachsichtiger Beurtheilung oder wohlwollender Aufnahme neuer Dichterwerke entgegen: der Geist der Rüge und Verkleinerung, der in der neueren Zeit Frankreich heimgesucht, der durch den Cultus älterer Meister genährte Unglaube an die poetische Fähigkeit des heutigen Geschlechts, und das scharfe Augenmerk, das hier Jedermann auf die geringsten Vergehen in Styl und Technik hat – das sind keineswegs Dinge, die geneigte Richter bilden. Jedermann begreift, daß auf diese Weise höchst widersprechende Urtheile entstehen müssen, und die Verschiedenheit der Meinungen in dem Maaße zunimmt, je gemischter die Natur eines Dichters ist, und je mehr Ursachen er zugleich dem Lobe und dem Tadel, sich auszusprechen, gibt. Dieß aber ist sicher bei keinem Autor des heutigen Frankreichs so sehr der Fall, als bei Victor Hugo; bei keinem tritt das Vortreffliche so glänzend, das Verwerfliche so grell hervor; bei keinem ist der dichterische Naturtrieb so glücklich, der Mangel an überwachendem Verstand dagegen so sichtbar, als bei ihm, und wie er selbst in dem Bau seiner Sätze eine übermäßige Vorliebe für die Antithese an den Tag legt, so ist seine ganze Erscheinung, als Dichter, in einer fortwährenden Antithese befangen. Die Sammlung von Oden und Elegien, die er vor kurzem herausgab, ist hievon ein abermaliges Beispiel: zwei Seelen wohnen in diesen Poesien, wie in allen Poesien Hugo's, und der Dämon der Uebertreibung kämpft noch immer mit dem Genius geläuterter Schönheit; doch scheint es mir, der Sieg wolle sich auf die Seite des besseren Gefühls neigen. Unnütze Verschwendung von Bildern, so wie unstatthafte Gleichnisse, Gewagtheiten des Ausdrucks, die eher wie Härte oder Geziertheit, als wie geniale Kühnheit aussehen, häufige Rückfälle in eine verbrauchte Manier, statt Gefühl oft kalter Witz, und schimmernde Paradoxen statt reifer Gedanken – das sind allerdings namhafte Schäden dieses Buchs, und sie scheinen so tief in der innersten Natur des Verfassers zu wurzeln, daß man sie wohl für unheilbar erklären muß. Eine unartige, ungeeignete Bewegung mit der Hand, dem Auge, den Lippen geht zuletzt oft in eine krankhafte Zuckung über, und die Natur hält mit unbezwinglicher Zähigkeit an dem, was unsere Laune und Gewohnheit leichtsinnig geschaffen. So geht es auch im Reiche des Geistes und Gemüths: wir eignen uns dieß und jenes aus Nachahmungstrieb oder gefälligem Grunde an, und wenn die Zeit kommt, sich des so Erworbenen zu entäußern, hat sich das Uebel schon zu fest in die Fugen des Lebens eingerostet; der zu lang getragene Ring ist in des Fingers Fleisch gewachsen. Daß Victor Hugo, wie Viele behaupten, aus starrsinniger Hoffart an diesen Mängeln hafte, und jede Warnung der Kritik, als eine Stimme der Unvernunft oder des Neids verachtend, zurückweise, darf sehr bezweifelt werden. Eine Miene der Geringschätzung gegen die Aussprüche tadelnder Richter und des Vertrauens auf die Unfehlbarkeit seines Genie's mag er sich immerhin geben, aber in seinem Innern werden jene strengen Urtheile eine gerechtere Würdigung finden, und der kennt die Eitelkeit schlecht, der sie immer für taub und der Wahrheit unzugänglich hält; die Eitelkeit gedankenloser Menschen mag gewisse Bemerkungen gescheidterer Leute für Unsinn oder Bosheit in glücklichem Wahn erklären; sitzt sie aber in dem Busen begabter Männer, dann hat sie auch die Kenntniß des Richtigen und Falschen, weiß recht gut, wie gegründet eine Rüge ist; und sucht sie etwa sich zu täuschen, so flüstert das schelmische Gewissen ihr beständig zu: es ist dennoch so, es ist dennoch so! Begegnen nun auch dem Leser der „Strahlen und Schatten“, wie unser Dichter seine neueste Sammlung nennt, von neuem die Mängel, denen sich Hugo einmal nicht entwinden kann, so erfreuen ihn in weit dichterer Masse alle die Vorzüge, die er in den Dämmerliedern und Herbstblättern gefunden. Victor Hugo ist ein meisterlicher Maler der regsamen Außenwelt; das sichtbare Labyrinth des Gewühls der Menschen und die bunten Verschlingungen der Natur können nicht anschaulicher, das Summen der Städte und der Flüsse Rauschen kann nicht hörbarer geschildert werden, als von ihm. Die Geschichte der Gegenwart strömt durch alle seine Verse, und des Stromes Wirbel und seine Katarakte, und die Felsen, die aus seiner Tiefe ragen, erscheinen abwechselnd vor unserm Auge. Vor Allem steht der Kaiser leuchtend da, wie seine Säule, wenn sie die Fluth der hellsten Sonne überfließt, doch auch finster im einsamen Gespräche mit dem Ocean, als ein gebeugter Held. Victor Hugo's Philosophie hat keinen weiten Gesichtskreis: er kommt, nicht aus Nachlässigkeit, wie Lamartine, sondern aus einer gewissen Ungelenkigkeit des Denkens stets zu denselben Ideen zurück, die er nun durch alle Adern der Schöpfung und des menschlichen Daseyns verfolgt, und in den mannichfachsten Erscheinungen verkörpert. Dieß gibt ihm hie und da zu ermüdenden Zusammenstellungen und geschmacklosen Vergleichungen, doch auch zu sinnigen Analogien und lieblichen Bildern Anlaß. Auch in seinen „Strahlen und Schatten“ sind das Forum und die Kinderstube, der Ocean und das Dunkel des gesangreichen Waldes, dann etwas Liebe, weil die einmal kein irdischer Poet entbehren kann, wieder Stoff und Schauplatz; in der Auffassung dieser Dinge jedoch kann Referent nur einen Fortschritt sehen. Die Beziehungspunkte scheinen neuer, die Gedanken treffender, die Gefühle inniger als gewöhnlich; namentlich ist die Elegie „Olympios Trauer“ ein Gebilde von feinerer Art, als vielleicht irgend eine seiner früheren Poesien; die feinsten Seelenregungen fließen hier in die schönste, zarteste Harmonie zusammen, in der selten nur ein allzu gespitzter Ausdruck mißtönend auffällt. Sonst ist, wie in den besten Erzeugnissen des Dichters, der Styl scharf geschliffen oder von ehernem Guß, voll nerviger Gedrungenheit, von einer Energie, die immerwährend Funken emporwirft, als wenn Hammer und Amboß in Berührung wären, Momente lang voll düsterer Majestät, öfter jedoch ein zwangloses Spiel mit heitern Dingen, das uns bedauern läßt, daß Victor Hugo statt in unseligen Schauerstücken nicht in der Sphäre des höheren Lustspiels seine scenischen Triumphe gesucht habe. Jetzt ist er vielleicht dazu verdorben, und im Tragischen doch nichts Rechtes geworden. Reise von Madrid nach Bayonne. _ Bayonne, 16. Mai. Nichts kann überraschender seyn, als der Anblick der Gegenden, welche der Reisende, den sein

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 147. Augsburg, 26. Mai 1840, S. 1169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_147_18400526/9>, abgerufen am 28.04.2024.